Teil 4 - Grüne Wüste
"Du bist nie alleine; gerade deshalb kommst du dir unheimlich verlassen
vor."
Die Schrotladung flog zischend an Mark vorbei, der sich gerade noch mit
einem Sprung zur Seite aus der Schußlinie gerettet hatte. Aber er
hörte ein Stöhnen hinter sich, ungefähr dort, wo er eben
noch stand. Wände stöhnen nicht. Er lag noch etwas unentschlossen
mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, dann brachte er den Mut auf
und wirbelte herum, seine Waffe immer noch im Anschlag. Im Bruchteil einer
Sekunde erfaßte er die Situation. Etwas, das ihn an einen Werwolf
erinnerte, stand knurrend im Gang. Grünliches Blut tropfte aus seiner
Brust. Sharon betätigte den Verschluß ihrer Waffe; die heiße
Hülse flog seitlich aus dem Auswurffenster. Mark setzte ein kleines
Lächeln auf. Er riß seine Beine in die Luft, verlagerte seinen
Schwerpunkt ruckartig wieder zurück und einen Augenblick später
war er auch schon wieder auf den Beinen. Der Werwolf stürmte auf
Sharon zu und hatte offenbar Mark noch nicht richtig wahrgenommen. Mark
setzte an und erwischte das laufende Monster mit einem kräftigen
Tritt, worauf es zur Seite stolperte und gegen einen Pfeiler knallte.
Der Werwolf verlor sein Gleichgewicht endgültig und landete auf seinem
Rücken. Mark schritt langsam auf das Monster zu, dann zielte er genau
mit seiner Waffe. "Tschüs, du Furby." Mit diesen Worten
verpaßte er dem gerade wieder zu sich kommenden Werwolf ein drittes
Auge.
Als er sich umdrehte, war Sharon schon wieder verschwunden. Mark schlenderte
zur Leiche und hob die Patronenhülse auf, die vom Kampf zurückgeblieben
war. Koreanische Behörden ließ man besser nicht erst in Aktion
treten; wenn der Kommunismus eins gekonnt hatte, dann war es der Aufbau
eines effektiven Geheimdienstes. Und Mark hatte wichtigeres zu tun, als
sich noch mehr Ärger einzuhandeln. Auf dem Sitz seines Motorrads
lag ein Zettel, nicht gerade besonders weiß oder ordentlich gefaltet.
Mark nahm in und las ihn. "Der Tempel der ewig währenden Sonne"
stand darauf, in sorgfältiger, ja fast andächtiger Schrift geschrieben.
Im Gegensatz zu dem, der den Zettel gefaltet hatte, war dem Autoren dieses
Hinweises Zeit offenbar nicht besonders wertvoll. Er würde sich wohl
fürs erste einen Reiseleiter suchen müssen, der sich hier auskannte.
Und Reiseleiter in dieser Region waren entweder lebensmüde, Agenten
des Staats oder miese Trickbetrüger. Im schlimmsten Fall traf alles
zu.
Mark schlenderte unschlüssig durch die Gassen der Stadt. Seit er
im Flugzeug Verständnis beschworen hatte, verstand er koreanisch
ohne größere Probleme. Mark wußte nicht, wie lange das
anhalten würde, aber es wäre sicherlich besser, die Fähigkeit
zu nutzen, solange sie vorhanden war. Marks Blick erfaßte eine kleine
Seitenstraße, nahezu verdeckt von Ständen oder noch ärmeren
Händlern, die Touristen "heilige" Souvenirs andrehten,
um ihre 13 Kinder zu ernähren. Natürlich konnte man nicht verallgemeinern,
aber wenn an den Theorien über Formung des Charakters durch das Umfeld
auch nur das geringste dran war, konnte man sie wohl alle als Gauner oder
Gelegenheitsbetrüger bezeichnen. Mark hatte es sich zur Gewohnheit
gemacht, niemandem zu vertrauen. Er hatte sich in seinem Leben schon immer
alles alleine erkämpfen müssen. Er schlenderte gemächlich
auf die Seitenstraße zu. Er stach deutlich aus der Menge heraus;
ironischerweise durch seine Kleidung, die ihn ja in der anonymen Masse
verstecken sollte. Die Gasse roch nach seltsamen Gewürzen und Schweiß;
sie war gesäumt von Obdachlosen, die wimmernd um Geld bettelten, manche von ihnen schrecklich entstellt. Mark konnte sich nicht helfen;
er zog etwas Geld aus seinem Mantel und verteilte es unter den armen Leuten,
die ihm ihre Dankbarkeit mit einem stummen Nicken bezeugten. Beim letzten
Bettler blieb Mark noch kurz stehen; er schien den Mann mit der Sonnenbrille
nicht wahrzunehmen. Der Obdachlose erhob seine Stimme kaum über ein
Flüstern; Mark verstand ich trotzdem deutlich. "Ich danke dir
für die Spende. Ich fühle eine mächtige Präsenz in
dir. Ich sehe den ganzen Tag nur Dunkelheit; doch du stehst vor mir und
dein Licht blendet mich fast, so wunderschön ist es. Du bist kein
gewöhnlicher Mensch; frag nicht woher ich es weiß, ich bin
vielleicht blind, aber gerade deshalb sehe ich manchmal mehr. Kann ich
dir helfen, so wie du mir geholfen hast ?" "Ich suche nach dem
Tempel der ewig währenden Sonne." Der Obdachlose schien sich
zu erschrecken zumindest meinte Mark, Entsetzen in den harten und regungslosen
Konturen des alten Gesichts zu sehen. "Dafür mußt du dich
in den Dschungel begeben. Sei wachsam das, was dir als Licht erscheint,
kann in Wirklichkeit finsterste Nacht sein." "Danke für
den Rat."
