Teil 6 - Sackgassen und Einbahnstraßen
"Dead End; na hoffentlich ist das nicht wörtlich gemeint..."
Mit einer Mischung aus Verwunderung und Erwartung identifizierte Mark
die Gestalt als Sharon; es schien ihm wie im falschen Film, hier zusammen
mit ihr hinter einer Säule zu hocken und vor ein paar einfachen Terroristen
Deckung zu nehmen. Unter dem Krach der in der Säule einschlagenden
Kugeln ergriff Mark das Wort. "Bei 3 springst du zur Seite und erwiderst
das Feuer. Zusammen kriegen wir die klein." "Hast du so etwas
schon mal gemacht ?" Mark erwiderte die Frage mit einem vielsagenden
Lächeln, dann zählte er an. "Und drei !" Mit diesem
Kommando stürmten die beiden zur Seite und feuerten auf die Terroristen,
die offenbar noch unschlüssig waren, wer denn nun ihre Aufmerksamkeit
erhalten sollte. Sharon traf 4 Terroristen in den Kopf und warf sich dann
hinter die nächste Säule, während Mark siedendheiß
einfiel, das sein Plan einen Fehler hatte. Auf seiner Seite war eine Wand.
"Ob..?" Mark stieß sich vom Boden ab und betete, das er
sich auch dieses Mal an der Wand halten würde. Die Schuhsohlen fanden
übernatürlichen Halt, und Mark ergriff die Gelegenheit, von
der Wand den Beschuß fortzusetzen. Auf Höhe der Gegner stieß
er sich von der Wand ab und schmetterte in die Reihen der Bewaffneten.
Von den neun Terroristen waren 3 dem Kreuzfeuer entgangen. Einer mit
schwarzem Haar und stark asiatischen Gesichtszügen befand sich genau
in Marks Flugbahn und wurde vom Paladin regelrecht mitgerissen. Marks
Sturz auf den harten Betonboden wurde entsprechend von dem Mann in schwarz
abgebremst, der dafür mit doppelter Masse auf den Boden aufschlug
und mit ein paar angeknacksten Rippen aus dem weiteren Kampfverlauf ausschied.
Mark rollte ab und preschte auf die nächste Wand zu. Mit einem schnellen
Tritt stieß er sich ab und bewältigte die Flugstrecke rückwärts
mit einem gewaltigen Backflip. Der abschließende Tritt verursachte
beim zweitem Terroristen mit blonden, kurzen Haaren und dem von einer
Gasmaske verdeckten Gesicht heftige Kopfschmerzen. Der letzte Terrorist,
offensichtlich begeisterte Kinogänger, warf seine Waffe zur Seite
und nahm Grundstellung an. Wollte sich der Typ etwa auf den unbewaffneten
Nahkampf mit einem Paladin messen. Wo sein Gegenüber doch über
himmlische Unterstützung verfügte ? Mark fand es nicht heraus;
mit einem lauten Knall sank der Terrorist auf seine Knie, Blut tropfte
aus seinem vor Überraschung geöffneten Mund. Hinter dem Terroristen
stand Sharon mit einem rauchenden Colt-Browning Modell 1911A1. "Bruce
Lee ist tot, und ich kann nicht behaupten, das es mir leid tut."
Mark hatte nicht vor, sich wieder in die Schlange einzureihen wenn
er nicht jetzt den Flughafen verließ, würde er wohl Korea niemals
verlassen. Mit einem schnellen Handgriff zerrte er Sharon aus dem Gebäude
und sprintete auf das Parkhaus zu. In Gedanken ließ er sein Motorrad
schon an, und als er die Schranke erreichte, bog es bereits um eine dunkle
Ecke und stand heulend hinter Krähenfüßen, die den Weg
nach außen blockierten. Mark sprang, ohne sein Tempo zu verlangsamen,
und stürmte auf sein Fahrzeug zu. Während er noch überlegte,
hatte Sharon bereits aus dem Kofferraum eines schwarzen Pick-ups eine
leichte Panzerabwehrwaffe Marke MBB "Armbrust" organisiert.
