Kapitel IV - Die Leiden des jungen A.
Ich zögerte. Sollte ich es Angelina wirklich zeigen? Ich entschloss mich
dazu, vielleicht konnte sie mir endlich sagen was in dem Tagebuch stand. Aus
meinem Rucksack kam eine schwarze Kiste hervor. Meine Kiste der Trophäen.
Sie waren alle von meinen Opfern. Der Jäger hängt sich die Köpfe
seiner erlegten Beute an die Wand, doch Menschenköpfe sind schwer zu transportieren
und die meisten Köpfe hatten hässliche Löcher. Ich sammelte persönliche
Gegenstände meiner Opfer in dieser Kiste.
"Was ist das?", wollte Angelina wissen.
"Ich habe das Tagebuch von Angelo da Silva, einem meiner zahlreichen Opfer,
aufgehoben. Ich fürchtete mich immer es zu lesen, doch nun will ich einen
Schlussstrich ziehen. Aber es ist spanisch, ich verstehe kein Wort."
"Ich übersetzte es dir."
Kaum hatte Angelina das Buch zur Hand begann sie auch schon zu lesen...
20. Januar 1984
Liebes Tagebuch,
heute ist der glücklichste Tag meines Lebens! Ich hab endlich einen Job
gefunden. Die neue Silbermine in der Nähe von Granada hat noch kräftige
junge Männer gesucht. Und jetzt hab ich den Job, endlich nach drei Jahren
Bewerbungen schreiben, Vorstellungsgesprächen und Absagen. Das Elend ist
endlich vorbei. Ich bin so glücklich, das muss gefeiert werden. Ich werde
heute Nacht kräftig die Sau rauslassen. Ich werde mit Maria ins Mohana
gehen, ich hab gehört, dass soll die beste Kneipe in ganz Granada sein.
Was danach kommt, wissen wir noch nicht, wahrscheinlich gehen wir noch in eine
Disko. Oh wie ich sie liebe, meine Maria. Ich hatte schon wirklich viele Chickas,
aber so eine wie Maria hatte ich noch nie. Sie ist so nett, ich glaube, sie
ist der einzige Mensch, der mich versteht und mich wirklich zu schätzen
weiß. Die Anderen sind nur geil auf meinen Körper, aber sie, sie
liebt mein Inneres. Und so ist es auch bei mir. Ich denke ich werde ihr bald
einen Heiratsantrag machen.
22.Januar 1984
Liebes Tagebuch,
ich sitze hier gerade in Untersuchungshaft. An dem vorletzten Abend ist etwas
sehr schreckliches passiert. Ich hätte nicht so viel trinken sollen, aber
es war halt bis dahin so ein wundervoller Abend an so einem wundervollen Tag.
Ich hatte mit ein paar Kumpels ordentlich getrunken, schließlich gab es
was zu feiern. Maria fand das natürlich nicht so toll, aber das trübte
die ausgelassene Stimmung nicht weiter. Die Bar war wunderbar und die Nacht
noch jung, deshalb entschieden wir uns dazu, noch einmal ins El Casino zu gehen,
einer angesagten Disko. Es wurde spät, um vier Uhr früh, ging ich
auf die Toilette um mich ein wenig frisch zu machen. Mit dem Trinken hatte ich
noch lange nicht aufgehört. Als ich wiederkam sah ich das Unglaubliche:
Meine geliebte Maria machte mit einem anderen Typ rum! Sie legten ein heiße
Sohle auf´s Parkett. Ich kochte vor Wut. Niemand macht sich ungestraft
an meine Chicka ran! Dieser Idiot tat natürlich so als wüsste er von
nichts. Es reichte! Ich schlug auf ihn ein, dieses arme Würstchen lag wimmernd
am Boden in seinem eigenen Blut. Geschah ihm ganz recht. Maria knallte mir eine
und verschwand. Ich weiß nicht warum sie das machte, ich habe sie doch
nur verteidigt. Wahrscheinlich werde ich Frauen nie verstehen. Dieser Wichser,
der sich an sie rangemacht hat, ist einer aus der FSLN, der nicaraguanisch,
sandinistischen Freiheitsfront. Ich hasse diese Sandinos. Das Gericht hat mir
einen Pflichtverteidiger zugeteilt, der Typ ist höchstens fünfundzwanzig
und noch total grün hinter den Ohren. Es ist sein erster Prozess. Morgen
ist meine Verhandlung, dass kann ja heiter werden.
25.Januar 1984
Liebes Tagebuch,
mein Leben ist zu Ende. Der Richter hat mich zu acht Jahren wegen schwerer Körperverletzung
verknackt. Ich bin dem Rat meines Anwalts gefolgt, er meinte mit einem geständigen
Ersttäter sei man sehr gnädig. Doch nicht, wenn sein Opfer ein dummer
Sandino ist. Es gab schon Mörder, die weniger Knast bekommen haben als
ich, ich hasse dieses ganze Sandino-Pack. Sie reden immer von Freiheit und Gerechtigkeit,
doch selbst sind sie nicht besser als die Alten. Maria war auch bei der Verhandlung.
Sie hat geweint, es ging mir sehr nahe, ich musste auch weinen. Ich habe mir
versprochen die acht Jahre durchzuhalten und dann ihr zuliebe noch einmal vollkommen
neu anzufangen. Scheiße, diese Arschlöcher werden mich nicht klein
kriegen.
