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Blutdiamanten
1-->2-->[3]

Blutzoll

"The value of the diamond is what any fool will pay for it"
Anonymer Diamanterhändler aus Antwerpen


Antwerpen
Auf dem Kontinent machte sich ein Mann gerade große Sorgen um seine Pflichterfüllung. Er hatte seinen Arbeitsplatz verlassen ohne dies - wie sonst eigentlich üblich - mindestens drei Tage im Voraus anzukündigen. Barlmoro hatte das immer pflichtbewusst getan. Nun brach in seiner Abwesenheit wahrscheinlich gerade das Chaos im Büro aus. Würde die Sekretärin wirklich alle Instruktionen befolgen? War diese Frau dazu überhaupt in der Lage? Wie würde sie damit Umgehen, wenn plötzlich irgendeiner der B&HMP Söldner mit einer Kugel im Bein und der Polizei auf den Fersen in die Zentrale platzte! Es konnte ja wirklich alles passieren. Scheiße. Die Russen wollten ja diese Wochen anrufen! Die würden wütend sein, wenn sie in seinem Büro nur den Anrufbeantworter antrafen.
"Haben sich noch einen Wunsch Monsieur?" Der Ober weckte Barlmoro aus seinen Gedanken.
"Nein danke. Ich möchte jetzt gerne zahlen."
Zwei Minuten später kam der Kellner des Straßencafes mit der Rechnung zurück und holte sich noch sein Trinkgeld ab, bevor Barlmoro seinen Mantel von der Garderobe nahm und wieder auf die Straße trat.
Es war noch nicht dunkel genug.
Barlmoro, wie immer gut gekleidet, schlenderte weiter durch die Gassen, sah in Schaufenster und spuckte, als keiner hinsah, seinen Kaugummi in einen Kanal. Zwei Stunden schlug er so die Zeit tot und gegen acht wurde es endlich langsam finster. Bald würde das Gesocks heraus kommen.
In einem chinesischen Restaurant aß Barl zu Abend und verließ es gesättigt um kurz vor elf.
Er lief die Straße hinunter bis er an einen Taxistand kam. Barlmoro stieg ein und nannte kurz auf Französisch sein Ziel. Schipperstraat.
Er ließ den Wagen halten und entrichtete seinen Obolus. Die Straßenlaternen waren gerade erst eingeschaltet worden. Eine Gruppe von kräftigen Männern, höchstwahrscheinlich Matrosen, schlenderte gemächlichen Schritts vorbei. Barl zögerte nicht lange und folgte ihnen. Die Kerle, die grobe Scherze auf Russisch rissen, blieben vor dem ersten beleuchteten Schaufenster stehen. Barl schälte sich zwischen ihnen durch und warf einen kurzen Blick auf das Fenster. Eine junge Asiatin, die aus einem knappen Slip und Büstenhalter quoll, räkelte sich auf einem roten Plüschsessel und gewährte den Seemännern aus dem sibirischen Nordmeer einen Einblick in das tiefe Tal zwischen ihren Busen.
Barl war mitten im Rotlichtviertel. Er sog den Duft von Dreck ein, der seine Nase umspielte. Ein junger Mann bemerkte sofort, dass er stehen geblieben war und trat verschwörerisch an seine Seite.
"Ich sehe Ihnen an, dass Sie ein außergewöhnliches, exotisches und extasisches Abenteuer mit einer rassigen Schönheit erleben wollen. Folgen Sie mir einfach. Ich bringe Sie zu Taimi, einer Künstlerin im Bett und..."
"Kennst du einen Typen namens Boliére?"
"Äh … nein."
"Dann vielleicht ein anderes Mal, Kleiner." Barl klapperte das Labyrinth von Gassen ab, die von der Schipperstraat abbogen. Er ging die Kleistraat und die Falcon Plein hinauf und wieder hinunter und beobachtete das Meer von ausländischen Matrosen, Abenteuersüchtigen und Verbrechern, die in diese Straßen geschwemmt wurden und sie im Morgengrauen wieder verließen. Sie waren die Gewinner. Die, die hier lebten und arbeiteten, waren die Verlierer, auch wenn sie es selbst nicht zugeben würden.
Seit Barl vor vielen Jahren zum letzten Mal hier gewesen war, hatte sich nichts Grundlegendes geändert. Aus den Oben-ohne-Bars waren inzwischen Ohne-Höschen-Bars geworden und wenn man ein bisschen Spaß für sein Geld haben wollte, musste man aufpassen, dass man nicht auf einen Transvestiten reinfiel. Aber ansonsten war alles beim Alten geblieben. Die Leuchtreklamen der kleinsten Kneipen strahlten immer noch ihre exotischen Namen in den Himmel, während die darunterliegenden Scheiben schon seit Jahren nicht mehr geputzt worden waren und Süchtige konnten innerhalb von 10 Minuten jedes beliebige verbotene pharmazeutische Produkt erwerben. Und Barlmoro war mittendrin.
Als er sich satt gesehen hatte, ging er in die nächste Kneipe, bestellte ein Bier und fragte bei Gelegenheit nach Boliére. Der Wirt schüttelte den Kopf. Barl machte sich zur nächsten Taverne auf. Nach der zweiten Abfuhr wusste er, dass er seine Taktik ändern musste. Er schritt durch die nächstbeste Kneipentür.
Der Wirt war Mitte Fünfzig und sah vertrauensselig aus. Außerdem war er Flame.
"Hept u een bier?" Mein Gott, was für eine blöde Frage schoss es Barl im nächsten Moment durch den Kopf. Warum sollten sie kein Bier haben? Es war schließlich eine Kneipe. Aber der Satz hatte seine Wirkung getan. Der Wirt schob sich zu ihm herüber.
"Sie sprechen flämisch? Hätte ich nicht gedacht. Sehen aus wie einer von außerhalb."
"Sieht man mir das an? Ich komm ursprünglich aus Flandern, war aber lange Zeit im Ausland. Haben Sie mich etwa für einen Wallonen gehalten?" Die Wallonen waren die französisch sprechenden Belgier. Flamen, vor allem die aus der Arbeiterschicht, waren oft beleidigt, wenn man sie auf Französisch ansprach. Umgekehrt war es genauso.
"Phhu", er zuckte mit den Schultern, "Sie sehen eher aus, wie wenn Sie aus der Stadt kämen." Stadt, das bedeutete, dass er ihn für einen Geschäftsmann hielt. Oder schlimmer, für einen Staatsbeamten.
"Niet. Ich war mal hier mal dort. War leider gezwungen meine Heimat früh zu verlassen. Tragische Sache. Bin viel herumgekommen und hab dabei einen Mann aus der Gegend hier kennen gelernt. Drunten in Afrika. Hab ihn lange nicht mehr gesehen und würd ihn gern mal wieder besuchen. Paul Boliére."
Der Wirt begann bei diesem Namen zu lächeln. "Legion? Jetzt versteh ich auch, weshalb du Flandern verlassen musstest. Hast wohl was ausgefressen."
Barl lächelte ebenfalls. "Ja, Legion, von achtundsiebzig bis in die Neunziger hinein. Kleine Sache mit der Polizei. Längst verjährt."
Darauf gab der Wirt ihm ein zweites Bier aus. "Mein älterer Bruder war auch bei der Legion. Frauengeschichte. Von siebenundfünfzig bis dreiundsechzig. Algerien."
Barl trank einen großen Schluck und wischte sich den Schaum von der Oberlippe. "Und? Kennst du Paul Boliére?"
Der Wirt fuhr mit dem Zeigefinger zu seinem Ohr. Barl beugte sich vor.
"Oude-Mann Straat. California-Bar. Ist in letzter Zeit etwas menschenscheu."
"Danke noch mal für das Bier." Barl machte schnell, nach draußen zu kommen. Mit diesem Wirt hatte er einen Glückstreffer gelandet. Boliére war sicherlich bekannt hier ihm Viertel. Aber er besaß eine derartige Bekanntheit, dass man ihn Verdacht geriet von der Polizei zu sein, wenn man nach ihm fragte. Paul Boliére war ein ehemaliger Fremdenlegionär und Söldner. Kein sehr guter. Barl war ihm ein paar Mal in Tschad begegnet. Eher ein aufgeblasener Windbeutel. Aber keiner konnte so gut Unterschriften nachmachen, Papiere und Dokumente fälschen wie er. Und dafür waren die Belgier berühmt.
Barlmoro musste zweimal Kotzelachen ausweichen und einmal eine ältliche Prostituierte abschütteln, die ihm ein unzüchtiges Angebot machte. Als er die alte Vettel endlich los war stand er auch schon in der Oude-Mann Straat, vor der California-Bar. Den Namen hatte ihr wohl ein allzu optimistischer Besitzer gegeben, denn von innen sah die Kneipe mit ihrer sechziger Jahre Holzausstattung genauso aus, wie alle anderen hier im Viertel.
Unter ein paar männlichen Gästen befand sich auch eine hübsche Frau, die einen langen Pelzmantel trug und mit dem Wirt plauderte. Barl bestellte sich wieder ein kleines Bier und hörte eine Weile der Unterhaltung zu. Der Wirt war ebenfalls ein Flame. Irgendwann unterbrach er dann die beiden.
"Wirt. Ich müsste zu Paul Boliére. Wäre das möglich?" Barl drehte einen hundert Euro Schein in den Fingern.
Der Wirt sah gierig auf den Schein, aber die junge Frau kam ihm zuvor. "Ist hinten. Einfach die Treppe rauf." Barl gab ihr den Schein. Der Wirt zeigte auf den mit Plastikperlenketten verhängten Türrahmen und begann mit der Frau einen Streit um den Geldschein.
Hinter dem Schankraum roch nach Bier und Küchendüften. Es war duster und Barl schritt vorsichtig die knarrende Holztreppe hinauf.
Der Wirt hatte inzwischen doch ein etwas ungutes Gefühl bekommen und kam ihm hinterher.
"Was wollen Sie von Paul?" fragte er vom Ende der Treppe.
"Bin ein alter Freund von ihm. Die Tür?" fragte Barl. Als er keine Antwort bekam, drückte er einfach die Klinke nach unten. Dahinter befand sich ein einfach eingerichtetes Zimmer. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und eine Maschinenpistole.
Barl lächelte. "Goedenavond, Paul." Immer noch lächelnd schloss er die Tür wieder. "Würde es dir etwas ausmachen, die MPi wegzulegen?"
Der Angesprochene tat dies nicht. "Maurice Pieroud? Tschad 1988? Was machst du hier?!"
"Ich brauch deine Hilfe. Kannst du immer noch so gut Papiere fälschen wie früher?" fragte Barl und hoffte innerlich, dass Boliére nicht auf die Idee kam, nach seinem Pass zu fragen. Er kannte Barlmoro unter dem Namen Maurice Pieroud. Aber der Pass auf diesen Namen den Barl früher besessen hatte, lag schon seit Jahren irgendwo auf dem Grund des Ogooué oder Oubangui Flusses. Barlmoro wusste es selbst nicht mehr so genau.
Boliére ließ die Maschinenpistole einen Moment sinken. "Gewiss, ich bin noch immer so gut wie früher. Was willst du haben?"
"Britische Papiere. Vollständiger Satz."
"Schön, schön. Das wären ein Pass und ein Führerschein. Die Briten haben keine Personalausweise. Kreditkarten?"
"Keine Kreditkarten. Die kann man später besorgen. Geburtsurkunde wäre nicht schlecht."
"Hmm," Boliére schürzte seine Lippen und legte die französische Maschinenpistole MAT-49 endlich aufs Bett, "dauert etwas länger. Auf wen sollen die Dinger ausgestellt werden? Ich brauch zwei Fotos."
Barl reichte ihm einen Zettel und die zwei Passbilder Kelsos, die er heute Morgen in einem Antwerpener Postfach abgeholt hatte.
Boliére überflog murmelnd den Zettel. "Robert James Duncan, 2.5.1951 London,..."
"Wie lange wird es dauern?"
"Eine Woche. Ich muss mir einen echten Pass als Vorlage beschaffen."
"Schaffst du es in zwei Tagen?"
Boliére lachte hell auf. Seit ihrer letzten Begegnung in Afrika hatte er, im Gegensatz zu Barlmoro, zugenommen und schien auch sonst nicht mehr sehr gut in Form zu sein. Eine breite, krumme Boxer-Nase, Blumenkohlohren, eine rotglänzende Stirnglatze, über die ein paar dünne, strähnige Haare gekämmt waren, und die gelben Zähne gaben ihm ein abstoßendes Äußerliches. Vor allem wenn er lachte.
"Zwei Tage? Das ist der beste Witz den ich seit langem gehört habe. Wie soll ich das schaffen?"
"Indem du dich anstrengst. Aber gut, sagen wir drei Tage. Wie viel würde das kosten?"
Boliére griff zu einer Schublade und holte sich eine Zigarre heraus. Er steckte sie sich in den Mundwinkel, zündete sie an und antwortete erst dann Barl mit zusammengekniffenem Mund.
"Drei Tage? Das kostet dich so 10 000 Dollar. Der Herr scheint es ja sehr eilig zu haben unterzutauchen."
"Gut." Barl machte eine kurze Pause, aber als Boliére keine Anstalten machte, noch etwas hinzuzufügen, verabschiedete er sich. "Goeden nacht."
"Vaarwel, vergiss das Geld nicht."
Barlmoro ging durch die Tür wieder nach draußen und die Treppe nach unten. Der Wirt sah ihn finster an, als er die Kneipe verließ. Irgendwas stimmte hier nicht. Nicht, dass man ihn mit einer Waffe bedroht hatte. Irgendetwas was Boliére gesagt hatte oder sein Auftreten beunruhigte Barlmoro. Draußen blies er erst Mal die schlechte Luft der Kneipe aus seinen Lungen.
"Na, starker Mann. Stehst du auf Blasen?"
Barl fuhr mit dem Kopf zur Seite. Die junge Frau mit dem Pelzmantel, die eben noch in der Kneipe war, stand neben ihm. Barl sah, dass sie unter dem Mantel nur Reizunterwäsche trug. Er lächelte.
"Da drinnen sah es so aus, als ob du Boliére kennst. Weißt du was er in letzter Zeit so gemacht hat?"
"Ach komm, lass uns nicht über den alten Sack reden. Ich muss gleich wieder zur Arbeit. Kannst noch ein Stück mitkommen. Die Straßen sind nicht mehr sicher und ich hab gern einen starken Begleiter."


