Kapitel 7
Calmarro Prärie
Nähe Cambria, Awano
5. August 2002, 15:44 Ortszeit
Im Laufe des Tages hatten sie sich einen Befehlsunterstand eingerichtet. Sanchez'
Truppen hatten sich auf einer Anhöhe eingegraben und sie eingekesselt.
Immer wieder pfiffen Artilleriegeschossen herüber, doch sie waren meist
zu kurz gezielt und schlugen in das trockene Gras vor ihnen ein, wo sie immer
tiefere Löcher rissen.
Vor ihnen lag auf einem Tisch ausgebreitet eine Karte von der näheren Umgebung.
Sie war zwar nicht so genau und detailliert, wie Rick es sich gewünscht
hätte, aber sie würde genügen müssen. Dafür, daß
sie nicht damit gerechnet hatten, eine Karte von dieser Gegend brauchen zu müssen,
und diese hier nur zufällig dabei hatten, war sie noch recht hilfreich.
Das für sie relevante Gebiet maß etwa zehn mal zwölf Zentimeter.
Auf der Karte waren mit kleinen Figürchen die Einheiten beider Seiten dargestellt,
traditionell rot für feindliche, blau für eigene Truppen.
Der größte Nachteil dabei, überlegte Rick, lag in der Tatsache,
daß die bildliche Darstellung vor einem leicht real vorhandene Schwächen
in den zu Grunde liegenden Daten übertünchen konnte. Wenn man geradewegs
auf das Terrain herabsah, konnte man leicht den Eindruck bekommen, über
alles im Bilde zu sein. Tatsächlich jedoch mochte dort am östlichen
Rand eine MG-Stellung postiert worden sein.
Sämtliche Rangers, die über dem Mannschaftsrang waren, hatten sich
um den Kartentisch herum versammelt. Neben den Neuzugängen aus Cambria
von der letzten Nacht waren die Überreste, die er aus Estoni mitgebracht
hatte, das einzige, was ihm zur Verfügung stand. Nach dem Feueraufkommen
zu schließen hatte Sanchez bedeutend mehr Truppen vor Ort.
"Ich schätze, daß sie auf dieser Anhöhe ihre Versorgung
untergebracht haben", vermutete Pedro Garcia. "Sie müßten
schon ziemlich blöd sein, wenn sie woanders wären. Die Stellung ist
leicht zu verteidigen, und angenommen, seine Streitkräfte sind in der Tat
dort oben positioniert", er zeigte auf die Figuren auf der Karte, "kann
er sie auch leicht versorgen."
"Man hat von dort oben das gesamte Umfeld im Blick und ist schön geschützt",
führte Cynthia Rebeiro den Gedanken weiter. "Mit der Artillerie beharkt
man das Tal, während die Infanterie sich verschanzt und nur warten muß,
bis jemand kommt, der sie von dort verjagen will. Und das müssen wir wohl,
wenn wir daran vorbei wollen."
"Wir könnten natürlich auch diese Stellung umgehen", gab
Tarina Cassiello zu bedenken, "aber dafür müßten wir einen
riesigen Umweg über die ganze Insel machen und würden eine Menge Zeit
verlieren. Und wer weiß, ob er nicht noch andere solcher Stellungen ausgehoben
hat. Und bei denen werden wir bestimmt nicht das Glück haben, sie sofort
zu entdecken. Dieses Mal wußten wir ja überhaupt nur von ihnen, als
sie ihre Artillerie zu voreilig abgeschossen haben und uns verfehlt haben. Nein,
ich sehe keine Alternative. Wir müssen hier angreifen, alles andere ist
mit mehr Risiko verbunden."
"Ich bin derselben Meinung", äußerte sich Rick. Er hatte
sich bereits Gedanken gemacht und dieselben Schlüsse gezogen, bevor er
die Versammlung einberufen hatte, aber dann festgestellt, daß die Einsatzbesprechung
sehr viel glatter verlief, wenn er seinen Untergebenen gestattete, selbst die
richtige Antwort zu finden. Es wäre nicht gut gewesen, sie darauf zu trainieren,
seine Verkündungen abzuwarten. "Falls wir eine Bestätigung bräuchten",
fuhr er fort. "Ich habe heute morgen ein paar Kundschafter ausgeschickt,
die gemeldet haben, daß sie Feindkontakt mit anderen Scouts hatten oben
auf dem Hügel. Anscheinend wollten sie die nähere Umgebung um ihren
Standort auch gesichert wissen."
"Also", unterbrach Claus, "sollten wir Namen für dieses
Gelände finden, um Mißverständnisse zu vermeiden."
"Der Wald hier im Westen heißt Praedabosque", merkte Rebeiro
an. Sie schrieb Namen auf ein paar Zettel und legte sie auf die Karte. "Die
Prärie, in der wir uns gerade befinden, heißt Calmarro, die Hochebene
vor uns ist die Mariena Ilanura."
Rick nickte und beugte sich über den Kartentisch, um die Figuren zu verschieben.
Entlang des Bergkammes waren nun fein säuberlich eine Reihe von roten Symbolen
aufgestellt, einige dahinter und eine kleine, verstreute Ansammlung etwas weiter
im Hintergrund. "Das ist die Lage, wie sie uns voraussichtlich erwartet.
Sanchez - oder wer auch immer die Truppen da oben leitet - wird seine Hauptstreitmacht
hier auf dem Kamm und die Ebene verteilen. Er müßte ein Idiot sein,
wenn er auf diesen strategischen Vorteil verzichtet. Die Vorräte sind hier
hinten gelagert, in der Nähe der... was ist das für eine Straße?"
"Praedabosquestraße."
"Gut. Aber wir werden uns nicht darauf verlassen, daß sie hier lagern.
Sie könnten irgendwo in diesem Bereich liegen. Beobachter und wahrscheinlich
ein Befehlsstand auch hier bei den Vorräten." Er schob die Figuren
an der Südseite des Hanges entlang. "Wir rücken von Süden
vor, entlang dieses Weges. Wenn wir auf sie treffen, stellen wir uns zum Frontalangriff
auf... wie sie es erwarten."
"Äh... Lieutenant?" fragte Kamiru verwirrt. "Sagten Sie,
wie sie es erwarten'?"
"Ganz recht, Kamiru. Wir müssen sie beschäftigen, verstehst du?"
Er deutete mit dem Finger auf den Wald im Westen, der sich über die gesamte
Westseite zog. "Unsere Scouts melden, daß diese Wälder stellenweise
undurchdringlich sind. Sümpfe. Bäume so dicht, daß man kaum
weiterkommt. Aber es gibt auch durchlässigere Zonen, sogar ein paar Straßen,
insbesondere die Praedabosquestraße, die den Wald auf dem Weg nach Norden
durchquert. Der Punkt ist, daß eine Kolonne durch den Wald marschieren
könnte, ohne entdeckt zu werden."
"Aber wenn unsere Leute die Gegend nicht kennen...", wandte Jacqueline
mit besorgter Miene ein.
"Dafür haben wir ja die Hilfe und Ortskenntnisse unserer Freunde aus
Cambria", erklärte Rick und sah zu Eduardo Sousa, dem Ranghöchsten
der Neuzugänge, die sie sich ihnen vergangene Nacht angeschlossen hatten.
Sousa nickte. "Wir werden also Führer haben, die unsere Anschlußtruppe
durch den Wald lotsen... um die rechte Flanke des Feindes herum, hierher."
Sein Finger zeigte auf die Ansammlung von roten Figuren, die das Vorratslager
und den Befehlsstand andeuteten. "Sie wird irgendwo entlang dieser Baumlinie
auftauchen. Mit etwas Glück wird der Gegner sie nicht kommen sehen und
keine Ahnung haben, daß wir überhaupt in der Nähe sind."
"Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß sie entlang
der Praedabosquestraße Posten aufstellen", stellte Claus fest.
"Richtig, aber wenn die Einheit sich schnell genug bewegt, sollte das kein
Problem darstellen. Also, die Anschlußgruppe wird zwei Hauptaufgaben haben.
Erstens, und das ist ihre Primärfunktion, wird sie sich geradewegs hinter
der feindlichen Flanke oder zumindest sehr nahe daran befinden, wenn sie aus
dem Wald stürmt. Der Angriff wird in den Reihen des Feindes erhebliche
Verwirrung stiften. Möglicherweise löst er sogar eine Massenflucht
aus, wenn es uns gelingt, ihn bis auf den Rücken der Hauptstreitmacht zu
tragen. Auf jeden Fall wird er ausreichen, Breschen in die Front zu schlagen,
die unsere Hauptstreitmacht ausnutzen kann, wenn die Hell Reapers umdrehen,
um auf diese neue Bedrohung zu reagieren. Das zweite Ziel ist natürlich
die Störung der gegnerischen Nachschublinien. Wenn sie tatsächlich
ein Depot in diesem Gebiet einrichten, sollte unsere Anschlußtruppe in
der Lage sein, eine große Menge Verbrauchsgüter zu erbeuten oder
zu zerstören, Verbrauchsgüter, für deren Ersatz der Feind bis
zurück nach Meduna muß. Und alles, was wir an Vorräten vernichten,
kann er nicht mehr gegen uns in den Kampf werfen."
"An eine wie große Anschlußgruppe hattest du gedacht?",
wollte Kamiru wissen.
"Wir haben etwa grob über dem Daumen gepeilt dreißig Leute zur
Verfügung. Die Hauptstoßrichtung unserer Offensive wird dieser linke
Haken sein. , deshalb werden wir unsere Kräfte darauf konzentrieren. Ich
würde sagen, zwanzig Mann."
"Da bleibt uns aber eine verflucht dünne Linie südlich des Kamms",
gab Jacqueline zu bedenken.
"Ich weiß. Wir werden mit zehn Leuten auskommen müssen und Krach
für eine ganze Division machen. Ich möchte, daß sich die Truppen
wie aus dem Nichts mitten hinter der feindlichen Hauptstreitmacht materialisieren,
auf ihren Nachschubwegen und zwischen Front und Befehlsstab. Wir werden genug
Schlagkraft für einen schnellen Angriff brauchen, und um uns anschließend
gegen alles zu verteidigen, was Sanchez gegen sie in Marsch setzen kann, während
der Rest unserer Truppen von Süden nachrückt."
"Und wer wird die einzelnen Einheiten befehligen." erkundigte sich
Claus.
"Ich werde die Flankenbewegung durch den Wald führen. Dich, Claus,
brauche ich als meinen Vertreter an der Südseite. Irgendwelche Einwände?
Fragen? Probleme? Noch ist Zeit, etwas hervorzubringen."
Ein paar murmelten leise, aber keiner meldete sich.
"Gut. Einstweilen wird Jacqueline eine kleine Gruppe entlang der Front
nach Osten führen dort nach Durchbrüchen Ausschau halten. Wir werden
sie dann von dort aus ebenfalls beharken."
"Wie sieht es mit dem Zeitplan aus?" mahnte Jacqueline.
"Jetzt haben wir kurz vor vier", stellte Rick fest. "Sonnenuntergang
ist um... wieviel Uhr?"
"Etwa gegen halb neun."
"Das läßt uns noch für fast fünf Stunden Tageslicht.
Abhängig von dem, was da draußen tatsächlich in den Wäldern
ist, schätze ich, daß wir zwei Stunden brauchen werden, vom Abmarsch
an gerechnet. Also setzen wir den Angriff für 1700 an. Damit wären
wir um 1900 aus dem Wald westlich von Mariena Ilanura und hätten noch anderthalb
Stunden Licht. Wie hört sich das an?"
"Perfekt." Claus studierte die Karte und ging mögliche Schwachstellen
ab. "Nur ein Punkt noch. Was ist, wenn du aus dem Wald gestürmt kommst,
und da ist niemand? Ich meine, der gesamte Plan basiert auf unseren Annahmen,
was Sanchez tun könnte."
"Hai" hakte Kamiru nach. "Und wir wissen alle nur zu gut, daß
der Feind nie das macht, was man von ihm erwartet."
"In dem Fall", erwiderte Rick mit einem Schulterzucken, "werden
wir eben improvisieren. Selbstverständlich kann dieser Plan jederzeit revidiert
werden, falls wir feststellen müssen, daß der Gegner nicht an der
erwarteten Stelle steht. Und selbstverständlich haben die Kommandeure im
Feld volle Freiheit, ihrer Meinung nach erforderliche operative Entscheidungen
zu treffen. Aber das hier", er klopfte auf die Landkarte, "ist erstklassiges
Schlachtfeld, das beste in der gesamten Gegend. Man müßte ziemlich
leichtsinnig sein, um darauf zu verzichten."
"Wie würden Sie sich anders aufstellen, Lieutenant?" fragte Garcia.
"Gute Frage. Ich würde diesem Wald an meiner Flanke wahrscheinlich
nicht trauen. Um flexibel zu bleiben, könnte ich mir vorstellen, mich mit
einem Minimum an Truppen auf dem Kamm einzugraben, und die Hauptstreitmacht
näher an den Vorräten zu halten, von wo ich sie beliebig verschieben
kann. Natürlich kann es gut sein, daß ich jetzt etwas voreingenommen
bin, weil ich ja weiß, was die Awano Rangers planen." Die anderen
kicherten. "Aber indem ich meine Hauptstreitmacht hier auf den Mariena
Ilanura lagern ließe, wäre ich in der Lage, mich gegen einen Angriff
aus dem Wald im Westen oder dem Hang im Südosten zu verteidigen."
Er nahm nochmal die Karte in Augenschein. "Aber selbst wenn Sanchez das
tut, steckt er in einer schwierigen Situation. Wenn er von Westen attackiert
wird, muß er seine gesamte Streitmacht dorthin wenden, um uns entgegenzutreten..."
"... und der Rest kann über den Kamm preschen und ihm in die Flanke
fallen", vollendete Kamiru den Gedanken. "Sauber."
Jetzt mußte der Feind nur noch das tun, was sie von ihm erwarteten.
Die bewaldete Bergkuppel bot eine hervorragende Aussicht nach allen Seiten
hin. Unter ihm sah er den Befehlsstand der Rebellen, und in weiter Ferne konnte
er das Krachen der Artillerie vernehmen. Rick Gunther hatte bei seiner Besprechung
in einem Punkt richtig gelegen, dachte der Mann auf dem Gipfel. Es war wirklich
ein gutes Schlachtfeld.
Er holte aus seiner Jacke einen Sender heraus und zog die Antenne heraus. Die
Spitze richtete er Richtung Norden, wo die Armee Sanchez vor Ort lag. Dann drückte
er einen Knopf, und die im voraus eingespeiste und verschlüsselte Nachricht
wurde in einem Sekundenbruchteil gesendet. Der kommandierende Offizier würde
von allem in Kenntnis gesetzt werden, was sich vorhin in der Einsatzbesprechung
ereignet hatte. Rick würde eine Überraschung bevorstehen, wenn er
in drei Stunden aus dem Wald trat. Der Jäger würde zum Gejagten werden.
Als die Sendung abgeschickt war, steckte Manuel das Gerät wieder ein und
stieg wieder vom Hügel hinunter.