29. Januar 1984
Liebe Tagebuch,
Es tut mir leid, dass ich dir jetzt erst schreibe, aber die Wärter haben
mir das Schreiben verboten. Ein netter Wärter hat mir dann doch einen Stift
besorgt. Ich schreibe nur in der Dunkelheit, weil es sonst zu gefährlich
wäre. Auf heimliches Schreiben steht auspeitschen hat man mir gesagt, aber
das ist mir egal. Die Wärter scheinen nicht sonderlich intelligent zu sein,
ich denke es wird mir gelingen dich vor ihnen zu verstecken. Heute ist mein
vierundzwanzigster Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, ich verbringe ihn
hinter Gitterstäben. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so einsam
sein könnte. Ich hatte immer viele Freunde gehabt, glaubte ich bis vor
sechs Tagen wenigstens, war der beliebteste Junge der Schule. Doch heute besucht
mich niemand, sie haben mir alle den Rücken zugekehrt, sie haben mich alle
ausgenutzt. Sie waren nur meine Freunde, damit sie als cool galten. Einer der
Gefangenen meinte, die Wärter würden niemanden durchlassen. Doch ich
glaube ihm nicht. Ich werde weiterhin warten, vielleicht kommt ja in den nächsten
Tagen der ein oder andere Brief. Auf die nächsten acht Jahre.
5.Februar 1984
Liebes Tagebuch,
Ich durchlebe die Hölle hier. Nie im Leben hätte ich mir vorgestellt,
dass es so schlimm wird, dass es überhaupt etwas so schlimmes geben kann.
Ich habe ständig Hunger, zu Essen gibt es nie genug und wenn es was gibt,
dann nur ein bisschen trockenes Brot oder eine gestreckte Suppe. Durst habe
ich auch, aber ich trinke so wenig wie möglich, das Wasser schmeckt scheußlich
abgestanden. Es ist bestimmt verseucht mit irgendwelchen Bakterien. Inzwischen
habe ich mich auch an den Gestank gewöhnt, dieser penetrante Geruch nach
Pisse und Scheiße und ungewaschenen Körpern, ich hasse es, meinen
eigenen stinkenden Körper zu riechen. Die Toilette, die in jeder Zelle
ist, kann nur einmal pro Woche gespült werden. In der Wüste gibt es
eben nicht so viel Wasser. Die Hitze tut ihr übriges. Ich habe die Hoffnung
aufgegeben, während meiner Zeit als Gefangener Kontakt mit der Außenwelt
aufnehmen zu können. Dank des einzigen netten Wärters hier, kann ich
dir überhaupt schreiben, liebes Tagebuch.
17.Oktober 1984
Liebes Tagebuch,
Ich habe mir einen Strick gebastelt. Ich halte das hier alles nicht mehr aus,
ich werde meinem Leid ein Ende machen. Ich kann dieses Elend nicht mehr ertragen,
diese Hölle hat aus mir einen alten gebrochenen Menschen gemacht. Ich habe
keine Zukunft mehr, früher oder später werden mich die Wärter
sowieso in einem Plastiksack heraustragen. Warum die Leiden in die Länge
ziehen? Ich werde erst frei sein, wenn ich dieses Gefängnis verlassen habe.
Egal ob lebendig oder tot. Mein Zellennachbar wurde gestern aufgehängt
gefunden. Er war clever. Ich werde ihm folgen. Das wird mein letzter Eintrag
in dieses Tagebuch werden, ich danke dir, liebes Tagebuch für die vielen
netten Stunden und dafür, dass du mir in meinen schwersten Zeiten so hilfreich
zur Seite standest.
Lebe Wohl
18.Oktober 1984
Liebes Tagebuch,
Ich konnte es nicht machen. Ich habe es wirklich probiert, mich aufzuhängen,
aber ich hatte zu viel Angst. Ich hasse mich dafür. Meine Liebe zu Maria
hält mich am Leben, es ist das Letzte was mir noch geblieben ist. Wenn
ich mich anschaue, erkenne ich mich nicht wieder. Ich hatte früher mal
einen gut durchtrainierten Körper, mein Waschbrettbauch machte die Chickas
feucht, aber was ist heute? Ich bin so abgemagert, dass die Sonne durch mich
durchschimmert, ich bin nur noch Haut und Knochen. Aber noch habe ich meinen
Lebenswillen. Doch ich spüre, dass nicht mehr viel fehlt, bis auch dieser
erloschen ist.
21. Januar 1985
Liebes Tagebuch,
Es gibt wieder Hoffnung. Ein paar Rebellen, sie nennen sich Contras, haben sich
erbarmt und versuchen mein geliebtes Nicaragua aus den Klauen der verdammten
Sandinos zu befreien. Die Wärter hier wirken sehr nervös. Ich bin
wieder frohen Mutes.
4. März 1985
Liebes Tagebuch,
Ich habe heute ein unmoralisches Angebot bekommen. Wenn ich zwei Jahre für
die Sandinos kämpfe, erlassen sie mir meine Strafe! Ich glaube ich werde
das Angebot annehmen. Oh mein Gott, ich bin so glücklich in zwei Jahren
werde ich frei sein. Wie lange musste sie schon auf mich warten? Ich wusste,
dass es sich auszahlen würde, ein guter Soldat zu sein. Die Wächter
haben mir heute ein richtiges Essen gebracht, sie wollen mich ködern. Das
ist gar nicht nötig, ich hab aber natürlich nichts gesagt und mir
den Bauch vollgeschlagen.
1.April 1985
Liebes Tagebuch,
Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt mich aufzuhängen. Ich
wurde heute aus dem Gefängnis entlassen, alles war so wunderbar, die frische
Luft, die strahlende Sonne, der blaue Himmel. Doch dann haben sie mir die Briefe
gegeben, die sie während meiner Haftzeit für mich entgegen genommen
hatten. Die meisten waren nette Grüße zu Geburtstagen und so. Doch
nicht Marias. Sie hat einen anderen! Ein Geschäftsmann aus Puerto Cabezas.
Am 29. Januar haben sie geheiratet. Die Welt ist so ungerecht. Ich will nur
noch sterben. Ich denke, ich werde bei der nächstbesten Gelegenheit ins
Feuer der heldenhaften Rebellen rennen und hoffen, dass sie mich erlösen.
Sie hat mir ihre neue Adresse gegeben. Ich hab ihr einen mehrseitigen Brief
geschrieben und ihr meine ganze Geschichte erzählt. Sie soll ruhig wissen,
dass sie der Grund ist, warum ich sterben will.