Mark konnte seine Überraschung kaum verbergen. "Woher kriegst
du solch schwere Waffen ?" "Familiengeheimnis." Mit diesen
abschließenden Worten lenkte sie den Flugkörper in eine Wand
neben der Ausfahrt; die, wenn sie beseelt gewesen wäre, sicherlich
erstaunt festgestellt hätte, das Waffen, die sechs Einlagen Panzerstahl
durchschlagen, bei 10 cm dicken Wänden noch verheerender wirken.
Mark kommentierte die Situation mit einem lässigen "Tja, moderne
Architektur...", dann ließ er sich im Sattel seines Schlachtrosses
nieder und gab dem 4-Takter die Sporen. Das letzte Aufheulen erschallte,
dann sprang die Maschine auf die Straße und sprühte bei einer
scharfen Rechtskurve Funken, ehe sie aus dem Sichtbereich der gerade eintreffenden
Polizisten verschwand, gefolgt von einem schwarzen Pick-up, der es verstand,
mit seinem schwer gepanzerten Kühlergrill große Löcher
noch größer zu machen.
Auf einer kleinen Landstraße beendete Mark die wilde Verfolgung.
Die Dunkelheit legte sich um den Dschungel, der ihn umgab; kurz, er sah
keinen Grund, ohne Gefahrenzulage auch noch Überstunden aufschreiben
zu lassen. Aus den Seitentaschen an seinem Motorrad fischte Mark einen
Schlafsack im obligatorischen Tarnmuster Look und rollte sie vor sich
auf dem Boden aus. Ein paar Minuten später näherte sich der
Pick-up langsam und unbemerkt der Lagerstätte; ein paar Augen verfolgten
den Paladin bei der Abendgymnastik, bestehend aus dem Reißen des
Dosendeckels, dem Heben der Dose und dem Schlucken des eisigen Biers irgendeiner
amerikanischen Marke mit einem dicken "Import" - Stempel. Alkohol
in seiner Wirkung als Bote sanften Schlafes und harten Katers am nächsten
Morgen verfehlte anscheinend auch hier seinen Einfluß nicht. Mark
sank nach wenigen Minuten in das, was für die Dauerbewohner der Ausnüchterungszelle
Lebensinhalt ist: ein tiefer, ruhiger Schlaf. Selbiges Schicksal überkam
auch den Besitzer des Augenpaares im Pick-up. Die Gestalt mit braunen,
schulterlangen Haaren wachte erst wieder auf, als kalter Stahl ihre Schläfe
berührte. Erschreckt fuhr die Gestalt, in der jetzt eingeschalteten
Innenbeleuchtung des Wagens deutlich als Sharon erkennbar, aus ihrem Sitz
hoch und blickte nun direkt in den dunklen Lauf einer schweren Pistole.
Ihr Blick wanderte über das Visier langsam am Auswurffenster bis
zum Hahn an der Pistole entlang und folgte dem Arm bis hoch zum Gesicht
ihres Gegenübers. Das Gesicht war auch im Zwielicht deutlich zu erkennen;
das sonst so freundliche Gesicht hatte sich jetzt jedoch in eine Art Maske
verwandelt; und diesem Geschöpf waren die Begriffe Verständnis
oder Respekt für Leben offenbar ein Fremdwort.
Das Wesen war wirklich perfekt, dachte sich Sharon, selbst die Stimme
von Mark imitierte es trefflich. "Wer bist du ?" fragte das
Wesen. "Sharon." "Falsche Antwort." Das Wesen zögerte
nicht, es drückte den Abzug voll durch. Die Windschutzscheibe bedeckte
sich mit grünem Blut, während eine unidentifizierbare Leiche
fortfuhr, den Fahrersitz zu besudeln. Marks Lächeln kehrte zurück;
er hatte richtig vermutet. Mit einer schnellen Handbewegung zog er den
Schlüsselbund aus dem Schloß und schlenderte zum Kofferraum.
Nach kurzem Probieren war der richtige Schlüssel hier gefunden; Mark
drehte den Schlüssel im Schloß nach rechts und öffnete
die Klappe, die in seiner Einbildung unter dem Gewicht unsichtbaren Staubs
ächzte. Mark fand genau, was er erwartet hatte.
Unter einer Decke lag Sharon, Arme auf den Rücken gebunden und mit
einem häßlich grauen Streifen Paketklebeband geknebelt. Mark
befreite seine Mitstreiterin aus der mißlichen Lage und konzentrierte
seine Heilkräfte, um sie aus der von einem Schlag auf den Hinterkopf
ausgelösten Bewußtlosigkeit zu befreien.
