Kapitel 4 – Taktischer Rückzug
„Da
passen die Egos gerade mal in den Kofferraum...“
Die
Treppe erwies sich auf dem Weg nach Unten als eine fast schon
boshafte Herausforderung, denn Marks neue Pseudo-Verletzung schmerzte
bei jedem Schritt und die Ausrüstung, die ihm schon den Aufstieg
erschwert hatte, brachte ihn nun fast ständig aus dem
Gleichgewicht.
Irgendwann
würde er die 15 Kilo Körperpanzerung mal überdenken
müssen.
Im
Erdgeschoss begegneten Mark die ersten Polizisten; ohne
Geschwindigkeitsverlust schüttelte er die USPs aus den Ärmeln
seines Trenchcoats und verteilte Verwarnungen im Kaliber .45. Die
erste Salve fraß sich in die Bausubstanz, die zweite Salve ließ
sich zu einigen Streifschüssen hinreißen, die dritte Salve
zertrümmerte ein Fenster und öffnete damit Marks Fluchtweg.
Der Paladin hechtete durch den offenen Rahmen, mit einigen neuen
Verletzungen dank der Glassplitter; der Aufprall auf dem Boden wurde
durch eine geschickte Rolle abgefangen, und wenige Sekunden später
begrüßte Mark die zurück stürmenden Polizisten
mit weiteren Schüssen gegen die Eingangstür des gerade
verlassenen Gebäudes.
Wenn
man nicht nachladen muss, kann man einige wirklich coole Dinge
anstellen. Man könnte zum Beispiel ruhigen Schrittes rückwärts
weichen, während man mit seinen Pistolen Tür und Fenster
großzügig mit Sperrfeuer bedachte. Dann könnte man
ebenso lässig in den frisch geklauten Geländewagen
einsteigen, der wenige Sekunden vorher mit schreienden Reifen wenige
Meter weiter zum Stehen gekommen war. Der Fahrer würde die heiße
Schnecke sein, die man erst vor kurzem in Begleitung ihres alternden
Söldnerfreundes getroffen hatte. In der Hollywood-Version würden
dann die Reifen qualmen, und vermutlich gäbe es dann die Totale
über den gesamten Marktplatz, wo nach einigen Sekunden dann das
ironisch unversehrte Kunstwerk auf dem Springbrunnen in der Mitte
zerbröckeln würde.
Das
war jedenfalls die Geschichte, die Mark wenige Minuten später Az
erzählen würde.
Soviel
ist sicher: Mark saß auf der Rückbank des Geländewagens,
während dieser jeden Pflasterstein als Mini-Rampe verarbeitete;
so wurde Mark erst nach einigen Sekunden klar, dass er den Typen
links neben sich nicht kannte.
„Ich
bin Frank,“ sagte der Typ.
„Ich
nicht,“ erwiderte Mark; Dieter fühlte sich dazu berufen,
die Konversation weiter zu tragen.
„Frank
hat sich dazu bereit erklärt, uns Fredo auszuliefern.“
„Ausliefern
ist das falsche Wort. Ich lege nur keinen gesteigerten Wert darauf,
gekillt zu werden.“
„Was
denn, was denn?“ Dieter lächelte; Mark blickte auf die vom
Nikotin getönten Zähne und schauderte innerlich. „Gibst
du etwa zu, dass ich dich besiegt habe?“
„Ja,
und morgen konvertiere ich zum Buddhismus. Weißt du eigentlich,
wen du hier in der Karre hast?“
„Nein,
ich nehme ständig schwer bewaffnete Anhalter mit. Das ist Mark.“
„Simmons,“
sagte Frank.
„Live
und in Farbe,“ erwiderte Mark.
„Vor
dir hab ich keine Angst, Niederburger, du bist berechenbar. Aber
Simmons...“
„Ja
ja, du kennst meinen Nachnamen. Komm zum Punkt.“
„Also,
du, Niederburger, Fiona, und, wie ich stark annehme, noch mehr Typen
von eurem Kaliber?“
„Von
seinem Kaliber,“ sagte Dieter, und Mark war sich nicht ganz
sicher, ob das eine Beleidigung sein sollte.
Frank
seufzte resigniert.