6.Mai 1985
Liebes Tagebuch,
Ich bin wieder in Granada, meiner Heimatstadt. Es tut gut, alte Freunde und
meine Eltern wiederzusehen. Ich wurde der Reserve zugeteilt, in dem Zustand,
in dem ich aus dem Knast kam, konnte ich nicht kämpfen. Im Moment mache
ich gerade ein Aufbauprogramm, also Fressen und Gewichte stemmen. Bald muss
ich auf den Exerzierplatz, ich hab schon ziemlich viel verlernt. Die Reserveausbildung
wird sechs Monate dauern. Die Sandinos haben der Bevölkerung versprochen
ihre Söhne ordentlich auf den Krieg vorzubereiten. Ich glaube sie unterschätzen
die Contras. Bei mir wird die gesamte Ausbildung auf jeden Fall sinnlos sein,
ich werde den Tod dem Leben vorziehen, wenn ich Maria nicht wiederhaben kann.
Aber eigentlich geht es mir ganz gut, nach dem Knast kommt mir diese heruntergekommene
Stadt wie das Paradies vor. Aber leider ein Paradies ohne Eva.
23. November 1985
Liebes Tagebuch,
Ich wurde in die Nähe des Kampfgebietes versetzt, doch leider sind wir
noch über Fünfzig Kilometer von der Front entfernt. Wir sollen als
Militärpolizei in einer kleinen Stadt für Ruhe und Ordnung sorgen
und Nachschubwege sichern. Die kleine Stadt heißt San Maria. Ausgerechnet
so, ich hasse diese Stadt, weil sie mich ständig an sie erinnert. Inzwischen
schreiben wir uns regelmäßig Briefe, es scheint ihr leid zu tun,
was mit mir passiert ist. Ich glaube wir kommen uns langsam wieder näher.
Doch noch will sie nichts von mir wissen, ein Leben ohne sie kann ich mir einfach
nicht vorstellen.
6.Juli 1986
Liebes Tagebuch,
Ich werde an die Front verlegt, genauer gesagt an die Grenze. Langsam wird es
ernst. Vielleicht müssen wir die Contras angreifen. Ich hab Maria einen
Brief geschrieben und ihr meine Lage erklärt. Und ich habe ihr die entscheidende
Frage gestellt, ob die Möglichkeit besteht, dass wir noch mal zusammenkommen.
Für alle Eventualitäten habe ich schon mal zwei Abschiedsbriefe geschrieben,
einen an meine Eltern und einen an sie.
12.Dezember 1986
Liebes Tagebuch,
Dies wird hoffentlich mein letzter Eintrag werden. Maria hat mir geantwortet,
dass sie keine Möglichkeit sieht, dass wir jemals wieder zusammenkommen.
Sie hat ja keine Ahnung, was sie mir bedeutet. Sie hat den Entschluss für
mich gefasst, ich werde sterben. Wir werden morgen die Contras angreifen. Ich
werde mich in den Tod stürzen. Dann hat das Leid endlich ein Ende.
2.März 1987
Liebes Tagebuch,
Es tut mir leid, dass ich solange nicht geschrieben habe, aber mein gesundheitlicher
Zustand ließ das nicht zu. Dabei habe ich soviel zu erzählen. Dank
Gott dem Allmächtigen sind zwei Wunder geschehen. Ich habe überlebt.
Zwei Kugeln trafen mich, aber glücklicherweise wurden keine inneren Organe
verletzt. Es geht mir gut und ich werde keine ernsthaften nachhaltigen Schäden
davon tragen. Gut, der Arm zittert noch ein wenig und die Ärzte sind skeptisch,
dass es wieder weggeht, aber es ist ein geringer Preis für das zweite Leben.
Und noch was Wunderbares ist geschehen: Maria hat sich von ihrem Mann getrennt!
Heute kam der Brief im Feldlazarett an, geschrieben wurde er am 12. Dezember.
Sie hat geschrieben, dass sie sich auseinander gelebt hätten. Er hat sie
verlassen und sie in Puerto Cabezas zurückgelassen. Sie ist arm dran, arbeitet
halbtags bei einer großen Wäscherei. Sie kommt kaum über die
Runden. Geld von ihrem Mann sieht sie nicht. Ich habe eine unglaubliche Wut
auf diesen Penner, am liebsten würde ich ihn eigenhändig umbringen
für das, was er meiner Maria angetan hat. Doch ich habe mich unter Kontrolle,
noch einmal wird mir die Hand bestimmt nicht ausrutschen. Ich bin froh, dass
sie sich endlich von dieser Hyäne getrennt hat. Vielleicht wird doch noch
was aus unserer Beziehung. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels.
15. Juli 1987
Liebes Tagebuch,
Ich bin mit einem Monat Verspätung wieder zu meiner Einheit zurückgekehrt.
Sie wurden ziemlich zusammengeschossen und knapp 20 Kilometer zurückgedrängt.
Meine Verletzung gestaltet sich schwieriger als die Ärzte gedacht hatten.
Eine Kugel hätte fast meinen linken Arm abgerissen. Dieser Arm will mir
noch nicht ganz gehorchen, mit der Koordination habe ich arge Probleme. Aber
das ist nicht so schlimm. Maria hat mir wieder geschrieben. Sie hat inzwischen
die Trennung überwunden. Zu meiner großen Freude hat sie zugegeben,
dass sie die ganze Zeit noch etwas für mich empfunden hat. Vielleicht gibt
sie unserer Beziehung sogar wieder eine Chance. Ich solle mal bei ihr in Cabezas
vorbeischauen, hat sie geschrieben, dann sehen wir weiter. Ans Kämpfen
kann ich jetzt nicht mehr denken, aber ich muss, ich muss diesen verdammten
Krieg überleben, für Maria, für unsere gemeinsame Zukunft. Ich
glaube, mein Überlebenswille war noch nie so stak wie heute.
