Kapitel 2 - Feuertaufe
„Im
Zweifelsfall – Sperrfeuer.“
Zwischen
den drei Kriegern breitete sich eine Art unbewusstes Verständnis
aus, dass man in kurzer Zeit ohne jedwede Diskriminerung seitens der
Autogangster durchlöchert werden würde; man kannte sich
nicht, aber es lag im allgemeinen Interesse, diesem Ereignis durch
eine intensive Bleikur vorzubeugen. Jeder bereitete sich auf seine
eigene Art auf dieses Ereignis vor: Dieter befreite seine zwei
Berettas aus ihren Schulterholstern und kontrollierte noch kurz den
richtigen Sitz der Lederriemen mit den Ersatzmagazinen; Mark griff
unter seinen Mantel und beförderte die CAWS ans Tageslicht;
Calvin stand einfach nur da und wartete darauf, dass sich ein Ziel in
Reichweite seines Metzelpotentials bewegte.
Dann kamen
Sie. Atemberaubend.
Hinter
Dieter stürmten Fiona und die zwei (Haar-)Lackaffen aus dem
Restaurant, während der Audi zum Stillstand kam und sich ein
Anzugträger mit MP5K durch das Sonnendach zwängte.
Innerhalb von Sekunden sauste ein Tornado aus 9mm-Geschossen durch
die Gasse; der Gangster bedachte die gesamte Restaurantfront mit
Sperrfeuer, während Dieter, Fiona, Rocco und Pauli Ähnliches
mit dem Audi versuchten. Das Auto verlor innerhalb weniger Sekunden
zwei Reifen, aber die Karosserie widerstand hartnäckig jedem
Versuch einer Penetrierung.
Aus dem
Sonnendach des Audis erhob sich ein Weichziel in Nadelstreifen mit
MP5K und begann damit, das Feuer zu erwidern; Rocko und Pauli küssten
den Boden durch Bleivergiftung, Dieter rettete sich durch einen
Hechtsprung zur Seite, Calvin zog sein Schwert, und irgendetwas
veranlasste Mark dazu, sich zu ducken. Auf der Strasse hatte sich die
Situation vollends gegen die Fußgänger gewandt; Dieter
tänzelte durchs Feuer, aber er hatte keine Zeit, einen der
Schützen gezielt aufs Korn zu nehmen. Wenige Meter neben ihm
hockte Fiona hinter einer Steinmauer und lud ihre Pistole nach; unter
Rücksichtnahme auf Dieters Situation griff sie nach einem
zweiten Magazin und warf es in Dieters Richtung.
„Panzerbrechend!“
Innerhalb
von Sekundenbruchteilen warfen Dieter’s Berettas ihre Magazine
aus; der Söldner wirbelte durch einen Feuerstoß und drehte
sich in Position, fing dann in völliger Verachtung jedweder
Unangebrachtheit solch eines Kunststückes das zugeworfene
Magazin mit seiner rechten Pistole und führte die Waffen hinter
seinem Rücken zusammen, während er weiter rotierte und sich
so weit runterduckte, dass er schon fast den Boden schmecken konnte.
Endlich kollidierten die zwei Pistolen hinter seinem Rücken zum
Zwecke des Magazineinrastens, und vom Feind abgewandt feuerte er
blindlings in den Audi, was den MP5K-Schützen und seine Freunde
kurzzeitig verstummen ließ.
Die ganze
Aktion hatte nur zwei Sekunden gedauert und wäre wohl auf ewige
Zeiten der ultimative Maßstab für ungalubliche
Geschicklichkeit gewesen, wenn denn nur jemand die Zeit gehabt hätte,
sie ausreichend zu bewundern. Der Sonnendachschütze tauchte kurz
danach wieder auf, mit neuem Magazin und einer schön blutenden
Schulterwunde; Dieter hatte die Zeit genutzt, in Deckung zu gehen und
richtig nachzuladen, und jetzt war Calvin am Zug. Er rannte quer am
Auto vorbei, den Kugeln immer einen Schritt voraus; als er
schließlich an Mark vorbeiraste, hockte dieser schon mit
glühenden Augen und einem neuen alten Trick in Bereitschaft.