"Na schön, Oberstleutnant Vaquero", fragte Major Vega Oliveira
spöttisch, die Hände in die Hüften gestützt. "Wo, zum
Teufel, steckt er?"
"Ich weiß es nicht", gab Vaquero zu. "Ich weiß es
nicht, verdammt nochmal."
Sie standen auf einem Beobachterturm, den die Ingenieure in aller Eile zusammengezimmert
haben, und blickten auf die Mariena Ilanura. Im Süden tobte eine Schlacht,
schon seit über zwei Stunden.
"Wir haben unsere Verteidigung auf den Informationen aufgebaut, die Ihr
Agent im Lager der Rebellen geliefert hat. Und dieser vernichtende Flankenangriff,
vor dem er Sie gewarnt hat, ist ausgeblieben. Wie ich es erwartet
habe."
"Er hat sich ja erst um eine Stunde verspätet", verteidigte sich
Vaquero. Aber auch er bekam allmählich seine Zweifel.
"Mein lieber Herr Oberstleutnant, Sie sollten sich mal die folgenden Möglichkeiten
durch den Kopf gehen lassen." Er zählte sie an den Fingern ab. "Erstens:
Ihr Mann hat sich geirrt. Zweitens: Der Find wußte, daß Ihr Mann
ein Spion ist, und hat ihn mit Fehlinformationen gefüttert. Drittens: Ihr
Mann wurde umgedreht und arbeitet jetzt für die Rebellen. Viertens: Ihr
Mann wurde kurz nach Absenden der Botschaft entdeckt, Lieutenant Gunther erkannte,
daß sein Plan verraten wurde und hat ihn entsprechend geändert."
"Fünftens", fügte Vaquero hinzu: "Lieutenant
Gunther hat sich im Wald verirrt und kann jeden Augenblick auftauchen!"
"Möglich. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß sich
die Rebellen nicht gerade leicht verirren, Oberstleutnant.
Ich habe den starken Verdacht, daß wir einer Finte aufgesessen sind, und
ich bin nicht bereit, über die Hälfte meiner Einheit für das
Wort eines gekauften Spitzels zu riskieren."
"Dieser gekaufte Spitzel' ist vertrauenswürdig!"
"Das will ich gar nicht anzweifeln. Aber auch vertrauenswürdige Leute
können sich irren." Oliveira zeigte nach Süden, wo entlang der
Straße Explosionen aufzuckten und krachten. "Da hinten läuft
ganz offensichtlich nur ein Scheingefecht ab. Das Feueraufkommen ist viel zu
gering für eine komplette Kompanie. Meine Leute melden mir, daß sie
gegen gerade mal ein Dutzend Rebellen kämpfen, vielleicht nicht einmal
das. Und wenn Lieutenant Gunther sich nicht durch den Praedabosque
anschleicht, muß er irgendwo anders sein." Er deutete zu ihrer Linken.
"Vielleicht dort. Teufel, vielleicht zieht er um uns herum und taucht in
unserem Rücken auf!"
"Sie überschätzen den Mann." Vaquero dachte einen Moment
nach, dann holte er sich eine Karte. "Moment mal. Haben Sie Kundschafter
im Praedabosque?"
"Selbstverständlich. Haben Sie erwartet, daß ich etwas so Offensichtliches
vergesse? Ich habe ein Team draußen auf der Jagd nach der mysteriösen
Marschkolonne. Ehrlich gesagt finde ich, sie wären hier bei der Reserve
mehr wert. Wenn Gunther tatsächlich da draußen sein sollte, schätze
ich, daß er aufgegeben hat, über die Praedabosquestraße zu
kommen. Er wird unsere Posten umgangen haben und uns aus einer anderen Richtung
angreifen."
Der Kampflärm aus dem Süden wurde lauter. Mit wildem Donnern und dem
schneidenden Zischen abfliegender Raketen schickten ihre Artilleriebatterien
eine weitere Salve Richtung Calmarro. Vaquero lehnte sich gegen das Geländer
und beobachtete, wie die Raketen über den Kamm flogen und sich hoffentlich
auf die feindlichen Stellungen stürzten. Bisher wurde der Kampf mit beinahe
desinteressierter Zurückhaltung geführt. Der größte Teil
der Expeditionsstreitkräfte war in einem provisorischem Lager neben dem
Vorratsdepot versammelt, das zu ihren Füßen lag.
Der Kommunikator piepste, und Oliveira hob den Kopfhörer ab. "Oliveira."
Er hörte kurz zu, dann grunzte er: "Sehr gut. Halten Sie Ihre Position
und lassen Sie sie nicht aus den Augen. Leitstand Ende."
"Wer war das?"
"Riffiano, auf Hügel Zwo-Zwölf. Er hat etwas entdeckt, es scheint
eine große Gruppe Rebellen zu sein, die sich im Süden durch das Dickicht
bewegt."
Vaquero sah auf die Karte. Hügel 212 war einer der Erhöhungen zu ihrer
linken. Sie waren als Beobachter dort positioniert worden. Wenn Riffiano dort
Rebellen gesichtet hat...
"Denken Sie dasselbe wie ich, Oberstleutnant?" Oliveira grinste.
"Die Rebellen hätten uns beinahe wieder an der Nase herumgeführt.
Beinahe."
"Hundert zu eins, daß Lieutenant Gunthers Truppen von Osten kommen."
"Was schlagen Sie vor?" Vaquero fühlte sich leicht überfordert.
Er hatte diesen Teil der Schlacht haargenau und eingehend durchgeplant, wie
er es von der ausspionierten Besprechung her wußte. Jetzt fiel alles auseinander.
"Wir ziehen das verbliebene Team aus Kompanie Omikron aus dem Lager und
bringen es hinter Hügel Zwo-Zwölf und Eins-Neunzig in Stellung. Kompanie
Tango bleibt in Reserve und verstärkt unsere Linien auf dem Kamm. Ich vermute,
Gunther wird uns bald dort angreifen, als Ablenkungsmanöver. Wir sollten
ihn in dem Glauben lassen, daß er damit Erfolg hat."
"Ja. Ja, sieht gut aus", lachte er, erleichtert, daß die Ungewißheit
vorbei war. "Wir werden diesen Abschaum erledigen."
"Warten Sie noch mit der Siegesfeier, Oberstleutnant", warnte Oliveira.
"Gunther ist ein Gegner, den ich nicht unterschätzen würde."
"Natürlich, natürlich", wiegelte Vaquero ab, aber für
ihn war die Angelegenheit gelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt schien ihm die Tatsache,
daß er nicht sicher gewußt hatte, was die Rebellen tun würden,
der einzige entscheidende Faktor gewesen zu sein, der alles noch hätte
verderben können... und das, nachdem er sich so verflucht sicher gewesen
war, zu wissen, was sie planten. Aber jetzt hatte er Gewißheit, konnte
zuversichtlich agieren. Mit dem Wissen, von wo der Fuchs Gunther angreifen würde,
konnte er sich auf klare Zahlen stützen. Laut Manuel konnte die Streitmacht
nicht mehr als dreißig bis vierzig Köpfe zählen, was noch nicht
einmal eine ganze Kompanie war. Ihre Expeditionskräfte umfaßten zwei
mehr oder weniger vollständige Kompanien und Artillerie.
Die Rebellen hatten gegen diese Feuerkraft keine Chance.
Grübelnd lag Claus im Dickicht und beobachtete das Geschehen auf dem Bergkamm.