Die Söldner schleusten Kelso durch die Menge am Flughafen von Antwerpen. Es war 14.35 Uhr. Die Kontrollen am Flugplatz hatten sich hingezogen. Sie hatten vor drei Stunden in Heathrow eingecheckt. Die Sache hatte sich verzögert, weil der erste Flug ausgebucht gewesen war.
Sie fuhren mit der Rolltreppe in eine Einkaufspassage hinauf und steuerten auf ein Cafe zu. Kelso hatte sich inzwischen ganz gut daran gewöhnt, dass die Söldner bestimmten wo es hinging.
Hieb ließ seinen Blick über die Gäste gleiten und blieb bei Barlmoros breitem Rücken hängen. Wieder einmal verfluchten die Söldner, dass Cafehaustische anscheinend immer nur unwesentlich größer waren als ein entfaltetes Taschentuch und meistens noch dazu rund. Es musste eine EU-Norm für Cafetische geben in der stand, dass an den Tischen nie mehr als drei Personen bequem Platz haben dürfen.
Karotte, ein Mann der Tat, schob deshalb kurzerhand, unter den verdrießlichen Blicken der Bedienung, einen zweiten Tisch herüber.
Kurz erklärten sie dem anderen Chef des B&HMP abwechselnd, was in England vorgefallen war. Karotte endete mit den Worten: "Und, wie siehts mit Mister Kelsos neuen Papieren aus?"
"Alles geregelt. Pass, Führerschein, Geburtsurkunde. Wir können sie übermorgen abholen. Kostet 10 000 Dollar extra. Hab das Geld schon abgehoben. Mit Ihren Papieren geht also alles klar, Sie können jederzeit und überall ein neues Leben beginnen, Mister Kelso. Wenn Sie nur weit genug weg verschwinden und sich unauffällig verhalten werden Sie die Bluthunde der Sierra Mining Cooperation nicht mehr finden und Sie haben den Rest ihres Lebens Ruhe. Darf man fragen, wie Sie die Steine hier in Antwerpen losbekommen wollen um an das nötige Kleingeld zu kommen?"
In England hatten die B&HMP Söldner und Kelso schon längst einen Plan geschmiedet und Kelso erklärte ihn jetzt auch noch einmal Barlmoro.
"Ich kenn hier einen Mann, einen gewissen Herrn Eigenbrood, der auch Steine ohne Herkunftszertifikate kauft. Er hat die Mittel illegale und gebannte Steine aus Sierra Leone zu einwandfreien Steinen aus Namibia, Mauritius oder Südafrika zu machen. Diamanten aus Sierra Leone und Liberia dürfen schon seit Jahren wegen des dortigen Bürgerkriegs nicht mehr verkauft werden. Es sind Blutdiamanten. Diamanten mit denen die Parteien ihre Kriegskassen füllen und sich Waffen kaufen. Die Vereinten Nationen haben deshalb die Ausfuhr von Diamanten aus dieser Region verboten. Aber niemanden, schon gar nicht all die kleinen und großen Firmen, hindert dieses Embargo, die Diamanten aus Sierra Leone zum Beispiel einfach als Steine aus der Elfenbeinküste zu deklarieren, die man legal auf den europäischen Börsen verkaufen kann. So habe ich es schon immer gemacht und die Methode hat sich bewährt.
Die auffälligen Steine hab ich von einem Schleifer, Isaak Rosenthal, noch einmal verändern lassen, bevor ich sie verkauft habe. Aber... Isaak ist ... tot. Ermordet, erschlagen. Diesmal muss es ohne Umschleifen gehen. Aber auffällige Steine sind diesmal auch nicht dabei."
Barlmoro schlürfte seinen Kaffee aus und winkte die Bedienung herbei.
"Gut. Wir sollten dann die Steine jetzt holen und ins Hotel fahren. Die nächsten Tage werden wohl ziemlich stressig." erklärte Barlmoro und führte den Tross an, als sie das Diamantenpäckchen an der Poststelle des Flughafens abholten und Kelso nach draußen eskortierten. Sie wurden weder verfolgt, beobachtet oder schief angeschaut. Alles verlief nach Plan.

London
Decker fuhr energisch und ungestüm. Wieder trat er nur Zentimeter vor der Stoßstange des Vordermanns in die Bremsen. Stop and go, oder bei Deckers Fahrweise eher "stop and spring", ging es durch die Stadt. Neben Decker saß sein Boss Courtland und hinten Hansen und der Südafrikaner Dooreward. War Decker sichtlich über den Stau erzürnt, fluchte und drohte die ganze Zeit, so war Courtland ausgeglichen und ruhig. Wenigstens schien es so. Innerlich wütete ein Sturm in dem verschlossenen Mann. Übers Telefon hatte er von seinem Boss in Freetown einen Anschiss bekommen, der seinesgleichen suchte. Er, Courtland, solle endlich die Diamanten ranschaffen. Wie er das mache sei egal. Aber er solle es möglichst schnell machen und nicht zimperlich vorgehen. So ein Reinfall wie in der Disco war nicht mehr drin, wenn er seinen Job und seinen Kopf behalten wolle. Es ginge nicht an, dass irgendein Kleinganove Arbeiter der, in Westafrika allmächtigen, Sierra Mining Cooperation dazu anstifte, Diamanten zu stehlen. Des Weiteren sei es unglaublich, dass dieser Gauner ein paar Schläger anheuert und einen Mitarbeiter der Sierra Mining Cooperation tötet, die anderen zum Narren hält und dann ungehindert untertaucht. Es sei Zeit ein Exempel zu statuieren, damit alle Diebe, Hehler und Erpresser wussten, dass man im Kampf gegen den milliardenschweren Konzern immer den Kürzeren zog und dies mit dem Leben bezahlte.
Das hatte der Boss Courtland genauso gesagt. Es ging also neben der Rückholung der Diamanten jetzt primär darum, dass Kelso 6 Fuß unter die Erde wanderte. Courtland war das ganz recht.
Da gab es nur noch ein Problem. Wo war das Sackgesicht?
Seit dem Zwischenfall in der Diskothek war Kelso wie vom Erdboden verschwunden. Seine Wohnung war von Hansen und Decker durchsucht worden. Aber sie hatten weder die Diamanten noch Kelso gefunden. Auch die Kerle, die bei ihm waren und ihnen die Aktion in der Lagerhalle versaut hatten, waren nicht mehr aufgetaucht. Was sollte er jetzt tun? So allmächtig war die Sierra Mining Cooperation nun auch wieder nicht, dass sie eine Ratte wie Kelso, der untertauchen wollte, aufspüren konnten. Seitdem alle Grenzen innerhalb Europas geöffnet waren, war es praktisch auch mit den besten Beziehungen unmöglich festzustellen, wo Kelso sich jetzt aufhielt.
Die Macht der Sierra Mining Cooperation reichte eben doch bloß soweit in den reichen Norden, wie die Beamten der jeweiligen Länder bestechlich waren.
Was hatten sie noch für Spuren? Die Leibwächter von Kelso. Es waren Profis. Courtland war jetzt fast fünfzig Jahre alt. Dreißig Jahre davon war er mit einem Gewehr in der Hand durchs Leben gezogen. Er erkannte einen Profi wenn er einen vor sich hatte. Und wie diese Burschen in der Lagerhalle ihren Mann gestanden hatten und dabei sogar den erfahrenen Gunmen Konsalik getötet hatten, war Profiarbeit gewesen.
Sie mussten eine gute Personenschützerausbildung gehabt haben. Polizeilicher oder vielleicht sogar militärischer Hintergrund. Außerdem wusste er nicht, wie viele es waren. Der eine Breitschultrige bei diesem Sack Kelso, den er im Disco-Kneipen Gang begegnet war, dann noch der Riese. Er hatte ihn nicht genau gesehen, aber ihm möglicherweise eine Kugel verpasst. Und dann war noch mindestens einer im Wagen gewesen. Also waren es drei oder mehr Personenschützer und sie waren bewaffnet. Was hatte er aufzubieten? Den Psychopaten Decker, den Kapitalverbrecher Hansen und den Rassisten Dooreward. Alles gute Kämpfer, aber nicht gerade die Leute mit denen man in eine Schlacht gegen einen guten, zahlenmäßig überlegenen Gegner ziehen wollte.
Courtland dachte darüber nach, was er tun würde, wenn er Kelso wäre. An seiner Stelle würde er zusehen, dass er möglichst aus dem Schussfeld kam und die Diamanten zu Bargeld machte. Und am besten - soviel wusste auch Courtland - konnte man Diamanten in Antwerpen loswerden.
Also wartete er nicht lange. In Büro der Sierra Mining Cooperation, im Schatten des Gebäudes des mächtigen De Beers Konzern, hatte er ein Fernschreiben an den Boss aufgegeben.

WINTROP K HAT GB MÖGLICHERWEISE VERLASSEN STOP ZIEL UNBEKANNT STOP NACHRICHT AN ALLE VERTRAGSHAENDLER AUSSCHAU NACH UNREGISTRIERTEN STEINEN HALTEN STOP BESONDERES AUGENMERK AUF ANTWERPEN STOP BITTE UM SOFORTIGE ANTWORT BEI ERGEBNISSEN STOP
COURTLAND


Antwerpen
Die Betten im Plaza Hotel in Antwerpen stellte eine 100% Steigerung zu den Pritschen dar auf denen die Söldner in den letzten Tagen geschlafen hatten. Fossi lag auf dem großen Einzelbett und streckte Arme und Beine weit aus. Ein herzhaftes Gähnen verließ seinen Mund. Er hätte jetzt auf der Stelle einschlafen können.
Das Vier-Sterne-Hotel in der Charlottalei Straße war nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof und damit dem Diamantenviertel entfernt. Eigentlich war das Hotel schon mitten im Diamantenviertel mit seinen vier Börsen, drei Schulen, zahlreichen Schleifereien, Händlern und Juwelieren. 70-80% des weltweiten Handels mit Rohdiamanten liefen hier ab. Die indischen und jüdischen Händler kontrollierten beinahe zwei Drittel des Marktes. Der eigene Nachwuchs wurde in einer der drei Diamanten-Fakultäten Antwerpens herangezüchtet. So blieb alles in der Familie und einigermaßen kontrollierbar und übersichtlich.
Karotte stand im Badezimmer und versaute das schwarze Marmorwaschbecken mit seinem Rasierschaum. Sein Äußeres musste nach den vergangenen stressigen Tagen mal wieder hergerichtet werden, um dem Ästhetikempfinden seines Besitzers zu genügen. Um seinen linken Oberarm trug er einen dicken Verband, der aber bald abgenommen werden konnte.
Kelso und Hieb bewohnten ein Doppelzimmer gleich nebenan. Barlmoro hatte das einzige Einzelzimmer ein paar Türen weiter bekommen. Die nicht geringen Rechnungen bezahlte Kelso.
An der Tür wurde geklopft und Barl kam unaufgefordert herein. Karotte wischte sich mit einem Handtuch den restlichen Schaum von Gesicht und Hals und trat aus dem Badezimmer.
"Jungs, morgen hol ich die Papiere im Hafenviertel ab. Ich will, dass ihr mitkommt und aufpasst. Der Bursche - Boliére, bei dem ich bestellt hab, gefällt mir nicht. Ich bin ihm ein paar Mal in Tschad begegnet und wir haben einander kennen gelernt. War schon damals ein Arschloch, aber eben ein guter Fälscher. Ich hab mich gestern mit einem Mädchen aus der Schipperstraat unterhalten. Sie sagt Boliére sei fast pleite und habe Schulden. Deswegen liegt er seit einem Jahr seinem Cousin auf der Matte, in dessen Kneipe er auch wohnt. Ein paar Leute, die gefälschte Papiere brauchen, sind Stammkunden bei ihm. Aber Geld habe Boliére trotzdem fast nie. Ein paar Leute soll er sogar beschissen haben. Hat einen schlechten Ruf in der Szene. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht zu ihm gegangen. Aber hinterher ist man immer schlauer."
Fossi durchsuchte die Minibar und förderte ein paar kleine Flaschen Orangensaft und Coca-Cola zu Tage.
"Auf jeden Fall ist der Bursche nicht koscher. Wir passen besser auf. Also müsst ihr mich begleiten."
"Klingt nach ein bisschen Spaß und Abwechslung." antwortete Karotte.
"Ja, aber bitte warten mit eurem Auftritt bis ich es euch sage. Wann kriegt ihr eure Waffen?"
"Auch morgen. Wenn alles glatt läuft. Aber wir können die Sache sicher auch ohne Knarren durchziehen."
Barlmoro war da vorsichtiger. Karotte verließ sich seiner Meinung nach zu sehr auf seine Muskeln und seine enorme Kraft. Barl war viel herumgekommen und egal ob man nun den zwielichtigen Burschen aus den Kneipen Korsikas, dem Hafen von Lagos oder der Schipperstraat gegenüber stand, es war nie falsch einen geladenen Revolver in der Tasche zu haben - und am besten einen zweiten im Stiefel.
An diesem Abend geschah nicht mehr allzu viel. Die Söldner und Kelso genehmigten sich ein üppiges Abendessen und gingen früh zu Bett.
Der nächste Tag sollte hektisch werden.

London
Das lange Messer schlug dumpf in der Zielscheibe aus Kork ein und blieb vibrierend stecken. Decker saß die Füße hochgelegt auf seinem Fernsehsessel und sah sich seinen Wurf an. Im Fernsehen lief ausnahmsweise kein Porno sondern ein Fußballspiel. Hansen kam mit einem Sixpack herein und zog im Vorbeigehen das Messer aus der Zielscheibe. Er reichte Decker und Dooreward ein Bier und setzte sich zu ihnen.
Aus dem Flur drangen gedämpft die Geräusche eines Telefongespräches herein.
Ein Fehlpass kam in den Strafraum und verfehlte den Stürmer. "Beweg deinen fetten Niggerarsch, Mann!" brüllte Dooreward in seinem rohen Burenakzent und gäuferte sich Bier übers Kinn.
Entgegen den gelegentlichen, dumpfen Gefühlsausbrüchen Doorewards herrschte keine sehr gute Stimmung. Die drei Söldner hatten trotz ihrer etwas eingeschränkten sozialen Kompetenz gemerkt, dass Courtland wütend war und sie ihn besser nicht zusätzlich aufregen sollten. Sogar Decker versuchte sich am Riemen zu reißen. Was für ihn soviel hieß, wie keine Menschen mehr zu töten, die ihm gegen den Strich gingen. Er zermarterte sich sowieso noch das Hirn, ob er Courtland überhaupt von dem ermordeten Einbrecher Pierce erzählen sollte. Besser nicht. Hansen würde ebenfalls die Klappe halten. Dafür würde er, Decker, schon sorgen.
Courtland kam herein. Dooreward hielt ihm ein geöffnetes Bier hin, aber der Boss winkte ab.
"Leute, wir müssen heut noch abreisen. Wir fahren mit der Fähre nach Antwerpen. Die Cooperation hat eine Spur von Kelso gefunden."