„Fiat
Lux!“
Den
Schützen erwischte es am Schlimmsten, weil er direkt in Marks
Richtung geschaut hatte; Calvin konnte auch nicht mehr so richtig
klar sehen, aber er wusste genau, wo sein Ziel war. Mit einem Satz
berührte sein rechter Fuß eine Wand, und er stieß
sich ab, vollführte einen Salto rückwärts direkt über
den Feuerkegel des wild ballernden Sonnendachbewohners, landete auf
der Motorhaube des Audis und bedachte seine Umgebung mit zwei guten
Hieben, wodurch der Schütze unfreiwillig von der
Maschinenpistole (und einiger Finger) befreit wurde. Im Sinne der
fortschreitenden Demütigung stieß er sich wieder ab und
landete rollend neben dem Fahrzeug; mit einem Stich durchlöcherte
er den Fahrzeugtank und machte sich dann schleunigst daran, Deckung
zu suchen.
Dieter
verließ seine Deckung mit frischer Munition und kaum
verminderter Aggression; selbst die normalen 9mm-Geschosse
hinterließen langsam ihre Spuren an dem Audi, und an den
kugelresistenten Fenster blühten rote Rosen und Spinnennetze.
Als ihm erneut die Munition ausging, war der Kampf im Wesentlichen
gelaufen; der Audi stand nur noch quer auf der Straße, und aus
dem Inneren sprudelte das Stöhnen der noch verbliebenen
Insassen. Calvin und Mark gesellten sich hinzu, während sich
Dieter eine neue Zigarette ansteckte und das Feuerzeug in ein Rinnsal
von Benzin zu seinen Füßen warf.
„Arrivederci.“
Die
folgende Explosion belohnte die Mühen der Krieger.
Der
Söldner warf einen Blick auf Calvin und Mark, die langsam auf
ihn zukamen; in der Distanz schallten die Sirenen von Carabinieri und
Krankenwagen.
„Wollt
ihr was von Fredo?“
„Ja,“
sprach Calvin.
„Jep,“
fügte Mark hinzu.
„Darüber
sollten wir beim Essen reden.“
Mit Fionas
Hilfe gestaltete sich die Beschaffung eines Fluchtfahrzeuges als
relativ unkompliziert; in einem geräumigen Viertürer
bemühte man sich, schnell und unauffällig vom Schlachtfeld
zu entfernen. Mit Fiona am Steuer herrschte eisige Stille im Auto;
Mark lehnte sich in den Rücksitz, verausgabt von der Anstrengung
der Lichtprojektion, und da sich die gesamte Gruppendynamik innerhalb
der letzten zehn Minuten ergeben hatte, war die Spannung auf
Rekordniveau. Andererseits hatte jeder Anwesende seine Tödlichkeit
bereits unter Beweis gestellt – naja, bis auf Mark, aber der
hatte immerhin eine automatische Schrotflinte und sah nicht gerade
wie ein Klavierlehrer aus. Natürlich konnte sich diese absurde
Situation nur kurzfristig halten, bis jemand dann die Stille
durchbrach – Fiona, in diesem Fall.
„Wo
soll ich euch hinfahren?“
Dieter
durchlief ein Achselzucken.
„Ein
sicheres Haus.“
„Wir
haben kein sicheres Haus für die Operation. Heute noch nicht,
jedenfalls.“
„Warum
nicht?“
„Weil
du normalerweise ein paar Stunden brauchst, bevor Leute in die Luft
fliegen!“
„Das
war ja nun wirklich nicht meine Schuld.“
Calvin
schmunzelte auf dem Rücksitz vor sich hin.
„Sagt
der Typ, der das Feuerzeug reingeworfen hat.“
„Nun
mal zu euch zwei Beiden. Wer zur Hölle seid ihr eigentlich?“
„Was
geht dich das an, Opa?“
„Vielleicht
solltest du dir die Sprüche sparen, bis du deinen Stimmbruch
kriegst.“
Mark
grummelte etwas und lehnte seinen Kopf nach hinten, denn auf die
Erschöpfung folgten Kopfschmerzen.
„Wie
wäre es es denn, wenn ihr alle mal die Schnauze halten würdet?“
Dieters
Blick wandte sich von Calvin ab und fokussierte seinen gesamten
Missmut in Marks Richtung.
„Wusste
gar nicht, dass die US-Regierung militärische Prototypen an
Obdachlose verschenkt.“
„Ziemlich
unpassende Bemerkung, zumal ich hier anscheinend der Einzige bin, der
ein sicheres Haus organisiert hat.“
„Wo?“
„Keine
Ahnung.“
„Super
organisiert.“
„Ich
lasse organisieren. Und wenn du jetzt endlich mal das Maul zukriegst,
dann mache ich einen Anruf und wir sind alle im grünen Bereich.“
„Hoffentlich
hat deine Pappkiste Zentralheizung.“
Eine halbe
Stunde (angefüllt mit fragwürdigen Fahrleistungen und
weniger produktiven Diskussionen) verging, bevor der Wagen endlich
anhielt und man sich vor einem kleinem zweistöckigen Haus
außerhalb der italienischen Hauptstadt wiederfand. Azuriel –
gekleidet in einen neuen Anzug, aber mit Hawaiihemd unter der Jacke –
betrachtete die Gruppe von der Eingangstreppe, dann näherte er
sich dem Auto und steuerte auf Mark zu.