Noch hatten sich die Hell Reapers nicht herunter gewagt. Rick hätte schon
vor einer Stunde in Position sein und seinen Angriff starten müssen, vor
über einer Stunde, und noch immer gab es keine Anzeichen
für irgendeine Störung in der Gefechtsführung des Gegners. Sie
hatten ein Signal verabredet. Zwei grüne Leuchtraketen für einen erfolgreichen
Angriff, zwei rote, falls die Angreifer auf entschlossene Gegenwehr und befestigte
Stellungen trafen. Keine Leuchtraketen bedeuteten, daß Rick seine Startposition
noch nicht erreicht hatte. Was zur Hölle hielt ihn auf?
Claus verfluchte sich, daß er nicht darauf bestanden hat, mitzukommen.
Der Langstreckenbeschuß wurde wieder heftiger, und der Himmel über
ihnen war lebendig vor umherschwirrendem Metall. Doch ohne genaue Berichte von
Scouts hatte die Artillerie keine treffenden Angaben und pflügten das Feld
vor ihnen um. Pro forma gaben sie ein paar Feuerstöße als Antwort
ab. Verdammt, wo steckte Rick?
Jacqueline kam von der Seite angerobbt und legte sich rechts neben ihn. "Immer
noch nichts von ihm zu sehen?" fragte sie.
"Nein. Aber seine festgelegte Zeit ist erst seit einer Stunde vorbei. Vielleicht
waren unsere Waldführer doch nicht so ortskundig wie angenommen."
"Vielleicht."
"Wie läuft's bei euch? Irgendwelche Verluste?"
"Negativ. Meine Schützen sind in Deckung gegangen und nehmen die Beobachter
dort aufs Korn. Die machen Krach für eine ganze Kompanie."
"Hoffen wir, daß sie uns das abkaufen. Das Schwierigste an diesem
Unternehmen ist, weiterzumachen, obwohl wir keine Ahnung haben, wie sie sich
aufgestellt haben."
"Oui. Aber wir werden erst mehr wissen, wenn Rick aus dem Wald kommt."
Wenn Rick aus dem Wald kommt. Wie lange sollte das noch dauern?
Früher oder später würde der Feind mitbekommen, daß hier
keine Kompanie die Stellung hielt. Zum Teufel, hier war noch nicht einmal ein
halbes Dutzend versammelt. Nur Manuel, er und zwei andere Rebellen lagen hier
im Gras und spielten Zielscheibe. Jacqueline hatte die restlichen fünf
Rebellen mitgenommen, um im Osten einen Scheinangriff durchzuführen. Und
wenn die Soldaten dann hier heruntergestürmt kämen, würden sie
sich zurückziehen müssen, um nicht eingekesselt und vernichtet zu
werden. Verdammt nochmal, wo steckte der Kerl?
Rick hatte sich verirrt.
Nun gut, vielleicht nicht unbedingt verirrt, aber wo genau
er jetzt war, konnte er auch nicht sagen. Auf der Hälfte des Weges waren
sie auf umgestürzte Bäume und hüfthohe Sumpfgegenden gestoßen,
die wohl gestern im Unwetter entstanden sein mußten. Auch ihre Führer
waren überrascht. Manche Sümpfe konnten nur gerade einen Meter tief
sein, doch ebensogut über ihre Köpfe reichen. Das Risiko, dem nachzugehen,
wollte Rick nicht eingehen. Stattdessen hatten sie versucht, einen anderen Weg
weiter nach Norden zu finden. Nach ein paar großen Umwegen, durch die
sie sicherlich durch den halben Wald gelaufen waren, waren sie endlich wieder
auf ihrem richtigen Weg.
Rick schaute auf seine Uhr und fluchte. Wenn sie nicht bald an ihrem Ziel waren,
würde die Sonne untergegangen sein. Sie konnten zwar auch in der Nacht
kämpfen, doch es würde bedeutend schwieriger werden. Es konnte zu
Verlusten durch eigenes Feuer kommen, und das konnte er bei den wenigen Leuten,
die ihm zur Verfügung standen, nicht auch noch riskieren. Durch den dichten
Baumbewuchs wurde es im Wald schneller dunkel als draußen, und bald kam
es ihnen schon vor, als wäre die Sonne schon untergegangen. Einige fragten,
ob sie ihre Lichter anmachen durften, doch er verbot es ihnen. Der Feind hatte
sicherlich Beobachter aufgestellt, und er wollte seine Anwesenheit nicht früher
als unbedingt notwendig preisgeben.
Die Bäume vor ihnen wurden weniger, und man konnte das Licht der tiefstehenden
Sonne von außen durchlugen sehen. "Okay, Leute, macht euch bereit."
Er selbst überprüfte schnell sein Magazin und entsicherte. Um ihn
herum sah er die anderen Rangers dasselbe tun. Mit großen Schritten liefen
sie weiter.
"Feindkontakt!" kam es von Kamiru.
"Eliminieren!" knurrte Rick.
Eine kurze Salve, und es ging weiter. Jetzt konnten sie nicht mehr zurück,
egal, was sie dort oben erwartete, egal, wie verspätet sie waren. Endlich
lichtete sich der Wald vor ihnen, und brachen durch die Baumlinie aus dem Waldrand
heraus. Ein Vorratslager lag ausgebreitet vor ihnen, in das Licht der untergehenden
Sonne getaucht. Sie waren hinter den feindlichen Linien gelandet, mitten in
ihrer Nachschubstation. Kein nennenswerter Widerstand war zu vermelden.
Ein paar Rebellen knieten sich hin und nahmen mit ihren Bazookas, LAWs, Raketenwerfern
und was sie sonst noch zur Verfügung hatten, das Vorratsdepot vor ihre
Flinte. Rick zog die beiden Signalpistolen und richtete sie gen Himmel. Gleichzeitig,
als die beiden grünen Raketen in die Abendluft stiegen, zischten die hochexplosiven
Geschosse aus den Rohren. Mit einem gewaltigen Donnergrollen gingen die Treibstofftanks
in Explosionskugeln auf. Eine Reihe von Sekundäredetonationen zog sich
durch die Fahrzeuge und Munitionslager. Sie hatten soeben innerhalb weniger
Augenblicke über achtzig Prozent der Vorräte des Feindes vernichtet.
"Ausschwärmen!" befahl Rick, bevor er selbst zu seinem Sturmgewehr
griff und nach Süden rannte, um den Truppen auf dem Bergkamm in den Rücken
zu fallen. Einige stürzten sich auf die kümmerlichen Überreste
des Nachschublagers und nahmen mit Sprengstoffen die Artillerie und die Raketenbatterien
auseinander. Verstört aus ihren Lagern taumelnde Reservesoldaten wurden
ohne Wimpernzucken überwältigt und festgenommen. Andere folgten Rick
an die Südfront. Sie mähten die erste Reihe nieder, bevor die Soldaten
überrascht wahrnahmen, daß sie von einer Seite angegriffen wurden,
aus der sie es am wenigsten erwartet hätten.
Manuel sah die grünen Signalraketen hinter dem Kamm aufsteigen und fluchte.
Waren diese Hell Reapers noch zu blöd, einen Angriff abzuwehren, von dem
ihnen noch haarklein berichtet worden war? Claus jubelte begeistert auf, als
er die Bestätigung für den Erfolg ihres Angriffs sah.
"Kommt, Leute, jetzt heißt es stürmen!" rief er ihnen zu
und stand auf.
Manuel war sauer. Er wollte die Söldner und ihre verdammten Rebellen endlich
vernichtet sehen, am Boden zerstört. Doch diese inkompetenten Drecksäcke
von Soldaten waren zu unfähig, das zu erledigen. Alles mußte man
selber machen.
"Was ist Manuel?" drehte sich Claus zu ihm um. "Komm endlich
und hilf mit. Wir werden ihnen nun von beiden Seiten die Hölle heiß
machen."
