Kapitel 3
Rebellenstützpunkt der Awano Rangers
Omerta, Awano
24. Juli 2002, 18:41 Ortszeit
Fast fünfzig Gewehrschüsse ertönten mit keiner halben Sekunde
Unterschied, und genauso viele Stahlplatten fielen mit lauten Scheppern um.
Herannahende Fußschritte ließen die Erde erzittern. Etwa die Hälfte
der Männer und Frauen in unterschiedlichsten Trachten stürmten vor,
während die andere Hälfte an Ort und Stelle verharrte, kniend, Gewehre
im Anschlag. Nach ein paar Dutzend Metern hockten sich die vorderen hin und
behielten das Feld vor sich im Auge, während die hinteren nachzogen.
So ging das noch drei Mal, bevor sie an einem großen Herrenhaus ankamen.
Die Rebellen umzingelten das Gebäude und warfen ein paar Molotov Cocktails
hinein. Flammen schossen aus den Fenstern, und die ersten wagten sich hinein.
Eine Zimmertür wurde aufgerissen, und die darin aufgestellte Stahlplatte,
in grober Form einem Menschen nachempfunden, fiel keine zwei Sekunden später
um, mehrere Einschußlöcher im Brustbereich aufweisend. "Erledigt!"
tönte es durchs Haus. Andere Stimmen bestätigten dasselbe. Wenig später
kamen die Bewaffneten wieder heraus, schweißgebadet, manche auch etwas
zitternd.
Klatschend stand Rick Gunther vor dem Haus, zusammen mit den anderen Söldnern.
Die Rangers setzten sich vor ihnen in einem Halbkreis zusammen und blickten
erwartungsvoll auf sie.
"Was ich gesehen habe, war schon mal nicht schlecht. Es gibt zwar noch
einige Sachen, die ihr verbessern könnt, aber sowas kommt mit etwas Übung
von selbst." Rick schritt vor ihnen auf und nieder, während er mit
ihnen redete. "Ihr habt euch grundsätzlich an unsere Lehrsätze
gehalten, aber hin und wieder sind doch ein paar Fehler aufgetreten." Er
wies mit dem Zeigefinger auf einen am Boden sitzenden. "Du zum Beispiel,
Carlos, warst zu voreilig. Gleich nachdem du den Molotov Cocktail geworfen hattest,
bist du sofort hereingestürmt, noch bevor er sich richtig ausbreiten konnte.
Oder du, Diana", deutete er auf eine junge Frau. "Es war gut, wie
schnell du reagiert hast und das Feuer sofort auf den Feind eröffnet hast,
sobald du in die Halle getreten bist. Doch hätte dort ein Kamerad gestanden,
wäre er einfach umgenietet worden. Also immer aufpassen, auf wen du schießt.
Auch wenn ich es begrüße, daß man schnell auf den Gegner schießt.
Peter", wandte er sich an eine anderen. "Als du durch die Tür
kamst, hast du dich sofort zu einem möglichen Hinterhalt gedreht. Doch
nachdem du gesehen hattest, daß dort keiner war, hättest du dich
schneller wieder umsehen müssen. Wenn einer genau in der anderen Ecke aufgelauert
hätte, wärst du ein leichtes Ziel gewesen." Rick breitete seine
Arme zu einer umfassenden Geste aus. "Das sind zwar keine allzu dramatischen
Fehler, doch im echten Kampf kann es über Leben oder Tod entscheiden, und
wenn sie zu oft auftreten, dann sogar über den Ausgang der Schlacht. Aber
keine Sorge, das ist größtenteils eine Frage der Erfahrung. Sowas
gibt sich mit der Zeit. Das wär's für heute."
Wie auf Befehl sprang Sergeant Melissa Kell auf und drehte sich zu den anderen.
"KOM-panie! Weggetre-TEN!" Gleichzeitig hoben die Rangers ihre Rechte
zum Salut, dann verließen sie den Platz.
Die Söldner schauten der sich auflösenden Menge nach, bis sie in ihren
Häusern verschwunden waren.
"Was hältst du von ihnen?"
"Ich weiß nicht, Claus. Einerseits macht es mich stolz zu sehen,
was sie in dieser kurzen Zeit alles gelernt haben. Wenn man mal bedenkt, daß
ein großer Teil von ihnen vor ein paar Tagen noch nicht einmal wußte,
wie 'rum man eine Waffe hält, ist das ein beachtlicher Fortschritt. Andererseits
mag ich gar nicht daran denken, daß wir sie quasi in den Tod schicken,
indem wir sie lehren, wie man Krieg führt. Denn früher oder später
werden die ersten im Kampf fallen, und sie werden ihre erste Ernüchterung
erfahren."
"So darfst du das nicht sehen, Rick. Schau dir diese Menschen an. Sie mußten
monatelang unter dieser Tyrannei leben, ohne etwas dagegen tun zu können.
Sie sind freiwillig zu uns zu kommen, um zu lernen, wie sie gegen ihre Unterdrücker
vorgehen können. Sie können sich nun endlich wehren und damit sich
und ihre Bekannten verteidigen. Und dafür zu sterben ist allemal besser,
als von Enrico Chivaldori zu Tode gequält zu werden."
"Aye. Aberr bis sie wirrklich s'weit sin, werrdn's noch lang brrauch'n.
Die Lads sin's noch wie bissel grren hinterrn Ohrren. Etwas Äktschn kennt
da net schaden."
"Ja, etwas Äktschn' wäre im Moment genau das, was sie bräuchten:
etwas praktische Erfahrung. Ich werde mal General Horge darauf ansprechen."
Der vordere Wachposten stieß gerade eine Rauchwolke in die Luft und blickte
ihr nach, bis sie sich aufgelöst hatte. Dann nahm er noch einen letzten
Zug und ließ die glimmende Zigarette auf den Boden fallen, wo er sie zertrat.
Sein Kollege gähnte unverhohlen, die Schultern zusammengesackt, und machte
den Anschein, als würde er lieber zuhause in seinem Bett liegen, anstatt
in der Dunkelheit herumzustehen.
Rick gab den Feldstecher weiter, um seinen Rekruten die Gelegenheit zu geben,
die Lage selbst in Augenschein zu nehmen und ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
"Nur zwei Wachen?" staunte Melissa Kell ungläubig. "Wenn
wir gewußt hätten, daß es hier in unserer Nähe so eine
leicht bewachte Beute gäbe, hätten wir schon längst zugeschlagen.
Sieht mir nach einer einfachen Aufgabe aus."
"Seht ihr, man braucht nur einen gescheiten Nachrichtendienst", meinte
Kamiru. "Doch seid nicht zu voreilig mit eurer Einschätzung. Es kann
gut sein, daß die beiden nur ein Teil der Wachmannschaft und im Gebäude
mehr als genug böse Jungs sind, die nur darauf warten, etwas vor ihre Flinte
zu bekommen. Also müßt ihr immer noch subtil vorgehen. Seht zu, daß
mögliche Subjekte nicht mitbekommen, was draußen vor sich geht, bis
es zu spät ist." Er klopfte ihr auf den Rücken. "Also los,
laßt mal sehen, was ihr gelernt habt. Ich vertraue dir die Führung
der Rangers an."
Ein unternehmungslustiges Funkeln blitzte in Melissas Augen. "Jawohl, Sergeant
Nakamura." Dann leiser ins Mikrophon: "Okay Leute, es geht los."
Ein paar Schatten lösten sich aus dem Dickicht und näherten sich von
hinten der Lagerhalle, wobei sie geschickt die Lichtquellen umgingen. Die beiden
Soldaten hatten sie immer noch nicht bemerkt, als sie schon unmittelbar hinter
ihnen standen. Durch das Nachtsichtgerät konnte Rick sehen, wie Private
Lang seine schallgedämpfte Steyr TMP hob, und der hintere Wachposten sank
blutüberströmt zu Boden. Er umfaßte sein Medaillon fester.
Private Goth nahm den anderen ins Visier, doch irgendwie mußten seine
Kugeln nicht richtig gesessen haben. Die Wache wurde zwar sichtlich getroffen,
doch sie schaffte es, sich umzudrehen und aus ihrer AKM das Feuer zu erwidern.
Glücklicherweise waren die Schüsse zu schlecht gezielt und warfen
den Boden vor ihren Füßen auf, bevor sie doch noch zusammenbrach,
doch der Lärm mußte unüberhörbar gewesen sein. Sergeant
Kell winkte mit ihrer Rechten die anderen heran.
Carlos zündete den Stoffetzen an, der in der Flasche mit Öl und Benzin
steckte, und warf den Molotov Cocktail durch die Tür. Eine leichte Hitzewelle
streifte über sein Gesicht, dann stürmte er hinein, andere hinter
ihm.
Zwei Bloodspiller standen in Flammen und versuchten, sie zu ersticken, indem
sie sich auf dem Boden herumwälzten. Carlos eröffnete das Feuer auf
die hinter den Brennenden Knienden, die das Feuer erwiderten. Drei Rangers fielen
in dem Feuergefecht, bevor der letzte Soldat röchelnd zu Boden ging. Im
Mannschaftsquartier trafen sie auf weitere Soldaten, die schon auf sie warteten.
Dabei fielen zwei weitere Rangers, doch nach nicht einmal zehn Minuten war auch
der letzte Widerstand gebrochen.
"Die Awano Rangers haben heute ihre erste Feuertaufe überstanden,
wenn auch nicht ganz ohne Verluste", stellte Jacqueline fest.
"Das stimmt leider", gab Melissa Kell zu. "Doch ich bin sicher,
daß die Bürger Awanos nun langsam aufgerüttelt werden, indem
wir ihnen gezeigt haben, daß die Armee nicht unbesiegbar ist. Wir werden
in den nächsten Tagen bestimmt genug Neuzugänge bekommen. Und mit
den Waffen, die wir heute erbeutet haben, werden wir sie auch vernünftig
ausrüsten können."
"Fein, dich so zuverrsichtlich zu herrn, Lass. Doch du mußt aufpassen,
daß ihrr euch net überrnehmt. Ein Sieg allein rreicht net. Ihr müßt
kontinuierrlich so weiterrmachen und derr Arrmee keine Gelegenheit zurr Rruhe
lassen. Nurr so kennt ihrr sie auf Trrab halten."