„Du
hast nicht zufällig was mit dem Feuergefecht in der Innenstadt
zu tun?“
„Nun
ja...“
„Und
diese Typen hier?“
„Also...“
„Und
die Waffen, die die dabei hattest, liegen jetzt in einem Hotelzimmer,
an das wir zunächst nicht heran kommen?“
Mark
sammelte seine Kräfte und nickte; Azuriel ließ seinen
Blick noch einmal über die Gruppe streifen und nickte dann
zurück.
„Ich
hab uns was zum Mittagessen bestellt.“
Als Mark
das Haus betrat und einen ganzen Tisch voller Pappschachteln vor sich
sah, wurde ihm klar, das Azuriel seine Nachricht betreffend einiger
zusätzlicher Personen als den Hilferuf eines Mannes auf der
Flucht vor einer hungrigen Fussballmannschaft interpretiert hatte.
Das machte ihm soweit nichts aus; allerdings stellte sich nach kurzer
Inspektion heraus, dass keine der Schachteln Pizza, Spaghetti oder
irgendwelche anderen auch nur halbwegs italienisch anmutenden Speisen
enthielt.
„Was
ist das?“
„Vietnamesisch.“
„Hör
mal, Az, wir sind hier in Italien. Erzähl mir nicht, dass es
hier keinen Lieferdienst für Pizza gibt.“
„Geben
tut es den schon.“
„Aber?“
„Ich
hab lange nicht mehr Vietnamesisch gegessen.“
An diesem
Punkt der Diskussion mischte sich Dieter ein.
„Ist
die Pho gut?“
Az zuckte
die Schultern.
„Keine
Ahnung, erstmal blind bestellt.“
„Gibt
nur einen Weg, das herauszufinden. Fiona?“
„Bin
direkt hinter dir.“
Während
sich die beiden Söldner an Mark vorbeigingen, blickte dieser
hoffnungsvoll zu Calvin; dieser setzte lediglich einen
abenteuerlustigen Blick auf.
„Ist
auch was zu Essen.“
Mark blieb
nur noch der Ausweg, sich kopfschüttelnd abzuwenden.
„Wieso
treffe ich immer die interessanten Leute?“
„Kommst
du jetzt?“
„Ja,
ja.“
Eigentlich
war es gar nicht so schlecht, wie Mark vermutet hatte; ihm kam zwar
mehrmals der Gedanke, ob er mit ausreichend hoher Sicherheit den
Geschmack von Hundefleisch erkennen und rechtzeitig aus seinem Mund
tilgen könne, aber trotz intensiver Geistesarbeit auf diesem
Gebiet kam er zu keinem eindeutigen Ergebnis, und für eine
zweite Messreihe war dann erstaunlicherweise kein Testmaterial mehr
übrig. Dies wurde ihm dadurch bewusst, dass sämtliche
Augenpaare zu Tisch auf ihn gerichtet waren.
„Schmeckt
gut.“
Fiona
verdrehte die Augen. Mark lächelte verschmitzt und überlegte
krampfhaft, wie er die neue Situation anpacken könnte.
„Also,
äh, ich hoffe es hat euch geschmeckt, sich auf meine Kosten
durchzufüttern. Ich bin Mark, das ist Az. Wer seid ihr?“
Dieter
hörte kurzzeitig damit auf, die verschiedenen leeren
Verpackungen ineinander zu stapeln und wandte sich an das Publikum.
„Mich
interessiert ja eher, warum ihr hier seid und was ihr von Fredo
wollt.“
Nach einem
kurzen Blick durch die Runde zog er eine Augenbraue hoch und lehnte
sich in seinen Stuhl zurück.
„Ist
jemand hier, um Fredo einzukassieren?“
Fünf
Hände erhoben sich.
„Das
dachte ihr mir doch. Also, legen wir die Karten auf den Tisch. Ich
bin Dieter, das ist Fiona, und wir wollen unserem Prachtburschen ein
paar Fragen stellen. Einwände? Keine? Gut. Ihr seid am Zug.“
Mark
zuckte die Schultern.