Finster blickte Manuel ihn an und hob sein Gewehr an. Er nahm nur noch seinen
erschreckten Gesichtsausdruck wahr, bevor sich ein roter Schleier über
sein Gesichtsfeld legte und er den Abzug durchdrückte. Die Kugeln bohrten
sich in Claus' Körper und rissen ihn zu Boden. Immer noch gedrückt
haltend, schwenkte er die Mündung über die beiden anderen Rebellen,
die von hinten getroffen wurden und mit durchschlagenem Rückgrat nach vorne
fielen.
Mit einem Klicken hatte Manuel das Magazin leergeschossen. Er schnaubte, wechselte
das Magazin, und leerte den Inhalt nochmal in die reglosen Körper der auf
den Boden Liegenden. Dann erst drehte er sich mit wutverzerrtem Gesicht um und
marschierte davon, Richtung Westen.
Sie hatten die Schlacht gewonnen. Die Soldaten, die sich in ihren Gräben
auf der Anhöhe eingeigelt hatten, waren in Panik geraten und hatten die
Flucht ergriffen, als sie merkten, daß sie in Gefahr waren, von beiden
Seiten aufgerieben zu werden.
Jacquelines Truppe hatte die Beobachter auf den Hügeln im Osten überwunden,
die schnell der Mut verlassen hatte, als sie neben ihnen mitbekamen, wie sich
ihre Reservetruppen in Rauch auflösten. Sie hatte dann umgedreht, ihre
Truppe von der anderen Seite auf die Stellungen geführt, die Rick zermürbte,
und die Soldaten mit ihm zusammen in die Zange genommen. Claus und seine Leute,
die diesen Part übernehmen sollten, waren nicht aufgetaucht.
Diesen hatten sie dann später zusammen mit den beiden Rebellen gefunden,
tot im Gras liegend. Manuel, der ebenfalls bei ihnen gewesen war, war nirgendwo
zu finden. Zerknirscht sah Rick auf die Leichen.
"Also war es doch Manuel. Mir war er schon immer etwas suspekt vorgekommen,
so, wie er sich in letzter Zeit benommen hat. Wahrscheinlich haben wir ihm unsere
ganzen Rückschläge zu verdanken." Er schüttelte die geballte
Faust in Richtung Meduna. "Na warte nur. Dafür wirst du büßen,
für all die Toten deinetwegen. Und wenn ich dich dann in die Finger bekomme,
dann Gnade dir Gott!"
Doch momentan hatte er nicht die Zeit, seine Drohung wahrzumachen. Sie mußten
sich auf die entscheidende Schlacht morgen vorbereiten. Schließlich konnten
sie ihre Söldnerfreunde nicht in Stich lassen, wenn sie ihnen halfen.
"Argh!" Sanchez warf ein Buch gegen die Wand. Flatternd landete es
auf den Boden, wo er noch einmal drauftrat. "Schon wieder verloren! Und
das mit so einer Übermacht! Können Sie mir das erklären, Malloy?"
"Ähm, naja, wie soll ich sagen..." Verlegen kratzte Malloy sich
am Kopf. "Irgendwie haben diese Rebellen es geschafft, unsere Stellung
auszumanövrieren und sie von hinten zu erwischen. Oberstleutnant Vaquero
und Major Oliveira sind bei diesem Angriff ums Leben gekommen, daher kann ich
Ihnen nichts näheres dazu sagen."
"Ausflüchte! Alles nur Ausflüchte! Wenn ich nur..."
Auf einmal kam Manuel hereingeschneit, verdreckt und mit tiefen Ringen unter
den Augen. Ungläubig blickte Sanchez auf den unverhofften Besucher.
"So, hier... hier bin ich", keuchte er. Während seines Marsches
hatte sich sein Zorn gelegt, geblieben war nur der Durst nach Rache und der
Wunsch, seine ehemaligen Kameraden tot zu sehen. "Zu ihren Diensten. Nun
können wir endlich diese vermaledeiten Rebellen dem Erdboden gleichmachen."
Sanchez schnappte sich eine Pistole aus Malloys Halfter und gab einen Schuß
auf ihn ab. Manuel sackte in die Knie und hielt sich den Bauch, erschreckt,
mit einem verwunderten Gesichtsausdruck zu Sanchez hochschauend. "Du..."
stieß Sanchez zwischen seinen gefletschten Zähnen aus und deutete
mit zitterndem Zeigefinger auf ihn, die Augen vor Wut geweitet. "Du bist
der Nagel zu meinem Sarg. Wegen dir konnten wir diese Aufrührer nie beseitigen!
Wenn du uns sofort den Stützpunkt der Rebellen verraten hättest, wäre
das alles nicht passiert!"
Blut lief ihm aus einem Mundwinkel. "Die... die Rebellen sind..."
"... nicht länger dein Problem" schloß Sanchez den Satz
ab und schoß noch einmal. Manuel kippte zur Seite, und auf dem Boden breitete
sich um seinen Kopf herum eine Blutlache aus.
Angewidert reichte er Malloy seine Pistole zurück. "Ein Klotz weniger.
Und jetzt kümmern wir uns um diese neuen Söldner."
Malloy nickte, und er ging gemeinsam mit Rutherford und Sanchez aus dem Büro.
"Ich seh sie!" meldete ein Soldat, der sich unter einer Decke aus
Gras versteckt hat. "Zwei Helikopter von Westnordwest, kommen direkt auf
uns zu!"
"Bestätigt. Waffen entsichern. Feuer nach eigenem Ermessen. Holt sie
euch!"
"Verstanden, Oberst. Waffen frei."
Die beiden Transporthubschrauber vom Typ UH-60L Black Hawk näherten sich
mit hundertsechzig Knoten der Küste Awanos. Als sie nur noch wenige hundert
Meter entfernt waren, drosselten sie ihre Geschwindigkeit und gingen in den
Sinkflug.
Das war das Zeichen für die Hell Reapers. Ein paar Soldaten zogen das Tarntuch
von den Fahrzeugen ab, unter denen ZSU-23-4 Flaks zum Vorschein kamen. Die Geschütztürme
drehten sich zu den Helikoptern und spien ihre heiße Schrapnellladung
den Ankömmlingen entgegen.
Die Black Hawks versuchten mit Schlierenbewegungen, den Geschossen auszuweichen
und die Zielerfassungssysteme zu überlisten, doch der erste Helikopter
wurde sofort in der Luft zerfetzt und stürzte mit wie in Zeitlupe drehenden
Rotoren in Meer. Eine gewaltige Detonation unter Wasser ließ eine hohe
Wassersäule emporspritzen. Weitere Soldaten kletterten aus ihren Unterschlüpfen
und feuerten auf die verbliebene Feindmaschine. Der andere UH-60L erwiderte
das Feuer aus seinen beiden M134 Minigeschützen. Sand spritzte auf, als
sie Spur der Einschußlöcher den Strand hinauf wanderte, und die Kugeln
durchlöcherten einen der mobilen Flakgeschütze. Der Helikopter setzte
zu einem tiefen Überflug an, der ihn über die Köpfe der versammelten
Soldaten hinfort ins Landesinnere tragen sollte. Einige Soldaten fielen, von
den großkalibrigen Geschützkugeln getroffen, blutend in den Sand,
der sich stellenweise rot färbte. Ein Hell Reaper nahm den Hubschrauber
mit einer tragbaren Boden-Luft-Rakete ins Visier und schickte ihm das Geschoß
hinterher. Die Rakete fand ihr Ziel und schlug in die rückwärtige
Kabinenwand ein. Der Black Hawk sackte ab, schwankte, trudelte, und krachte
schließlich unsanft auf den Boden. Der Treibstoff im Tank verbrannte das
Heck, detonierte jedoch nicht.