"Das werde ich, Sergeant McKyle, keine Sorge."
"Ich denke, das wär's für heute. Lassen Sie ihre Leute ausruhen,
Sergeant Kell. Der Tag war anstrengend genug. Sie haben es sich verdient."
"Jawoll, Lieutenant Gunther!"
Der alte Mann wurde kräftig durchgeschüttelt.
"Sagen Sie mir, wo die Rebellen ihren Stützpunkt haben! Oder wollen
Sie sterben wie all die anderen hier?" Manuel deutete mit einer weitausschweifenden
Geste auf die Leichen einer Großfamilie hinter ihm im Zimmer nebenan.
Die Leichen waren noch frisch und wiesen Einschußwunden auf. "Bitte,
es ist wichtig! Sie haben ja gesehen, was die Armee mit Leuten macht, die sich
gegen sie auflehnen. Ich muß dafür unbedingt die Rebellen finden,
die für den Überfall gestern Nacht verantwortlich sind, und sie warnen."
Die Bloodspillers waren am nächsten Morgen in Drassen aufgekreuzt, nachdem
sie vom Überfall auf das Lagerhaus erfahren haben, und haben die Bewohner
darüber ausgefragt. Wer ihnen nichts nützliches verriet, wurde einfach
erschossen. Den Alten hier hatten sie anscheinend verschont, doch dafür
seine Tochter und ihre Familie umgebracht. Der alte Mann hob abwehrend seine
Hände.
"Ehrlich, ich weiß nichts darüber, glauben Sie mir doch, junger
Mann!" beteuerte er unter Tränen er mit brüchiger Stimme. "Sie
sehen doch, ich habe alles verloren, was mir etwas bedeutet hatte. Ich würde
doch nicht mehr lügen."
Manuel überlegte, dann ließ er von ihm ab. Der arme Kerl wußte
wahrscheinlich wirklich nichts. Doch die Gefahr bestand, daß er ihn verraten
konnte. Wenigstens würde er seinem Leiden ein Ende bereiten. Er zog seine
Beretta 92F und verpaßte dem Greis eine Kugel zwischen die Augen.
Elliot Sanchez hatte ihm auf dem PDA eine Info zukommen lassen, daß Präsident
Chivaldori völlig außer sich war. Erst der Anschlag auf seinen Militärgouverneur,
dann ein Überfall auf die Lagerhalle in Drassen, die den Truppen im Norden
der Insel als Nachschubdepot diente, damit sie dort operieren konnten. Nur hatten
die Soldaten das Depot völlig ausgeräumt vorgefunden, als sie von
ihrer nächtlichen Streife zurückkamen. Sie hatten sofort den Präsidenten
verständigt, der als Reaktion darauf eine Strafexpedition losgeschickt
hat, um den Bewohnern Drassens eine Lektion zu erteilen, was geschähe,
sollten sie sich auflehnen.
Manuel wurde von Sanchez davon informiert und hatte seine Route so geplant,
daß er direkt hinter den Soldaten einmarschieren würde und die verschreckten
Drassener überreden könnte, den Unterschlupf der Rebellen zu verraten.
Doch wie sich herausstellte, waren sie dickköpfiger, als er erwartete hatte,
oder sie wußten tatsächlich nichts. Wie auch immer, er hatte seine
Zeit mit dieser Überprüfung vertrödelt, während er jeden
Moment von den Bloodspillers aufgegriffen und erschossen werden konnte.
Doch noch wollte er nicht aufgeben, und so verließ er das Haus und ging
zum nächsten. Am Ende der Straße sah er noch die Gruppe in ihren
blutroten Uniformen, wie sie in das nächste Haus einfielen. Er paßte
auf, daß er sich nicht allzu auffällig benahm, als er auf sie zuging
und kurz davor in ein Häuschen einbog, das noch relativ heil aussah.
"Guten Morgen, Kamiru!"
Kamiru blickte von seinem Laptop auf. "Ohayo, Rick!"
"So früh schon wach?" Er blickte ihm neugierig über die
Schulter.
"Hai. Ich habe mal eine Lagerbestandsliste angefertigt. Mit dem Equipment,
das wir aus der Lagerhalle erbeutet haben, könnten wir locker um die hundert
Leute versorgen. Unter anderem sind da auch echte Leckerbissen dabei."
"Tja, ich denke, der Verlust wird ihnen eine hübsche Delle in der
Reaktionszeit einbringen. Was hatten die denn so alles dort gelagert?"
"Nun, wie du siehst eine ganze Menge AK-74er, ein paar LAWs und allerlei
Sprengstoffe. Und vereinzelt noch diverse H&Ks." Kamiru grinste ihn
spitzbübisch an. "Aber das interessanteste sind diese UKW-Störsender.
Darüber dürfte Claus sich freuen. Er spielt schon den ganzen Vormittag
damit herum."
"Was machen die?"
"Sie können die Funkfrequenzen mit einem Rauschen überlagern,
so daß keine Funksprüche mehr übertragen werden können.
Das Problem ist nur, daß es bei Hindernissen nicht allzu weit reicht.
Auf freiem Feld aber kannst du sie auf Sichtweite und darüber hinaus einsetzen.
Man kann sogar eine bestimmte Frequenz freilassen, damit wir selber uns noch
verständigen können."
"Na das klingt doch schon mal ganz gut. Mach weiter so, ich schau mal nach
unseren Schützlingen."
Er fand sie draußen vor dem Eingang zur Höhle, in der die Rebellen
ihren Stützpunkt eingerichtet hatten, wo Sergeant Kell gerade dabei war,
ihnen beizubringen, wie man die Waffen wieder säuberte. Melissa Kell war
ein echter Glückstreffer gewesen. Sie hatte schnell gelernt, was die Söldner
ihnen beigebracht hatten und wies auch noch Ansätze von Führungsqualität
auf. Rick hatte sie kurzerhand zum Sergeant ernannt, als er gesehen hatte, wie
sie einen Rekruten zurechtgewiesen hatte, als er zum wiederholten Male den Fehler
beging, mitten in der Kampfübung die Waffe zu entsichern vergessen zu haben.
Unter Kells Anweisungen zogen die Rekruten ein Säuberungstuch durch den
Lauf ihrer Gewehre, das völlig verdreckt wieder herauskam. Das wiederholten
sie so lange, bis das Tuch sauber blieb. Dann bauten sie ihre Waffen zusammen.
Die Tatsache, daß sie größtenteils über dieselben Waffen
verfügten, machte es einfacher ihnen beizubringen, wie sie aufgebaut waren.
Hätte jeder eine andere Marke gehabt, würde man allein schon einige
Tage verbrauchen, um ihnen jede einzelne zu erklären.
Ein geheimnisvoll aussehender Mann im Trenchcoat tauchte plötzlich auf
und sprach gestikulierend auf Private Gonzales ein, der am Eingang Richtung
Omerta stand und Wache hielt. Mit zunehmender Aufregung hörte Gonzales
dem Ankömmling zu, dann eilte er zu den anderen.
"Die Bloodspillers greifen Drassen an!"
Sofort waren alle auf den Beinen und liefen weiter ins Höhlensystem hinein,
um von hinten ihre Ausrüstung zu holen. Auch Rick beeilte sich, die anderen
aufzusuchen. Ivan ließ sofort sein Buch liegen und rüstete sich aus.
Claus und Kamiru fand er im Büro, wie sie mit der neuen Elektronik herumspielten.
Als Rick sich selbst umzog, traf er auch auf die anderen. Thor war bei in den
Mannschaftsquartieren gewesen und hatte es schon mitbekommen und Jacqueline
geholt, die auf dem Schießstand geübt hatte. In weniger als fünf
Minuten waren sie schon unterwegs nach Drassen.
Die ersten Gewehrschüsse krachten und ließen die Fenster zersplittern.
Instinktiv ließ Manuel sich auf den Boden fallen. Schützend barg
er den Kopf zwischen die Arme, bis er bemerkte, daß die Schüsse nicht
ihm galten. Er richtete sich auf und warf vorsichtig einen Blick in die Richtung,
wo er die Bloodspillers zuletzt gesehen hatte.
Dort sah er einige Soldaten im Kugelhagel fallen. Andere suchten in den Häusern
Schutz und erwiderten von dort das Feuer. Fasziniert schaute er zu, wie ein
Geschoß im hohen Bogen auf ein Haus zuflog und auf dem Dach detonierte.
Weitere Geschosse fielen mit einem hohen Pfeifen auf die Häuser und entfachten
ein Inferno in den Gassen Drassens. Schreiend liefen die Brennenden umher und
fielen wie Fliegen aufs Pflaster. Eine Reihe von Rebellen kam mit flammenden
Waffen angestürmt und schossen auf alles, was ihnen in den Weg kam.
Langsam wurde es Manuel zu gefährlich. Er öffnete die Tür zum
Hinterhof und wollte so viel Abstand wie möglich zwischen diesem wütenden
Mob und sich bringen. Das unverwechselbare Klicken einer entsichernden Waffe
ließ ihn herumfahren, seine M4A1 hochziehend.
"Manuel!"
"Ivan?"
Manuel blickte in ein vertrautes Gesicht, eingerahmt in einen Spectrahelm und
etwas Tarnschminke. Die beiden Männer standen in einer Pattsituation gegenüber,
jeder seine Waffe auf den anderen gerichtet. Als Ivan seine Waffe herunternahm,
entspannte Manuel sich unmerklich. Dann bemerkte er hinter ihm weitere Rebellen
auftauchten. Er glaubte, unter ihnen Kamiru zu erkennen, der grüßend
einen Arm in seine Richtung hob, bevor er seine Leute weiterwinkte. Sie passierten
das Haus, in dem er den Angriff beobachtet hatte, und fielen den Bloodspillers
in den Rücken.
"Na das ist doch mal eine erfreuliche Überraschung!" rief Rick
aus, als er sah, wen Ivan da mitbrachte. "Wir dachten, du seist schon tot."