1. August 1987
Liebes Tagebuch,
Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden, ich kann es kaum glauben, aber
es ist wahr: Ich werde nach Puerto Cabezas versetzt! Der linke Arm zittert immer
noch etwas, deshalb bin ich nur bedingt kampftauglich. In die goldenen Stadt
von Nicaragua werde ich irgendeinen Schreibtischjob übernehmen. Morgen
gehe ich los, mit zwei anderen Leuten. Wir kriegen keinen Transport und keine
Fahrzeuge, weil die Sandinos alles in ihre Offensive einsetzten. Marias Briefe
werden immer mehr zu den Liebesbriefen, die sie mir früher immer geschrieben
hat. Inzwischen schreibt sie, dass sie mich vermisst. Ich glaube dieser Alptraum
wird ein gutes Ende haben.
7. August 1987
Liebes Tagebuch,
Ich schreibe erst zu so später Stunde, weil es erst jetzt erträglich
ist. Vorher war es nicht möglich, weil es hier so eine Moskitoplage gibt.
Eigentlich sollten wir jetzt schon längst in Puerto Cabezas sein, sollte
ich Maria nach mehr als drei langen Jahren endlich in die Arme schließen
können, aber dieser verdammte "Navigator" musste ja unbedingt
eine Abkürzung nehmen. Wir haben uns total verlaufen und können nicht
weiter bis wir in Kontakt mit unseren Truppen sind. Doch der "Funker"
kann überhaupt nicht mit dem Ding umgehen. Wir haben keine Ahnung wo wir
genau sind, es muss aber irgendwo an der Moskito-Küste sein. Diese ganze
Warterei macht mich fast wahnsinnig, aber wenigstens habe ich so Zeit um nachzudenken.
Vor mir liegt eine wunderbare Zukunft. Maria will mich wiederhaben und Puerto
Cabezas ist schließlich das Bergbauzentrum von Nicaragua. Ich werde bestimmt
einen guten Job finden. Maria und ich haben den Traum fünf Kinder zu haben.
Den Namen für meinen ersten Sohn habe ich mir schon überlegt: Pablo.
Pablo da Silva- klingt doch wunderbar. Der Funker hat mir versprochen, dass
er morgen mit unseren Jungs in Kontakt kommen würde. Spätestens übermorgen
werde ich die große Liebe meines Lebens nach drei Jahren und sieben Monaten
wiedersehen. In meinen Träumen war ich schon lange nur noch bei ihr. Ich
kann es kaum erwarten. Doch ich habe schon so lange gewartet, da machten zwei
Tage auch nichts mehr aus. Ich fühle mich so lebendig wie noch nie in meinem
Leben.
Angelina schluckte. "Das ist der letzte Eintrag in seinem Tagebuch."
Ihre Stimme klang rau, brüchig. Eine lange Zeit der Stille trat ein. Niemand
sprach ein Wort, jedes einzelne wäre überflüssig gewesen. Ich
lag einfach da in diesem Maisfeld und starrte in Richtung Himmel. Die reine,
frische Luft, sie war mir egal. Das gute Essen von Angelina, es war mir ebenso
gleichgültig wie sie selbst in diesem Moment. Und das Wetter, die Sonne
und überhaupt der gesamte schöne Nachmittag interessierten mich nicht
mehr. Ich war für diese Minuten so sehr in mich gekehrt und prügelte
auf mich ein. Ich war ein Monster. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben wurde
mir auf schmerzhafte Weise die Konsequenzen meiner Taten bewusst. Ich zerstörte
nicht ein Leben, ich zerstörte zwei und verhinderte die Geburt von fünf
weiteren. Wer gab mir das Recht dazu? Ich musste nicht kämpfen, ich hatte
mir dieses Leben ausgesucht, ich hatte die Wahl. Dieser Mensch hatte mir nichts
getan, ich war der Aggressor. Die Wahrheit war auf einmal ganz klar: Ich war
ein Mörder. Bei diesen Gedanken lief eine Träne über meine Wange.
Während der ganzen Zeit schluchzte Angelina leise vor sich hin. Langsam
gewann sie ihre Fassung wieder. Ich schaute sie an. Ihr Gesicht war verweint,
die Augen rotunterlaufen. Doch selbst jetzt sah sie noch wunderbar aus. Sie
war die Liebe meines Lebens, sie war meine Maria. Ich hatte sie nicht verdient,
nach dem was ich der wahren Maria angetan hatte.
"Angelina, wie kannst du mich nur lieben? Ich bin ein Monster."
"Mache dir bitte keine Vorwürfe, du musstest es tun, du hast im Auftrag
gehandelt. Du hattest Befehle." Es war rührend, wie sie versuchte
mich aufzurichten, wie sie versuchte meine Schuld zu erklären. Sie glaubte
selbst nicht an das was sie mir erzählte.
"Nein, ich war Söldner, bin es wahrscheinlich immer noch, ich hatte
die Wahl, ich muss der Wahrheit ins Gesicht blicken, ich bin ein Killer."
Ich redete eigentlich nicht mit ihr, ich sagte es eher zu mir selbst, beschuldigte
mich selbst.
Wieder ein Moment der Stille. Die Zeit schien still zu stehen. Dann umfasst
Angelina meine Hand.
"Ich liebe dich Ethan Silverman. Ich liebe den Ethan Silverman, den ich
als liebevollen, ehrlichen und herzensguten Menschen kennen gelernt habe. Du
hast dich verändert, seit ich dich das erste Mal getroffen habe. Du hast
deine blutige Vergangenheit hinter dir gelassen, du hast das Kämpfen aufgegeben
und das alles für mich. Glaub mir, du bist nicht mehr der, der du einmal
warst."
"Ich darf meine Vergangenheit nicht vergessen!"
"Das verlangt auch keiner von dir. Fühlst du dich in der Lage weiterzuerzählen?"
"Ich denke schon, und was ist mit dir?"
Sie presste ihre Hand ganz stark in meine. Dann nickte sie. Mit einem mulmigen
Gefühl fuhr ich fort...
"Wem soll ich die fünfzig Córdoba geben?", fragte ich.