"Schaut nach, ob welche überlebt haben. Wenn ja, bringt sie mir."
"Ja, Sir."
Lächelnd drehte sich Malloy zu Sanchez und Rutherford um. "Meine Herren,
ich schätze, das wär's für die Verstärkung der Rebellen."
"Oberst, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich glaube,
Sie haben sogar einmal etwas ordentlich hinbekommen. Glückwunsch. Und nun
will ich nach den Überlebenden schauen."
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend stellte Rick seine Leute
in einer Linie auf. Er hatte ihnen die Anordnung gegeben, sich hier einzugraben
und diese Stellung um jeden Preis zu halten. Pflichtbewußt hatten sie
genickt und sich an die Arbeit gemacht.
Er hatte alle Truppen versammelt, die er auftreiben konnte, und sie zum finalen
Stoß gesammelt. Der Plan sah vor, daß sich ein kleiner Trupp vorwagte
und einen Angriff gegen die Stellung in Meduna durchführte. Sobald er die
Soldaten dort in einen Kampf verwickelt hatten, würden sie sich langsam
zu ihrer zweiten Angriffslinie zurückziehen. Dort würden sie so lange
verharren, bis seine Söldnerfreunde den feindlichen Einheiten, die ihnen
aus dem Schutz ihrer Kaserne hinaus gefolgt waren, in den Rücken fallen.
Es war ein riskantes Spiel, doch es war Zeit, dieses Risiko einzugehen. Zu lange
hatten sich die Rebellen versteckt gehalten. Diese Entscheidungsschlacht mußte
her, sonst wären sie auf ewig dazu verdammt, diesen endlosen, zermürbenden
Bürgerkrieg zu führen.
Besorgt griff er nach seinem Medaillon, doch seine Finger faßten ins Leere.
Rick erschrak sich gehörig, so sehr hatte er sich schon an das Gefühl
kalten Goldes in seiner Faust gewöhnt. Unruhig blickte er suchend um sich
herum, doch er konnte sich nicht entsinnen, wo er es verloren haben könnte.
Er bekam es mit der Angst zu tun. Das war ein böses Omen. Er hatte noch
keine Schlacht ohne seinen Glücksbringer gewonnen. Er mußte es wiederfinden,
bevor...
"Rick, es ist Punkt zwölf. Wir sollten anfangen, sonst stimmt das
gesamte Timing mit deinen Freunden nicht", erinnerte ihn Thor. Unglaublicherweise
grinste er wieder. "Außerdem wollen wir unsere lieben Hell Reaper
Freunde ja beim Mittagessen stören, damit wir ihnen auch wirklich
ungelegen kommen."
Rick nickte. Es mußte dann eben auch ohne das Ding gehen. "In Ordnung,
Rangers. Das wird die Entscheidung. Alles oder nichts. Wenn wir hier versagen,
können unsere Freunde uns auf dem Friedhof besuchen, mit der Inschrift
Der Wille war da, aber die Mittel nicht' auf den Grabsteinen. Wollen wir
dafür sorgen, daß es nicht so wird. Vorwärts!"
Thor trat aufs Gaspedal, und mit durchdrehenden Reifen schlitterte der Jeep
los. Die anderen Wagen folgten ihnen. Rasch näherten sich ihnen die Kasernenmauern.
Zwei Raketen schossen an ihm vorbei und rissen einen guten Teil des Schutzwalles
davon. Rick fiel gerade auf, das sich das schon langsam zu ihrem favorisierten
Auftakt entwickelte. Immer erst eine explosive Willkommensmeldung vorweg, bevor
sie in ihre Reihen einfielen.
Wie aufgescheuchte Hühner kamen ihnen die Patrouillen entgegen, die sofort
von ihren Maschinengewehren niedergemacht wurden. Unaufhaltsam bretterten sie
über die Trümmer durch die Mauer und erwischten die Soldaten gerade,
wie sie zu ihren Waffen eilten oder ihre Fahrzeuge bemannten. Mit dem MG richteten
sie unter ihnen ein gewaltiges Tohuwabohu an. Einer der Rangers hatte einen
Flammenwerfer mitgebracht und versprühte das hochbrennbare Zeug wild auf
die Soldaten. Schreiend rannten sie über den Hof, wie eine lebende Fackel,
eine Rauchfahne hinter sich her ziehend. Einige versuchten, sich hinter den
geparkten Fahrzeugen zu verstecken, doch ein anderer warf ein paar Granaten
umher. Im hohen Bogen segelten sie wieder aus ihrer Deckung heraus. Eine MG-Stellung
nahm sie von der Mauer aufs Korn, doch Jacqueline brachte den Schützen
mit einem gutgezielten Kopfschuß zum Schweigen.
"Okay, jetzt nichts wie weg hier!" Langsam wurden es zu viele für
sie. Nach dem anfänglichen Schock hatten sie es allmählich geschafft,
sich zu sammeln, und fingen an, eine Gegenwehr zu organisieren. Ihr Ziel, sie
auf sich aufmerksam zu machen, hatten sie so oder so erreicht.
Thor machte eine scharfe Kehrtwendung und schlängelte sich wieder durch
das Gewühl nach draußen. Einen Hell Reaper, der sich ihnen in den
Weg stellte, fuhr er ohne viel Aufhebens nieder. Der Wind strich ihnen um die
Ohren, als sie wieder hinaus waren. Auch die anderen hatten kehrtgemacht und
waren auch schon wieder an der frischen Luft.
Ein leichtes Maschinengewehr stotterte, und mit einem Aufschrei überschlug
sich einer ihrer Jeeps und blieb auf der Strecke liegen. Rick schwenkte das
aufmontierte MG herum und sah, daß anscheinend zumindest einer es geschafft
hatte, einen Jeep einsatzfähig zu bekommen, und ihnen gefolgt war. Der
Hell Reaper bedrängt gerade ein anderes ihrer Fahrzeuge.
"Zur Seite", brüllte Rick, und der Wagen fuhr zur Seite. Er drückte
den Abzug des MGs durch und hielt es auf ihren Verfolger. Die Karosserie wurde
durchlöchert, und der Jeep scherte aus. Benzin lief aus dem beschädigten
Tank aus und zog eine Spur hinter sich her. Rick zog von seinem Gürtel
eine Handgranate ab und warf sie in die ölige Pfütze. Als die Granate
explodierte, entzündete sich der Treibstoff und wanderte die Spur entlang
bis zurück in den Tank hinein, wo es detonierte und das Fahrzeug in die
Lüfte hob.
Sie waren bis auf die zweite Reihe zurückgerückt. Die Jeeps so gestellt,
daß sie den größtmöglichen Schutz boten, stiegen sie ab
und gesellten sich zu den anderen, die sich dort verschanzt hatten. "Ist
hier alles bereit?"
"So bereit, wie wir's nur sein können", gab Salvador Calavera
zurück. "Solange sie keine Atombomben auf uns werfen, werden wir schon
ein Weilchen durchhalten können. Bis Ihre Freunde eintreffen, wird's sicher
reichen."
"Sir, ich sehe sie!" meldete Pedro Garcia.
Rick richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse vor ihm. Tatsächlich
sah er eine große Staubwolke, aufgefächert über die gesamte
Breite seines Sichtfeldes. Fußtruppen und motorisierte Infanterie, entschlossen,
diesen frechen Vorstoß in ihr Revier zu bestrafen.
"Die Party fängt an", bemerkte Thor.