Antwerpen
Bereits am Frühstückstisch gab Kelso den tatendurstigen Söldnern eine kleine Nachhilfestunde in Sachen illegalem Diamantenverkauf. Man konnte in diesem Geschäft nichts herbeizwingen. Schon gar nicht bei einer so großen Menge Steine. Und 850 Karat waren eine große Menge.
Zuallererst brauchten die Dinger ein gültiges HDE-Zertifikat, damit sie überhaupt auf den Antwerpener Markt durften. Aber da die Steine aus den Diamantenminen in Sierra Leone gestohlen waren, besaßen sie natürlich keines und waren außerdem gar nicht anwesend, da sie auf dem Flughafen nicht durch die normale Kontrolle gelaufen waren. Die Steine existierten offiziell nicht. Natürlich konnte man sie irgendwo in den Katakomben des Hauptbahnhofs und der U-Bahn verkaufen, aber zu einem Preis, der möglicherweise nur 50% des eigentlichen Wertes darstellte. Kelso gab sich damit verständlicherweise nicht zufrieden.
Kelso telefonierte deshalb lange mit Herrn Eugen Eigenbrood, seinem Hehlerkumpanen, und schilderte seine Lage. Von den Diamanten über den vereitelten Mordanschlag bis hin zu den gefälschten Ausweispapieren und der Notwendigkeit von neuen Herkunftszertifikaten für die Diamanten. Eigenbrood arrangierte das Notwendige. Er musste ein sehr weltgewandter Mann und ein Tausendsasser sein, der an mehreren Orten gleichzeitig sein konnte. Denn anscheinend war er nicht nur belgischer Diamantenhändler sondern auch Mitarbeiter der Zollbehörde von Burkina Faso, Angestellter der staatlichen Bergbau und Mineralölgesellschaft von Mauretanien und Beamter des Ministerium für Bergwerksentwicklung in Sambia. Jeder Mensch mit einem halbwegs gesunden Verstand sah natürlich sofort, dass das nicht möglich war, aber Eigenbrood brachte es zu Stande innerhalb von 12 Stunden ein einwandfreies Herkunftszertifikat aus jedem beliebigen Land Westafrikas aufzutreiben. Komplett mit Briefkopf, Stempel und Unterschrift von Herrn Bulirngi Mushoafhe, oder sonst irgendeines afrikanischen Beamten mit unaussprechlichem Namen und noch unansehnlicher Unterschrift.
Kurz vor Mittag verließ Karotte das Hotel um die Waffen aus England abzuholen. Er verpasste ganz knapp den Fahrradkurier, der in der Hotellobby ein prägefrisches Herkunftszertifikat von Eigenbrood abgab. Mit Hilfe eines Briefkuverts, einer Rasierklinge und ein wenig Klebebands wurden die Blutdiamanten in Kelsos Zimmer zu einwandfreien Schmuckdiamanten aus Sambia. Dann wurde es ein wenig kompliziert. Die Diamanten mussten den üblichen Weg des Imports durchlaufen. Normalerweise hätte Kelso die Steine deshalb eigenhändig nach Frankreich oder Holland gebracht, um sie auf legalem Wege ein zweites Mal "einreisen" zu lassen um die ganze bürokratische Prozedur am Zoll zu durchlaufen. Aber das hätte die Männer gut zwei bis drei weitere Tage gekostet. Zum Glück kannte Herr Eigenbrood, dieser Mann, der unentbehrlich war und den die Söldner bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatten, einen Angestellten am Flughafen, der für rund tausend Euro bereit war, das Päckchen mit den Diamanten bei irgendwelchen frisch gelieferten Steinen unterzuschieben. Nur eine kleine Sache, die nicht einmal richtig illegal war, sondern mit der man nur ein paar störende bürokratische Schranken umging.

Hugo Schmitz, der gefuchste alte Trucker, grinste breit und hakte seine Finger in den Bügel seiner dreckigen blauen Latzhose, während er an seinem LKW lehnte. Eine mittelgroße Holzkiste stand zwischen ihm und Karotte, der übertrieben langsam Geldscheine abzählte.
"Also, auf der Fähre wollte man mich kontrollieren..."
200 Euro.
"Wegen MKS und so. Hab ihnen aber gesagt, dass ich nur Altöl geladen habe."
300 Euro.
"Wollten dann noch ins Fahrerhaus schauen. Hab mir beinah in die Hose gemacht."
400 Euro.
"Hatten die Kiste schon im Auge. Hab mich selbst schon im Knast gesehen."
500 Euro.
"Die sind dann aber gottseidank wieder gegangen. Ich hab ganz schön viel riskiert."
600 Euro.
"Was ist da eigentlich drin und was würde passieren, wenn ich..."
Karotte stoppte mitten im Abzählen. Auch Schmitz hielt augenblicklich die Klappe.
"Sechshundert. Keinen Cent mehr. Das ist mehr, als du normalerweise für so einen Job kriegst und das weißt du auch. Tu nicht so, als wäre das das erste Mal, dass du was Illegales über die Grenze bringst."
Schmitz schluckte, nahm gierig die Geldscheine und steckte sie in seine Brusttasche.
"Und merkt dir eins: Du solltest in nächster Zeit keinen Alkohol mehr anrühren. Denn wenn du zuviel quatschst, kannst du deine Geschäfte in den nächsten Monaten vom Krankenhaus aus führen. So eine gesplitterte Kniescheibe heilt nämlich relativ langsam. Besonders ärgerlich ist es natürlich, wenn beide Knie kaputt sind. So dumme Unfälle passieren schnell."
Man sah Schmitz an, dass er jetzt am liebsten in seinem Truck sitzen und ganz weit weg fahren würde.
"Wie ... wie meinst du das?"
"Natürlich so wie ich es gesagt habe."

Barlmoros Zimmer im Plaza Hotel wurde kurzfristig zur Waffenkammer umfunktioniert. Es war 13 Uhr Mittags, das Zimmermädchen war schon da gewesen und würde sich also nicht mehr über den Geruch von Maschinenöl wundern. Während Karotte seine Magnum einfettete und von einigen kleinen Pulverrückständen im Lauf reinigte, die noch vom letzten Gebrauch zeugten, spannte Fossi probeweise den Schlagbolzen seiner P7 Automatik und zielte auf sein Abbild im Spiegel. Barl steckte seinen zuverlässigen .357 Manhurin Revolver wieder zusammen, den er aus Deutschland mitgebracht hatte. Das vereinte Europa und offene Grenzen machte es möglich.
"Zuerst gehen wir mit Kelso ins Diamantenviertel. Dann lernen wir auch endlich diesen Eugen Eigenbrood kennen. Der Mann interessiert mich. Am Abend holen wir dann die Papiere in der Schipperstraat ab und wenn wir Glück haben sind wir morgen früh wieder so unschuldig wie vorher."
"Ok, freu mich schon, mal wieder gut durchzuschlafen und nicht mit dem schnarchenden Riesenbaby im selben Zimmer." antwortete Fossi. Ein Kissen flog durch den Raum und traf ihn am Kopf. Fossi drückte grinsend ab und erschoss sein Spiegelbild. Es gab ein knackendes Geräusch, als der Hammer in das leere Patronenlager fiel. "In einem schlechten Actionfilm würde jetzt wohl einer so etwas wie ‚Let´s go' sagen."
Aber vorläufig ging noch überhaupt nichts. Die Steine waren noch nicht freigegeben worden und bis dahin mussten sich die tatendurstigen Söldner in Untätigkeit üben.


Der Hohe Diamantenrat (HRD) in Antwerpen wurde gegründet um die Interessen aller im Diamantengewerbe Beteiligten zu vertreten und zu verteidigen. Der HRD unterhält eine Abteilung mit dem Namen Diamond Office, das mit dem belgischen Zoll beim Import, Export und der Überprüfung von Diamanten zusammenarbeitet. Das Diamond Office hatte wiederum eine Abteilung für die Expertise, in der alle Diamantenpäckchen, die in das Land kommen oder es verlassen, unter Aufsicht des Wirtschaftsministerium kontrolliert werden.
Normalerweise sind immer zehn Diamantenexperten im Dienst und es werden durchschnittlich über 300 Pakete am Tag bearbeitet.
Maren Jodldag hatte an diesem Tag schon drei riesige Lieferungen aus Südafrika kontrolliert. Zwei Kollegen hatten sich krank gemeldet und die junge Frau und die anderen hatten noch mehr Arbeit. Maren fühlte sich selbst beschissen. Ihr Freund hatte vor drei Tagen mit ihr Schluss gemacht und gestern hatte sie gemerkt, dass ihre Periode schon seit zwei Wochen überfällig war. Der Test aus der Apotheke war positiv ausgefallen. Sie war schwanger. Die roten Augen zeugten davon, dass sie geweint hatte. Der bärbeißige Beamte vom Wirtschaftsministerium, der ihre Arbeit überwachte, sah sie schon den ganzen Tag so komisch an. Sah man es ihrem Bauch schon an? Sie musste sich beherrschen, nicht sofort wieder loszuheulen.
Wütend schlitzte sie das neue Päckchen mit dem Skalpell auf und schüttete die Diamanten in die Wage. 856 Karat. Dann schob sie nacheinander jeden Stein unter das Mikroskop und ließ den gebündelten Lichtstrahl darauf fallen. Nach einer Stunde wusste sie, dass alle Steine echt waren. Maren notierte ihren ungefähren Wert und schob sie in ein weißes Leinensäckchen und dieses in ein braunes Kuvert. Es musste schnell gehen, es warteten noch fünf weitere Päckchen auf sie. Deshalb warf sie nur einen kurzen Blick auf das Herkunftszertifikat. Ministerium für Bergwerksentwicklung Sambia. Herr Thomas Benito Sabbog. Lizenzierter Importeur war Herr Eugen Eigenbrood zu Händen von Herrn Wintrop Kelso. Alles in Ordnung, kein Grund zur Beanstandung. Das notwendige HRD-Zertifikat zu unterschreiben und ins Kuvert zu schieben dauerte nur 30 Sekunden, dann waren die Steine zum Verkauf freigegeben. Maren holte sich erst mal einen Kaffee. Als sie ihn getrunken hatte, spürte sie, dass sie sich übergeben musste. Der Beamte vom Wirtschaftsministerium sah ihr stirnrunzelnd nach, als sie zur Toilette lief.


Eugen Eigenbrood residierte in der Rijfstraat in einem Büro, das etwa die Größe eines Tennisplatzes hatte. Neben Herrn Eigenbrood waren drei andere Herren anwesend. Daan Scheenen, ein sportlicher junger Mann und Diamantenaufkäufer von DeBeers, der Interesse an geschliffenen Steinen hatte und schon lange mit Eigenbrood im Geschäft war. Ariel Ramal, der ältere Sohn der alteingesessenen Antwerpener Diamantenschleiferei Jakob Ramal & Söhne, war der, der ihm am nächsten saß. Der Dritte war ein gewisser Carsten Kleen, mit fast sechzig Jahren der Älteste im Raum und Geschäftsführer eines wichtigen Juweliers aus Amsterdam.
Eigenbrood selbst war ein dynamischer Mitvierziger der gutes Essen, alte Bilder und schöne Frauen liebte. Für das Erste hatte er die Telefonnummer fast jedes Oberkellners in Antwerpen, für das Zweite einen echten Renoir an der Wand hängen und für das Dritte einen Haufen Geld. Sein Reichtum spiegelte sich auch in seiner Kleidung wieder, der blaue Blazer war ebenso wie seine graue Hose von Brioni. Seine Schuhe kaufte er in London. Seine langsam grau werdenden Haare ließ er sich in Brüssel färben und frisieren. Manche bösen Zungen behaupteten sogar, er ließe sich bei dieser Gelegenheit auch immer das Fett absaugen und sein männliches Kinn sei sowieso durch einen chirurgischen Eingriff entstanden. Aber Eigenbrood ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Auch nicht dadurch, dass sein vierter Gast Wintrop Kelso schon seit fünfzehn Minuten überfällig war. Er versuchte die Zeit mit Smalltalk und durch gelegentliche Auftritte seiner gutgebauten, kaffeebringenden Sekretärin zu überbrücken. Endlich öffnete sich die Tür und die Sekretärin teilte mit, dass Wintrop Kelso eingetroffen sei.
Kelso kam nicht alleine sondern wurde von drei bulligen Kerlen eskortiert, die aussahen, als ob sie über Leichen gehen würden. Eigenbrood sah unauffällig auf seine Seiko Armbanduhr, die bis auf die Fußballergebnisse so ungefähr alles anzeigte, und stellte fest, dass Kelso neunzehn Minuten zu spät war.
Obwohl er kaum den Kopf geneigt hatte, bemerkte Hieb den missbilligenden Blick. Ja, sie waren zu spät. Die Zollbehörden hatten zuerst das verdammte Diamantenpäckchen nicht gefunden und dann waren noch ungefähr zweihundert verschiedene Dokumente zu unterschreiben gewesen. Ganz zu Schweigen von dem verdammten Stau auf der sogenannten "Schnellstraße". Jetzt war es doch schon 17:20 Uhr. Aber immerhin waren sie da.
Kelso stellte Hieb, Barlmoro und Fossi als seine Sicherheitsberater vor, verschwieg aber, dass ein vierter Mann, Karotte, unter auf der Straße die Eingangstür im Auge behielt. Eigenbrood übernahm es, die drei anderen Herren vorzustellen. Es begann ein etwas chaotisches gegenseitiges Händeschütteln bevor sich auch die Neuangekommenen in die weichen Couchgarnituren fallen ließen. Fossi ausgenommen, für den es im Moment scheinbar nichts Interessanteres gab, als durch das große Panoramafenster die Straße und gegenüberliegende Häuserfront zu betrachten. Dass er Karotte im blauen Mietwagen ein Zeichen gab, dass alles in Ordnung sei, bekam bis auf Barlmoro und Hieb niemand mit.
Die nächsten zwei Stunden waren die drei Söldner nur Beobachter. Kelso hatte die Diamanten auf der Glasplatte des Couchtisches ausgebreitet und die fünf Experten diskutierten heftig über etwas was sie Klarheit, Größe und andere Merkmale der Steine. Irgendwann brachte der Juwelier aus Amsterdam das Gespräch auf das Herkunftszertifikat. Wintrop Kelso zeigte ihm das Dokument. Der Juwelier und der jüdische Schleifer studierten das Dokument, der Aufkäufer von DeBeers warf nur einen flüchtigen Blick darauf. Es dauerte noch eine weitere Stunde bis sie sich auf den Handel einigten. Die 1653 Steine auf dem Tisch waren in drei Gruppen geteilt worden. Die erste Gruppe bestand aus sechs sehr großen Steinen. Ein Sechs-Karäter, zwei Vier-Karäter und drei Drei-Karäter. Der Juwelier wollte die schönen Steine haben, da sie sich leicht verarbeiten ließen. Der Sechs-Karäter war zwar farblos, hatte aber kleine Einschlüsse und wurde als Stein der Reinheit SI1 deklariert, was immer das auch heißen mochte. Die fünf anderen Steine waren ebenfalls nicht alle komplett rein und farblos. Kelso und der Juwelier einigten sich auf 970 000 Dollar, was sich in den Ohren der Söldner nach sehr viel anhörte. Für Kelso aber ein schlechter Preis war.
Die zweite Gruppe bildeten die Rohdiamanten. Kelsos Steine waren nämlich aus unbekannten Gründen eine Mischung aus bereits geschliffenen und ungeschliffenen Steinen. 976 der Steine, die alle zwischen 0,01 und 1 Karat wogen, waren ungeschliffen. Ariel Ramal wollte sie kaufen. Insgesamt 438 Karat. Einige der Top Ein-Karäter wurden auf fast 40 000 Dollar deklariert. Einige Fehlerhafte aber auch nur auf 3000 Dollar. Bei den noch kleineren Steinen war alles dabei. Von 10000 Dollar bis zu - so drückte sich Ramal aus - besseren Kieselsteinen.
Zum Schluss rundete man auf 4 Millionen US-Dollar auf.
Bei der dritten Gruppe, den geschliffenen Diamanten sah es ähnlich aus. DeBeers hatte es sich zum Firmenziel gemacht, alle überschüssigen Diamanten auf dem Markt aufzukaufen um seine Monopolstellung zu wahren. Scheenen zeigte deshalb auch nicht gerade überschwängliches Interesse an den Steinen und versuchte nur möglichst wenig Geld hinblättern zu müssen. Da aber fast 60 Ein-Karäter dabei waren, die die höchste Reinheitsstufe "river clear" hatten kam man alleine mit diesen Steinen schon auf 2,5 Millionen. Am Schluss rundete man wieder auf, diesmal auf 4,5 Millionen Dollar.
Es wurde praktisch jeder Stein einzeln gewogen, gemessen und unters Mikroskop geschoben. Die Sonne war längst untergegangen und noch immer war man mit Wiegen, Notieren und Diskutieren beschäftigt. Hieb versuchte inzwischen gar nicht mehr, sein Gähnen zu unterdrücken und Fossi hatte schon seit Ewigkeiten die Augen nicht mehr geöffnet. Gegen 23 Uhr machte sich Barlmoro langsam Sorgen, ob sie heute überhaupt noch fertig werden würden. Sie mussten ja auch noch die Papiere von Boliére abholen. Weiß Gott, was Karotte jetzt gerade tat.
Kurz nach zwölf wurden die letzten Steine in die Leinensäcke geschoben und die Männer standen auf um sich zu verabschieden. Man war sich einig. Da aber heute keine Bank mehr geöffnet hatte, wartete man mit der kompletten Geschäftsabwicklung bis zum nächsten Morgen.
"Wenn das Morgen wieder so lange dauert, kommen wir hier nie weg." dachte sich Hieb.
Dann verließen die drei Käufer das Gebäude. Fossi beobachtete interessiert, wie Daan Scheenen wenig später einen roten Ferrari aus der Tiefgarage lenkte, gefolgt von Ariel Ramal in einem alten beigefarbenen Ford Cabrio. Carsten Kleen fuhr einen schwarzen Mercedes der S-Klasse. Keiner der drei schien mit dem Geld knausern zu müssen.
"Also Wintrop, ich glaub die Sache ist gelaufen. Wenn du dir mehr Zeit gelassen hättest, hättest du noch mehr rausholen können."
"Ich weiß, ich weiß. Aber Zeit ist das einzige, was ich im Moment nicht habe. Ausgenommen natürlich ein paar Grundrechte, die meine Leibwächter tagtäglich beschneiden. Ich bin sowas von froh, wenn die Sache gelaufen ist und ich von hier verschwinden kann. Meine Leibwächter haben eingefädelt, dass ich heute noch meine neuen Papiere bekomme. Ich will endlich mal wieder in Ruhe schlafen."
Eigenbrood gluckste und schloss die Bürotür ab.
"Darf man fragen wohin du willst?"
"Ich glaube, es ist besser wenn Sie das nicht wissen." Hieb mischte sich ins Gespräch ein.
Kelso fuhr fort. "Siehst du, er tuts schon wieder. Meine Redefreiheit wird eingeschränkt. Aber Mister Hieb hat wohl wie immer Recht."
"Du musst ja ganz schön in der Scheiße sitzen."
"Das kannst du laut sagen. Man hat versucht mich umzubringen."
Eigenbrood streckte die Hände von sich. "Ich glaub ich will gar nicht wissen, was genau los ist. Wir sehen uns morgen um Neun hier. Wenn was los ist, erreich ich dich im Plaza Hotel. Du kannst mich auch zu Hause anrufen."
"Ja, Guten Abend noch."
"Wiedersehen."
Kelso und die Söldner standen wieder auf der Straße.
"So, sehen wir zu, dass wir in die Schipperstraat kommen. Sonst geht Boliére noch ins Bett." Barlmoro hielt Ausschau nach den beiden Mietwagen der Gruppe. Eigenbrood ließ gerade den Motor seines BMW Z3 an und winkte der Gruppe zu, als er weg fuhr.
"Soll ich zu dem Fälscher mitkommen?" fragte Kelso.
Hieb blieb stehen, als hätte man ihm mit einem Vorschlaghammer vor die Brust geschlagen. "Nein natürlich nicht! Wir sind Ihre Leibwächter. Zu diesem Job gehört auch, dass wir Sie nachts nicht durch irgendwelche Rotlichtviertel streunen lassen. Mein Partner kann die Sache mit Ihren Papieren erledigen. Sie und ich bleiben heute Abend im Hotel."
Mit diesen Worten waren sie auch schon bei den beiden Mietwagen, einem schwarzen Mercedesmodell und einem grünen Peugeot, angekommen. Karotte schlief tief und friedlich. Auf dem Armaturenbrett türmten sich Fastfood Tüten und erinnerten die Söldner daran, dass sie seit neun Stunden außer Kaffee nichts mehr zu sich genommen hatten. Deshalb war das erste Ziel vor dem Plaza-Hotel ein McDonalds Drive In.