" Wenn es sich um so geringe Beträge handelt, dann betrachte es als
Aufwandsentschädigung", sagte Nikita. Nichts ist umsonst, nur der
Tod und der kostet das Leben.
Diese Regelung gefiel mir, schnell war das Geld in den Weiten meiner Taschen
verschwunden. Mit unserer Beute liefen wir zurück zu den anderen. Diese
waren sichtlich zufrieden mit unserer Leistung. Die Maschinenpistolen, die wir
erbeutet hatten, wurden unter den Rebellen verteilt. Doch den wichtigsten Schatz
nahm sich Raul, das Code-Buch des Funkers. Er wollte die Codes und Frequenzen
gleich an das Hauptquartier weiterleiten, doch das Funkgerät funktionierte
nicht, unter keiner der von uns benutzten Frequenzen. Futschi schaute sich das
veraltete Gerät genauer an. Für uns hieß das eine längere
Pause. Während die meisten stöhnten, waren wir ganz froh darüber,
die tropische Hitze machte uns schwer zu schaffen. Wir nutzen die Pause um uns
umzuziehen.
Futschi hatte inzwischen den Fehler gefunden und behoben, der Sender war
irgendwie defekt. Er erzählte was von einer Art Wackelkontakt nur schlimmer.
Was es genau war, habe ich nie verstanden, wichtig war nur, dass das Funkgerät
wieder funktionierte. Raul war sehr froh darüber und gab auch gleich die
wichtigsten Daten aus dem Code-Buch durch. Anschließend wurde das Funkgerät
dem Vorposten übergeben und wir liefen weiter. Die Sonne hatte ihren höchsten
Stand schon längst überschritten und die Straßensperre lag noch
ungefähr zwölf Kilometer entfernt.
Wieder setzte der Tross sich in Bewegung, wir hatten einen engen Terminplan,
der vorsah, noch heute den Vorposten zu übernehmen. Doch wir kamen nicht
mehr so schnell vorwärts, wir waren im feindlichen Gebiet, Vorsicht wichtiger
als schnelles Vorankommen. Es war so gegen drei, als wir losmarschierten, gegen
fünf hatten wir die Hälfte des Weges geschafft. Tagsüber war
der Dschungel trotz der Hitze erträglich. Aber bald schon würde der
Mond über die Sonne siegen und die Dunkelheit würde Einzug halten.
Damit veränderte sich auch der Dschungel in ein dunkles, unberechenbares
Monster. Der weitere Marsch verlief ohne Feindkontakt. Der einzige Zwischenfall
bestand aus einem Schlangenbiss und einem Rebellen, der dadurch kampfunfähig
wurde. Der Urwald forderte seinen ersten Tribut. Es muss so gegen acht gewesen
sein, als wir die Straßensperre zum ersten Mal erblickten. Es war Zeit
für eine Lagerbesprechung unser Trupp kam zusammen.
"Also wir gehen wir vor? Soll ich ihnen ein bisschen Feuer unterm Arsch
machen?", wollte Carlos wissen.
"Nur die Ruhe, Carlos, vorher sollten wir uns einen Überblick schaffen."
"Zybell hat recht. Duncan übernimmt die Observation. Erst wenn er
uns Bericht erstattet, können wir einen Plan machen. Die Scharfschützen
decken dich."
Es gab Arbeit für mich. Observation des Gegners, dafür wurde ich
ausgebildet. Es war Zeit mein Nachtsichtgerät hervorzuholen. Ich aktivierte
die Restlichtverstärkung. Dann schlich ich los. Unser Trupp war ungefähr
750 Meter von der Straßensperre entfernt. Ich kam nur langsam voran. Bedächtig
setzte ich einen Schritt vor den anderen. Ein brechender Zweig konnte das Ende
beenden, trotz Scharfschützen als Deckung. Nach unendlich langer Zeit bekam
ich sie zu Gesicht. Sie bestand aus zwei kleinen Häusern und einer Schranke.
Ich näherte mich auf einhundert Meter, die Nacht und meine Tarnung machte
mich praktisch unsichtbar. Ich sah zwei Wachen an der Schranke, mit AK-47s bewaffnet.
Zwei Weitere befanden sich im Wachhäuschen, einer bediente das Funkgerät,
der andere döste vor sich hin, jedoch jederzeit in der Lage Feindkontakt
nach Cabezas zu melden. Ich beschloss die Sache aus nächster Nähe
zu beobachten. Die staubige Straße bildete eine künstliche Schneise
ohne Vegetation und ohne Deckung. Aber der Urwald war stärker, schloss
sich direkt an die Straße an und würde bald schon die gerodeten Flächen
wieder in sich aufnehmen. Im langen Bogen entfernte ich mich von der Straße
und tauchte auf der Höhe des Hauses wieder auf. Jetzt kroch ich, langsam,
für das menschliche Auge bei diesen Lichtverhältnissen fast unsichtbar,
das menschliche Auge reagierte auf Bewegungen. Ich gelangte bis zur Hauswand,
die MP5 im Arm. Jetzt konnte ich hören, was sie sagten, ein Funkspruch
kam herein.
"Vorposten 3, Vorposten3, hier ist Hauptbasis Cabezas, bitte melden."
"Hier Vorposten 3, verstanden Hauptbasis Cabezas."
"Statusbericht."
"Keine besonderen Vorkommnisse, hier ist alles ruhig."
"Gut, nächste Kontakt um 21 Uhr. Over and out."
Das war ein Problem. Unser Angriff auf Puerto Cabezas sollte ein Überraschungsangriff
werden, dass war unmöglich, wenn vorher die Kontaktaufnahme mit dieser
Straßensperre wegfiel. Sie würden riechen, dass hier was faul war.