Müde schlug Manuel seine Augen auf. Er lag immer noch am Boden von Sanchez'
Büro, wo sie ihn liegengelassen hatten. Ein stechender Schmerz in seinem
Kopf und im Bauch erinnerte ihn daran, weshalb er hier lag, und daß es
kein Traum gewesen ist. Mühsam richtete er sich auf, immer darauf bedacht,
daß die Wunden nicht aufrissen. Als er wieder einigermaßen aufrecht
saß, tastete er ungläubig an seinen Kopf und zuckte zusammen, als
der Schmerz wieder anfing. Im Anblick des Todes hatte er sich instinktiv zur
Seite geduckt, und offenbar hatte ihn die Kugel nur gestreift. Angesichts des
Blutverlustes, die eine Kopfwunde mit sich zog, hatten sie ihn anscheinend für
tot gehalten. Sie hatten sich schwer geirrt. Und sie würden für ihren
Irrtum bezahlen.
Aber vorher hatte er noch eine andere Rechnung zu begleichen. Mit einer Hand
auf einen Schreibtisch gestützt, stemmte er sich langsam hoch. Die Bauchwunde
schmerzte höllisch, doch wenigstens hatte das Blut zusammen mit dem Stoff
seiner Kleidung einen harten Verschluß gebildet, der verhinderte hatte,
daß er verblutet war. Er stolperte aus der Tür und suchte den Ausgang
aus dem Palast. Er mußte zum Feld vor Meduna, wo die letzte Schlacht stattfinden
würde. Manuel wollte dabei sein und zusehen, wie sie starben. Das war immer
noch sein Spiel.
Sie gingen in Deckung, als der Feind erneutes Sperrfeuer legte. Die Leuchtmunition
beschrieb über ihren Köpfen einen Bogen und riß Löcher
in die Sandsäcke, die sie vor sich aufgeschüttet hatten. Noch hatten
sich die feindlichen Streitkräfte nicht vorgewagt, als ein Team, das einen
Vorstoß gewagt hatte, zufällig auf eine der Minen getreten ist, die
sie vor ihren Stellungen verteilt hatten.
Lange könnten ihre Gräben dem Andruck aber trotzdem nicht mehr standhalten.
Irgendwann würden sie einen erneuten Ausfall versuchen, und daß sie
dann nochmals eine der wenigen Minen auslösen würden, blieb zu bezweifeln.
Eine Granate flog im hohen Bogen heran und landete in einem der Gräben.
Mutig schnappte sich ein Rebell das birnenförmige Geschoß und warf
die Granate hinaus, kurz bevor sie explodierte.
Als Antwort schossen sie ihre beiden Mörser ab, die zwischen den gegnerischen
Reihen große Breschen rissen. Ein Ranger mit Raketenwerfer stand auf,
um das Chaos zu vergrößern, doch er fiel tödlich getroffen um,
nachdem seine Rakete ihr Ziel gefunden hatte. Rick hob nochmal sein Gewehr über
seinen Kopf und feuerte blind in die Reihen der Gegner. Lange konnten sie die
Stellung nicht mehr halten, das war nicht geplant gewesen. Wo blieben die anderen,
zum Teufel?
"Senor Sanchez, er ist wieder zu sich gekommen."
"Gut, gut."
Er schlug die Augen auf und sah sich in einer düsteren Kammer, kalt und
unangenehm. Vor ihm standen drei Männer, ein fein angezogener Geschäftsmann,
ein Arzt mit Kittel und diversen Werkzeugen in der Hand und ein verhärmt
aussehender Mann in Uniform. Er wollte sich etwas strecken, doch er war mit
Eisenringen an eine Wand gekettet.
"Sagen Sie mir auf der Stelle, was Sie hier zu suchen haben! Was ist Ihr
Auftrag? Wo sind diese Rebellen und dieser Rick Gunther?"
"Gar nichts werde ich!"
Sanchez schlug ihm ins Gesicht und wollte einen weiteren hinterher geben, aber
der Arzt hielt ihn zurück.
"So erreichen wir nichts, lassen Sie mich das machen." Damit wandte
er sich an ihn. "Ich entschuldige mich für sein Benehmen. Wir haben
uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Dr. Quentin Walsh, der Hitzkopf hier ist
Elliot Sanchez, und dieser Herr dort ist Walter Rutherford. Und Sie sind...?"
"Captain Roger Wilco, Kommandeur der Kompanie Bravo, drittes Bataillon,
zweites Stormrider Regiment."
"Ich danke Ihnen, Captain. Nun, Sie werden sich sicher fragen, wer wir
sind."
"Das brauche ich nicht, ich weiß, wer Sie sind. Sie sind Lakaien
dieser Tyrannen, derentwegen wir hier sind."
"Oh, ich sehe dann, daß wir dann ohne Umschweife zum Wesentlichen
kommen können. Sehen Sie diese Instrumente hier?" Er machte eine ausschweifende
Handbewegung zu den Werkzeugen, die auf dem Tablett lagen. Wilco konnte sich
gut vorstellen, was man mit ihnen anstellen konnte, wenn er sich ihre Form ansah.
"Ich würde mich nicht gerne gezwungen sehen, sie anwenden zu müssen.
Wir wollen lediglich von Ihnen wissen, wo sich Ihre Freunde aufhalten."
"Niemals", spie er aus.
"Hm, lassen Sie mich erst einmal meine Argumentation darlegen, bevor ich
Gewalt anwende, vielleicht sind Sie ja gesprächiger. Sie können sich
vorstellen, daß Ihre Freunde uns sehr viel Ärger bereitet haben.
Sie haben sich Rebellen angeschlossen, die gegen die rechtmäßige
Regierung kämpfen. Das ist nicht gut so, und wir würden gerne wieder
die Ordnung herstellen. Sie müssen wissen, jeder menschliche Körper
kann nur eine bestimmte Menge an Schmerzen aushalten. Irgendwann zerbricht jeder,
ob ihm die Haut stückchenweise abgezogen wurde, Gliedmaßen verkrüppelt,
Knochen gebrochen oder sonstwas angetan wurde. Dann ist man geradezu erpicht
darauf, seine Geheimnisse zu erzählen, vielleicht sogar mehr, als wir überhaupt
wissen wollen. Und Sie sind kann verkrüppelt und unter Umständen auch
nicht mehr in der Lage, richtig weiterzuleben. Und wofür? Für Informationen,
die Sie uns auch gleich hätten sagen können. Nur für Ehre und
falschen Stolz haben Sie sich foltern lassen. Letztendlich bekommen wir so oder
so, was wir hören wollen. Wie es Ihnen danach gehen, entscheiden Sie selbst.
Sie sehen das doch ein, richtig? Nun, wie lautet Ihre Antwort?"
"Eher sterbe ich, als daß ich meine Freunde verraten würde.
Nur rückgratlose Gesellen würden für Ihr eigenes Wohl ihre Freunde
ausliefern."
"Würden Sie das auch so sehen, wenn Sie das mit Verbrechern vergleichen
würden? Wie bewerten Sie jemanden, der vor Gericht aufgefordert wird, seine
Komplizen beim Mord zu nennen? Ist das nicht derselbe Sachverhalt?"
"Wie Sie schon sagten, das sind Mörder. Ihr Schweigen gilt nicht einer
guten Sache, sie decken Verbrecher damit, die bestraft gehören. In diesem
Fall ist es etwas anderes. Ich schweige für eine gerechte Sache?"
"Gerecht? Das sind Rebellen! Wir vertreten die rechtmäßige Regierung.
Dieser Abschaum stellt sich gegen das Gesetz. Das sind auch Verbrecher, und
gehören somit genauso bestraft."
"Recht oder Gerechtigkeit sollte jeder für sich entscheiden. Wenn
ich an der Stelle des Mitwissers eines Mörders wäre, ich würde
ihn verraten, denn das ist für mich gerecht. Aber meine Freunde: niemals!