"Nene, so leicht kriegt man mich nicht unter", meinte Manuel mit einem
überheblichen Lächeln. Auf dem Weg nach Omerta hatte er seine Selbstsicherheit
wiedergefunden, als er sich eine Geschichte bereitgelegt hatte, die er seinen
alten Kameraden auftischen wollte. Er hatte sein Glück gar nicht fassen
können. Nicht nur, daß er die Rebellen samt Unterschlupf gefunden
hatte, er würde auch noch freundlich aufgenommen werden.
"Errzähl mal, Manuel", drängte Caitlin. "Was ist passierrt?
Was hast du die ganze Zeit getrrieben?"
"Das ist eine lange Geschichte, und außerdem uninteressant",
versuchte Manuel sich herauszureden. "Ich will euch nicht langweilen, denn
wir haben bestimmt viel zu tun, nicht wahr?"
"Na beschränke dich dann einfach nur auf das Wesentlichste",
wollte Kamiru nun auch wissen.
"Na gut, wenn ihr es so wollt. Ich bin noch rechtzeitig aus der Villa geflohen
und hatte mich in einem benachbarten Dorf versteckt gehalten", phantasierte
Manuel. "Überall mußte ich mich vor den Soldaten verstecken,
und so zog ich von einem Dorf ins nächste, bis sie sich irgendwann entschlossen
hatten, das Dorf, wo ihr mich gefunden habt, anzugreifen." Er atmete tief
durch, zufrieden mit seiner Geschichte. "Und was habt ihr getrieben? Ich
denke nicht, daß irgendwas im Vertrag stand, daß wir uns hier mit
jemanden treffen, oder?"
Rick erzählte ihm die Geschichte, wie sie in die Hände der Feinde
geraten, von den Rebellen befreit worden und von ihnen zur Ausbildung ihrer
Leute gebeten worden waren.
"Und wieso führst du das Kommando hier? Wo ist denn Dennis?"
"Dennis ist tot."
"Oh." Falls jemand seinen Mangel an Mitteilnahme beim Hören dieser
Neuigkeit bemerkt hatte, war es ihnen nicht anzumerken. Sie waren selber in
ihre eigenen Gedanken vertieft, als das Thema wieder ausgegraben wurde.
Das läuft ja prima. Der Captain ist tot, sein Nachfolger ein unerfahrener
Lieutenant, und wenn er es geschickt anpackte, könnte er, als ranghöchster
Offizier, das Kommando übernehmen. Das doppelte Spiel fing langsam an,
ihm Spaß zu machen.
"Na das klappt ja bestens, findest du nicht, Walter?"
Der Angesprochene, ein hagerer, hochaufgeschossener Mann in Anzug und Krawatte,
kehrte um und nahm seine Wanderung von anderen Ende des Zimmers in die entgegengesetzte
Richtung auf, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt.
"Ich weiß nicht so recht, Elliot. Können wir diesem - Manuel
hieß er, oder? - trauen? Ich meine, wenn er für Geld seine Kameraden
verraten hat, hat er bestimmt nicht viele Hemmungen, dasselbe mit uns zu tun,
sobald er sein Geld hat."
"Ach sei da unbesorgt. Im Moment hätte er noch keinen Vorteil, wenn
er uns verraten würde, und bald wird es zu spät sein. Wir brauchen
nur noch abzuwarten, bis sich die Bloodspillers und die Rebellen gegenseitig
aufgerieben haben. Der erste Schritt wurde ja schon durch die Zerstörung
der schweren Kriegsgeräte eingeleitet. Jetzt heißt es nur noch abwarten
und Tee trinken. Solange die loyalen Soldaten hinter dem Präsidenten stehen,
kann ich noch nicht den Putsch wagen. Erst wenn ich die Lücken in der Armee
mit mir ergebenen Leuten gefüllt habe, werden wir loslegen. Dann werde
ich die kümmerlichen Reste des Widerstands aus dem Weg räumen und
gefeiert werden als der Präsident, der Frieden über Awano gebracht
hat. Die Awaner werden mich lieben, und du, mein lieber Cousin, kannst hier
deinen Firmensitz einrichten und mit den Bodenschätzen hier auf der Insel
reich werden. So ein kleiner Halsabschneider von Manuel kann uns da nicht in
die Quere kommen. Ich hatte sowieso vorgehabt, ihn liquidieren zu lassen, sobald
er seine Aufgabe erfüllt hat. Er weiß einfach zu viel, und es gefällt
mir nicht, daß uns jemand so leicht an der Angel haben kann. Doch noch
werden wir ihn brauchen."
"Das ist ein wirklich raffinierter Plan, Senor Sanchez", mischte sich
ein bärtiger Mann in tadelloser Uniform ein, der bisher unbeteiligt erscheinend
neben der Tür gestanden hatte. "Die Rebellen und die Bloodspillers
aufeinanderzuhetzen. Wenn die beiden Machtfaktoren geschwächt sind, haben
Sie dann leichtes Spiel. Und die Bürger Awanos werden ihnen bestimmt nicht
dazwischenfunken. Im Gegenteil, sie würden sie als den Befreier von dem
Tyrannen und auch der Schlichter der Unruhen im Land feiern. Der Plan ist, wie
soll ich sagen, perfekt."
Sanchez drehte den Kopf zu ihm. "Ich habe Sie zwar nicht um Ihre Meinung
gefragt, aber danke für die Blumen, Oberst Malloy. Auch wenn man eigentlich
davon ausgehen sollte, daß meine Pläne immer durchdacht sind, nicht
wahr Herr Oberst?" hakte er mit einem Seitenblick auf den Angesprochenen
nach.
"Natürlich, natürlich, Sie haben wie immer vollkommen recht",
beeilte sich Oberst Steve Malloy zu versichern.
"Jaja, es ist genug. Sorgen Sie einfach dafür, daß Ihre Männer
voll einsatzbereit sind, wenn es soweit ist. Und jetzt lassen Sie uns allein."
"Jawohl." Malloy salutierte kurz, die geöffnete rechte Hand vor
der Brust, Handfläche nach unten. Dann verließ er das Zimmer und
schloß die Tür hinter sich.
"Sie haben was vor?!"
Fassungslos schaute Lieutenant Rick Gunther auf die andere Seite des Tisches,
wo General Larry Horge stand, in seiner fleckigen Uniform, die Hände auf
den Kartentisch gestützt. Auf dem Tisch war eine Karte von Awano ausgebreitet,
eine ungleichmäßige, grüne Fläche mit vereinzelten grauen
und gelben Flecken.
An der nordwestlichen Ecke der Insel lag Chitzena, eine kleines Städtchen
mit jeder Menge Wellblechhäusern, einer Handvoll Landsitze und der prächtigen
Villa des Gouverneurs. Meduna, die Hauptstadt Awanos und Wohnsitz des verhaßten
Präsidenten, befand sich auf einer Landzunge im Südwesten der Insel.
Wo eine Bergkette sich im Zentrum Awanos von West nach Ost erstreckte, lag die
Häuseransammlung namens Omerta. Unweit davon entfernt lag im Westen das
nun fast völlig niedergebrannte Drassen. Zwischen Chitzena und Drassen
etwa war mit einem kleinen Punkt die Geisterstadt Balime gekennzeichnet. San
Mona, eine Pendlerstadt, von wo aus die Bergwerksleute zu ihrem Arbeitsplatz
aufbrechen, lag südwestlich von ihnen. Jenseits der Berge, im Nordosten,
war Tixa, ein noch ruhiges Dorf, weil es für den Präsidenten unwichtig
war. Nach Meduna die zweitgrößte Stadt des Zwergstaates lag an einem
herrlichen Strand Cambria, die Stadt der Vergnügungen, Sünden, Orgien
und Glücksritter. Zwischen ihnen und der Hauptstadt lagen noch das Fischerdörfchen
Estoni und das Industriegebiet Alma.
Ein paar rote und blaue Fähnchen waren auf der Karte verteilt. Der Großteil
der roten war in Meduna und Cambria konzentriert, der Rest war nur einzeln in
anderen Dörfern oder Militärlagern anzutreffen. Die blauen hingegen
waren noch weiter in der Gegend verstreut.
"Sie haben schon ganz richtig gehört, Lieutenant Gunther", erwiderte
General Horge selbstsicher. Wir haben vor, Meduna anzugreifen, den Palast zu
stürmen und den Präsidenten zu töten. Diese Unterdrückung
muß ein Ende haben!"
"Aber wieso, ich verstehe nicht. Das widerspricht doch allem, was Sie bisher
getan haben. Ein offener Kampf würde das Ende der Rebellen bedeuten. Unsere
Stärke lag bisher darin, den Bloodspillers unsere Kampfbedingungen diktieren
zu können. In einem direkten Schlagabtausch mit der Armee können wir
nicht gewinnen."
"Wie stellen Sie sich das vor?" begann auch Thor zu zweifeln. "Sie
erwarten, daß die Rangers die Stadt einnehmen? Einfach so?" Thor
stellte sich Meduna vor, die Hauptstadt eines solchen diktatorischen Staates,
an jeder Ecke Soldaten und Patrouillen. "Sie marschieren einfach durch
Straßen voller Bloodspillers auf den Palast zu und treten die Eingangstore
ein, oder wie?"
Horge lächelte. "Was diesen Teil der Operation angeht, haben wir die
unschätzbare Hilfe von Chivas Santori. Er ist der Oberaufseher der Fabriken
in Alma. Wir werden unsere Truppen dort sammeln können, bevor wir zuschlagen.
Alle größeren Rebellengruppen Awanos werden vertreten sein. Das wird
der entscheidende Schlag. Ein harter, aber kurzer Kampf. Chivas Santori ist
zudem recht geachtet in Meduna und hat dementsprechend Einfluß. Er kann
uns fast direkt bis vor den Präsidentenpalast bringen, ohne daß wir
Ärger bekämen, indem wir die verwinkelten Straßenzüge nehmen
und die Patrouillen umgehen."
Horge schob ein paar Fähnchen umher, um den Ablauf zu demonstrieren. "Unser
Plan sieht vor, daß wir gemeinsam von Alma aufbrechen. Gleichzeitig werden
ein paar Verbündete einen kleinen Aufstand in Cambria veranstalten, so
daß die dortigen Truppen gebunden sind und nicht zur Hilfe eilen können.