Doch das war jetzt nicht mein Problem, es gab noch ein weiteres Gebäude,
dass ich untersuchen musste. Ich schlich um die Hauswand herum. Das zweite Gebäude
war auf der anderen Straßenseite. Es war ein typisches Versorgungsgebäude
- Schlafplätze, Küche, Klo, Waffenkammer. Zwischen beiden Gebäuden
befand sich die Schranke mit samt den Wachen. Beide blickten in die entgegengesetzte
Richtung und unterhielten sich lebhaft. Was sie sagten, verstand ich nicht,
aber es ging bestimmt um Frauen oder Alkohol. Damit waren 95 Prozent der männlichen
Gesprächsthemen abgedeckt. Der Rest ging um Autos. Ich schlich los. Im
geduckten Zustand setzte ich einen Fuß vor den anderen, auf den Zehenspitzen
bewegte ich mich langsam vorwärts. Mein Herz pochte wild, ich ermahnte
mich flach, geräuschlos, einzuatmen. Meine Ausbildung machte sich bezahlt.
Der Schweiß rannte mir über die Stirn. Es waren nur fünf Meter,
die längsten fünf Meter meines Lebens. Doch die Wärter ließen
sich nicht ablenken und so schaffte ich es rüber. Nach einer kurzen Verschnaufpause
war es an der Zeit auch diese Gebäude zu untersuchen. Doch das war nicht
so einfach wie bei dem anderen. Es hatte nur ein Fenster, das den Blick auf
die Küche freigab. Durch die Tür konnte ich nicht gehen, dazu musste
ich an den Wachen vorbei. Außerdem wusste ich auch nicht was mich darin
erwarten würde. Doch genau das musste ich rausfinden. Wieder war mein Nachtsichtgerät
der Retter in der Not. Mit einer Drehbewegung war es im Infrarotmodus. Es war
nicht stark genug um durch die Mauern hindurch die genaue Position der Gegner
auszumachen, aber die vier bis fünf hellen Schemen verrieten mir die Anzahl.
Ich hatte genug gesehen und schlich im weitem Bogen zurück zu den Anderen.
Dort berichtete ich meine Erkenntnisse.
"Die Straßensperre ist mit vier Mann besetzt, zwei direkt an
der Schranke, zwei im Wachhäuschen, die das Funkgerät bedienen."
Während ich das sagte, malte ich den groben Grundriss und die Position
der Wächter auf einen Zettel.
"Sind das alle?", wollte Zybell wissen.
"Nein, in dem zweiten Gebäude hier, ich nenn es jetzt mal Service-Gebäude,
sind noch vier bis fünf weitere Soldaten, wohl die zweite Schicht."
"Was ist in dem zweiten Gebäude?"
"Weiß nicht genau, sicher ist nur, dass da eine Küche ist. Über
den Rest kann ich nur spekulieren, vielleicht ein Klo, Betten oder eine Waffenkammer."
Zybell und Raul zogen sich für zehn Minuten zurück, als sie wiederkamen,
hatten sie einen Plan auf´s Papier gebracht.
"OK, hört zu, so gehen wir vor: Manuel, du tarnst dich als einheimischer
Reisender, zieh deinen weiten Poncho an, darunter kann man so toll Waffen verstecken.
Du wirst dir einen Muli schnappen und damit an die Straßensperre treten.
Sobald sich die Gelegenheit bietet, erledigst du die beiden an der Schranke.
Danach muss alles ganz schnell gehen. Will, du nimmst aus sicherer Entfernung
den Funker auf´s Korn. Isaac, du kümmerst dich um den Letzten im
Wachhaus." Isaac nickte. Irgendwas störte mich daran.
"Warum nehmen wir keine schallgedämpften Waffen?"
"Das wird nicht nötig sein.", warf Zybell ein, "allein schon
dadurch, dass wir durch Glas schießen müssen, verursacht genug Geräusche."
"Aber wenn hier noch andere sind."
"Wir haben die Gegend durch die Rebellen absuchen lassen, im Umkreis von
drei Kilometer nichts."
Nun übernahm Raul wieder das Wort.
"Gut, bleibt das zweite Gebäude, Zybell und Carlos werden es stürmen.
Duncan, war das Scharnier außen an der Tür angebracht?"
Die konnten Fragen stellen, auf alles habe ich geachtet, aber nicht auf die
Türscharniere.
"Ich weiß es nicht, wieso ist das wichtig?"
"Wenn die Tür nach innen aufgeht, können wir sie einfach auftreten,
aber wenn sie nach außen aufgeht, müssen wir sie per Axt aus den
Angeln heben. Falls dem so ist, wird das deine Aufgabe sein, Duncan."
Raul überreichte mir eine komisch geformte Axt. Am Ende war eine lange
massive Spitze, die nach unten gebogen war. Wahrscheinlich diente diese Spitze
dazu, damit die Axt richtig in der Tür feststecken blieb
.
"Der Sturmtrupp wartet auf der Rückseite des Hauses. Duncan du wirst
mit dem Türöffner an der Vorderseite warten. Pass aber auf, dass dich
die Soldaten nicht entdecken. Das dürfte nicht schwer sein, wenn sie erst
mal mit Manuel beschäftigt sind. Nun zum zeitlichen Ablauf: Sofort nachdem
Manuel die Wachen erledigt hat, erfolgt der Zugriff der Schafschützen und
der Sturm des zweiten Hauses. Die Tür muss so schnell wie möglich
geöffnet werden. Wenn es keine weiteren Einwände gibt, würde
ich sagen Zugriff in 15 Minuten."
"Halt, dass geht nicht. Um Neun, funkt Cabezas die Straßensperre
an."
"Wie regelmäßig ist der Funkverkehr?"
"Ziemlich, heute um acht war das letzte Mal und dann halt wieder um neun.
"
"Verdammt, Cabezas darf nicht spitzkriegen, dass wir ihre Straßensperre
erobern wollen."
"Lasst das mal mein Problem sein.", sagte Futschi mit einem breitem
Grinsen.
Er hatte wirklich einen genialen Plan. Mit Hilfe eines Richtmikrofons und einem
Aufnahmegerät wollte er das komplette Gespräch aufnehmen und dann
später abspielen lassen, wenn der nächste Kontakt seitens der Basis
aufgenommen wurde.
Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, jede richtete sich ein. Mir wurde
der Umgang mit der Axt erläutert, Futschi suchte sein technisches Equipment
zusammen, Zybell und Carlos kontrollierten ihre Waffen. Ich tat es ihnen gleich.
Wieder wählte ich das MP5, für den Häuserkampf gab es nichts
besseres. Auch Will und Isaac richteten sich ein. Will bevorzugte ein Parker-Hale
85, ein klassischer Repetierer, allerdings ein brandneues Modell, erst 1985
eingeführt. Es war ein sehr schönes Stück. Kaliber 7,62 x 51
mm, unheimlich durchschlagskräftig. Über 800 Meter effektive Reichweite.
Der Lauf aus einer Chrom-Molybdän-Legierung, äußerst widerstandsfähig
und verschleißarm. Das klappbare Zweibein, konnte nach links und rechts
um bis zu 14° gedreht werden um die Verfolgung von sich bewegenen Zielen
zu vereinfachen. Der Kolben komplett aus Fieberglas in verschiedenen Tarnmustern
erhältlich hatte am Ende eine Gummiplatte, die den Rückstoß
dämpfte. Ein Schalldämpfer war aufgesetzt, der allerdings nur der
Reduzierung des Mündungsblitzes diente. Der Schütze war so viel schwerer
zu orten.
Innerhalb von zehn Sekunden hatte Will das Zielfernrohr abmontiert, das
Parker-Hale 85 hatte eine NATO Standardschiene, die es dem Schützen erlaubte
eine große Anzahl an Zielfernrohren oder Nachtsichtgeräten zu verwenden
und eine Optik schnell auszuwechseln. Will montierte ein Nachtsichtgerät
auf das gute Stück. Anschließend lud er noch ein zehnschüssiges
Magazin in das Gewehr.
Während Will auf die guten alten Repetierer vertraute, war Isaac ein
Fan der neuartigen halbautomatischen Gewehre. Er benutzte eine Dragunow, das
russische Scharfschützengewehr der Nachkriegszeit schlechthin. Offiziell
hatte es eine Reichweite von 1300 Metern, aber das war nur Angeberei der Russen,
effektiv waren es wie beim Parker-Hale 85 ungefähr 800 Meter. Das aufgesetzte
Scope ließ keine Wünsche offen. Vierfaches PSO-1 mit beleuchtetem
Absehen mit Knopfbatterie im Montagesockel. Die Infrarot-Zieloptik PN-6K besaß
eine Bildverstärkerröhre der Generation 2+ Durch einen kleinen Kippschalter
wurde ein olivgrüner Filter vorgeschaltet, der aktive Infrarotlichtquellen
sichtbar macht. Ein Mündungsfeuer bekam man von einer Dragunow nur selten
zu sehen, das verhinderte der Mündungsfeuerdämpfer mit 5 Längsschlitzen.
Kurze Zeit später war auch Manuel fertig. Unter seinem weiten Poncho
trug er zwei Achselhalfter, sie waren geöffnet und trugen zwei Colts. Springfield
Bureau Modell .45 ACP, der Klassiker. Manuel war ein verdammt guter Schauspieler.
Als er so mit einem Muli und dieser Kleidung zu uns lief, dachten wir im ersten
Moment wirklich, dass wir einen Fremden vor uns haben. Er kannte die Einheimischen,
wusste wie sie sich verhielten, ihre Gestik, ihre Mimik, alles kopierte er perfekt.
Er sah aus wie ein alter, armer, gebrochener Mann, überhaupt nicht gefährlich,
doch unter seinem weiten Gewand warteten zwei tödliche Mündungen.
An der Straßensperre im tiefsten Urwald gegen 20:50 Uhr
"Hier Duncan, bin in Position." Noch lag ich unter dem Fenster,
die Axt in der Hand und die MP5 auf dem Rücken. Ich würde mich erst
vorwagen, wenn die Wachen mit Manuel beschäftigt waren. Inzwischen hatte
sich herausgestellt, dass die Tür nach außen aufging, ich musste
also ran.
"Hier Sturmtrupp, in Position."
"Hier Zulu 1, in Position, Ziel erfasst."
"Zulu 2 ebenfalls in Position."
Zulu 1 und 2 waren unsere Scharfschützen Will und Isaac. Sie waren ungefähr
150 Meter von der Straßensperre entfernt. Sie hatten sich eine perfekte
Position ausgesucht. Erst hier bog die Straße nach Westen ab. Will und
Isaac waren am Straßenrand in Stellung gegangen. So hatten sie über
200 Meter freie Sicht, außergewöhnlich im Dschungel. Die Schneise,
geschaffen durch den Menschen, würde nun zwei Menschen den Tod bringen.
Der Straßenrand war dicht bewachsen, die beiden Scharfschützen in
ihren Ghillie-Suits fielen gar nicht auf.
"Sehr gut, wie sieht es bei dir aus Futschi?"
"Cabezas hat sich noch nicht gemeldet."
Die Minuten verrannen. Die Wartezeit vor dem Zugriff war immer die Längste.
Während dieser Zeit ging jeder noch mal den Einsatz im Kopf durch. Ich
schwitzte stark. In jedem Augenblick konnte der entscheidende Funkspruch kommen.
Und endlich war es soweit.
"Hier Futschi, Cabezas hat sich gemeldet, Aufzeichnung beginnt."
Eine elendig lange Minute verstrich, bis auch diese Phase des Plans erfüllt
war.
"Futschi hier, Aufzeichnung beendet. Ihr seid dran."
"Ihr habt es gehört, haltet euch bereit es geht los. Manuel Los!"
Fest umklammerte ich die Axt, stieß ein letztes Mal die Luft aus meinen
Lungen. Dann sah ich auch schon Manuel, wie er mit seinem Muli auf die Straßensperre
zulief. Ein kurzer Blick um die Ecke versicherte mir, dass die Soldaten ihn
auch bemerkt hatten. Langsam schlich ich los. Jetzt konnte ich sie deutlich
sehen. Beide schienen ein bisschen nervös, es schien als ob nicht oft Leute
hier vorbeikamen. Die Wachen forderten Manuel auf, stehen zu bleiben. Er gehorchte
ihren Befehlen.