Sie sind hier die Übeltäter, ganz und gar nicht rechtmäßig
an ihre Position gekommen. Diese Rebellen sorgen nur dafür, daß dieses
Unrecht wieder rückgängig gemacht wird. Mehr habe ich nicht zu sagen."
Walsh seufzte. "Ich sehe schon, Sie sind einer dieser sturköpfigen
Menschen, die nicht einsehen wollen, und nicht auf andere hören. Na gut,
wir werden Sie etwas bearbeiten. Früher oder später werden Sie plaudern."
Er nahm ein sichelartiges Instrument in die Hand, setzte es in der Brustgegend
an und wollte gerade anfangen, es hineinzustechen, als ein Hell Reaper kam.
"Sir, die Rebellen greifen uns frontal an. Wir haben sie zurückgetrieben
und halten sie zur Zeit auf dem Feld vor der Stadt in Schach. Es kann sich nur
noch um Minuten handeln, bis wir ihre Stellung geknackt haben."
"Sehr gut. Ich komme gleich und sehe es mir an." Elliot nickte dem
Doktor zu. Dieser holte eine Pistole heraus uns richtete sie auf Wilcos Kopf.
"Zu schade, daß ich Sie nicht behandeln konnte. Ich hätte Sie
gerne leiden sehen. Sterben Sie nun für ihre gute Sache." Er drückte
ab.
Schwankend schleppte Manuel sich auf die Anhöhe. Vor ihm lag das Schlachtfeld,
und der Kampfeslärm schallte bis zu ihm herüber. Rick war ziemlich
in der Bredouille. Die Armee hatte vor ihnen Stellung bezogen und bombardierten
sie mit allem, was sie hatten. Es war auf einem Blick zu sehen, daß die
Rebellen das nicht mehr lange überstehen würden.
Erfreut lächelte er. Er war noch nicht zu spät für seine Rache
gekommen. Vorsichtig stieg er den Hang hinunter. Die Bauchwunde war wieder aufgerissen
und hatte ihm große Schmerzen bereitet. Aber Ricks Ende wollte er sich
nicht entgehen lassen. Er beschleunigte seinen Schritt.
Plötzlich stieß er gegen einen Stein und fiel hin. Ihm wurde schwarz
vor Augen, die Welt drehte sich um ihn. Seine Wahrnehmung entzog sich seiner
Kontrolle. Nein, das konnte nicht sein. Dies hier war sein
Spiel. Er bestimmte, wann es zu Ende war. Er
hatte das Sagen. Es war nicht vorbei, bevor er es wollte. Verzweifelt streckte
er seine Hand aus, doch seine Kräfte verließen ihn.
Dann starb er.
Der Kampf war aussichtslos. Seit fast einer Viertelstunde nun wurden sie in
die Mangel genommen, und seine Freunde waren nicht aufgetaucht. Mittlerweile
hatten sie schon alles, was sie an pyrotechnischen Gerät besaßen,
aufgebraucht, und auch die Munition ging langsam zu Neige. Kamiru hatte es auch
schon erwischt. Eine weitere Rakete flog an und verwüstete einen Graben
wenige Meter links von ihm. Sie hatten ihnen nichts mehr entgegenzusetzen.
Entmutigt schaute Rick zu Thor hinüber, der ihm ein aufheiterndes Lächeln
schenkte. "Kopf hoch, Chef. Solange man noch reden kann, kann man noch
lachen."
"So leicht werden sie uns nicht kriegen. Wir werden uns so teuer wie möglich
verkaufen", meinte Calavera.
"Dein Wort in Gottes Ohr", gab Rick zurück und verschoß
sein letztes Magazin in die Menge der Feinde, die ständig anzuwachsen schien.
Es waren schon erheblich weniger geworden bei den Gegnern. Er erinnerte sich
an Sun Tzu, einen chinesischen Feldherren, der fünfhundert vor Christus
die Kunst des Krieges niedergeschrieben hatte. An einer Stelle sagte er unter
anderem, daß man befestigte Stellungen nur stürmen sollte, wenn man
mindestens eine achtfache Übermacht besaß. Die Behauptung galt damals
wie heute immer noch, wie sich vorhin bewiesen hatte, wenn man darauf blickte,
was ihre wenigen Rangers mit der Menge an anrückenden Soldaten angestellt
hatten. Doch auch ihre Reihen waren dezimiert, und sie näherten sich bedenklich
schnell diesem acht-zu-eins-Verhältnis. Es war nur noch eine Frage der
Zeit, bis sich die Hell Reaper entschließen würden, ihre Stellungen
einfach zu überrennen.
Eine Salve schoß hinter ihnen über ihre Köpfe hinweg. Auch das
noch! Man hatte ihre Stellungen umgangen und wollte sie jetzt von beiden Seiten
in die Mangel nehmen. Er schmiß sein jetzt nutzlos gewordenes Gewehr zur
Seite und zog aus Verzweiflung seine Pistole aus dem Holster. Wenn er sterben
würde, wollte er wenigstens so viele Feinde wie möglich mit ins Grab
nehmen.
Die neue Bedrohung schoß Raketen ab, doch sie waren zu hoch gezielt und
richteten unter den Reihen der Feinde vor ihnen verheerende Schäden an.
Erst hielt Rick sie für einen Fehlschuß, doch als weitere Geschosse
folgten, die ebenfalls ihren Feinden galten, kniff er die Augen zusammen und
versuchte, die Neuankömmlinge zu identifizieren. Eine Gestalt, breitbeinig
auf der Ladefläche eines Jeeps stehend, stand an der Spitze und fuhr voran.
"Ihr wolltet die Party doch nicht etwa ohne uns anfangen?" rief die
Gestalt zu ihnen herüber, mit beiden Armen wedelnd. "Hier kommt die
Kavallerie!"
Ricks Herz machte einen Freudenhüpfer, als er die Stimme erkannte. Es war
Melissa Kell mit den Leuten aus Tixa! Frisch gestärkt stürzten sich
die neuen Truppen in den Kampf. Wie ein Wirbelsturm fielen sie in die feindlichen
Reihen ein und zerschlugen sie. Nach wenigen Minuten zerfiel die gegnerische
Einheit und die Soldaten flüchteten in kopfloser Panik. Die Massenhysterie
griff auch auf sämtliche Hell Reaper um, die noch keinen Feindkontakt hatten,
und kurz darauf waren alle Feinde in heilloser Flucht davongerannt.
Als sich der Staub gelegt hatte, kamen die Rangers aus ihren Gräben heraus.
Erschöpft torkelte Rick auf Kell zu und reichte ihr eine Hand. Er zitterte
noch etwas, als der Körper das verbliebene Adrenalin in seinem Blutkreislauf
verbrannte.
"Danke, Sergeant, Sie waren ein Geschenk des Himmels. Aber das nächste
Mal bitte etwas früher, ja?"
"Wir wollten euch erst einmal etwas schlottern lassen", erwiderte
sie grinsend.
"Woher
" setzte Jacqueline an.
"Woher wir wußten, daß ihr hier einen Angriff plantet? Tja,
das haben wir Trent zu verdanken. Er kam zu uns und meinte, daß ihr möglicherweise
Hilfe gebrauchen könntet bei eurem Vorhaben. Also habe ich unsere Leute
zusammengetrommelt und alle diejenigen mitgenommen, die bereit waren, gegen
Sanchez auszuziehen. Und das waren nicht gerade wenige, sag ich dir. So wie
es aussieht, hat dein Gespräch mit dem Proktor geholfen. Jetzt müssen
wir Sanchez nur noch den Todesstoß versetzen."
Erleichtert atmete Rick auf. Lachend winkte er ab. "Reine Formsache."
Von Zhizhou Fang
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