Vor den Toren Medunas wird sich nochmals ein Sappeurtrupp von der Hauptstreitmacht
abspalten und sich zu den Öllagern im Osten der Stadt begeben, während
uns Santori von Westen her in die Stadt einschleust. Um Punkt 02:00 werden die
Saboteure die Öltanks in die Luft sprengen. Das wird für uns das Zeichen
sein. Die Soldaten werden alle dorthin eilen, und wir haben auf unserer Seite
freie Bahn, kämpfen uns zum Präsidenten durch und töten ihn.
Und die Gelegenheit ist günstig, das hat mir Ihr Freund Manuel Cordona
versichert. Durch den Vorfall in Drassen sind momentan mehr Streifen auf dem
Land unterwegs, die Bewachung in Meduna ist somit schwächer. Besser kann
es gar nicht kommen."
"Das ist der Plan?" fragte Rick, als Horges Vortrag zu Ende war. Der
Rebellengeneral nickte.
"Wollen Sie meine Meinung dazu hören?"
Horge nickte wiederum.
"Na gut. Punkt Eins: Die Rangers sind noch nicht bereit für so eine
Art von Einsatz. Sie sind noch zu unerfahren. Zwischen theoretischer Ausbildung
und praktischer Erfahrung besteht ein gewaltiger Unterschied."
"Ach papperlapapp." Horge machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich
habe sie bei den Übungen gesehen, und was ich gesehen habe reicht mir.
Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet, wie Sie diesen motivierten, aber ungeordneten
Haufen zu einer Einheit verschmolzen haben. Haben sie nicht ihre Feuerprobe
bestanden, als sie das Lager in Drassen geplündert hatten?"
"Das war was anderes. Was Sie vorhaben, läßt sich nicht einmal
annähernd damit vergleichen. Ich sage Ihnen, sie sind noch nicht bereit."
"Und ich sage ihnen, sie sind es."
"Dann Punkt Zwei: Ich habe noch keine Operation mit unerfahrenen Truppen
mitgemacht, die pünktlich begonnen hätte. Nehmen wir an, Ihre Leute
werden aufgehalten und können das Ablenkungsmanöver bei Meduna nicht
ausnutzen? Schön, sie haben Codes festgelegt, aber was ist, wenn Ihre Leute
in der Stadt die Nachrichten durcheinanderbringen oder der Feind sie arrestiert
und die Codes aus ihnen herausprügelt? Für mich scheint dieser Schritt
zu gewagt. Sie überschätzen Ihre Mittel."
Horges Faust knallte auf den Tisch, daß die bunten Fähnchen umher
hüpften und umfielen. "Das reicht! Ich danke Ihnen für die Arbeit,
die Sie geleistet haben, aber das hier ist unser Krieg. Lassen Sie das unsere
Sache sein, Söldner." Das letzte Wort kam so gehässig aus seinem
Mund, daß Rick sich lieber den Kommentar über Selbstmordkommandos
verkniff, der ihm auf der Zunge lag. "Ihr Pessimismus wird bestimmt nicht
zur Erhaltung der Moral der Truppe beitragen."
"Verzeihung, Sir, ich versuche nur realistisch zu bleiben."
"Dann zeigen Sie Ihren Realismus, indem Sie Ihren Verpflichtungen nachkommen.
Der Sturm auf Meduna beginnt in drei Tagen nach Sonnenuntergang. Die Awano Rangers
haben bei dieser Operation eine entscheidende Rolle zu spielen. Auf ihren Schultern
ruht der Erfolg unserer Revolution! Sorgen Sie dafür, daß sie informiert
und vorbereitet sind. Und, Lieutenant", fügte Horge mit trockenem
Lächeln hinzu, "ich schlage vor, Sie üben bis dahin noch ein
paar Manöver."
"Und was ist mit meinen Leuten?"
"Sie werden hier in Omerta bleiben. Ich sehe keinen Grund dazu, Sie und
Ihre Ausrüstung bei dieser Operation in Gefahr zu bringen. Schließlich
müssen die Rangers auch lernen, unter anderen Kommandierenden zu gehorchen
und ihnen zu folgen. Der Sturm auf Meduna bleibt eine rein awanische Angelegenheit.
Weggetreten!"
Schnell überprüfte Manuel noch einmal seine Umgebung. Keiner schien
ihn zu beobachten. Die spärliche Beleuchtung, die aus dem Höhleneingang
drang, zeigte nur die dunklen Umrisse der beiden Wachposten.
Er kauerte sich hinter die Hügelkuppe, auf der er war, und holte sein Handy
aus der Westentasche heraus.
"Ja?"
"Ich habe interessante Neuigkeiten, Senor Sanchez."
"Ach ja? Welche denn?"
Manuel überlegte kurz, dann sagte er: "So einfach bekommen Sie sie
nicht. Sagen wir fünfzigtausend?"
"Du beliebst wohl zu scherzen, Manuel? Ich soll Geld für Informationen
ausgeben, von denen ich noch nicht einmal weiß, ob ich sie überhaupt
hören will? Keine gute Verhandlungsbasis, nicht wahr Manuel?"
"Es ist Ihre Sache, ob Sie mir glauben. Aber ich versichere Ihnen, es ist
es wert. Also, wie sieht's aus?"
Eine Weile lang blieb die Leitung still. Manuel dachte schon, die Verbindung
wäre unterbrochen und wollte gerade nachfragen, als Elliot Sanchez sich
wieder meldete.
"Das Geld ist überwiesen, du kannst es mit dem PDA nachprüfen."
"Darauf kannst du Gift nehmen, jefe."
Auf dem PDA rief er seinen Kontostand auf. Zufrieden mit dem, was er sah, schaltete
er ihn wieder aus.
"Das war klug, Senor Sanchez. Nun sollen Sie auch Ihren Lohn erhalten,
also hören Sie gut zu."
Vor seinen Augen ragten die Schornsteine der Fabriken Almas aus dem Grau des
Industriegebietes. Die Sonne stand schon tief und warf lange Schatten auf den
Weg hinter ihnen. Um die Stadt herum, wo tarnfarbene Zelte aufgeschlagen waren,
hatten sich schon andere Menschen versammelt. Im Feldstecher konnte er die Rebellen
sehen, entspannt, aber dennoch wachsam und bereit.
General Horge setzte sein Fernglas ab und blickte hinter sich. Viele waren erschöpft
vom Marsch hierher, und viele schleppten sich mehr die staubige Straße
entlang, als daß sie dem Ausdruck Marschieren gerecht würden. Er
konnte nur den Kopf schütteln. Es waren nur wenig mehr als zwanzig Kilometer
gewesen, und doch schien es sich zu einem ersten Hindernis zu entwickeln. In
was für einer Verfassung wären sie erst in Meduna, wenn sie im Eilmarsch
von Alma auf die Hauptstadt zustrebten. Dennoch glaubte er, ihre Motivation
unbeeinflußt zu sehen.
Horge hatte sich in seinem Jeep an die Spitze der Kolonne gesetzt und seine
Männer von Omerta bis hierher geführt. Nach einem ausgiebigen Mittagessen
hatten sich die Awano Rangers in Marsch gesetzt. Der Zug bestand neben den knapp
fünfzig Fußtruppen aus einigen mit Maschinengewehren bewaffneten
Jeeps, die sie aus den Armeebeständen in Drassen erbeutet hatten. Chivas
Santori hatte ihnen zugesagt, in Alma ein paar gepanzerte Truppentransporter
zur Verfügung zu stellen.
"Es ist nicht mehr weit, amigos! Seht ihr, dort vorne ist unser vorläufiges
Ziel, dort könnt ihr euch ausruhen."
Einige hoben ihre Köpfe, und ihre Haltung schien sich unmerklich zu straffen,
als sie eine Erholungsmöglichkeit in greifbarer Nähe sahen. Sie rissen
sich zusammen und brachten die letzten Meter hinter sich. Noch bevor Horge Aufgaben
vergeben konnte, hatten sich die Rebellen unter seinem Kommando schon abgesetzt
und fingen an, ihre Zelte aufzuschlagen.
Schulterzuckend wandte er sich von ihnen ab und ging in die Stadt. Im Rathaus
hatten sich schon die Anführer der anderen beteiligten Rebellengruppen
eingefunden. Als sie ihn sahen, nickten sie ihm grüßend zu.
"Damit wären wir jetzt ja komplett", stellte einer der Anwesenden
fest, eine muskulös gebaute Frau im verschwitzten Gefechtsanzug.
"Sie sagen es, Isabell," gab Horge zurück. Dann wandte er sich
an die anderen Versammelten. "Die Awano Rangers sind eingetroffen und bereit,
Enrico Chivaldori ein für allemal das Handwerk zu legen."
Zustimmendes Gemurmel ertönte bei Nennung des Namen ihres verhaßten
Diktators, und in manch einem Auge blitzte die Unternehmungslust.
Ein Mann in mittleren Jahren mit Geheimratsecken und ergrauten Schläfen
trat vor und richtete sich an Horge. "Ich konnte leider nur zwei Truppentransporter
auftreiben. Mehr konnte ich nicht entwenden, ohne daß es auffiel."
"Das macht nichts, Senor Santori, sie haben auch so schon viel für
uns getan. Außerdem kommt es nicht auf die Waffen an, sondern auf die
Männer und Frauen, die sie benutzen, und die sind über jeden Zweifel
erhaben."
"Vor ein paar Minuten hat sich die Zelle in Cambria gemeldet", meldete
ein anderer. "Sie haben ihre Bereitschaft bestätigt und werden wie
geplant vorgehen."
"Gut. Auch wir sollten uns an die Ausführung unseres Planes machen.
Während unsere Leute ausruhen, werden wir solange Unsicherheiten klären.
Also, irgendwelche Fragen?"
