Teil 8 - Familientreffen
"Ein Plan ist eine Liste von Ereignissen, die nicht eintreffen."
Etwa zur gleichen Zeit hatte Mark sein Ego wieder soweit unter Kontrolle, das
er mit dem Grinsen aufhören und dem Einritzen der Schutzrunen beginnen
konnte. Oder besser, den Entschluss dazu fassen konnte, denn sehr viel weiter
kam er nicht. Ein Luftzug hinter ihm soufflierte ein schnelles Ausweichmanöver
- und exakt dies führte Mark ohne größeres Nachdenken sofort
aus, zu seinem Glück. So spürte er nur einen leichte Berührung
auf seinem Rücken; seine Ohren vernahmen das Geräusch von schwerem
Stoff, der mit einem Skalpell durchschnitten wird. Die Ausweichbewegung - im
wesentlichen ein Hechtsprung nach vorne, obwohl Mark es wohl als etwas sehr
viel komplizierteres dargestellt hätte - brachte Mark zwar nicht in eine
unbedingt glückliche Lage, schaffte jedoch Distanz zwischen ihm und dem
unbekannten Angreifer. Mit einer Reihe weiterer unglaublich gekonnter Bewegungen
bewegte sich Mark auf sein immer noch im Fels steckendes Schwert zu, jedoch
auf einem Kurs, der bestenfalls zufällig und wahrscheinlich einfach schlecht
geplant war.
Auf jeden Fall hätte seine Show auf einen Beobachter unglaublich komisch
gewirkt.
Mit gekonnter Ignoranz vor den Regeln der Physik schaffte es Mark tatsächlich,
das Schwert aus seinem kalten Verlies zu befreien und sich dem Angreifer zuzuwenden.
Was er jedoch sah, erschütterte Mark zutiefst. (Obwohl er das natürlich
auch abgestritten hätte.) Ein paar Meter von ihm entfernt stand Ka-Zur,
bis auf zwei Schnittwunden am Torso und ein fieses Lächeln unverletzt.
Erst jetzt konnte Mark erkenne, wie der Dämon überhaupt aussah. Schuppig-dunkelgrüne
Haut, grotesk lange Gliedmaßen und Finger, die in sichelartigen Klauen
endeten. Dazu ein Kopf in der Art einer Ameise, nur halt sehr viel größer,
fieser und mit unproportional vergrößerten Mundwerkzeugen.
Alles in allem also niemand für eine sonnabendliche Skatrunde.
Er überprüfte seine Optionen. Die CAWS lag irgendwo am anderen Ende
der Höhle und schied damit aus. Im Brusthohlster steckte die Desert Eagle,
perfekt gesichert und noch nicht einmal geladen - also ebenfalls keine Option.
Das Kampfmesser im Stiefel - nun ja, das hatte Mark bisher nur zusätzliches
Gewicht gebracht, aber war nie zum Einsatz gekommen. Blieb also nur noch der
durchgeladene Colt in der Tasche seines Mantels und das Schwert in seinen Händen,
dessen kristallene Klinge einen kühl-heiligen blauen Schein auf die Szenerie
warf. Jedenfalls bis zu diesem Augenblick - dann begann die Klinge zu flackern,
was sowohl den Dämon als auch Mark für einen Moment verwirrte beziehungsweise
erschreckte. Marks Hang zu Impulshandlungen brachte hier einen entscheidenden
Zeitvorteil, genug Zeit, um die Klinge kurz tanzen zu lassen und das Schwert
dann in Richtung Dämon zu schleudern. Die Kristallschneide teilte die schuppige
Haut des Dämons und durchbohrte seine rechte Schulter - ohne allerdings
sonderlich davon beeindruckt zu sein, zog dieser das Schwert aus der Wunde und
warf es zur Seite.
Also nur noch der Colt.
Wieder war Mark schneller - ob er allerdings sehr schnell oder Ka-Zur einfach
nur sehr langsam war, entzog sich dem Beobachter, wäre jemand anwesend
gewesen. Auf jeden Fall hatte Mark den Colt gezogen und gezielt, bevor Ka-Zur
damit fertig war, das Schwert zur Seite zu werfen und verärgert auszusehen.
Mark feuerte, ein, zwei, drei Mal, dann zielte er auf Ka-Zurs Kopf und feuerte
weiter. Der Schlitten des Colts bewegte sich nach jedem Schuss erst blitzartig
zurück, dann wie in Zeitlupe wieder zurück in die Ausgangsstellung.
Patronenhülsen fielen zu Boden, unnatürlich langsam, und klingelten
hell und verspielt, weiches Messing auf hartem Granitboden. Auf einmal bewegte
sich der Schlitten noch einmal zurück, noch einmal verließ eine Kugel
mit Stahlmantel den Lauf und verirrte sich zum Kopf von Ka-Zur; doch dieses
Mal blieb der Schlitten hinten, dieses Mal bewegte er sich nicht weiter nach
hinten, und es ertönte das Geräusch, das jedem professionellen Söldner
und Attentäter in solchen Situationen ein Grausen über den Rücken
jagen würde.
Das Geräusch eines Hammers, der auf eine leere Kammer fällt. Oder,
einfacher ausgedrückt, das Geräusch eines leeren Magazins.
Allerdings schien das Mark weniger zu überraschen als sein Ziel; während
Ka-Zur immer noch mit dem Verständnis dieser technologisch fortschrittlichen
Waffen kämpfte, griff Mark schon routiniert in seine Tasche und griff nach
einem weiterem Magazin; seine rechte Hand betätigte die Magazinsperre an
der Waffe und lies den leeren Stahlquader in den freien Fall übergehen.