„Ich
hab auch nur ein paar Fragen. Calvin?“
„Ist
mir scheissegal, solange ihr ihn nicht umlegt.“
„Dann
ist ja alles geklärt.“
Calvin
ließ seinen Blick auf Az streifen.
„Ich
schlage vor, dass wir uns dem nächsten Problem widmen.“
Der
abgebrochene Killer hatte einige Minuten lang versucht, sich aus
seinen Fesseln zu befreien, aber im Dunkeln war dabei kein Blumentopf
zu gewinnen, und ohne Messer erwies sich das Paketklebeband um seine
Hand- und Fußgelenke als unüberwindbares Hindernis.
Außerdem war alles ziemlich eng um ihn herum, und die Luft
wurde langsam stickig. Nicht gerade der beste Weg, dieses Leben zu
verlassen.
Dann
öffnete Dieter den Kofferraum, und alles wurde innerhalb weniger
Minuten noch viel schlimmer.
Der
Söldner durchquerte das Wohnzimmer des Hauses mit der laut
fluchenden Sparversion über der Schulter und beäugte Az
misstrauisch, während dieser am Telefon saß und eine
handschriftliche Liste mit Waffenanforderungen durchgab; schließlich
bereitete er sowohl der Last als auch dem Gemecker ein Ende, indem er
den Kleinen zu Boden fallen ließ. Während dieser noch
stöhnend den Sturz verdaute, näherte sich Mark mit
gezogenem Messer. Das Telefongespräch im Hintergrund wurde zu
diesem Anlass kurz unterbrochen, was sich als
„...Parabellum
Vollmantel...hey, kein Blut auf den Teppich!“
niederschlug.
Im
Interesse der Diskretion sei nur so viel gesagt: Der Abfluss im
Keller erwies sich als ungemein praktisch, und man fand mit
ausreichender Sicherheit heraus, dass der Typ nichts Wichtiges über
Fredo wusste.
In einem
Straßencafe saßen zwei Männer und hielten eine
angeregte Unterhaltung. Einer war etwas jünger, mit einer
kuriosen doppelten Fremdsprachenkombination: Als er den Kellner
anbrüllte, schwang etwas amerikanische Stillosigkeit in seinem
Italienisch; als er dann mit seinem Partner fortsetzte, hatte sein
Englisch wiederum einen italienischen Akzent. Dieser antwortet mit
typischem New Yorker Akzent und schien der ganzen Situation etwas
komisches abzugewinnen.
„Wir
sitzen in der Scheisse, Frank.“
Der ruhige
Typ zuckte mit den Schultern. Frank Napoliano ließ sich nicht
so einfach aus dem Konzept bringen.
„Paulo
konnte eh nicht kochen, Boss.“
„Wer
redet denn von der fetten Sau? Da waren diese Typen, und die haben
einen ganzen Trupp unserer Männer auslöscht. Einer von der
Wichsern hatte sogar ein Schwert! Du sitzt hier und schlürfst
Kaffee, während deine Männer – die ich bezahle –
von ein paar Psychos abgeschlachtet werden.“
„Den
Typen mit dem Schwert hab ich verfolgen lassen. Das war Calvin
Mayhew.“
„Wer?“
„Macht
Gelegenheitsjobs für deinen Vater.“
„Und
wo ist er jetzt?“
„Keine
Ahnung. Die haben die Bullen abgehängt.“
„Und
dein Mann?“
„Wir
haben vor ein paar Stunden den Kontakt...hey, da ist er ja.“
Der Zwerg
wanderte über die Straße auf Frank zu, leicht schlürfend
und ohne jeden Funken an komplexe Gedanken; er sah aus, als hätte
ihn die Hölle ein paar Stunden durchgelutscht und wieder
ausgespuckt. In bester Zombiemanier näherte er sich weiter und
blieb dann vor Frank stehen. Dieser beäugte seinen Mann
kritisch, sah einen Zettel an dessen Brust haften und riss diesen ab.
„Was
steht da?“
„Netter
Versuch.“
Als Frank
den Zettel senkte, bemerkte er einen Kontakt an der Rückseite
des Selbigen; an der Brust des Abgebrochenen hingen nun zwei
voneinander isolierte Drähte.
Frank
schaffte es, Fredo mitzuzerren und sich zehn Meter weiter auf den
Boden zu werfen, bevor eine kleine Explosion die Veranda des Cafes
verwüstete. Mit staubigem Gesicht und einem schreienden Fredo
neben ihm drehte sich Frank Napoliano um und beäugte missmutig
das Chaos hinter ihm.
„Niederburger...“
Von Gatac
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