Träumend saß Caitlin auf dem Felsvorsprung, der sich mittlerweile
zu ihrem Lieblingsaussichtspunkt entwickelt hatte, und beobachtete das Lager
unter ihr. Jetzt, da fast alle Rangers weg waren, lag das Dorf wie verlassen
am Fuß des Berges. Nur hier und da sah man die Lichter der Patrouille,
die um Omerta ihre Runde zogen. Sie wußte, daß hundert Meter unter
ihr wie zu jeder Zeit zwei Wachen standen, auch wenn sie sie von ihrem Blickpunkt
aus nicht sehen konnte.
Genüßlich lehnte sie sich zurück und streckte die Füße
aus. Hier oben hatte sie ihre Ruhe, was nicht allzu oft vorkam im Söldnerleben.
Oft saß man tagelang in Transportern, wo man eingeengt zwischen all den
anderen darauf wartete, daß der Fahrer endlich eine Pause machte, bis
man irgendwann nicht mehr wußte, wie man Privatsphäre schrieb. Omertas
Höhlen waren ein Segen für jede geplagte Seele. Dort gab's Platz in
Hülle und Fülle, und man konnte sich fast schon ausruhen, wenn man
nicht ständig von den Rekruten auf Trab gehalten wurde.
Aus den Augenwinkeln nahm sie einen Tumult auf dem Dorfplatz wahr, und sie richtete
sich auf, um genauer hinzuschauen. Zwischen den Häusern sah sie eine Gestalt
herumhuschen, einen Gegenstand in der Hand haltend. Leise verfluchte sie sich
dafür, daß sie ihre Waffe nicht mitgenommen hatte. Vorsichtig kroch
sie nach vorne zum Rand des Vorsprunges und lugte nach unten.
Die Gestalt zögerte kurz, schaute etwas um sich und erspähte sie schließlich.
Sie hob ihre Hand und richtete den Gegenstand auf Caitlin, die blitzschnell
im Gedanken durchging, was ihr für Möglichkeiten blieben. Würde
sie versuchen, sich abzuseilen, wäre sie das ideale Ziel für den Schützen.
Genauso sähe es mit weiter oben aus. Also blieb ihr nur noch sich zu verkriechen
und auszuharren.
Doch der Eindringling nahm ihr dieses Entscheidung ab.
"Caitlin, Rick ruft zu einer Versammlung! Beeil dich mal etwas!" schallte
es blechern zu ihr herauf.
Erleichtert stieß sie ihren Atem aus. Es war nur Kamiru, der mit einem
Megaphon nach ihr Ausschau gehalten hatte. Sehnsüchtig schaute sie noch
ein letztes Mal in die untergehende Sonne. Es hätte ein so entspannender
Abend werden können. Rick würde sie dafür noch entschädigen
müssen.
"Aye, ich komme!" antwortete sie.
Caitlin prüfte kurz, ob der Karabinerhaken fest genug saß, dann seilte
sie sich mit großen Sprüngen von der Felswand ab.
Als sie in Ricks Büro kamen, waren auch die anderen gerade eingetroffen.
Nur Claus und Thor schienen schon vorher dort gewesen zu sein. Die anderen hatten
noch das in den Händen, womit sie zuletzt beschäftigt waren, Manuel
einen PDA, von dem er sich in letzter Zeit kaum trennen konnte, Ivan eine zerlesene
Ackerbauzeitschrift, Jacqueline eine Gitarre, bei der sie sich auch schon wunderte,
wo sie die aufgetrieben hatte und Kamiru in Overall mit allerlei Werkzeugen
in den Taschen.
"So, da wären wir also alle versammelt. Danke, daß ihr so schnell
gekommen seid. Wir müssen uns beeilen. Thor, willst du es ihnen sagen?"
"Ne, mach du das Rick. Ich halte die Idee immer noch für vollkommen
bekloppt."
"So mag ich meine Leute", erwiderte Rick mit einem leisen Lächeln.
"Vollstes Vertrauen in den befehlshabenden Kommandeur."
"Tja, so bin ich halt", grinste Thor zurück. "Ich bin eben
keiner dieser arschkriecherischen Jasager, das müßtest du mittlerweile
schon wissen."
"Ist ja schon gut, war ja nur ein Scherz. Aber kommen wir jetzt zum eigentlichen
Grund der Versammlung. Wir können die Rangers nicht allein Meduna angreifen
lassen. Sie sind noch zu grün hinter den Ohren, und es wäre unverantwortlich
von uns, sie sich ihnen selbst zu überlassen. Ich schlage also vor, daß
wir ihnen folgen und ihnen helfen. Wer ist dafür?"
Rick und Claus hoben ihre Hände. Die anderen zögerten und schauten
sich noch unschlüssig an, dann streckten auch sie gleichzeitig ihre Arme
hoch.
"Dann ist es ja entschlossene Sache. Also los, jeder holt seine Waffen
und wir treffen uns in einer Viertelstunde wieder hier. Auf!"
Ohne viel zu reden eilten alle aus dem Zimmer zu ihren Unterkünften und
den Ausrüstungshallen. Als sie nach fünfzehn Minuten wiederkamen,
war jeder in voller Gefechtsmontur. Sie marschierten gemeinsam zur Fahrzeughalle,
doch ein großäugiger junger Rebell trat vor sie, um sie aufzuhalten.
"Halt", rief er, sein Jagdgewehr im Anschlag.
"Hallo Sohnemann", begrüßte ihn Thor. "Stehen Sie
bequem."
"Oh... äh... guten Abend, Sir. Oh, Lieutenant Gunther!" Der Junge
schnellte in eine mißglückte Hab-Acht-Haltung. "Guten Abend,
Sir!"
Rick lächelte und nickte ihm zu. "Tillach, nicht wahr?"
"Ja, Sir!"
"Wir gehen nur vorbei, um die Fahrzeuge zu inspizieren, Tillach."
Rick setzte seinen Fuß einen Schritt vor, aber Tillach verlagerte unsicher
das Gewehr in seinen Armen. "Ähm... Lieutenant, ich fürchte,
das kann ich nicht zulassen."
"Wie?"
"General Horge hat mir den Befehl erteilt, Sir. Er hat gesagt, er zieht
mir die Haut ab, wenn irgend jemand an diese Fahrzeuge kommt."
"Damit kann der General nicht uns gemeint haben."
"Äh... er hat gesagt, besonders Sie nicht... ähm... Sir!"
Rick verzog das Gesicht. Er hatte zwar erwartet, Wachen bei den Fahrzeugen zu
finden, war sich aber immer noch nicht im klaren, wie er mit diesem Problem
fertig werden sollte.
"Wir müssen vorbei, Tillach. Ihre Freunde könnten in Schwierigkeiten
stecken. Wir wollen ihnen nur helfen."
"Aber meine Befehle, Sir..." Er bewegte sich etwas zur Seite. In seinen
Augen standen lebhafte Zweifel.
Während Rick mit dem Jungen redete, bewegte sich Thor langsam vor, bis
er fast neben dem Posten stand. Er schlug mit der Handkante zu und Caitlin sprang
vor, um den Posten aufzufangen und ihn zu Boden gleiten zu lassen.
"So ist es besser", beantwortete Thor Ricks unausgesprochene Frage.
"Wenn er uns durchgelassen hätte, hätte ihn womöglich irgendein
blöder Uniformbock wegen Befehlsverweigerung erschießen lassen. Er
ist ein guter Junge, und ich wollte nicht, daß er verletzt wird."
"Also haben Sie ihn zusammengeschlagen. Nicht schlecht."
"Wir haben nicht viel Zeit", erinnerte Claus.
Die anderen nickten stumm. "Selbst wenn ihr Plan perfekt funktioniert",
stellte Jacqueline leise fest, "kann sich das Ganze zu einem Gemetzel entwickeln.
Wenn wir dabei sind, können wir sie vielleicht vor einer Panik bewahren."
"Zumindest werden wir nae das Gefuhl haben, daß wir sie losgeschickt
ha'n, etwas ze tun, das wir nae selbst tun würden", fügte Caitlin
hinzu
Rick hatte sich während der letzten drei Tage mit dem Problem herumgeschlagen.
Als die Söldner mit der Ausbildung der Awano Rangers begonnen hatten, waren
die Rekruten Fremde für sie gewesen. Rick und der Rest hatten mit Besorgnis
erkennen müssen, wie sie untrainierte Jugendliche auf die Schlacht vorbereiteten,
aber dabei hatte es sich um den kühlen Widerwillen von Profis gegenüber
Verschwendung und Ungeschicklichkeit gehandelt.
Jetzt, nach einigen Wochen, kannten Rick und seine Männer diese Schüler
persönlich. Und in der Erkenntnis, daß ihr Schicksal unlösbar
mit dem Los der Awano Rangers verknüpft war, fühlte Rick sich verantwortlich
für diese Rekruten, weil er verantwortlich für ihre Ausbildung gewesen
war. Er konnte nicht einfach zur Seite treten und zusehen, wie sie einer Situation
ausgesetzt wurden, für die sie noch nicht bereit waren. Es ging um Fragen
der Ehre und der persönlichen Verantwortung, die über den Wortlaut
des Vertragstextes hinaus gingen, den die Söldner mit den Rebellen Awanos
abgeschlossen hatten.
"Wir sehen uns, wenn wir zurück sind", sagte Rick leise zum bewußtlosen
Tillach.
Die acht Söldner rannten durch die Höhle zu den wartenden Fahrzeugen.
Medunas Silhouette erstreckte sich vor ihnen im einsetzenden Zwielicht, graue
Häuser am Horizont. Dem Ziel so nahe fingen die Awano Rangers an, sich
auf den folgenden Kampf vorzubereiten. Hier und da erkannte man bange Züge
auf den jungen Gesichtern. Nur noch wenige Kilometer trennten sie von ihrem
Ziel, dem Herrscher, dessem Tod sie sich verpflichtet hatten, seit sie in ihrer
ohnmächtigen Wut den Rebellen beigetreten waren.
Nun lag die Erfüllung in greifbarer Nähe vor ihnen, und sie konnten
es kaum begreifen, daß es bald soweit sein sollte, daß all ihre
Anstrengungen sich bald auszahlen sollten und sie nun endlich frei wären,
und manche hatten insgeheim Angst, daß das Unternehmen nun doch im letzten
Augenblick schiefgehen würde. Sie waren psychisch noch nicht bereit dazu,
einen so überwältigenden Sieg zu erringen.
