Prolog
Salvatierra, Spanien
05. April 2002, 14:37 Ortszeit
Die Straßen waren menschenleer, sämtliche Fensterläden geschlossen.
Wüßten sie es nicht besser, sie hätten annehmen können,
daß das Dorf längst verlassen wäre. Das einzige, was man hörte,
war das Hundegebell irgendwo in ihrer Nähe, das Heulen des Windes, der
durch die engen Gassen wehte und ihnen etwas Kühlung verschaffte.
Lieutenant Rick Gunther fuhr mit seiner Hand über die Stirn und wischte
den Schweiß an seiner Hose ab. Als ob die Moral seiner Leute nicht schon
einen Tiefpunkt erreicht hätte, das Wetter drückte noch zusätzlich
auf ihre Laune. Obwohl der Frühling erst angefangen hatte, reichte das
südliche Klima schon aus, um einen in voller Kampfmontur schwitzen zu lassen.
Lustlos blickte er auf das Dörfchen vor sich. Angeblich sollte dort ein
Vorratslager der Separatisten versteckt sein. Aber Rick Gunther versprach sich
wenig von diesem Einsatz. Zum einen, weil fast täglich solche und ähnliche
Meldungen bei ihrem Informationsdienst eintrafen, zum anderen, weil der Hinweis
von einer der unzuverlässigeren Quellen kam, die ihnen zur Verfügung
standen: aus der Bevölkerung. Höchstwahrscheinlich wird es sich wieder
als eine Falschmeldung herausstellen, wie schon so viele zuvor, dachte Rick
düster. In so einem unbedeutenden Kaff kann doch kein Vorratslager sein!
Oder jedenfalls wollte er es nicht glauben. Seit Wochen waren sie im Einsatz,
hatten mit Guerillaattacken zu tun, konnten aber nichts unternehmen. Es war,
als würden sie gegen Schatten antreten. Die feigen Aufrührer stellten
sich nie zu einem offenen Kampf und zwangen die Friedenstruppen dazu, zu deren
Bedingungen zu kämpfen. Rick hatte schon keine Lust mehr, sich tagein,
tagaus die Füße wund zu laufen und irgendwelchen Geistermeldungen
hinterherzujagen. Er wollte nur noch nach Hause und faulenzen, weit weg von
allem, was Scherereien bereiten könnte. Und so dachte wahrscheinlich auch
der Rest seiner Männer.
Seine Männer. An diesen Ausdruck würde er sich auch noch gewöhnen
müssen. Er war erst kürzlich zum Lieutenant befördert worden,
und als solcher war er ein Offizier, dem ein Trupp Soldaten unterstellt ist.
Dies hier war sein erster Feldeinsatz als Truppführer, wenn man die Patrouillen
der letzten Tage nicht mitrechnete.
Langsam erhob er sich aus seiner liegenden Position und sah zu seinem kleinen
Kundschaftertrupp. Allesamt sympathische Leute, die aber der militärische
Alltag hier in Spanien abgestumpft, demoralisiert und reizbar gemacht hatte.
Das würde sich wieder geben, sobald sie nur endlich von diesem öden
Garnisonsdienst abgezogen werden würden. Er gab ihnen das Zeichen um Vorrücken,
und sie schlenderten dicht gedrängt zu den verfallenen Häusern.
"Ich verstehe nicht, wieso ausgerechnet wir immer die Drecksarbeiten bekommen",
maulte hinter ihm Corporal Fernando Jimerez. "Lieutenant Blair hat schließlich
auch Kundschafter, wieso übernehmen die nicht mal zur Abwechslung die Sache?
Die haben doch den ganzen Tag sonst nichts zu tun, als auf ihren Beobachterposten
zu hocken und mal ab und zu einen Laut von sich zu geben, um zu zeigen, daß
sie nicht eingeschlafen sind."
"Ruhe da hinten! So redet man nicht über Vorgesetzte", herrschte
Rick ihn wenig überzeugend an. Im Grunde hatte er ja Recht. Er hätte
selber gerne diesen Posten gehabt, doch die hohen Tiere wollten ihren frischgebackenen
Offizier anscheinend erst einmal etwas rackern lassen. Hatte man es erst einmal
zum hohen Offizier geschafft - zum Rang eines Colonels oder höher -, waren
Beförderungen nur noch eine Frage der Politik, von Beziehungen und dem
möglichen oder tatsächlichen Austausch von Gefälligkeiten. Man
mutierte zum Schreibtischhengst und hatte genug mit Papierkram um die Ohren,
daß man sich kaum um seine Leute kümmern konnte. Und Rick Gunther
hatte nicht vor, zu so etwas zu werden, jedenfalls nicht in nächster Zeit.
Also nahm er die ihm zugewiesenen Aufträge stillschweigend an.
Sie waren auf dem Dorfplatz in der Mitte des Dorfes angekommen und sahen sich
um. Immer noch waren keine Anzeichen dafür zu entdecken, daß diese
Siedlung bewohnt sein könnte. In den Schatten der sich im Wind bewegenden
Blätter der Bäume entstand ein unscharfes Zwielicht, das dem Betrachter
Bewegungen vorgaukelte. Angespannt griff Rick an sein Medaillon, das er um seinen
Hals hängen hatte. Er trug diesen Anhänger schon so lange, daß
er weder wußte, wann es angefangen hatte, noch was dazu geführt hatte,
ihn als Glücksbringer zu sehen. Corporal Glenn Crough überprüfte
ein paar Türen, doch sie waren alle fest verriegelt. Crough blickte ihn
an und schüttelte den Kopf. Mit einem Seufzer setzte sich Rick auf die
Ziegelsteine eines eingestürzten Hauses. Damit hätten sie schon alles
abgeklappert, was dieses Dorf zu bieten hatte. Auch seine Leute entspannten
sich und suchten in den Schatten Schutz vor der Sonne.
"Ich denke mal, damit hat sich die Sache wohl erledigt", meinte Sergeant
Eddie Collins. "Wir waren jetzt hier und können wohl mit Fug und Recht
behaupten, daß hier absolut niemand ist, schon seit mindestens paar Monaten
nicht mehr."
Irgendwo quietschten Fensterläden, wie um seine Worte zu betonen. Rick
legte seine Waffe ab, um seine Schultern etwas zu dehnen. Als er wieder hochschaute,
sah er gerade noch, wie sich ein Gewehrlauf aus einem der Fenster schob, doch
bevor er reagieren und etwas ausrufen konnte, übertönte der Lärm
aus mehreren Waffen jedes Geräusch. Eine volle Salve erwischte Glenn Crough
und warf ihn gegen die Wand, an der er gelehnt hatte. Eddie Collins stand in
der Mitte des Platzes und wurde von den Kugeln, die aus allen Richtungen herabzuregnen
schienen, wie eine Marionette hin und her geworfen, bevor er schwer auf dem
Pflaster aufkam. Einige andere konnten noch das Feuer erwidern, bevor auch sie
das Schicksal ereilte. Um Rick Gunther herum war die Hölle ausgebrochen.
Von Zhizhou Fang
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