Das Magazin landete klirrend auf dem Boden. Die Waffe zielte immer noch auf
Ka-Zur, der nicht ganz begriff, warum er auf einmal nicht mehr angegriffen wurde.
Marks rechte Hand umklammerte den Colt. Marks linke Hand durchsuchte immer noch
die Manteltasche; auf einmal stieß sie auf ein Magazin und riss es heraus.
Marks linker Daumen fühlte die Öffnung oben am Magazin. Und allein
sie. Keine Kugel, keine Munition befand sich in diesem Behälter. Offenbar
hatte Mark in seiner allumfassenden Nachlässigkeit vergessen, nach dem
letzten Einsatz nachzuladen.
Marks Lippen formten ein leises "SHIT !"
Im darauf folgenden Moment passierten mehrer Dinge gleichzeitig. Der Colt wurde
zur Seite geworfen und schepperte gegen den Fels. Ka-Zur begriff langsam, das
ihm von Mark keine Gefahr mehr drohte - oder vielleicht hatte er auch einfach
das Warten satt - und stürmte auf Mark zu. Kleine Steine bröckelten
von der Decke ab und zerstellten auf dem Boden. Nicht, das es einen Unterschied
gemacht hätte für das Kampfgeschehen, es passierte nur einfach in
diesem Augenblick. Während Mark also versuchte, den Angriff eines mit Krallen
besetzten, wild um sich schlagenden so gut wie möglich abzufangen und Ka-Zur
einfach nur wild um sich langte, bemerkte keiner von beiden den in einem grauen,
recht konservativen Anzug gekleideten Afroamerikaner mittleren Alters, der sich
ohne größeres Aufhebens zu machen an einem Ausgang der Höhle
postiert hatte. Dieser rückte seine Sonnenbrille zurecht, zupfte seine
Anzugjacke gerade und räusperte sich dann lautstark.
Dies überraschte Mark so sehr, das er sich sofort auf den Boden fallen
lies, und Ka-Zur so sehr, das er sich zu dem ordentlich gekleideten Herrn umschaute
und damit direkt gegen die nächste Felswand schmetterte.
Mark machte keine großen Anstalten, sich um den ordentlich gekleideten
Besucher zu kümmern; er raffte sich schleunigst auf und sprintete zu seinem
Schwert, dessen Klinge inzwischen sogar noch heftiger blinkte. Mit einem Satz
hatte er das Schwert in der Hand, sich an der dahinterliegenden Felswand abgestoßen
und sprintete wieder zu Ka-Zur zurück. Dieser richtete sich mühsam
auf...die Waffen des Sterblichen hatten ihn zwar nicht wirklich verletzt - bis
auf dieses verfluchte Schwert - aber trotzdem war er erschöpft, sehr müde,
und generell gingen ihm die ganzen lächerlichen Sterbliche langsam aber
sicher auf die Nerven. Als er halbwegs wieder zu sich kam, sah er etwas Schwarzes
vor sich. Er blickte weiter nach oben.
Das letzte, was Ka-Zur in seiner Existenz in dieser Welt sah, war Marks Gesicht
und das Schwert, an dem grünes Blut haftete.
Mark atmete durch, während das Schwert zu seiner linken Seite langsam
wieder zur Ruhe kam. Vor ihm stand die enthauptete Leiche des Dämons, noch
aufrecht gehalten von Muskelkrämpfen. So wie die Leiche langsam zur Seite
kippte, so sank auch er langsam auf seine Knie; die heilige Klinge berührte
den harten Boden, und Mark stützte sich auf das Schwert, so als hätte
er gerade eine phänomenale Leistung erbracht. In Wirklichkeit hatte ihn
der gesamte Kampf zu stark angestrengt, aber das Adrenalin hatte ihn angetrieben,
immer wieder neue Kräfte mobilisiert. Aber nun war das Ende der Fahnenstange
erreicht. Ohne eine ausführliche Rast würde Mark keinen Dämon
mehr bekämpfen können.
Langsam und bedächtig drehte er sich nach dem Fremden um; mit müden
Augen fokussierte er diesen und sammelte noch etwas Kraft. Dann, nach zwei langen
Sekunden, richtete Mark sich auf und öffnete den Mund, um zu sprechen.
"Sparen sie sich die Mühe, Mr. Simmons. Sie kommen jetzt mit mir
mit, nachdem sie mir ihre Waffen ausgehändigt haben."
"Wer sagt das ? FBI ? NSA ?"
"Werfen sie ihre Waffe weg und kommen sie mit, oder sie werden sich wünschen,
das ich vom FBI oder der NSA wäre. Kommen sie, ihre Freundin wartet schon
auf sie."
Halb aus Überraschung, halb aus Erschöpfung ließ Mark das Schwert
zu Boden fallen. Dann zog er die Desert Eagle aus dem Hohlster und ließ
sie dem Schwert folgen. Langsam, aber unaufhaltsam bewegte er sich auf einen
Ausgang zu. Der Fremde hatte inzwischen Marks Waffen an sich genommen und addierte
die nun geladene Eagle zu seiner Argumentation. Mit einem siegessicheren Lächeln
und vorgehaltener Waffe folgte er Mark nach Draußen.
Ein Schatten schlich am Siegel vorbei; Rauch steig vom blanken Fels auf. Der
Schatten war im Augenblick danach wieder verschwunden, einziger Beweis seiner
Existenz waren die noch glühenden Magmalinien am Siegel, die die Form von
Schutzrunen annahmen.
Von Gatac
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