Mark entfernte sich langsam und durchkreuzte das Labyrinth aus Gassen
noch einige Minuten, bis er einen entfernten Geruch wahrnahm. Kordit.
Hier in der Nähe wurden Schußwaffen gelagert. Er folgte seiner
Nase und landete in einem Laden für Gewürze. Nein, auch der
scharfe Geruch von grünem Pfeffer konnte seine Nase nicht täuschen,
Schießpulver lag in de Luft. Mit festen Schritten näherte sich
dem Verkäufer, der seine Augen nur widerwillig von einem billigen
Pornoblättchen abwandte. "Was wollen sie ? Können sie mich
überhaupt verstehen, sie verdammter Kapitalist ?" Nein, wirklich,
bei Marks Anblick wäre jeder sehr überrascht gewesen, wenn er
die Beleidigung in perfektem Koreanisch erwidert hätte. Der Verkäufer
bildete keine Ausnahme; mit Mühe zwang er sich ein Lächeln ab.
"Ein Kunde ! Mißverstehen sie mich nicht, in war gerade in
Gedanken." "Macht nichts, bei solcher Lektüre wäre
ich auch abgelenkt gewesen." Mit einer schnellen Handbewegung verschwand
die Zeitschrift unter dem Tresen. Mark hätte am liebsten breit gegrinst,
aber er konnte es sich nicht leisten, einen Waffenverkäufer der Stadt
zu verärgern sonst würde er nirgendwo mehr einkaufen können.
Das heißt, NOCH dürfte er niemanden verärgern. "Scherz
beiseite, ich suche...Gewürzstreuer. EXOTISCHE Gewürzstreuer."
"Für welches Gewürz ?" "Blei. Habe ich mich klar
ausgedrückt ?" "Wir verkaufen hier nur..." Bevor der
Verkäufer den Satz beenden konnte, hatte ihn Mark auch schon am Kragen
gepackt und zu sich über den Tresen gezogen. "Jetzt reden wir
mal Tacheles. Ich suche Knarren. Waffen. Wie immer du sie nennst. Ich
bezahle gut und du stellst keine Fragen und hattest heute keine Kunden.
Klar ?" Er zog den Verkäufer noch näher an sich heran.
Der Mann im dreckigen Hemd mit unleserlichen Namensschild konnte durch
die Sonnenbrille hindurch die durch Wut geweiteten Pupillen sehen. Mark
schrie ihn an. "HABE ICH MICH KLAR AUSGEDRÜCKT ?" "Ab..ab..absolut,
ja, schauen wir mal, was da ist."
Kurze Zeit später versammelte sich die Elite weltweiter Handwerkskunst
auf einem Tisch das heißt, wohl eher doch der Ausschuß.
Mark fischte zwei Ingram MAC-10 .45 mit Schalldämpfer aus dem Haufen.
Mit Fachkenntnis zerlegte er beide und prüfte den Mechanismus sorgfältig.
Dann fiel ihm am Magazinschacht eine kleine Prägung auf. Eine Seriennummer.