Chivas Santori hatte sie an die westliche Seite der Stadt gebracht und würde
sie jetzt durch die Straßen dirigieren, vorbei an gefährlichen Patrouillen
und hinein bis ins Herz der Stadt, wo der Präsident nichtsahnend in seinem
Palast schlummerte. Es würde seine letzte Nacht sein.
General Horge stand vorne an ihrer Spitze, breitbeinig auf der Ladefläche
des Jeeps stehend, die Hände in die Seiten gestemmt, und blickte der Stadt
herausfordernd entgegen. Dann drehte er sich zu seinen Rebellen um.
"Freunde, es ist gleich soweit. Endlich werden wir uns von Enrico Chivaldori
befreien! Endlich gibt es wieder Hoffnung auf ein freies Awano! Zum Wohle Awanos!"
Lautes Jubeln brandete durch die Menge der buntgemischten Rebellen. Die Waffen
wurden enthusiastisch in die Höhe gereckt. Noch bevor der Lärm abgeebbt
war, liefen schon die ersten los, die es nicht mehr aushielten. Andere folgten
ihnen, und bald war die ganze Kolonne im Ansturm auf Meduna.
Horge holte eine Signallampe hervor und schaltete sie ein. Er richtete sie so,
daß die auf der anderen Seite der Stadt wartenden Saboteure sie sehen
konnten, ohne daß mögliche Beobachter aus der Stadt etwas bemerkten.
Das blaue Licht blitzte einmal auf, ein zweites Mal, dann noch drei Mal in schneller
Folge.
Damit hatte der Angriff begonnen.
"Wir haben sie, Sir!"
Oberst Steve Malloy kletterte auf die Aussichtsplattform, wo er einen Beobachter
mit Feldstecher abbeordert hatte, die Gegend zu überwachen. Er fand ihn
aufgeregt nach Westen schauend.
"Was gibt es denn? Wen haben Sie?"
Der Beobachter schaute ihn an, als ob er begriffsstutzig wäre. "Na
die Rebellen! Sie kommen! Sehen Sie, Sir, sie sind dort, im Westen."
"Geben Sie her", sagte er und nahm ihm den Feldstecher aus den Händen.
Er blickte selbst hinüber und nahm das Gelände in Augenschein. Der
Feldstecher hatte einen Infrarotsensor, der die Wärmestrahlung sichtbar
machte. Der Boden, der im Laufe des Tages die Sonnenenergie aufgenommen und
gespeichert hatte, leuchtete in einem sanften Grünton. Und wenige Kilometer
entfernt war eine große Ansammlung von rot-orange leuchtenden Gebilden
in Menschengestalt, die sich rasch Meduna näherten. Grob auf dem ersten
Blick geschätzt waren es um die hundert Köpfe, plus mehrere Fahrzeuge
- Jeeps und sowas wie Truppentransporter, wie er verwundert feststellte. Alles
in allem käme es an Anzahl mit seiner Kompanie aus hundertzwanzig Mann
gleich, doch sie hatten den Überraschungseffekt auf ihrer Seite.
Er reichte das Gerät wieder dem Gefreiten zurück. "Hier. Erstatten
Sie weiter Bericht und melden mir sofort, wenn etwas wichtiges ist."
"Verstanden, Oberst!"
Aufgeregt eilte Malloy wieder hinunter. "Salmones, bringen Sie ihre Leute
in Position, wir bekommen Besuch!" rief er zu seinem Hauptmann hinüber,
der auf der anderen Straßenseite Stellung bezogen hatte.
Hauptmann Salmones nickte bestätigend und verschwand in den Häusern,
wo man ihn Befehle herumbrüllen hörte. Mit der Eigeninitiative seines
Offiziers zufrieden widmete Malloy sich seinen eigenen Aufgaben. "Alle
Mann auf Position, der Feind ist im Anmarsch!"
Die Szenerie verwandelte sich in ein kontrolliertes Durcheinander, als die Soldaten
umherwuselten, andere aus ihren Betten zogen, ihre Ausrüstung anlegten
und sich auf ihre Posten begaben. Eine Abteilung legte sich auf die Dächer
und schob ihre Gewehrläufe über die Brüstung. Andere duckten
sich hinter Fenster und Türrahmen, Waffen im Anschlag, Granaten wurfbereit
in der Hand. Auf der anderen Seite sah Malloy, wie Salmones seine Männer
verteilte, alle Aufmerksamkeit auf die Straße zwischen ihnen gerichtet.
Einige wurde abgestellt, um andere Nebengassen zu decken, doch die meisten hatten
die breite Hauptstraße im Visier, durch die die Rebellen am wahrscheinlichsten
kommen würden.
Eine Reihe von Explosionen am anderen Ende der Stadt hallte zu ihnen herüber,
und er lächelte. Um diese Plänkler würde er sich später
noch kümmern, sie stellten keine Gefahr dar. Die Bloodspillers wurden alle
hier auf dieser Seite gebraucht, denn es mußten so viele Verluste wie
möglich auf beiden Seiten entstehen, sonst hätte Sanchez' Plan keinen
Erfolg.
"Fünfhundert Meter", rief der Ausguck herab.
Zeit sich abzusetzen, dachte sich Malloy. Er würde später noch gebraucht
werden, da durfte er nicht in Gefahr kommen zu sterben. Hauptmann Salmones würde
das schon regeln, und wenn nicht, dann wären sie zumindest das Problem
mit den Bloodspillers los. Ohne ihren Kommandeur waren die in und um Meduna
stationierten Bloodspillers führerlos, und ohne Gouverneur Kalmar auch
die restlichen Bloodspillers. Er würde die willigen in seine Einheit, die
Hell Reapers, integrieren, und wer sich gegen sie stellte, würde vernichtet
werden. Die Bloodspillers mußten nur noch auseinanderbrechen, der Rest
ergäbe sich von selbst.
Der erste Schritt dazu war gerade im Gange.
Vier Militärjeeps rasten durch die Dunkelheit, die Scheinwerferkegel erhellten
den Weg vor ihnen, dessen Verlauf sie folgten. Während sie über die
unebene, mit Geröll bedeckte Oberfläche der Straße holperten,
lehnte sich Claus in seinem Jeep zurück. Die Landschaft zog an seinem Auge
vorbei, ohne daß er sie besonders wahrnahm. Jacqueline saß ja am
Steuer, da würde sie auf den Weg aufpassen. Hinter ihnen folgten Ivan und
Kamiru, vor ihnen fuhren Caitlin, Manuel, Thor und Rick. Er nutzte die Zeit,
um über ihre Aktion nachzudenken, der er vorhin eifrig zugestimmt hatte.
Was trieb Rick? Sie alle teilten seine Besorgnis über die in die Schlacht
geworfenen Jugendlichen, aber er schien geradezu besessen. War er so überzeugt
davon, daß sie die erste Schlacht nicht durchstanden? Mußte er als
Retter zur Stelle sein?
Vielleicht war es ein wenig von beiden. Er erinnerte sich an seine Sorge um
Rick, als er nach einem Hinterhalt auf den Philippinen vor den Scherben seines
seelischen Gleichgewichts gestanden hatte. Claus hatte ihm geholfen, diese Scherben
aufzulesen, die das Gefühl hinterlassen hatte, im Stich gelassen worden
zu sein, als man Hilfe gebraucht hatte. Er hatte ihm beigestanden, hatte ihm
diese Hilfe geboten. Nun wollte er anscheinend diesen Gefallen ihren Schützlingen
erweisen, denen sie sich verantwortlich fühlten.
Doch sie mußten sich beeilen, sonst käme die Hilfe zu spät.
Sie hatten nicht mehr viel Zeit
Nervös schaute Rick auf seine Uhr. Nach Plan sollte Horge theoretisch
schon vor den Toren des Palastes stehen und in das Gebäude eindringen,
doch er konnte nicht so recht daran glauben, daß sie tatsächlich
so pünktlich waren.
In der Ferne sah er schon die ersten Explosionen in der Stadt. Unbewußt
faßte Rick sein Medaillon fester und schaute eindringlich zu Thor hinüber,
als ob er ihn dadurch dazu bringen könnte, schneller zu fahren, doch er
wußte selbst, daß sie schon am absoluten Limit waren, ohne den Wagen
unbrauchbar zu machen.
Leise verfluchte er seine Ohnmacht, nicht eingreifen zu können.
Als Horges Armee sich der Stadtgrenze Medunas näherte, herrschte bis auf
einzelne Laternenlichter völlige Finsternis. Menschen und Fahrzeuge betraten
langsam die Stadt. Endlich wurde das flüsternde Gras der Savanne vom Asphalt
einer Straße und den Häuserreihen links und rechts von ihnen abgelöst.
Einige Rangers gingen vor Horges Jeep und suchten die Straßen nach Gefahren
ab. Weit und breit war keine Patrouille zu sehen, nur ein schwaches Wetterleuchten
am Horizont kündete vom erfolgreichen Einsatz der Saboteure.
Gemächlich rollten die Fahrzeuge die Straße entlang, gesäumt
von den Fußtruppen, die sich aufmerksam umschauten. Noch war alles still
und dunkel. Im nächsten Augenblick aber strahlte der Himmel in gleißendem
Licht, das die Nacht zum Tage machte. Rebellentruppen am Boden erstarrten, wo
sie standen, und blinzelten empor in das Licht zahlloser Hochleistungsleuchtraketen,
zögernd. Das strahlende Leuchten zeichnete ihre Umrisse in gnadenloser
Deutlichkeit ab. Wildes Stimmengewirr überflutete Horge in seinem Jeep,
als die Kommandoeinheiten, deren Nachtsichtgeräte keine Schutzschaltungen
besaßen, wie sie bei qualitativ besseren, teureren Systemen üblich
waren, vom künstlichen Licht geblendet wurden. Bevor Horge einen Befehl
geben konnte, explodierte die Straßenschlucht in einer Flut aus Schüssen,
Kugeln prasselten zwischen die Rebellen, und Granaten hagelten auf sie herab.