„Auf
jeden Fall wird mir die Nummer zu heiß. Nichts für ungut,
Dieter. Wir werden uns wiedersehen, aber da ihr meinen Arbeitgeber
vaporisieren wollt, steh ich euch da nicht gerne im Weg. Da ich so
ein scheissnetter Typ bin, sage ich euch gleich mal, dass ihr heute
Abend so gegen 10 in den Petersdom kommen solltet.“
„Ja
klar. Fredo kommt einfach so da rein?“
„Da
lässt sich schon was drehen, wenn man mit dem Vatikan Geschäfte
macht.“
„Also,
wenn ich das richtig verstehe,“ fing Mark an, „bedeutet
das, dass wir demnächst ein Stück Weltkulturerbe
auseinander nehmen.“
Dieter
nickte.
„Und
das wir nichts mehr zu bereden haben,“ fügte Dieter hinzu.
Fiona brachte das Auto auf einer kleinen Brücke zum Stehen; Mark
öffnete die Tür auf seiner Seite, dann packte er einen
verdutzten Frank am Kragen und warf ihn mit einer flüssigen
Bewegung ins Wasser. Die Reifen qualmten schon wieder, dann war der
Geländewagen endgültig verschwunden.
„Eigentlich
wollte ich ihn aussteigen lassen,“ sagte Fiona. Mark grinste.
„Zur
Straße hin? Willst du ihn umbringen?“
„Jetzt
mal Ruhe, Kinder,“ warf Dieter ein. „Wir müssen
erstmal wieder nachladen und den nächsten Schritt planen. Deine
Knarre hab ich übrigens in den Kofferraum geworfen.“
„Besten
Dank, Kleiner.“
„Du
könntest mir ja zum Ausgleich erklären, warum du deine
kleinen Bleischlucker nie nachlädst.“
Mark
lächelte nervös.
„Wie
kommst du denn darauf?“
„Hör
mal, du hast gerade ne halbe Minute lang Scheiße in das Gebäude
gepumpt. Entweder hast du ein M60 in der Hose, oder die Gesetze der
Physik nehmen es bei dir nicht so genau. Wenn ich da an den
Lichtblitz denke – und glaub mir, der war nicht zu übersehen
-, dann tendiere ich eher zu Tor Nummer 2. Du bist ein Meta, oder?“
„...ja.“
„Okay.“
„Okay?“
„Ich
hab nichts gegen Metas. Wäre bloß schön, wenn du mir
mal erzählen könntest, was du sonst noch in der Trickkiste
hast.“
„Damit
du den Angriff besser planen kannst? Oder damit du weißt, wie
man mich am besten abknallt?“
„Bissl
von Beidem, aber momentan hauptsächlich Ersteres. Ich will hier
bloß kein Las Vegas.“
„Äh,
ja. Klar.“
Natürlich
war für Mark nichts klar, aber er verschob diese Diskussion
erstmal weiter in die Zukunft. Las Vegas? Hatte der Schweizer Angst
vor legalisiertem Glücksspiel?
„Und
was ist eigentlich mit dem Heckenschützen passiert? Erzähl
mir nicht, dass der dich fertig gemacht hat.“
Der Typ
legt es echt drauf an...
„War
auch ein Meta. Ist einfach vom Dach runter gesprungen und dann ab in
die nächste Gasse.“
Mark
überdachte diese Aussage kurz. Er hätte Dieter auch sagen
können, dass er gerade von einem Dämon abgeledert wurde.
Das hatte jedoch einige Nachteile, von denen Mark spontan drei
einfielen:
Solange er sich nicht absolut sicher war, auf welcher
Seite Dieter stand, wollte er sich nicht in die Karten gucken
lassen.
Die Erklärung, gegen Dämonen zu kämpfen,
würde bestenfalls ein abfälliges Lächeln und
schlimmstenfalls einen Dauerurlaub in der Klapse provozieren.
War der Typ überhaupt ein Dämon? Die Typen
trugen ja nun nicht gerade Clubausweise...
Irgendwie
überkam Mark der Drang, diese Erkenntnisse vor einem größeren
Publikum vorzutragen und für seine überdurchschnittliche
kognitive Leistung den verdienten Applaus zu sammeln. Das musste eine
dieser fiesen Nebenwirkungen sein, wenn man in Gruppen arbeitete; als
nächstes würde er wohl noch eine Krawatte tragen und zum
wöchentlichen Meeting gehen.
Oder
er könnte es Az erzählen; das traf sich dahingehend gut,
dass Marks Gedankenblitz die Minuten zwischen Marktplatz und sicherem
Haus überbrückt hatte. Der Engel sah nicht gerade besonders
glücklich aus.
Mark
hatte das dumpfe Gefühl, dass Azuriels schlechter Tag gerade
erst anfing...
Von Gatac
|