Karotte begleitete Hieb und Kelso noch nach oben ins Hotelzimmer und eilte danach wieder zu Barlmoro und Fossi. Nachdem sie den Wagen geparkt hatten, gingen sie die Paulistraat Richtung Schipperstraat hinauf. Das Nachtvolk war schon seit fünf Stunden auf den Beinen und die meisten Prostituierten hatten jetzt, gegen 2 Uhr morgens, schon die dritte oder vierte Nummer hinter sich. Aber immer noch waren die Straßen belebt. Drei, mit Funkgeräten, Pistolenhalftern und Schlagstöcken bewaffnete, Polizisten schlenderten vorbei, würdigten die drei Männern an der Straßenecke zur Oude-Mann Straat aber mit keinem Blick.
"Also, da vorne ist die Kneipe. Ich geh alleine rein, sonst wird möglicherweise jemand da drinnen nervös. Ihr zwei schaut am besten, ob es irgendwo einen Hintereingang gibt. Ich schätze schon. Achtet auf Auffälligkeiten und kommt dann in die Kneipe. Wenn ich Hilfe brauch schlag ich Lärm."
"Ok." kommentierten Karotte und Fossi recht einsilbig und machten sich auf den Weg. Die Häuser waren hier aneinander gebaut. Dazwischen gab es kein Durchkommen. Aber schließlich fand Karotte in einer rückwärtig liegenden Gasse namens Crauwelen Gang ein älteres Holzgatter, das den Durchgang zwischen zwei Nachbarhäusern der California Bar versperrte. Er rief leise nach Fossi, der auch sofort herbei kam. Da der stämmige Söldner nicht gerade ausgiebige Erfahrung im Knacken von Schlössern und auch kein passendes Gerät hatte, griff er nach der Oberkante des Gatters und schwang ein Bein nach oben. Das Tor schwankte beängstigend unter dem Gewicht des schweren Mannes. Fossi wollte es Karotte zuerst nachmachen, wählte aber dann den Weg des geringeren Widerstandes und öffnete einfach die nicht abgeschlossene Tür.
So kamen die beiden in einen Hinterhof, der dem Klischee von der Hafenidylle alle Ehre machte. Es stank nach Fisch, auf einer Wäscheleine hing eine Seemannsuniform und eine fette schwarze Ratte flüchtete in einen Gully als die zwei unangemeldeten Besucher in den Hof traten.
Der Hof wurde von den Rückfronten mehrerer Häuser gebildet. Eines davon war die California-Bar. Leider hatten Fossi und Karotte keinen Schimmer welches. Es rumpelte in einer der Mülltonnen. Fossi zuckte zusammen.
"Nur ne Ratte. Muss hier Dutzende davon geben." sagte Karotte und trat zu einem Stapel Bierkästen.
"Die gehören doch sicher zur Kneipe. Folglich muss es durch die Tür da hinten reingehen."
Fossi rüttelte vorsichtig am Schloss. "Abgesperrt. Siehst du irgendwo Licht?"
Karotte legte den Kopf in den Nacken. "Da oben im ersten Stock. Da brennt Licht. Wir sollten jetzt besser vorne reingehen. Barlmoro ist sicher schon drinnen."
"Ok, aber vorher stellen wir noch die Bierkästen vor die Tür, damit es einer der abhauen will, nicht zu leicht hat."
Möglichst lautlos packten die beiden Männer ein paar der Kästen und stapelte sie vor der Tür. Sie würden zwar niemanden aufhalten, aber ein Menge Krach verursachen, wenn jemand aus der Hintertür der Kneipe stolpern sollte.

Der Schankraum war schlecht besetzt. Die abgelegene Lage in der dunklen Gasse war wohl nicht gut fürs Geschäft. Zwei Matrosen saßen an einem Tisch. Der Wirt war derselbe wie bei Barls erstem Besuch. Er nickte ihm nur zu und deutete zum Perlenvorhang. "Sie warten oben."
Barl nickte zurück und schob die Perlenketten zur Seite. Im schmalen Treppenhaus war es dunkel. Aus der Tür zur Küche hörte man ein Radio. Barl prüfte noch einmal seinen Revolver in der Manteltasche und schritt die Treppe nach oben. Hier gab es drei Türen. Genau wie bei seinem ersten Besuch klopfte er an.
"Herein!"
Boliére saß, mit Hose und Strickpullover bekleidet, auf seinem Bett und grinste feist. "Hoe gaat het ermee? Schön, schön. Du kommst verdammt spät Pieroud. Es ist nach Zwei, wie lange wolltest du mich noch warten lassen?"
"Entschuldigung, ich wurde aufgehalten. Hast du die Papiere da?"
"Kommt darauf an, hast du das Geld?"
Barlmoro hasste diese Spielchen. Konnte das Arschloch nicht einfach mit den Dokumenten rausrücken?
"Ja, frag nicht so blöd." Er holte ein dickes Bündel Geldscheine aus seiner Mantelinnentasche und warf es aufs Bett. Boliére griff mit gierigen Fingern danach und zählte es durch. Währenddessen ließ Barl seinen Blick durch das kleine Zimmer gleiten. Unordentlich und schmutzig. Wo hatte Boliére wohl die MAT-49? Barl konnte sie nicht entdecken.
"Hey! Das sind ja lauter Hunderter! Ich sagte kleine Scheine!" polterte Boliére.
"Du hast überhaupt nichts gesagt. Das weiß ich genau. Wo sind jetzt die Papiere?"
Boliére zählte weiter und murmelte etwas von "auf dem Tisch". Barl ging zu dem dreibeinigen Klapptisch in der Mitte des Raumes. Darauf lagen, neben den Überresten einer Mahlzeit, eine Unterhose, deren Farbe schon mehr ins Braune als ins Weiße stach, und ein Umschlag. Barlmoro fischte ihn sich mit spitzen Fingern und ging wieder rückwärts zur Wand. Er öffnete den Umschlag und besah sich Paul Boliéres Arbeit. Britischer Pass und Führerschein. Darauf Kelsos Bild. Zum Schluss noch eine Geburtsurkunde. Barl konnte sie bei bestem Willen nicht von Originalen unterscheiden. Aber er würde sie noch genauestens prüfen.
"Hast du diesen … diesen Duncan, für den ich die Papiere gemacht habe dabei?"
"Niet …" brummte Barl. Er schien sich auf den Ausweis zu konzentrieren. Aber sein Gehirn arbeitete in ganz anderer Richtung.
Das war eine Falle. So todsicher ein Falle. Schon als der Wirt unten in der Kneipe von mehreren Personen gesprochen hatte, die oben warteten, war Barlmoro hellhörig geworden. Dann standen da auf dem Tisch vier benutzte Gläser. Warum zum Teufel sollte Boliére vier Gläser brauchen? Und zu guter Letzt hatte er auch noch gefragt, ob Kelso in seiner Begleitung sei. Nein, noch dümmer konnte man sich nicht anstellen. Es war eine Falle. Barlmoro wusste nur noch nicht, wie sie aussah. Das Zimmer hier hatte nur eine Tür, die Barl im Auge behielt. Die Burschen konnten also nur in einem der anderen beiden Räume hier oben oder unten sein. Wahrscheinlicher hier oben.
"Hähhh." Boliére gähnte herzhaft. "Bist du dann fertig? Ich möchte jetzt gerne schlafen."
"Ja, ja gleich." Barlmoro steckte den Umschlag ein. Er war unentschlossen. Wenn er das Zimmer verließ, warteten seine Gegner vielleicht schon vor der Tür. Aber länger konnte er nicht bleiben. Gegen seinen Willen setzten sich seine Beine in Bewegung.
"Schönen Abend noch." verabschiedete sich der Fälscher, als Barl an der Tür war. Er drückte die Klinke nach unten und zog die Tür auf. Dunkelheit. Seine Augen brauchten eine Weile bis sie sich daran gewöhnten.
"Gibt's hier oben keinen Lichtschalter?" fragte Barl mit sehr lauter Stimme, dass man es bis in den Schankraum hören musste.
Er spürte die Gefahr noch bevor er sie sah. Jahre im Dschungel von Afrika hatten ihn empfindsam dafür gemacht. Er trat sofort zwei Schritte zurück in Boliéres Zimmer und schlug die Tür zu. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der dickliche Belgier unter die Bettdecke griff. Barl war flinker. Seine Hand schnellte aus der Manteltasche und der Lauf des Revolvers schwenkte auf Boliére. Ein Schuss ließ den Raum erschüttern und Boliére wurde wie von Zauberhand von der Bettkante geschleudert.
Barlmoro sprang zur Seite. Keinen Moment zu spät. Drei oder vier Schüsse fegten durch das Holz der Tür. Um sich Zeit zu verschaffen, schoss Barlmoro zurück und ging währenddessen hinter einem massiven Schrank in Deckung. Er sah zum Fenster. Die Jalousien waren geschlossen und wiesen zwei Einschusslöcher auf. Er saß in der Falle. Noch einmal drückte er den schweren Manhurin ab. Er musste warten, was die anderen taten.