Das Feuer kam aus drei Richtungen, zu beiden Seiten der Straße und den
Soldaten vor ihnen, die aus den Häusern herausstürmten. Horge wirbelte
herum, brachte seine H&K G3A3 hoch und feuerte blind auf die Dächer
über ihm. Ein markerschütternder Schrei gellte ihm in den Ohren, als
eine Splittergranate in einen Jeep hinter ihm explodierte. Schwerverwundete
Rebellen fielen blutüberströmt aus dem Wagen und blieben zuckend auf
dem Boden liegen. Die Schreie verstummten abrupt, als aus dem Tank unter der
Karosserie eine Flammensäule emporstieg und den Jeep in die Höhe hob.
Scheppernd landete er wieder auf dem Asphalt, und eine verrußte Radkappe
rollte schlingernd vom verkohltem Überrest weg. Suchscheinwerfer warfen
ihre kalten Lichtkegel im Zickzack durch das Chaos. Die Szenerie aus Feuer,
Dunkelheit und Rauch war von infernalischem Schrecken. Das Maschinengewehr auf
dem Truppentransporter schickte den Angreifern eine letzte Salve entgegen, bevor
ein hochexplosives, panzerbrechendes Geschoß in die gepanzerten Seitenwände
einschlug. Aus dem Inneren der Ladefläche schoß ein Feuerball heraus,
erleuchtete die Nacht und zerfetzte das Fahrzeug. MG-Feuer von den Häuserdächern
suchte nach kleinen Rebellentrupps, die sich zwischen die Trümmer schrottreifer
Wagen und auf den kraterübersäten Boden warfen.
Schon nach zehn Sekunden war Horge klar, daß sie keine Chance hatten.
Das Ziel der Rangers war nicht zu erreichen, der Plan, in den Palast einzudringen,
gescheitert. Fünf Sekunden später war seine einzige Sorge, wie er
die Truppen aus der tödlichen Umklammerung lösen konnte, die sich
links und rechts zu schließen begann. Die Leuchtraketen brannten nach
und nach aus, und überließen die Beleuchtung des Schlachtfelds den
gespenstischen Feuern in den Trümmern zerstörter Maschinen, brennenden
Bäumen und Grasflächen, dem Leuchten der Mündungsfeuer und der
ringsum ihre Spur ziehenden Leuchtstoffmunition. Jetzt waren auch die Urheber
des Kugelhagels im kurzen Feuerschein der Geschütze und Detonationen zu
erkennen. Mindestens eine volle Schwadron war an jeder Flanke aufgerückt
und im Begriff, die Rangers einzuschließen und die Falle komplett zu machen.
"An alle Einheiten!" rief Horge über Gefechtsfunk. "Alle
Einheiten, hier ist Ranger Eins! Rückzug! Ich wiederhole, Rückzug!
Das Feld räumen und sammeln!"
Ein geordneter Rückzug unter Beschuß ist vielleicht das schwierigste
aller militärischen Manöver. Er überstieg die Fähigkeiten
der meisten Ranger bei weitem. Von verheerendem Feindfeuer verwirrt, waren viele
angesichts der plötzlich über sie hereingebrochenen Gewalt dem Schockzustand
nahe und konnten sich nur noch auf den Boden werfen oder sich in den vermeintlichen
Schutz der Häuserwände begeben. Über die Hälfte aller Fahrzeuge
stand schon in Flammen, weitere Granaten zischten von oben herab.
Horge war aus seinem Fahrzeug herausgesprungen und hatte hinter ihm Schutz gesucht,
während er das Feuer erwidert hatte, doch jetzt kletterte er wieder in
den Wagen hinein. Da sie von beiden Seiten angegriffen wurden, war die eine
Seite nicht sicherer als die andere. Da wollte er wenigstens die Angriffskraft
des auf der Ladefläche des Jeeps montierten Maschinengewehres nutzen. Er
stellte sich hinter das schwere MG, zog die Munitionskette hindurch und entsicherte
das Geschütz. Dann drehte er die Gatling herum, hielt sie auf die Häuser
zu seiner Linken und drückte durch.
Die sechsläufige Kanone spuckte den Soldaten einen wahren Strom an Kugeln
entgegen, und schreiend fielen sie von den Dächern auf den Boden. Horge
schwenkte herum und bestrich die Straße mit der Waffe, und wieder gingen
Bloodspillers in dem Kugelhagel unter. Etwas traf ihm am Bein, das plötzlich
nachgab, und er kam auf dem Jeep zum Liegen. Ein Glückstreffer oder einer
der Querschläger hatte ihn am Oberschenkel getroffen, und der Griff des
Maschinengewehrs lag unerreichbar weit entfernt über seinem Kopf. Verzweifelt
schaute er sich um, um noch etwas von der Schlacht mitzubekommen.
Plötzlich flammte etwas zu seiner Rechten auf, und einige seiner Leute
gingen brennend zu Boden, wälzten sich verzweifelt auf dem Boden herum,
um das Feuer zu ersticken.
Aus den Häusern kamen zwei Soldaten mit Flammenwerfern heraus und sprühten
ihre tödliche Ladung in die Menge der Rebellen.
Die Söldner waren noch fast zehn Kilometer entfernt, aber Rick konnte
die Schlacht am Stadtrand bereits sehen. Über den grauen Häusergruppen
der Stadt war der Himmel von silbrig perlmuttfarbenem Licht erhellt. Farbige
Lichtbahnen, unterstrichen von plötzlich aufflammendem Leuchten, malten
Geschützfeuer auf die Flachdächer der Gebäude.
"Wir kommen zu spät, Rick", stellte Jacqueline über Funk
fest, als sie anhielten und den Himmel betrachteten. Die Schlacht war nur als
dumpfes Rumoren zu vernehmen, wie ein entferntes Sommergewitter. "Sie haben
ohne uns angefangen."
Rick blickte auf seine Uhr. "Und sie hatten keine Zeit, wie geplant zum
Palast vorzudringen. Irgendetwas muß da ganz schön schiefgelaufen
sein."
Kamirus Stimme kam über den Befehlskanal. "Ein Hinterhalt also."
"Dem Gefechtsaufkommen nach zu urteilen, ja. Die Rebellen sind in Schwierigkeiten."
"Wir müssen ihnen helfen", meinte Ivan
"Was meint der Rest?" fragte Rick. Seine Gedanken überschlugen
sich. Er wollte weiterstürmen, wollte den Rangern helfen, die dort vorne
um ihr Leben kämpften. Aber eine derartige Aktion konnte die Vernichtung
seiner Einheit bedeuten.
"Wir sollten sie da nicht allein lassen", bestand Claus.
"Wir sollten uhsrücken, Sayr, wenn wir den Hägges rrett'n wullen."
"Ich habe zwar keinen Schimmer, was Hägges' ist", erklärte
Thor, "aber ich denke, Caitlin spricht für uns alle."
"Dann los!" befahl Rick. Sein Gesicht war zur Totenmaske erstarrt.
Er fühlte sich ungeheuer kalt.
Mit Vollgas rasten sie über die Ebenen dem Schlachtfeld entgegen. Die Lichtblitze
und der kurzlebige, aber taghelle Schein der Leuchtraketen wurden immer strahlender
und stiegen immer höher, je näher sie ihm kamen. Die Luft war durchdrungen
vom Gestank verbrannten Metalles und Blutes. Eine Person war weiter abseits
und hatte sich verzweifelt in eine Bodenmulde geduckt. Als sie sie heranfahren
hörte, drehte er sich um und feuerte wild auf sie. Mit einem hohen Ping
prallten die Kugeln von der Karosserie ab.
"Feuer einstellen! Hier ist Rick! Runter mit der Waffe!"
Der Ranger stockte, zögerte. "Das kann nur Olin Sonovarro sein",
stellte Rick fest. Seine Stimme peitschte über das Feld. "Bericht!
Wie ist die Lage?"
Sonovarros Stimme war ein einziges Schluchzen. "S-Sir... alles verloren!
S-sie haben auf uns gewartet! In der Dunkelheit, und... und..."
"Nehmen Sie sich zusammen, Soldat! Sind Sie verwundet?"
"Nein. Nein... Sir."
"Okay. Steigen Sie auf!"
"Ich habe genug..."
"Wir gehen da rein, um die Rangers als Einheit wieder herauszuholen, und
Sie werden, verdammt nochmal, mitkommen! Claus, paß auf ihn auf!"
Sonovarro stieg als unfreiwilliger Mitstreiter ein, und sie fuhren weiter. Unterwegs
sammelten sie noch weitere Verstreute ein, die gerade dabei waren zu fliehen.
Das Auftauchen von Rick und seinen Leuten brachte auch sie dazu, wieder umzukehren.
Rick ließ sich von ihnen die taktische Lage erklären. Anscheinend
war eine größere Anzahl Soldaten außerhalb der Stadt in Stellung
gegangen und hatte nur darauf gewartet, daß Horge und seine Truppen in
die Falle stolperten. Sie berichteten, daß viele Rebellen zu Fuß
aus der Stadt flüchteten. Allem Anschein nach hatte sich der Rebellenansturm
in eine wilde Flucht verwandelt, die den größten Teil der Rangers
im immer kleiner werdenden Kessel zurückließ.
"Na gut, wir werden den Spieß umdrehen. Wir rücken von Norden
an und fallen den Bloodspillers auf Horges linker Flanke in den Rücken.
Wenn wir den Kessel aufbrechen, kann Horge seine Leute vielleicht rausbringen.
Fertig?"
Die Jeeps starteten durch und fuhren auf das Getümmel los. Von den Mauern
suchten lange Lichtfinger den Boden ab, und das Feuer der Maschinengewehre pflügte
durch den Grund und die schrottreifen Trümmer zerstörter Fahrzeuge.
Ein klappriger Wagen tuckerte ihnen entgegen. Er gab dem Fahrer ein Zeichen,
der seine Maschine wendete und wieder nach Süden fuhr.