Nach der Verarztung von Sharon, deren Doppelgänger wohl eher mit
roher Gewalt als mit Talent zugeschlagen hatte, diskutierten die beiden
Verbündeten die Lage. "Die Angelegenheit am Flughafen war echt
der größte Mist, der passieren konnte." "Und ? Glaubst
du etwa, daß das Zufall war ?" Sharon zwang sich mit diesen
Worten ein kleines Lächeln ab. "Was mich eher interessiert,
ist die Frage, wie wir jetzt nach London kommen." Sharon stand auf,
trotz des brummenden Schädels, und wanderte ziellos um das kleine
Lager herum. "Das müssen wir klarstellen. DU mußt nach
London. Ich muß allerhöchstens in Urlaub." "Moment
mal. Ehe wir hier irgendwelchen tollen und überheiligen Aktionen
abziehen, hätte ich gern mal die Fronten geklärt. Also, wer
bist du genau, woher weißt du von dem Unternehmen und warum kennt
Azuriel dich nicht ?" Sharon seufzte. "Er kann mich nicht kennen.
Ich bin kein echter Paladin. Ich hab meine Fähigkeiten und Kraft
von einem sterbenden Paladin erhalten. Genau wie du hatte ich wohl kaum
eine Wahl. Wir lagen sterbend nebeneinander, und dann sagt der Typ, er
würde mein Leben retten, aber gleichzeitig würde er mich töten.
Als ich wieder zu mir kam, war ich so gekleidet. Um ehrlich zu sein, habe
ich absolut keine Ahnung, wer ich vorher war. Alles, was ich weiß,
ist das ich dich suchen soll, weil du derjenige bist, in dem die letzte
Weisheit liegt." "Das einzige, was in mir liegt, ist momentan
der Wunsch, den Mist hinter mich zu bringen. Schätze, wenn ich irgendwann
mal die Weisheit erlangen und dir helfen soll, muß ich erst mal
die Welt retten." Vom Rand der Sonnenbrille tropfte eine einsame
Träne. "Du weißt gar nicht, wie gerne ich einfach tot
auf der Straße liegen geblieben wäre." Mark stand auf,
zückte seine Pistole und lud durch. "Wenn ich meinen Job mache,
werde ich vielleicht wegen guter Führung entlassen." Das Team
wider Willen entschied sich gegen die Fortführung der Diskussion.
Nach solchem Tag hatte selbst ein Paladin mit Adrenalinpegel kurz vorm
Anschlag keine Probleme damit, einzuschlafen.
Am nächsten Tag erfüllte frische Seeluft Marks Lunge, während
er an der Reling des kleinen gecharterten Hochseekatamarans dem Spiel
der Wellen zusah und darüber nachdachte, wie es von San Francisco
aus weiter nach London gehen sollte. Das koreanische Festland war bereits
vor Stunden hinter dem Horizont verschwunden; das Steuer mußte Mark
keine Sorgen bereiten, dank des fortschrittlichen Satellitenortungs -
und Navigationssystems. Am liebsten würde er sich selbst ohrfeigen,
bis seine alten Verhaltensmuster wieder die Vorherrschaft hätten.
Früher, ja, früher. Da war der Alkohol so reichlich wie billiger
Sex; da wurden Spielschulden schon mal mit einer Bleikugel im Kopf des
Konkurrenten bezahlt. Mark fühlte sich komisch; ihn überkam
fast der Zwang, auf die Knie zu fallen und Gott um die Vergebung seiner
Sünden zu bitten. "Nein." Mark mußte lachen. Die
Gedanken vorhin einfach nur lächerlich. Die Hitze machte ihn fast
wahnsinnig. Da hier wohl kaum Reporter von National Enquirer zu erwarten
waren, landeten Sweatshirt und Unterhemd bald auf einem Plastikstuhl neben
Mark, unter ihnen begraben seine Waffen. Irgend etwas hielt ihn davon
ab, das Kreuz ebenfalls zur Seite zu legen; so strahlte die Sonne auf
Marks unvermutet blassen Oberkörper, und über den Abend prägten
sich die Umrisse des Kreuzes auf der ansonsten gebräunten Haut ein.
Von Gatac
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