Fossi und Karotte saßen gerade an einem Ecktisch der Kneipe, tranken ein Bier und unterhielten sich leise, als eine Stimme von der Hinterseite des Barraums ertönte. "Gibt´s hier oben keinen Lichtschalter?" Eindeutig Barlmoros Stimme. Die beiden Söldner verspannten sich. Dann ein lauter Knall. Ein Schuss. Die beiden Männer sprangen so abrupt auf, dass ihre Stühle umflogen und eilten durch den Barraum. Der Wirt ging hinter dem Tresen auf Tauchstation. Sie hatten gerade den halben Weg zurückgelegt, als einer der beiden Matrosen eine Bierflasche an der Tischkante zerschlug und aufsprang. Karotte hatte so etwas in der Art erwartet. Unbeeindruckt von dem scharfkantigen Flaschenhals vor seinem Gesicht trat er zu. Er traf den Seebär auf Landgang mitten in die Eier. Mit einer ungleich grazileren Bewegung griff Karotte unter seine Uniformjacke und förderte die 44er Magnum zu Tage. Der Gegner konnte gar nicht schnell genug reagieren, als der zwei Meter Mann aus Kanada ihm den Lauf in Richtung Jochbein rammte. Der Matrose ging mit einem beeindruckenden Sturz zu Boden.
"Hilf du, Barl, ich mach das hier!" brüllte Karotte Fossi noch zu, als dieser aus dem Zimmer verschwand. Wäre der andere Matrose klug gewesen, hätte er, sobald eine Schusswaffe ins Spiel kam, die Karten gestreckt. Aber entweder war er besonders dumm oder besonders mutig. Was eigentlich aufs Gleiche hinaus lief. Auf jeden Fall griff er Karotte mit bloßen Fäusten an. Der fackelte nicht lange herum, sondern drückte ab. Die Kugel traf den Raufbold in den Oberschenkel. Von seinem eigenen Schwung getragen, stolperte er auf allen Vieren vor Karottes Füße. Der holte aus und trat dem Matrosen mit seinen schweren Militärstiefeln gegen die Brust. Der zu Fall Gebrachte konnte sich anscheinend nicht entscheiden, was nun mehr schmerzte. Der Steckschusses in seinem Bein oder die gebrochenen Rippen in seinem Brustkorb. Folgerichtig krümmte er sich unter dem Tisch in Embryostellung zusammen.
Fossi erreichte unbeschadet das Treppenhaus. Eine Batterie von Schüssen halten zwischen den Mauern wider. Oben erkannte er eine Gestalt. Er hob seine Pistole. Fast zu spät bemerkte er den Angreifer, der aus der Tür zur Küche auftauchte.
Im Kampf kann sich innerhalb von weniger als einer halben Sekunde entscheiden, ob man leben oder sterben wird. Oftmals ist das Glück gegen einen selbst. Diesmal hatte es wohl einen guten Tag und schlug sich auf Fossis Seite.
Die beiden Söldner drückten gleichzeitig ab. In der Sekunde in der man den Knall hört, hat eine Neunmillimeter Pistolenkugel bereits 350 Meter zurückgelegt. Rein theoretisch natürlich. Hier und heute, in einem kleinen, dreckigen Treppenhaus einer Antwerpener Hafenkneipe, traf Fossis Kugel bereits nach fünf Metern auf weichen Widerstand.
Fossi hörte das sich ins gedächtnishämmernde Zischen einer knapp am Ohr vorbeifliegenden Kugel, das ein Mann selten öfter als ein Mal im Leben hört. Irgendein Instinkt befahl ihm in die Knie zu sacken, sich rückwärts auf den Boden zu Schmeißen und abzudrücken.
In seiner P7 hatte Fossi noch sieben Schuss. Er brauchte weniger als zwei Sekunden, um sie alle abzuschießen. Von insgesamt acht Kugeln getroffen ging sein Gegner endgültig im Türrahmen zu Boden. Fossis erste Kugel hatte ihn gestoppt, alle weiteren hatten ihn umgebracht.
Nun reagierte Fossi automatisch. Er warf das Magazin aus und fingerte in seiner Tasche nach einem Neuen. Er rutschte in das Dunkel unter der Treppe und zog den Schlitten der Waffe zurück. Eine neue Kugel wurde in die Patronenkammer geschoben. Jemand polterte die Treppe hinunter. Fossi überlegte kurz durch das Holz der Stufen nach oben zu schießen, zögerte dann aber doch. Jemand blieb auf halber Höhe der Treppe stehen und brüllte: "Deckung!"
Fossi erkannte sofort, dass diese Warnung nicht ihm galt. Im nächsten Moment fiel etwas faustgroßes Ananasförmiges auf den Fliesenboden des Treppenhauses, und vollführte ein paar Kreiseldrehungen ehe es liegen blieb. Fossi sprang auf und hechtete durch die Tür zur Küche. In dem Moment, in dem er sich über die Schulter abrollte, explodierte im Treppenhaus die Handgranate. Fossi hatte seine Waffe nicht losgelassen, was dazu führte, dass er sich bei der Sprungrolle seine Finger leicht verletzt hatte. Aber das war im Moment das geringste Problem.
Barlmoro verschoss seine letzte Kugel durch die inzwischen stark lädierte Tür und fischte einen Schnelllader aus seiner Manteltasche. Die leeren Patronenhülsen aus der Trommel landeten in seiner hohlen Handfläche und er machte sich hektisch daran die neuen 357. Geschosse einzulegen. Gerade als er fertig war gab es draußen eine kleine Explosion. Er rannte geduckt durchs Zimmer zum Bett, wo immer noch die Maschinenpistole von Boliére lag. Es war langsam an der Zeit hier zu verschwinden.
Draußen war Stimmengemurmel, seine Gegner waren anscheinend unschlüssig, was sie tun sollten. Er würde ihnen die Entscheidung etwas leichter machen.
"Hallo, ihr Arschlöcher, kommt doch rein!" brüllte er begleitet von einer Salve aus der MAT-49.
Barl gab zwei kurze Feuerstöße ab und lauschte wieder. Draußen war nichts mehr zu hören. Vorsichtig, sehr vorsichtig, erhob er sich aus seiner Deckung. Die MP keinen Moment von der Tür gerichtet, die inzwischen mehr aus Löchern als aus Holz bestand. Als er um den Tisch herum war, huschte er mit einer schnellen Bewegung zur Wand. Seitlich schob er sich zur Tür.
"Karotte, Fossi?!"
Lange Zeit keine Antwort. Dann ein gedämpftes "Barl?!"
Karotte stand, mit der Waffe in der Hand, im Durchgang vom Schankraum zum Treppenhaus halb vom Perlenvorhang verdeckt. Von hier sah er Fossi, der unter der Treppe stand und nach oben sicherte. Sie nickten sich zu und rückten zur Treppe vor, sich gegenseitig nach oben absichernd.
Barl versuchte oben die Tür zu öffnen. Die Kugeln hatten die Angeln verbogen und sie klemmte. Er trat zurück und versetzte ihr einen Tritt, der eine Angel bersten und die Tür aufschwingen ließ. Vorsichtig trat er nach draußen. Karotte und Fossi kamen langsam die Treppe nach oben. Es gab hier nur die zwei Türen, sie konnten nur da rein verschwunden sein. Barl winkte die beiden anderen Söldner mit zwei Fingern herbei und hob die Maschinenpistole zum Kinn. Ein Feuerstoß zerfetzte die erste Tür, ein weiterer die zweite. Keine Reaktion.
"Scheiße, ich hab ein ungutes Gefühl." murmelte Karotte vor sich hin. Barlmoro hörte nicht hin und trat die erste Tür ein, darauf gefasst, von einem Geschosshagel erfasst zu werden. Ein Badezimmer. Leer.
Karotte übernahm die zweite Tür. Seitlich zur Mauer, kurz vortreten, ein Tritt und wieder zur Seite springen. Ein gemeinsamer Schlaf - und Wohnraum. Auf den ersten Blick leer. Aber eine weitere Tür. Diesmal rückten die Söldner schneller vor. Sie stürmten durch den Raum und durch die Tür. Eine Treppe führte nach unten.
"Scheiße, Scheiße, Scheiße! Ein zweites Treppenhaus! So eine Scheiße. Das darf doch wohl nicht wahr sein!" fluchte Fossi. Auch Barlmoro murmelte ein paar Kraftausdrücke vor sich hin.
"Verdammt, wo führt die hin? Los, hinterher!" Karotte wollte losspurten.
Barl hielt ihn am Arm zurück. "Die sind längst über alle Berge. Lasst uns abhauen. Irgendwann taucht hier die Polizei auf. Habt ihr Spuren hinterlassen?" Ein Blick auf Karottes Hände, die in weißen Lederhandschuhen steckten und Fossi, der sich ebenfalls Handschuhe angezogen hatte, beantworte die Frage. Schnell ging es wieder zurück. Barl stürmte noch kurz in Boliéres Zimmer und durchwühlte hektisch das Bettzeug, auf der Suche nach den 10 000 Dollar. Er schmiss die Decke und das Kissen auf den Boden, riss das Laken halb heraus.
Boliére lag neben dem Bett halb auf der Seite. Sein Gesicht war weißer als das Bettlaken. Ein dünner Blutfilm floß aus seinem Mundwinkel. Der graukarierten Strickpulli war auf der Vorderseite komplett von Blut durchweicht. Barlmoro blickte in die toten Augen des Verräters und riss ihm das Geldbündel aus der verkrampften Hand. Selbst im Tod hatte er sich daran geklammert. Er hatte sie wohl auch für Geld verraten.
Barl verließ den Raum und schlug sich auf die Brust. Er spürte den Umschlag mit den Dokumenten durch den Stoff. Deshalb waren sie hergekommen. Fossi kniete über dem Toten im Türrahmen zur Küche und hielt kurz die 9mm Vektor Pistole hoch mit der er um ein Haar abgeknallt worden wäre, bevor er sich wieder den Taschen des fremden Söldners widmete. Barl stieg über ihn hinweg und stupste ihn an. "Los, raus hier."
Zehn Sekunden später waren sie durch die Küche hindurch und standen im Hof, wo Karotte bereits auf sie wartete. Die Bierkästen, die sie vor der Tür aufgestapelt hatten, hatten nichts gebracht. Als Karotte die Tür aufgestoßen hatte, waren sie umgefallen. Die Angreifer mussten einen anderen Weg gekannt haben.
Barlmoro schob die Schulterstütze der MAT-49 ein, klappte das Magazin um und versteckte die klobige Maschinenpistole unter seinem Mantel. Er hielt es für zu gefährlich eine Waffe die er benützt hatte am Tatort zurückzulassen. Auch wenn er Handschuhe getragen hatte.
Sie rannten auf die Gasse und mäßigten ihr Tempo erst, als sie eine große Querstraße erreicht hatten. Dem Aussehen nach die Schipperstraat. An Betrunkenen und Prostituierten vorbei, verließen sie das Viertel. Sie begegneten keiner Polizeistreife und hörten keine Sirenen. Vielleicht wusste man bei den Behörden noch gar nichts von dem Vorfall in der Oude-Mann-Gasse.

Die Polizei traf erst eine halbe Stunde später ein. Ein später, leicht betrunkener Gast war in die hellerleuchtete Kneipe getreten, hatte aber keinen Wirt vorgefunden. Außerdem war ein Teil der Einrichtung leicht demoliert, und rote Flüssigkeit lag auf dem Boden. Das störte den Angeheiterten aber nicht besonders. Er zapfte sich erst mal selbst ein Bier und machte sich dann daran, nach dem Wirt zu suchen. Als er dabei über eine Leiche stolperte, bekam er so einen Schock, dass er wieder einigermaßen nüchtern wurde und es sogar noch fertig brachte die Notrufnummer zu wählen, bevor er sich aus dem Staub machte.
Die gerufene Polizeistreife samt Verstärkung riegelte sofort die ganze Gasse ab und benachrichtigte die Kriminalpolizei. Um vier Uhr morgens wurde mit den Ermittlungen begonnen.

Die drei Söldner waren doch ziemlich mitgenommen, auch wenn sie es nicht zugaben. Es war schon zu spät um noch ins Plaza Hotel zu fahren und so standen sie mit ihrem Wagen auf einem abgelegenen Parkplatz am Scheldekanal herum.
"Scheiße, die Polizei wird nach uns suchen."
"Da kannst du sicher sein. Aber sie werden nichts finden. Wir haben keine Fingerabdrücke hinterlassen." seufzte Barlmoro.
"Zeugen?" warf Fossi ein.
"Nur der Wirt. Hat den noch jemand gesehen?"
"Nein, der war wie vom Erdboden verschwunden, muss rausgerannt sein." kommentierte Karotte.
"Der Kerl ist der Cousin von Boliére und kann wahrscheinlich eine genaue Beschreibung von uns allen liefern. Zumindest von mir. Wir müssen ihn finden."
"Und dann?" fragte Fossi skeptisch.
"Was getan werden muss, muss getan werden." flüsterte Barlmoro und starrte auf den Boden.


Eine Stunde Autofahrt entfernt saßen drei Männer um einen Tisch herum und beratschlagten ebenfalls. Courtland führte wie immer das Wort und musste dafür sorgen, dass Decker nicht einfach alle überbrüllte. Der junge Mann mit psychopathischen Zügen war extrem aufgebracht. Sein langjähriger Kampfgefährte Dooreward war tot.
"Verdammt Decker, setzt dich hin und halt die Klappe!"
"Du kannst mich mal Courtland! Die Cooperation kann mich mal! Fuck you all!" Er holte mit dem Bein aus und verpasste dem Kleiderschrank in dem Zwei-Zimmer-Appartement einen Tritt. "Die Schweine haben Dooreward umgebracht, diese verdammten Schweine! Ich bring sie alle um!"
Die Nachbarn klopften wegen des Lärms an die Wand.
"Beruhig dich verdammt noch mal, und setz dich hin!" forderte Courtland den wutschnaubenden Decker auf, dem schon Speichel aus dem Mund lief und dessen Augen weit aus den Höhlen traten.
"Hansen, hol Decker ein Bier. Und jetzt setzt dich." Widerwillig hockte sich Decker auf das Sofa uns ließ sich von Hansen ein Bier geben.
"Leute, heute ist wieder einiges schief gelaufen. Ziemlich schief." Das konnte man laut sagen. Dabei hatte alles so prima angefangen. Sie hatten fast sicher gewusst, dass Kelso in Antwerpen war. Wo sollte er sonst die Diamanten losschlagen? Die Cooperation hatte nach ihm suchen lassen und tatsächlich war ein Diamantenpäckchen zu Händen von Wintrop Kelso in Antwerpen angekommen. Dies herauszufinden war nicht einfach, aber auch nicht allzu schwer gewesen. Man hatte natürlich Verbindungen zum Hohen Diamantenrat.
Sie waren aber zu spät gekommen, um Kelso noch beim Abholen des Päckchens abzufangen. Das Diamond Office, das die Diamanten beim Import kontrollierte, gehörte zur Konkurrenzfirma DeBeers und man hatte so die Spur wieder verloren. Aber dann hatten sie von einem ihrer Informanten einen Tipp gekriegt. Kelso hatte bei einem Fälscher einen neuen Pass bestellt. Den Rest rauszukriegen hatte dann nicht sehr lange gedauert. Courtland war zu Boliére marschiert und hatte ihm sein Angebot unterbreitet. 20 000 Dollar wenn er ihnen den Mann, der die Pässe abholen sollte, auslieferte. Überraschend schnell war der schmutzige Belgier darauf eingegangen. Hatte ihnen gesagt, dass ein Mann namens Maurice Pieroud, den er aus der Legion kenne, die Papiere bei ihm bestellt hätte. Aber er wüsste nicht, wann er sie abholen würde. Sie müssten auf ihn warten. Nach einer Flasche billigen Fusel, den Courland mit Boliére trinken musste, waren sie sich einig geworden. Courtlands Männer würden im Haus warten und sich den Kerl schnappen, der die Papiere abholte, inklusive allen, die ihn begleiteten. Boliére bekam dafür alles Geld, das sie bei sich trugen und war sogar mit zwei angeheuerten Matrosen zur Hand, die diesen Pieroud mit ihren Muskeln beeindrucken sollten.
Was Courtland Boliére nicht sagte, war, dass sie nur einen von Kelsos Beschützern lebend brauchten, die anderen würden sie an Ort und Stelle umbringen. Genauso wie Boliére und alle Zeugen. Decker hatte sich freiwillig dazu gemeldet. Aber dann war alles anders gelaufen als er gedacht hatte. Ihr Zielobjekt war gekommen und war in Boliéres Zimmer verschwunden. Als er dann wieder rauskam, waren sie schon bereit gestanden, aber der Bursche hatte Lunte gerochen und ihnen die Tür vor der Nase wieder zugeschlagen. Dann war es zu einer Schießerei gekommen und Dooreward hatte es nicht mehr geschafft. Was aus Boliére und den beiden Matrosen, sowie dem Wirt geworden war, wusste Courtland nicht. Aber der Kleiderschrank, der die Papiere geholt hatte, war so lange mit Boliére alleine in einem Raum gewesen, dass die Chancen, den dicken Belgier noch mal wiederzusehen, gleich Null standen. Die anderen Leibwächter Kelsos hatten wohl unten im Barraum auch ganz schön aufgeräumt. Courtland selbst und seine beiden verbliebenen Männer waren Hals über Kopf durch eine Hoftreppe verschwunden, als die Lage aussichtslos wurde.
"Ja, egal, das wichtigste können wir morgen in der Zeitung lesen." dachte Courtland, und sagte dann laut zu Hansen und Decker: "Wir werden die Augen weiter offen halten nach dieser Kanalratte, die unsere Diamanten hat, und sie auf jeden Fall schnappen. Wir haben noch unser Informantennetz. Und noch einen Trumpf in der Hand. Außerdem kriegen wir bald wieder zwei neue Leute, als Ersatz für Konsalik und Dooreward."
"Als ‚Ersatz' für Dooreward!?" Decker sprang auf. "Dooreward kann man nicht ersetzen! Du hast ja keine Ahnung! Ich kenn… kannte ihn seit 8 Jahren. Er war einer der Besten und dieses Arschloch, das ihn hinterrücks abgeknallt hat, wird bluten! Sehr viel bluten!" kreischte Decker und kickte wieder gegen den Einbauschrank
Die Nachbarn äußerten diesmal ihre Verärgerung über die nächtliche Störung mit stetigem Klopfen an die Wand. Das genügte, um den aufgebrachten Decker völlig zum Ausrasten zu bringen.
"Ihr gottverdammten Arschlöcher! Ich komm gleich rüber und schneide euch eure Hälse durch!" brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Augenblicklich war es ruhig.
Courtland vergrub seinen Kopf in den Händen. Im besten Falle hatten die belgischen Nachbarn Deckers englischen Wutausbruch nicht verstanden und riefen jetzt nicht die Polizei. Der Psycho wurde langsam zu einer Gefahr.
"Decker, setz dich wieder hin." Courtland hob den Kopf. "Setz dich hin, verdammt noch mal!" Widerstrebend kam der Amerikaner der Aufforderung nach.
"Ok, jetzt alle mal ruhig. Wir werden diese Kerle, die uns jetzt schon zweimal die Tour versaut haben aufspüren. Wir haben ja immerhin einen Namen. Maurice Pieroud. Und vor allem wissen wir von unserem Informanten in welchem Hotel sich Kelso wahrscheinlich aufhält. Wir sind dort nur noch nicht aufgekreuzt, weil ich dachte, wir könnten die Sache schön diskret in der Hafenkneipe erledigen. Aber jetzt bleibt uns nur noch unser Glück im Hotel zu versuchen. Wir gehen nicht selbst hin, ich habe einen Killer von außerhalb der Sierra Mining Cooperation angeheuert, der die Sache heute noch erledigen wird. Wenn Kelso tot ist kümmern wir uns um seine Leibwächter. Wenn wir sie haben, gehören sie dir Decker, und du kannst mit ihnen machen was du willst. Aber zuerst hab ich noch eine andere Sache für dich." Er reichte Decker einen Zettel. "Das ist die Adresse von einer Laube, die Francis Joquin, dem Cousin von Boliere, gehört. Ich wette zehn zu eins, dass der Kerl sich da verkrochen hat und überlegt, ob er zur Polizei gehen soll. Sorg dafür, dass er nicht hingeht, Decker." vollendete Courtland seine Rede und schlurfte Richtung Bett. Decker und Hansen verließen das Appartement um Boliéres Cousin einen Pflichtbesuch abzustatten. Sie kamen im Morgengrauen zurück. Hansen legte sich sofort schlafen, aber Decker saß noch lange im Schein der Nachtischlampe da und drehte sein rasiermesserscharfes Kampfmesser in den Händen. Ein irres Grinsen umspielte seine Lippen, als er sich den langsamen, qualvollen Tod ausmalte, den Doorewards Mörder erleiden würden.