"Papiere! ", forderte der Soldat mit fester Stimme, jetzt vollkommen
auf Manuel fokussiert. Ich sah einen erfahrenen Soldaten, vielleicht Mitte Dreißig.
Er humpelte leicht, während er einen Schritt auf Manuel zuging, ein verwundeter
Veteran. Manuel kramte in der Tasche des Mulis herum und stammelte etwas von
seinen Papieren, dann drehte er sich zu ihnen um öffnete den Mund. Die
Soldaten erwarteten eine Erklärung von ihm, fast unmerklich entsicherte
sie ihre Waffen. Doch statt der Worte feuerte Manuel die Colts ab. Der Poncho
wurde unter der Kraft der Schusswaffen hin und her gerissen. Zweimal betätigte
er den Abzug der beiden Waffen, vier Kugeln fanden ihr Ziel in den Brustkörben.
Sofort schrie Raul in unsere Ohren.
"Zugriff !!! " Um uns herum ertönte das panische Geschrei der
Angeschossenen und die warnenden Rufe der restlichen Sandinos.
Ich hechtete los und rannte um die Ecke, hörte die Scharfschützengewehre
aufbellen, beide Schüsse klangen wie einer. Aus dem Augenwinkel sah ich,
wie die Köpfe zurückgeschleudert wurden und sich die Scheiben rot
färbten.
"Hier Zulu 2, Tango erledigt."
"Zulu 1, Tango eliminiert."
Ich hatte die Tür inzwischen erreicht, Zybell und Carlos hechteten
um die Ecke. Mit aller Macht rammte ich die Axt in die Tür. Sie blieb wirklich
stecken. Jetzt musste ich nur noch kräftig genug ziehen. Ich zog was ich
konnte, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Der Sturmtrupp wartete
schon neben mir, bereit zuzuschlagen. Jetzt musste alles schnell gehen, sonst
war der Überraschungsvorteil hin. Ich geriet in Panik. Ich ruckelte an
der Axt herum, doch wieder nichts. Zybell fasste mir an die Schulter. Erschrocken
drehte ich mich um.
"Stütz dich mit deinem Fuß ab und leg alles rein, was du hast.
"
Ich beherzigte seinen Ratschlag, drückte mich mit meinem Fuß ab,
legte mein ganzes Körpergewicht in die Aktion. Und tatsächlich, die
Tür gab nach. Ich hatte zu viel Kraft reingelegt, ich flog mit der Tür
nach hinten und die Tür auf mich. Sofort stürzten Zybell und Carlos
hinein. Einer der Feinde war gerade am Waffenschrank um sich eine Waffe zu schnappen.
Eine Dreiersalve machte seinem Leben ein Ende. Der Raum teilte sich, vom Flur
aus ging es in die Küche, rechts ein dreckiges Bad, vorne links führte
eine weitere Tür zu den Schlafstätten, Carlos stürzte hinein
und stellte zwei Soldaten, die im Schlaf von dem Angriff überrascht wurden.
Sie hatten keine Chance gegen das Feuer der MP-5. Inzwischen schlich Zybell
weiter vorwärts. Ich hatte mich derweil aufgerappelt und sicherte die beiden
ab. Er blickte durch die Küche und fand niemanden. Ein Fingerzeig von ihm
signalisierte mir, wo er den wohlmöglich letzten Gegner vermutete, im Bad.
Er stellte seine MP5 auf Vollautomatik. Zybell jagte einen Feuerstoß durch
die Tür. Ein Stöhnen signalisierte die Treffer. Er trat die Tür
ein, doch feuern musste er nicht mehr, der letzte Feind rutsche schon an der
Wand herunter und hinterließ eine blutige Spur. Seine leeren Augen blickten
angstvoll in Richtung der Tür, Blut quoll aus seinem Mund. Der offene Hosenstall
verriet uns, dass wir ihm beim Wasserlassen überrascht hatten.
Die ganze Aktion hatte fünfzehn Sekunden gedauert.
Fünfzehn Sekunden, der Zeitraum den ein Mann braucht um ein neues Leben
zu zeugen, hier war es der Zeitraum in dem acht Leben zerstört wurden.
Im militärischen Sinne war die Mission perfekt verlaufen. Nach dem Scharmützel
machte sich Futschi an das Funkgerät heran. Er hatte eine Leiste mit Knöpfen
angebracht, jeder mit einem Wortfetzen beschriftet. Ich drückte auf den
Knopf, der mit "nichts los" beschriftet war.
"Keine besonderen Vorkommnisse, hier ist alles ruhig", ertönte
die Stimme des Funkers, der tot neben mir lag, aus dem Lautsprecher. Auf Knopfdruck
wurden die einzelnen Teile des aufgezeichneten Gespräches abgespielt. Futschi
hatte sich selbst übertroffen. Der Betrug würde sicherlich irgendwann
auffallen, aber bis dahin, so sah es der Plan vor, war Cabezas schon in unserer
Hand. Erschöpft, aber zufrieden aufgrund meines ersten erfolgreichen Arbeitstag
fiel ich in eines der Betten der Straßensperre. Die blutdurchströmten
Laken wurden vorher ausgewechselt, doch noch immer hing der faulige Geruch der
Leichen im Raum. Unser Trupp machte es sich in den acht Betten bequem, vier
schliefen auf dem Boden. Draußen patrouillierten die Rebellen, da wir
keine Lust hatten, dass uns das selbe passiert, wie unseren Opfern. Ich wollte
noch ein Weilchen wach bleiben, doch schnell übermannte mich die Müdigkeit
und die Erschöpfung. Raul stand noch vor der Tür. Während wir
alle schliefen und die Rebellen im sanften Mondlicht Wache schoben, überdachte
Raul schon das Vorgehen der nächsten Tage, mit den Geräuschen des
Dschungel in den Ohren. Er hatte noch viel mit uns vor.
Von Mattscho
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