"Feile." Der eingeschüchterte Verkäufer reichte dem
Fremden in schwarz eine schwere Feile. Nach kurzer Zeit war auch dieses
Problem gelöst, und Mark knallte ein Bündel Geldscheine auf
den Tresen. "Das ist mehr als genug für den Schrott, den ich
dir gerade abgenommen habe. Die Federn sind durchgerostet und der Hammer
ist auch hin. Bei der anderen ist das Gehäuse so stark verbogen,
daß das Teil nach spätestens 4 Schuß klemmt. Schaffen
sie sich mal einen Affen an, der hält die Teile sicher besser in
Schuß. Wenn sie wissen, was gut für sie ist, schnappen sie
sich ihr Heft, holen sich einen runter und vergessen mich schnell. Sonst
werde ich eventuell noch unhöflich." Mit diesen Worten verließ
er den Verkäufer, der für den Rest des Tages beim Anblick der
Bilder nackter Frauen wohl nicht mehr in die richtige Stimmung kommen
würde. Nein, sagte er sich, mache Tage sind einfach nur Mist. Er
schrie dem Fremden hinterher, "Verdammter Kommunist, du Arsch !"
Jetzt mußte Mark doch schmunzeln. Wie schnell sich Leute doch ihre
politische Orientierung neu überdenken können....
Mark kämpfte sich durch die jetzt gefüllten Nebenstraßen
wieder auf die Hauptstraße der Ortschaft zurück. Ein kleiner
Junge, vielleicht 13 oder 14, lief auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und
grinste. Mit einem schnellen "Was willst du ?" drückte
Mark seine Verwunderung aus; das ein gewisser gelangweilter und beleidigter
Ton mitschwang, war nicht zu überhören. "Sie sehen aus,
als hätten sie sich verirrt." "Laß mich raten, du
bist der ortsansässige Fremdenführer." "Für 20
Dollar bringe ich sie überall hin. Ich kenne alle, kann alles besorgen
und wenn ihnen jemanden Probleme bereitet, läßt sich das auch
lösen." "Bring mich zum Tempel der ewig währenden
Sonne." Die Augen des Jungen weiteten sich in Angst. "Sie wollen
wirklich dahin ?" "Ja." "Da will ich nicht mit. Ich
sage ihnen, wo es langgeht, und dann bewege ich mich keinen Schritt weiter
in diese Richtung." "Soll mir recht sein." Mark reichte
dem Jungen ein Bündel Scheine. " Also gut. Sie gehen ungefähr
3 Kilometer in südlicher Richtung, dann 2 Kilometer nach Südwesten.
Dann sehen sie die Lichtung mit dem Tempel vor sich." Während
der Junge das Geld zählte, sprach er weiter. "Wenn ich sie wäre,
würde ich höllisch aufpassen. Auch wenn es nicht so aussieht,
ich hab es gerne, wenn Kunden in einem Stück wieder zurück kommen."
Er verbeugte sich noch kurz, dann war er im Gewirr der Menge auch schon
wieder verschwunden.
Mark machte sich daraufhin auf den Weg und erblickte bei Sonnenuntergang
den alten und verlassenen Tempel. Die Applikationen waren zwar lange nicht
poliert wurden, strahlten aber noch hell genug, um erkennen zu lassen,
daß sie aus Gold bestanden. Mark fühlte sich unwohl beim Anblick
dieses gespenstischen Bauwerks; der pompöse Eingang wirkte mit seinen
Säulen wie der Rachen eines Ungeheuers. Mark setzte sich gegen einen
Baum und beschwor eine Wärmeaura, die ihm einen entspannten und tiefen
Schlaf einbrachte. Der Dschungel um ihn herum jedoch erwachte in der Nacht
zu gespenstischem Leben. Flughunde zogen ihre Kreise am Himmel, nur auf
der Jagd nach dem Nektar der Blüten. Unter ihnen und den blühenden
Bäumen war der Anblick nicht mehr ganz so idyllisch; unmenschliche
Augen blitzten auf und erleuchteten die Nacht. Der Dschungel war erwacht.
Auch der Tempel blieb nicht dunkel; er erleuchtete die Lichtung aus seinem
Eingang. Hätte Mark einen leichteren Schlaf, wäre er Zeuge dieses
Schauspiels geworden. Erst ein Heulen und Schluchzen, das aus dem Tempel
drang, vermochte den Paladin zu wecken. Mit einer vorsichtigen Bewegung
zog er die zwei MAC-10 aus seinem Mantel und schaltete auf vollautomatisch.
Was er sah, jagte ihm Angst oder zumindest mittelmäßig viel
Respekt ein. Etwas verdunkelte den Tempeleingang. Und es sah nicht gerade
menschlich aus. Mark motivierte sich selbst, dann stürmte er mit
einem lauten Schrei auf den Tempel zu und eröffnete das Feuer aus
beiden Maschinenpistolen.
Insgeheim hoffte er darauf, das Sharon auftauchen würde und zwar
mindestens mit einer leichten Panzerabwehrwaffe.
Von Gatac
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