Der drahtige kleine Mann hatte sich seinen Plan zurechtgelegt. Sein Ziel befand sich in Zimmer Nummer 317 des Plaza Hotels. Diese Nummer hatte ihm sein Auftraggeber genannt. Das Zielobjekt, ein Brite namens Kelso, befand sich dort mit einem, möglicherweise zwei Leibwächtern. Alle bewaffnet. Ein Job den Pierre Jardin normalerweise nicht angenommen hätte. Aber der Profikiller befand sich in Geldnöten und wenn er weiterhin seinen geleasten Sportwagen und seine kostspieligen Schickimicki-Freundinnen behalten wollte, musste er mal wieder Geld verdienen. Jardin war einer der besten Killer auf dem kleinen belgischen Markt. Seine Spezialitäten waren Morde im Prostituiertenmilieu. Das hier war eine Nummer größer. Im Plaza Hotel gastierten zwar auch manchmal stundenweise Prostituierte, doch nannte man die hier "Callgirls" oder "Hostessen". Auf jeden Fall nicht die Art von Nutten mit denen es Jardin normalerweise zu tun hatte.
Er wartete bis punkt 03.00 Uhr. Wenn sein Auftraggeber ihn bis dahin nicht anrief, befand sich Kelso im Hotel und Jardin konnte ohne weitere Rückmeldung loslegen.
Er würde das Hotel durch einen Seiteneingang betreten. Die Tür stand offen, das hatte er zweimal geprüft, und es stand im Gegensatz zum Haupteingang kein livreevierter Hotelpage davor, der ihn später identifizieren konnte. Ab dann musste er pokern, in den Gängen und auf der Treppe (den Fahrstuhl zu nehmen kam für ihn nicht in Frage) konnte ihm jemand begegnen. Aber wie groß war schon die Wahrscheinlichkeit um drei Uhr morgens?
Die Leuchtziffern auf seiner Digitaluhr zeigten 02.58 Uhr an. Zeit loszugehen.
Jardin hatte auf jeden Fall Glück. Niemand kam ihm auf seinem Weg durch das Hotel näher als 20 Meter. Keiner würde ihn wiedererkennen. Er kam im dritten Stock an. Feinripptapete und vergoldete Lampen an den Wänden. Über den Gang zog sich ein leicht abgewetzter roter Teppich, über den wohl jeden Tag Hunderte von Schuhen trampelten. Niemand war auf dem Stockwerk zu sehen, als Jardin die Gänge ablief. Zufrieden grinsend blieb er schließlich vor Nummer 317 stehen. Aus der Innentasche seines schwarzen Blazers holte er seine Walther P22. Eine Waffe, die er sich gekauft hatte, weil James Bond sie benutzte. Im Gegensatz zur großen Wumme des Leinwandhelden war Jardins Waffe jedoch im kleinen Kaliber .22 lr., was die Pistole leichter und kleiner machte. Da Jardin immer aus kurzer Entfernung schoss, war das Kaliber Nebensache. Langsam schraubte er den Schalldämpfer in das dafür eingearbeitete Gewinde, bis er sich nicht mehr drehen ließ. Unter dem Lauf war ein Laser BA-6 Magnum Power Pointer angebracht, der das Ziel bei Dunkelheit mit einem roten Laserpunkt auf bis zu 100 Meter Entfernung markierte. Als letztes holte Jardin aus der Umhängetasche ein Nachtsichtgerät hervor. Es handelte sich um ein amerikanisches Fabrikat mit Infrarotaufsatz, das Sehen auch bei vollständiger Dunkelheit ermöglichte. So stand Jardin nun im Flur. Die Pistole in beiden Händen und das Nachtsichtgerät auf dem Kopf, dessen beide Okulare ihn wie ein futuristisches Insekt aussehen ließen.
Ein oder zwei Leibwächter rief er sich ein letztes Mal ins Gedächtnis. Die Sache war sehr riskant. Aber Jardin vertraute darauf, dass er der Beste war und den Beschützern des Briten um Längen voraus. Die würden heute Kennenlernen was ein richtiger Profi war. Mehr als ihnen lieb sein würde.
Er klopfte nicht an, denn wer würde nicht misstrauisch werden, wenn mitten in der Nacht jemand an seiner Hotelzimmertür klopft? Zum Glück waren die Türen nicht sehr stabil, oder sahen besser gesagt nicht sehr danach aus.
Jardin trat einen Schritt zurück.
Die Tür brach unter Jardins Tritt auf und schwang weit nach innen. Die Waffe im Anschlag sprang Jardin hinterher. Sein Nachtsichtgerät gab ihm den entscheidenden Vorteil. Er sah die Umrisse der beiden schlafenden Gestalten in den Betten und drückte sofort ab. Je zwei Kugeln zerfetzten die ruhenden Körper unter den Decken. Ohne anzuhalten durchquerte der Killer das Zimmer und drehte sich dabei immer wieder um die eigene Achse. Der rote Laserpunkt jagte über Wände, Betten und zugezogenen Vorhänge. Keine weitere Person befand sich im Raum. Jardin steuerte auf die Badtür zu. Dreimal drückte er ab. Die Kugeln durchschlugen die dünne Pressspantür. Jeder der dahinter gelauerte hätte, wäre jetzt tot oder zumindest schwer verletzt. Aber als Jardin die Tür aufriss, sah er, dass dort niemand war. Er atmete schwer. Seit er die Tür eingetreten hatte, waren gerade zehn Sekunden vergangen. Er trat zu den Betten. Ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er kein Blut sah. Einen Augenblick blieb er starr stehen und sinnierte darüber nach, warum zum Teufel er gerade zwei leere Matratzen durchlöchert hatte. Ihm graute, dass hier ein beschissener Irrtum vorlag.