Die ersten Feinde kamen ihm ins Visier, die Rücken ihm zugewandt. Rick
stützte sein Sturmgewehr auf die Windschutzscheibe und hielt auf die Gestalten
drauf. Eine ganze Reihe ging zu Boden, bevor die ersten reagierten und das Feuer
erwidern konnten. Ein Bloodspiller wurde kurzerhand von Thor umgefahren und
kullerte über das Gras, bis er leblos liegen blieb. Andere sprangen zur
Seite weg, um Thors Amoklauf zu entgehen, nur um sich auf der Kühlerhaube
der nachrückenden Jeeps zu finden. Nun hatten die Bloodspillers alle Hände
voll zu tun, sich nach beiden Seiten hin zu wehren. Ivan zog den Sicherungsring
ab und warf eine Hochexplosivgranate in die Menge hinein. Menschen wurden in
die Höhe geschleudert, als die Granate zündete. Breitbeinig stand
Claus auf der Ladefläche seines Jeeps und feuerte mit der montierten MG
auf die überraschten Soldaten.
Die Bloodspillers trieben die um ihr Leben kämpfenden Awano Rangers auf
immer enger werdenden Raum zusammen. Die Söldner hatten sich inzwischen
unter die hinteren Ränge der Angreifer gemischt und brachen die Umklammerung
langsam auseinander. Jetzt hatten die eingeschlossenen Ranger einen Fluchtweg.
In voller Fahrt breschten Caitlin und Manuel in die Reihen der Gegner und teilten
kräftig aus. Rick sah, wie Manuel von seinem Fahrersitz aus eine Salve
nach der anderen abgab und Caitlin mit dem Maschinengewehr von einer Seite zur
anderen schwenkte und die Bloodspillers damit auf Distanz von ihrem Wagen hielt.
Zwei Soldaten mit Flammenwerfern wurden getroffen und wurden von ihrem eigenen
Munitionsvorrat geröstet. Von einem der Dächer schoß etwas auf
ihren Jeep zu und detonierte auf der Oberfläche des Gefährtes, wobei
das Fahrzeug in einem Feuerball aufblühte und das lodernde Wrack hoch in
die Lüfte hob.
"Nein!" entfuhr es Rick und schoß verbittert auf den Schützen,
der zusammensank und vom Turm fiel, von dem er die Bazooka abgeschossen hatte.
Langsam hatten sie sich zu den eingekesselten Rebellen vorgekämpft, die
in die Jeeps kletterten wie Schiffbrüchige auf Rettungsboote. Das Feindfeuer
hatte nachgelassen, und die Überlebenden kamen aus ihren Unterschlüpfen
heraus zu ihren Rettern gelaufen. Unter ihnen war auch die verrußte Gestalt
Manuels, der sich anscheinend doch noch retten konnte. Doch anscheinend hatte
Caitlin nicht so viel Glück gehabt. Zusammen mit den anderen half er, die
Überlebenden zu koordinieren.
"Hier ist Gunther!" rief Rick. "Wir sind gekommen, um euch rauszuholen!
Wo ist General Horge?"
"Hier", antwortete eine Stimme krächzend inmitten der Trümmer.
Rick stieg aus dem Wagen und kletterte über lodernde Schrotthaufen zu einem
ramponierten Jeep. General Larry Horge lag neben dem Maschinengewehr, sein Gewehr
in den Händen, verwundet.
"Wir dachten, daß Sie vielleicht Hilfe brauchen", meinte Rick
und bückte sich zu Horge herunter, um seinen Zustand zu begutachten.
"Sie sind ein verdammter, meuternder Hurensohn, wissen Sie das?" erklärte
Horge, aber in seiner Stimme lag kein Zorn. "Ich bin froh, daß Sie
hier sind."
"Ich schlage einen sofortigen Rückzug vor, Sir. Wenn wir die Bresche
noch eine Weile offen halten, können wir Ihre Einheiten hindurchschleusen."
"Sehr gut. Ich... ich übergebe Ihnen das Kommando, Lieutenant."
Horge holte ein Megaphon vom Beifahrersitz hervor und zog sich an Rick hoch,
so daß er halbwegs stehen konnte, wenn er sich auf den Sitz abstützte.
Dann hielt er das Megaphon an die Lippen. "Ranger Eins an alle Ranger!
Lieutenant Gunther übernimmt den Befehl! Sammeln zum Rückzug! Und...
macht euch keine Vorwürfe, Leute!" Seine Stimme brach, aber er bekam
sie wieder in Gewalt. "Das ganze war... war mein Fehler."
Rick suchte das Gelände ab. Keine feindlichen Truppen in der Nähe.
Die Ankunft der Söldner schien die Soldaten so überrascht zu haben,
daß sie sich fürs erste zurückgezogen hatten. "Ihre Umgebung
ist sauber, General. Steigen Sie ein, wir nehmen Sie mit."
"Abgelehnt, Lieutenant."
"Aber General...!"
"Ich sagte abgelehnt!" Am anderen Ende der Straßen kamen
weitere Truppen angerückt, vorsichtig, als ob sie einen Hinterhalt ihrerseits
fürchteten. Horge gab einen kurzen Feuerstoß auf die Soldaten ab,
und sie gingen schnell in Häuser oder hinter Ecken in Deckung. "Ziehen
Sie ab!" sprach Horge weiter, als hätte es keine kurze Unterbrechung
ihres Gespräches gegeben. "Sie brauchen jemanden, der den Korridor
freihält, und diese Rolle übernehme ich."
"Wir können Sie herausbringen, General! Sie..."
"Erfüllen Sie ihren Vertrag und tun Sie, was ich Ihnen sage!"
In den Worten klang Schmerz mit, und Rick erkannte, daß Horge schwer verwundet
sein mußte. "Sie können mir nicht helfen... aber ich werde Ihnen
Zeit verschaffen. Und jetzt setzen Sie sich endlich in Bewegung!"
"Verstanden", bestätigte Rick leise. Dann hastete er zurück
zu den sich Sammelnden. Hastig und in schneller Folge erteilte er die in seinen
Gedanken formulierten Befehle. Die Fußtruppen, die nicht mehr in die Fahrzeuge
hinein paßten, sollten sich sofort in nordöstlicher Richtung auf
den Weg machen. Dabei sollten sie zusammen bleiben und sich dicht hinter Jacquelines
Jeep halten, die als Führerin fungieren sollte. Die anderen Fahrzeuge würden
ihnen folgen und die Flanken decken, um feindliche Heckenschützen zu bedrängen
und eine plötzliche Offensive der Bloodspillers zu verhindern. Thor, Kamiru,
Ivan und Rick würden die Nachhut bilden und eine schützende Feuerwand
aufbauen.
Horges feuerte aus allen Rohren, als die feindlichen Soldaten wieder aus der
Dunkelheit kamen. Wichtiger als sein Feuer war aber die Tatsache, daß
sich der Gegner auf Horge konzentrierte, weil er den Rückzug nicht sofort
als solchen erkannte. Je länger sich die Bloodspillers um ihn kümmerten,
desto mehr Zeit hatte Rick, Söldner und Rangers zum Rückzug aufzustellen
und nach Norden in Bewegung zu setzen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis alle Rangers beim Abmarsch waren. Einige verweigerten
einfach den Befehl, weil ihnen die zweifelhafte Deckung eines schrottreifen
Wagens oder eines Granatenkraters sicherer erschien, als die feuerbedeckte Savanne
des Nordens. Mehrere Jeeps waren beschädigt und machten den Eindruck, jeden
Augenblick auseinanderzufallen. Hier und da kauerten noch isolierte Grüppchen
Infanteristen in der Dunkelheit oder winkten panisch um Hilfe. Er winkte ihnen
zu, wohin sie laufen sollten und sich ihnen anzuschließen. Außerdem
mußten die Söldner dafür sorgen, daß die Männer beim
Rückzug auch an die Waffen und Ausrüstung dachten. Es würde nicht
lange dauern, bis sie diese Waffen wieder brauchten.
Kaum war die Rückzugskolonne dabei, sich in Bewegung zu setzen, setzte
der letzte Ansturm des Gegners ein. Granaten explodierten zwischen den hinteren
Wracks und Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren.
"Bewegung, Jacqueline," befahl Rick. "Wir halten Sie auf!"
Jacqueline bestätigte den Befehl. Ihre Stimme kam ruhig und professionell
über den Befehlskanal. Befehle rufend marschierte sie an der Spitze der
Kolonne voran und verließ allmählich das Schlachtfeld.
Unvermittelt vernahm Rick das Dröhnen von Rotoren aus der Richtung der
Stadt. Ein Helikopter stieg mit blendendem Suchscheinwerfer über dem rauchenden
Schlachtfeld auf und hielt auf die Flüchtlinge zu. Schnell kam er näher
und eröffnete das Feuer auf sie. Ivans Jeep wurde von einer ganzen Salve
getroffen und gab den Geist auf. Die Insassen sprangen noch rechtzeitig aus
dem Wagen, bevor er explodierte und seine Einzelteile über die Ebene streute.
Thor drückte das Pedal durch und versuchte, die Aufmerksamkeit des Piloten
von den wehrlosen Rebellen abzulenken. Tatsächlich folgte der Hubschrauber
ihnen. Mit quietschenden Reifen stellte Thor den Jeep quer und alle Insassen
legten auf den Helikopter an. Das Krachen der Waffen verschmolz zu einem einzigen
Donnern, und auf der Oberfläche des Helikopters sprühten die Funken.
Mindestens eine Kugel durchschlug den Tank und entzündete das Kerosin.
Weitere Sekundärexplosionen folgten und zerrissen die Maschine innerhalb
weniger Augenblicke. Instinktiv brachte Thor sie in Sicherheit, um vor den herabregnenden
Trümmern in Deckung zu gehen.
Als Rick noch einmal kurz zu Meduna hinüberschaute, glaubte er gerade noch
mitzubekommen, wie Horges Jeep in die Luft ging. Er trieb Thor zur Eile, die
Flüchtlinge in Kamirus Jeep wieder aufzusammeln, doch als sie wieder an
die Stelle zurückkamen, war nur noch das brennende Wrack dort. Kamiru,
Ivan und ihre Mitfahrer waren verschwunden. Aber sie hatten keine Zeit mehr,
nach ihnen zu suchen, denn aus Richtung der Stadt sahen sie schon die Feinde
anrücken.
Die Reifen drehten durch und sie gaben Fersengeld.
Von Zhizhou Fang
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