Wenn Kelso gläubig gewesen wäre, hätte er seiner Kirche mindestens 800 Karat Diamanten spenden müssen. An diesem Abend hatte er nämlich einen Schutzengel. Courtland, und damit auch Jardin, war der Meinung gewesen, Kelso befände sich in Zimmer 317. Das hatte Courtlands Informant verlautbaren lassen. Kelsos Zimmer war aber in der Tat Nummer 318. Genau ein Zimmer nebenan. 317 wurde von Fossi und Karotte bewohnt und dort waren auch alle Telefongespräche geführt und die Diamanten aufbewahrt worden.
Neben seinem göttlichen hatte Kelso aber auch einen irdischen Schutzengel, der zwar noch keine Wunder vollbringen konnte, aber auf dem besten Weg dahin war.
Die Schüsse aus der gedämpften 22er hatte er zwar nicht gehört, dafür aber das Bersten der Nachbartür. Hieb überlegte nicht lange, sondern schwang sich aus dem Bett. Er war voll bekleidet, was bedeutete, dass er eine Jeans und ein weißes T-Shirt trug, und sogar noch seine Schuhe an hatte. Wenn ein Personenschützer alleine in einem Hotelzimmer eine Person bewachte, musste er ständig voll einsatzbereit sein. Die Schuhe auszuziehen war noch okay. Einen Schlafanzug zu tragen nicht mehr.
Kelso war auf dem Klo.
Hieb brauchte zwei Sekunden um zur Badezimmertür zu gelangen.
"Mister Kelso, kommen Sie raus!" raunte er gedämpft, aber noch hörbar.
"Geht im Moment nicht. Was wollen Sie denn schon wieder?" kam die gepresste Antwort.
Hieb überlegte. Vielleicht war es sogar besser, wenn Kelso aus der Schusslinie war.
"Okay, sperren Sie die Tür ab und bleiben sie dann in ihrer Ecke sitzen. Machen Sie nur mir auf! Verstanden?"
Er wartete keine Antwort ab sondern rannte zurück durchs Zimmer. Vielleicht war es nur blinder Alarm, aber er war sich sicher, gehört zu haben, wie eine Tür eingetreten worden war. Langsam drückte er die Türklinke nach unten.
Jardin war außer sich. Das Zimmer war leer! Sein Auftraggeber hatte ihm pure Scheiße als stichhaltige Informationen untergeschoben. Er musste weg. Er riss sich das Nachtsichtgerät von den Augen und steckte die Pistole in die Innentasche seines Blazers. Als er wieder auf den Gang trat, war er schon wieder ruhiger geworden und begann logisch zu denken. Entweder seine Zielobjekte waren überhaupt nicht im Hotel oder in einem anderen Zimmer. Nicht sein Problem. Er konnte nichts dafür, dass die Aktion schief gelaufen war. Der Auftraggeber musste trotzdem zahlen. Er, Jardin, hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt. Gefasst ging er den Flur hinab und steuerte auf die Treppe zu, als hinter ihm eine Tür aufgestoßen wurde und ein bulliger Mann seitlich auf den Gang sprang. Jardin drehte ruckartig den Kopf und realisierte, dass der fremde Mann mit beiden Händen eine große Pistole hielt.
Der schlanke Killer schmiss sich seitlich in den abzweigenden Flur und griff mit der Rechten nach dem Knauf der Walther in seiner Tasche. Der Schuss ging durch den Stoff des Blazers und ließ die Glühbirne einer Wandlampe zerspringen.
Hieb wurde durch dieses schnelle - fast schon grazile - Manöver Jardins völlig überrascht und drückte nicht ab. Er hatte sich, als er in den Gang sprang, zuerst nach rechts gewandt, wo sich Fossi und Karottes Zimmer befand. Der Killer war aber schon auf dem Weg zur Treppe und deshalb links von ihm. Er hatte ihn schlicht und ergreifend eine halbe Sekunde zu spät gesehen.
Der Schuss des Flüchtenden war nicht einmal in Hiebs Richtung, geschweige denn in seine Nähe abgegeben worden. Jardin hatte nicht genug Zeit zum Zielen gehabt sondern einfach auf gut Glück unter seiner Achselhöhle hindurchgeschossen. Hätte er sich herumgedreht und auf Hieb angelegt, hätte dieser ihn ohne Zweifel zuerst erwischt. Aber der Schuss gab dem Killer einen Vorsprung.
Hieb überlegte kurz, ob er ihm Folgen sollte. Eigentlich war es nicht nötig, aber ein komisches Gefühl sagte ihm, dass er es tun sollte. Mit gebotener Vorsicht nahm er die Verfolgung auf.
Jardin hetzte die Treppen nach unten. Sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen. Hieb sah den verhinderten Auftragsmörder durch den Treppenschacht ein Stockwerk unter ihm. Aber der Abstand wurde größer. Der Kerl war schneller als er. Hieb achtete darauf, jetzt bloß nicht hinzufallen, und kam im ersten Stock an. Im Laufen packte er das Treppengeländer und machte eine Hockwende darüber. Relativ unsanft kam er direkt auf einer Stufenkante der unteren Treppe an und wäre beinahe gestürzt. Ein leichter kaum wahrnehmbarer Schmerz durchdrang sein linkes Bein, als er sich strauchelnd wieder fing. Vor Jahren hatte er sich den Unterschenkel bei einer ähnlichen Aktion schwer verletzt. Nur war er damals unfreiwillig und gut sieben Meter tiefer gefallen. Nach einer kurzen Schrecksekunde verdrängte er erfolgreich den Schmerz und war im nächsten Moment auf der Straße. Ein kalter Windhauch schlug ihm entgegen, als er sich verwirrt nach links und rechts wandte. Schließlich entdeckte er die Gestalt die 50 Meter vor ihm die Charlottalei hinaufrannte. Hieb steckte die Heckler&Koch in den Hosenbund und hastete hinterher.
Die Charlottalei war zwar eine ziemlich große Straße, aber um diese nachtschlafende Zeit nicht mehr sehr belebt, und Jardin hatte freie Bahn. Einige späte Schaufensterbummler traten überrascht zur Seite und sahen dem Verrückten verdutzt nach, nur um zehn Sekunden später von einem zweiten Irren beinahe umgerannt zu werden. Jardins Vorsprung schmolz dahin. Hiebs raste in einer Geschwindigkeit die Avenue hinunter, als wolle er Jessy James höchstpersönlich Konkurrenz machen. Jetzt machte sich sein tägliches Training bezahlt.
Jardin blickte nicht zurück, spürte aber, dass ihm der Verfolger im Nacken saß. Er kam ans Ende der Charlottalei und wechselte auf die Straße. Ein Auto hielt mit quietschenden Bremsen an, Jardin sprang auf die Kühlerhaube, von dort aufs Dach und auf der anderen Seite wieder hinunter. Die Wagen, die ebenfalls mit Vollbremsung hinter dem ersten zum stehen gekommen waren, erlitten dasselbe Schicksal. Von einem Hubkonzert begleitet rannte Jardin über die unübersichtliche Kreuzung und sah nur noch die Lichter des LKWs, der ihn um eine Handbreit verfehlte. Aber der Killer rannte weiter. Der scheinbar leichte Auftrag war zu einem Kampf auf Leben und Tod geworden. Aber Jardin war sich sicher, die Überhand zu behalten. Keuchend wie ein gehetztes Reh, aber in der Zuversicht, seinen Verfolger zu töten hastete der Profikiller in den Stadtpark, an dessen gesamter Länge die Eycklei Straße verlief, in die die Charlottalei mündete.
Hieb fluchte. Der Bursche den er verfolgte, schien weder Tod noch Teufel zu fürchten. Einfach so über ein paar Autos zu springen und die Karossen zu verbeulen war zwar ungesund, wenn einen die Besitzer erwischten, aber noch nachvollziehbar. Über ein vielbefahrene Straße zu spurten, ohne sich einen Dreck um den Verkehr zu scheren, war einfach nur lebensmüde. Bei der GSG-9 hatte Hieb gelernt, einen Flüchtenden nie aus den Augen zu verlieren, denn wurde der Blickkontakt nur für wenige Sekunden unterbrochen, konnte der Flüchtende die Gelegenheit nützen einen Hinterhalt zu legen, einfach nur eine Waffe zu ziehen oder sich zu verstecken. Aber Hieb wollte noch ein bisschen weiterleben und nicht als ein Häufchen organischer Abfall irgendwo am Randstein kleben. Deshalb ließ er einem 40 Tonnen-Sattelschlepper die Vorfahrt und schälte sich erst dann durch den nächtlichen Verkehr. Als Hieb schließlich die andere Seite der Eycklei Straße erreichte, war der Blickkontakt nicht seit wenigen, sondern schon fast seit 40 Sekunden unterbrochen gewesen. Zögernd ging er auf das Schmiedeiserne Tor zu, das den Eingang zum Park bildete. Er zog dabei seine Mark 23 aus dem Hosenbund.
Jardin atmete immer noch schwer und laut hörbar. Er musste seinen Atem beruhigen, sonst würde ihn sein Verfolger hören. Das Nachtsichtgerät hatte Jardin leider nicht mehr. Das hatte er gleich als er aus dem Hotel kam weggeworfen. Um den Hals schlackernd, behinderte es ihn zu sehr beim Laufen. Aber er würde es nicht brauchen. In seiner Walther P22 hatte er inzwischen ein frisches Magazin mit 10 glänzenden Patronen. Hinter einem Baum gekauert wartete der Killer auf sein Opfer. Es würde kommen, da war er sich sicher. Und dann würde es sich in die Reihe des Dutzends von armen Schweinen einreihen, die Pierre Jardin schon über den Jordan geschickt hatte.
Hieb mied den mit hellem Kies ausgelegten Gehweg und huschte von Baum zu Baum vor. Die furchterregende Heckler&Koch Mark 23 mit beiden Händen halten. Die Automatik war ein echtes Monster von einer Faustfeuerwaffe im Kaliber .45 ACP. Sie war nach strengsten Anforderungen der US Special Forces entwickelt worden und Hieb wusste sie zu Handhaben. Eine Wasseroberfläche glänzte im Mondlicht.
Jardin kauerte immer noch hinter dem Stamm des Pappelbaumes und starrte angespannt in die Dunkelheit. Hatte der Leibwächter des Briten die Verfolgung aufgegeben? Ein Blick auf die Leuchtziffern seiner Uhr zeigte ihm, dass er jetzt seit fast fünf Minuten hier hockte. Wenn der Bursche auch hier war und ihn suchte, warum hörte er dann nichts?
Hieb schob mit der Schuhspitze die Äste und Blätter beiseite, bevor seinen Fuß einen Schritt nach vorne setzte. Fast lautlos kam er zu einem dicken Baum, an dessen raue Rinde er seine Wange legte. Es war kühl geworden und die Härchen auf seinen Armen stellten sich zum Himmel. Hiebs Augen suchten die Schatten vor sich ab. Er konnte einen See erkennen, etwa hundert Meter weiter vorne, und eine ganze Reihe von Bäumen und einige Büsche in der Nähe des Sees. Der Park war nach dem Prinzip des Englischen Parks aufgebaut, das hieß, keine mit dem Lineal gezogenen Bette und Sträucher wie beim sogenannten Französischen Park. Hieb konnte nicht lange darüber nachdenken, welcher Parktyp jetzt für ein Versteckspiel geeigneter war, da sich vor ihm etwas rührte. Der Ex-Elitesoldat ging in die Hocke und legte die Waffe an. Aber er sah nichts mehr. Da vorne war aber eindeutig ein Schatten gewesen. Er bewegte sich vorsichtig aus der Deckung.
Jardin hatte ebenfalls etwas gemerkt. Er spürte, dass der andere ganz in seiner Nähe war und entsicherte seine Waffe.
Hieb hörte das leise Klicken der Waffe nicht, sah aber ein rote Lichtsäule durch die Dunkelheit gleiten. Er wollte den Killer eigentlich nicht töten, sondern ihn nur zur Rede stellen und möglichst viel von ihm über seine Auftraggeber rausbekommen. Als nun der rote Laserstrahl über die Baumstämme und Büsche glitt, hatte Hieb eine Chance den Gegner zu töten, aber dummerweise hatte er dies eigentlich nicht im Sinn.
Jardin bemerkte zu spät, dass er sich durch den Laserpointer verraten konnte. Das Gerät abzuschalten dauerte nur wenige Sekunden und das einzige Licht war wieder der Schein des Mondes. Im selben Moment raschelte drüben Laub und ein Ast knackte. Die Geräusche waren viel näher als Jardin gedacht hatte. Er sprang auf und rückwärts vom Baum weg. Die Walther ging los und schickte in schneller Folge drei Kugeln auf ein unbestimmtes Ziel.
Hieb drückte sich eng an das Holz der Buche, als das dumpfe Plopp einer schallgedämpften Waffe ertönte. Er hechtete aus seiner Deckung, rollte sich über den Boden und lag in Schussposition auf dem Bauch. Der schmale Schatten eines Mannes nur wenige Meter vor ihm. Hieb drückte ab und die schwere Automatik ging mit einem Ruck los. Jardin sah nur noch eine Gestalt, die sich über den Boden rollte, und im nächsten Moment den Mündungsblitz. Die Kugel, gegen die Jardins .22er Geschosse, wie Erbsenkugeln wirkten, drang schräg von unten in seinen rechten Arm ein, durchschlug den Bizeps, zerschmetterte den Knochen und trat auf der Rückseite des Armes mit einer riesigen Sauerei wieder aus.
Hieb hatte sich nach seinem Schuss sofort wieder herum gerollt und lag unter einer Holunderhecke, als die Walther aus Jardins lebloser Hand fiel und ein Schwarm Enten, vom Schuss aufgeschreckt, sich in die Lüfte erhob. Hieb stand auf, die Heckler & Koch auf den Verletzten gerichtet.
Der belgische Kontrakt-Killer hatte zum ersten Mal einen Gegner gefunden, der ihm überlegen war. Die schwarzen Schwingen, der flügelschlagenden Enten, im Hintergrund ging Jardin in die Knie. Mit aufrechtem Oberkörper kniete er auf der nassen Wiese und konnte es nicht glauben. Er war besiegt worden. Ungläubig über das Geschehen hörte er nicht, wie Hieb ihn ansprach. Langsam fuhr er mit der linken Hand zur Rechten und rieb das Blut darauf zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Stimme des Mannes, der ihn angeschossen hatte, drang nur langsam zu ihm durch.
"… bist verletzt. Sieht übel aus, aber wenn du in der nächsten Stunde in ein Krankenhaus kommst, können die Ärzte deinen Arm retten. Ich ruf dir sofort eine Ambulanz, wenn du mir erzählst, wer dich geschickt hat. Und ich will Namen wissen und Adressen, Telefonnummern, alles was du weißt. Hörst du mich? Sie mich an! Sie mir in die Augen, ich mein es ernst. Willst du etwa so enden?"
Mit glasigem, ausdruckslosem Blick sah Jardin den Mann an. Er hatte Recht, mit allem was er sagte. Er brauchte dringend einen Arzt, sonst würde er hier verbluten oder den Rest seines Lebens ein einarmiger Krüppel sein. Jardin hatte einen ungebrochenen Lebenswillen. Und vor allem einen riesigen Hass auf diesen Mann, der ihn besiegt hatte.
"Du bist kein normaler Bodyguard. Hab ich Recht? Ich weiß nicht, wer mich beauftragt hat. Er hat seinen Namen nicht genannt. Bei mir bist du an der falschen Adresse."
Stöhnend setzte er ein Bein nach vorne, stütze sich mit der gesunden Hand auf den Oberschenkel und stand schwankend auf. Mit dem Körper Jardins wanderte auch der Lauf von Hiebs Pistole nach oben.
"Du weißt was. Du würdest keinen Auftrag übernehme, ohne eine Rückversicherung. Irgendetwas weißt du über deinen Auftraggeber, zum Beispiel wo du dein Honorar für den Mord erhalten sollst."
Jardin lachte verächtlich. "Mord? Hoho du schwingst dich zum Richter über meine Taten auf. Wie wenn du nicht dasselbe tätest. Ich nehme Geld und bringe dafür jemanden um. Du nimmst Geld und bringst dafür die um, die den umbringen wollen, der dir das Geld gegeben hat. Tu nicht so, als wärest du ein astreiner Personenschützer. Deine ganze Haltung im Moment verrät, dass du gelernt hast zu morden."
Jardin hatte Recht, aber Hieb hatte bei den Worten "Honorar" und "Mord" eigentlich auch gar keine negativen Hintergedanken gehabt. Diese Worte waren für ihn wertungsfrei. Wie sein Gegenüber war er schon zu lange in diesem schmutzigen Geschäft.
"Also erschieß mich. Mir ist es egal. Was hab ich schon zu verlieren?" sehr viel, aber das sprach Jardin nicht aus. Er wollte leben und diesen Mann sterben sehen. In seiner linken Hosentasche trug er ein scharfes Springmesser und der Mann war nur einen Satz von ihm entfernt, wenn nur die verdammte Pistole nicht wäre, die unvermittelt auf seine Brust zeigte.
"Du lügst. Du willst genauso wenig sterben wie ich oder der Mann, den du heute hättest töten sollen. Ich sehe es in deinen Augen, du denkst panisch darüber nach, wie du hier rauskommst. Und ich sag es dir, in dem du mir alles verrätst was du weißt." Antwortete Hieb mit Nachdruck. Der Bursche sollte aufhören den harten Jungen zu spielen. Er war verletzt, unbewaffnet und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Warum sah er nicht endlich ein, dass die Situation für ihn aussichtslos war?
Ein Grinsen umspielte Jardins Mundwinkel. "Okay, der Mann der mir den Auftrag gegeben hat den Briten zu töten, nannte sich Branston. Aber ich glaube nicht, dass er wirklich so heißt. Er war ziemlich groß und schlank, hatte graue Haare, nach hinten gekämmt, sehr dunkle Augen. Fast schon schwarz. Er hat mir Hunderttausend geboten, wenn ich das Zielobjekt töte. 25 Tausend im Voraus. Den Rest soll ich später abholen." Er sah auf die Armbanduhr an seinem linken Handgelenkt. Blut tropfte von seinem toten rechten Arm auf den Boden. "Genauer gesagt in einer halben Stunde an der U-Bahn Haltestelle Maria Henriettalei. Gleich da hinten vor dem Park."
Hieb machte den unverzeihlichen Fehler, den Kopf zur Seite zu wenden und dem ausgestreckten Finger des waidwunden Killers zu folgen. Wahrscheinlich hatten ihn der viele Stress und der wenige Schlaf in den letzten Tagen zu sehr zugesetzt.
Jardin sprang nach vorne und stach mit dem gezückten Messer nach Hiebs Hals. Hieb dachte nur noch, dass ein verletztes Tier immer das gefährlichste Tier ist und krümmte den Finger.
Die Mark 23 transportierte und beförderte schneller, als Hieb zwinkern konnte, eine neue Patrone in die Kammer. Er drückte ein zweites Mal ab. Die Schüsse hallten weit durch den Park und zum Himmel hinauf, als würden sie die Seele des Killers zum Jüngsten Gericht empor tragen. Hieb war sich ziemlich sicher, dass sie bald wieder abwärts und unter die Erde fahren würde. Der Körper des Belgiers wurde zurückgeworfen und fiel wie ein lebloser Sack zu Boden. Die beiden Kugeln hatten seine Brust und zahlreiche Innereien zerfetzt.
Hieb stand ruhig da. Die Pistole und den Kopf gesenkt. Seine Gedanken waren erstaunlich ruhig. Er begann methodisch zu denken. Was hatte er erfahren? Praktisch gar nichts. Die Information von der U-Bahnstation war mit Sicherheit so falsch wie die roten Backen und blonden Haare einer alten Nutte.
Was sollte mit der Leiche geschehen? In den See. Das war die nächstliegende Idee. Hieb packte den Killer bei den Beinen und schleifte ihn über den Rasen zum Ufer des Sees. Wie bestellt spannte sich dort eine Brücke über das künstliche Gewässer. Auf dem höchsten Punkt des Brückenbogens hievte Hieb den Körper über das Geländer, nicht ohne die Taschen und die Hose des Toten vorher ordentlich mit Steinen zu füllen. Mit einem Klatschen kam das Bündel auf der Wasseroberfläche auf. Hieb sah zu, wie der Körper ein paar Minuten oben auf schwamm, bevor er langsam unterging. Diese Arbeit war getan. Irgendwann, im Winter oder vielleicht erst in ein paar Jahren würde man den Toten finden. Hieb ging hastig zurück. Die Pistole des Killers und das Messer hatte er auch in den See geworfen. Seine eigene musste er möglichst schnell ebenfalls loswerden. Aber wo anders, wo man sie mit Sicherheit nie fand. Um viertel vor vier war er zurück im Hotel. Kelso war immer noch am Klo. Das Hustlermagazin, das dort lag, hatte er wahrscheinlich schon zweimal durch. Auf die eine oder andere Art. Hieb konnte nicht schlafen. Unmöglich. Es wurde Zeit das die anderen zurückkamen.


Nächster Morgen
Die anderen Söldner kehrten im Morgengrauen zurück. Hieb rief sofort eine Besprechung ein. Alles was sie geplant hatten, hatte mehr oder weniger geklappt. Eher weniger als mehr. Den Söldner dämmerte langsam, dass es irgendwo ein Leck gab oder sie die Möglichkeiten der Sierra Mining Cooperation unterschätzt hatten. Ihre Verfolger hatten von dem Geschäft mit Boliére gewusst und auch ihren Aufenthaltsort im Plaza Hotel gekannt. Irgendwer musste ihnen diese Informationen zugesteckt haben. Sie mussten in Zukunft noch vorsichtiger sein und durften keinem mehr trauen. Aber sie hatten den Pass und Kelso war sowieso so gut wie im Flieger. Alles nur noch eine Frage der Zeit. Später brauchte Kelso natürlich noch einen weiteren Pass. Seine neue Identität auf den Namen Richard Duncan war ja wahrscheinlich bereits auch der Sierra Mining Cooperation bekannt.
Sie checkten im Hotel aus. Zuerst aber mussten Karotte und Fossi dem Hotelmanager noch eine mehr als abenteuerliche Geschichte erzählen, wieso sich ihr Zimmer in einem derart ramponierten Zustand befand. In dem Märchen, das sie ihm auftischten, spielten Alkohol und noch mal Alkohol die Hauptrollen. Der Hotelier glaubte sie kopfschüttelnd und präsentierte den beiden Rechnung, die sie - oh Gott es geschahen noch Zeichen und Wunder - nicht über ihre Versicherung begleichen ließen, sondern bar bezahlten. Die acht .22er Kugeln, die sie aus den Wänden und Matratzen gepult hatten, befanden sich vorsorglich in Karottes Hosentasche.
Vom Plaza Hotel bis zum Büro von Eugen Eigenbrood waren es zu Fuß nur knapp 15 Minuten. Trotzdem fuhren die Söldner mit den beiden Autos. Sicherheit ging vor. Im ersten Wagen saßen Barlmoro, Hieb und Kelso, im zweiten folgten Karotte und Fossi. Alle waren übermüdet. Karotte, Fossi und Barl waren erst ins Hotel gekommen, als die eifrigen Geister des Hauses schon wieder alles für einen neuen Tag im Dienste der Gäste vorbereiteten. In ihren Betten, oder was davon übrig war, hatten sie weniger als eine Stunde geschlafen. Das waren die Unannehmlichkeiten, die das Leben als Söldner mit sich brachte. Aber dafür war die Bezahlung wesentlich besser als bei den Polizei- und Militäreinheiten in denen die vier Männer früher ihren Dienst geleistet hatten und in denen die Gefahr für Leib und Leben vom Staat mit läppischen 280 Mark Gefahrenzulage im Monat ausgegolten worden war. Soviel konnten sie in ihrem jetzigen Job an einem halben Vormittag verdienen.
Trotzdem war es leicht deprimierend durch das Antwerpener Diamantenviertel zu fahren. Überall Juweliere, an allen Ecken wurden diamantengeschmückte Armbanduhren zu einem Preis verkauft, für den ein normaler Fabrikarbeiter ein ganzes Jahr arbeiten musste. Und trotzdem schien das Geschäft zu laufen, sonst hätte sich nicht dieses Viertel entwickelt, das ganz allein von den kleinen durchsichtigen Steinen lebte. Sie alle lebten davon: Die orthodoxen Juden, die schwarz gekleidet, mit Rauschebart und Locken über die Gehsteige flitzten, die indischen Händler, die gerade ihre Läden öffneten und ihre pakistanischen Ladennachbarn misstrauisch beäugten, und vor allem die vielen, ständig gehetzt wirkenden, Männer in Nadelstreifenanzügen und Handy am Ohr, die von einem Verkaufstermin zum nächsten hetzten, immer auf der Jagd nach dem heutigen Schnäppchen an der Diamantenbörse oder einfach getrieben von der Angst am Monatsende nicht genügend Dollars für ihren Chef gesammelt zu haben und eiskalt entlassen zu werden.
Sie alle bevölkerten dieses Viertel und wollten sich ein Stück vom großen Diamantenkuchen abschneiden. Solange die Menschen an die mystische Macht dieses Steines glaubten, war ihre Existenz gesichert. Doch wehe, es würde allzu publik werden, dass Diamant gar kein so seltener und kostbarer Stein war, wie alle Welt tat, oder einfacher ausgedrückt: Würde De Beers eines Tages auf die Idee kommen alle seine Reserven an Diamanten auf den Markt zu schmeißen, würde es einen Preisverfall geben, der seinesgleichen in der Geschichte des Bergbaus gesucht hätte.
So einen Gedanken hier laut zu äußern, hätte sicherlich dazu geführt, dass die pakistanischen, indischen und jüdischen Händler für einige Zeit ihre Streitereien vergessen und ihre ganze Energie darauf verwendet hätten, den vorlauten Nestbeschmutzer nach allen Regeln ihrer einheimischen Traditionen am nächsten Laternenpfahl zu lynchen.
Aber auf diesen Gedanken kam an diesem Morgen niemand. Kelso dachte an den bevorstehenden Diamanten-Deal und die Söldner an die Geschehnisse der vergangenen Nacht. So gelangten sie schließlich zum Bürogebäude in der Rijfstraat, in dem sich Eigenbroods Büro befand. Diesmal wartete Fossi im Wagen, während Karotte mit nach oben ging. Dort warteten auch schon Eigenbrood samt Sekretärin, die wie immer hüftschwenkend Kaffee servierte. Anscheinend schien sie zu nichts anderem eingestellt worden zu sein. Der Diamantenschleifer Ariel Ramal und der Juwelier Carsten Kleen waren ebenfalls schon anwesend. Daan Scheenen platzte als letzter herein und entschuldigte sich vielmals. Hieb sah sie an. War einer von ihnen der Verräter? Die Diamanten aus dem Safe zu holen übernahm Karotte, der ein gleichgültiges Gesicht aufsetzte, als er das Päckchen im Wert von zehneinhalb Millionen Dollar auf den Tisch legte. Die Gesichter der Leibwächter wurden länger, als die drei Kunden anfingen die Diamanten zu zählen. Aber zum Glück dauerte es nicht so lange wie am Vortag. Bevor die Söldner richtig realisierten, was da genau geschah, kam es zum Geschäftsabschluss.
Die Händler reichten drei Koffer über den Tisch zu Kelso. Kelso schob drei Diamantensäckchen zu den Händlern und dann wurde das Geschäft mit Handschlag besiegelt.
Den Smalltalk verschob man auf später, jeder hatte etwas Besseres zu tun. Jeder der drei Händler bekam sein kopiertes Herkunftszertifikat und verabschiedete sich.
Die Söldner waren reichlich irritiert. Das sollte es gewesen sein? Stundenlanges Geschwafel über die Steine, ewiges Prüfen der Qualität und dann wickelten sie das Geschäft in fünf Minuten ab. Von Verträgen und Geldüberweisungen schienen die Herren hier sowieso nicht sehr viel zu halten. Später sollten sie erfahren, dass in Antwerpen praktisch alle Diamantengeschäfte bar und im Vertrauen auf die Ehrlichkeit des Geschäftspartners abgewickelt wurden.
Als Kelso jetzt das Geld, sage und schreibe 10 470 000 Dollar, emotionslos aus den drei Koffern in einen umfüllte, konnten die Söldner förmlich spüren, wie das Ende ihres Auftrags in greifbare Nähe rückte.
"So Eugen, das wärs dann. Ich geb dir jetzt noch deine Provision und nehm dann den nächsten Flieger. Was wäre ein angemessener Preis für deine Hilfe?" fragte Kelso den Diamantenhehler.
"Du hast gerade eine Menge Geld verdient, aber eine krumme Summe. Machen wir doch eine Gerade daraus."
"Ok, 470 Tausend. Hilf mir beim Zählen."
Zehn Minuten später war auch das erledigt und sie standen in der Lobby des Bürohauses, wo sich die beiden Männer noch einmal kräftig die Hände schüttelten. Schließlich zog Kelso Eigenbrood doch noch heran und umarmte ihn.
"Danke, alter Freund, für deine Hilfe. Ohne dich hätte ich die Steine nicht losgebracht. Ich hoffe wirklich, dass wir uns wieder sehen. Aber jetzt entlohn ich erst mal die Herren und nehm dann meinen Flieger. Viel Glück noch bei deinen Geschäften."
"Dir auch Winny. Und denk dran, es herrscht nicht ewig Sturm. Die Wogen glätten sich irgendwann wieder und du kannst wieder zurückkommen. Jetzt aber auf Wiedersehen, sonst fang ich noch an sentimental zu werden. Auch Ihnen auf Wiedersehen, meine Herren." Eigenbrood gab jedem der vier Söldner die Hand und verschwand dann schließlich endgültig in den Aufzug zu seinem Büro. Sie waren wieder allein in der wohltemperierten Lobby.
"Also, jetzt kann ich Sie auch gleich auszahlen. Bar oder Überweisung?"
Die vier Söldner blickten sich an.
"Wir haben uns eigentlich auf Überweisung eingerichtet, aber bevor wir jetzt eine Bank suchen, können Sie uns das Geld auch cash auf die Hand geben." Antwortete Hieb stellvertretend für sich und die anderen.
"Gut, Mister Hieb. Sie haben die Kurse besser im Gedächtnis als ich. Wie viel schulde ich ihnen?"
Barlmoro begann aufzuzählen: "Wir haben Sie jetzt ziemlich genau sieben Tage beschützt, also eine Woche. Das macht für meinen Kollegen Hieb und mich je 60 000 Dollar. Für die beiden Herren Fossi und Karotte 22 000 bzw. 25 000 Dollar. Hinzu kommen 25 000 Dollar laufende Kosten für Ausrüstung, Wagen und Unterbringung. Hab ich was vergessen?"
Barlmoro schüttelte grinsend den Kopf. "Vielleicht noch das Flugticket Erster Klasse für Antigua, das ich gestern noch, wie gebeten, für sie besorgt habe." Er überreichte Kelso den Umschlag mit der Aufschrift der Fluggesellschaft. "Aber sagen wir mal, das fällt unter ‚laufende Kosten'. Denken Sie dran, benützen Sie Ihren neuen Pass nicht zu oft. Boliére hat uns verraten, also wissen auch die Leute von der Sierra Mining Cooperation wahrscheinlich, dass Sie jetzt einen Pass auf den Namen Richard Duncan haben. Ich glaube aber nicht, dass man Sie auf Antigua aufspüren wird. Für alle Fälle besorgen wir Ihnen einen weiteren Pass, wenn wir in Deutschland sind. Deshalb wäre es nett, wenn Sie uns in den nächsten Wochen eine Adresse in Antigua schicken könnten, an die wir dann Ihre neuen Papiere senden können. Sie haben unsere Anschrift?"
"Natürlich, ich mache alles wie Sie es gesagt haben. Ich hoffe, wir werden dann nicht mehr so schnell voneinander hören. Sie bringen mich doch noch zum Flughafen, oder?"
"Natürlich, erst dann ist unser Auftrag abgeschlossen."

Eugen Eigenbrood saß wieder in seinem Büro und sah zur Decke. Seine Sekretärin brachte diesmal keinen Kaffee sondern war mit geöffneter Bluse über seinen Schoß gebeugt und machte mit vollem Mundeinsatz das, was sie noch besser konnte als Kaffeekochen. Aber Eigenbrood war heute nicht nach einem Blow-Job zu Mute.
"Susi, kannst du bitte nachschauen, ob ein Fax gekommen ist?"
Die Blondine hob verdutzt den Kopf und sah Eigenbrood verärgert an. "Natürlich, Herr Eigenbrood." Sie wandte sich abrupt ab und knöpfte beim Rausgehen wieder ihre Bluse zu.
Eigenbrood legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und sah weiter zur Decke. Schließlich konnte er sich endlich aufraffen und wählte eine Antwerpener Nummer.
"Ja?"
"Hier Eigenbrood. Guten Tag Mister Courtland, wir haben gestern schon miteinander telefoniert..."


Der Flughafen war wie immer überfüllt. Ein Flug der belgischen Sabena Airline war wegen eines kleinen technischen Defekts verschoben worden und jetzt warteten 300 Menschen auf ihren Flieger. Das Air France Flugzeug, das Kelso nach Saint John´s auf der Karibikinsel Antigua bringen sollte, war aber pünktlich. Eine sonore Frauenstimme rief gerade den Flug zum ersten Mal auf. Fast schon ausgelassen eskortierten die Söldner Kelso zum Schalter. Die dicken Dollarbündel in ihren Taschen fühlten sich gut an. Kelso stellte seinen Koffer noch einmal hin.
"Bevor ich jetzt gehe, möchte ich mich noch einmal bedanken. Sie haben mir in der letzten Woche mehr als einmal das Leben gerettet. Es war wirklich Glück, dass ich auf ihre Organisation gestoßen bin, ansonsten wäre ich jetzt tot. Bis vor kurzem war mir das noch gar nicht so klar. Auf jeden Fall vielen Dank. Vielleicht treffen wir uns ja irgendwann wieder."
"Bloß nicht." dachte Hieb, musste aber gleichzeitig feststellen, dass er den kleinen, dicklichen Mann mit den gefärbten schwarzen Haaren in den letzten Tagen zu schätzen gelernt hatte und ihn inzwischen sogar ganz gut leiden konnte. Deshalb viel der Händedruck auch fest und herzlich aus.
Sie sahen noch zu, wie Wintrop Kelso seinen Koffer dem Flughafenangestellten gab und sich abtasten ließ, bevor er durch den Metalldetektor trat. Dann war er auch schon verschwunden.
Karotte atmete tief durch. "So, dass wars dann wohl. Unternehmen wir noch was oder hauen wir gleich ab?"
"Keine Ahnung. Ich schätze, euch geht es wie mir und ihr habt auch keine Lust mehr auf einen Abstecher in die Schipperstraat?" grinste Barlmoro.
"Nein danke. Vielleicht ein anderes Mal wieder," lachte Fossi. "Also ich nehm den Zug nach Deutschland, was macht ihr?"
"Ok, nehmen wir auch den Zug. Ich kenn da an der Mosel einen netten kleinen Gasthof, wo ich schon lang nicht mehr war, da können wir ja heute Abend Essen gehen."
Hiebs Vorschlag fand Anklang und die vier Männer spazierten nebeneinander auf die Straße.


Saint John´s - Antigua 10 Uhr Ortzeit
In der Nacht war ein Regenschauer nieder gegangen, der die Rinnsteine in Bäche verwandelt hatte. Aber als die Sonne herauskam trocknete das Wasser schnell und es versprach ein wunderbarer herrlicher Karibiktag zu werden. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und die Fischer am Hafen von Saint John´s verkauften ihre Ware an die Hausfrauen und Hotelköche der Stadt. Auf ihren dreirädrigen Fahrradtaxis strampelten sich die, zumeist jungen, Fahrer ab, um sonnenverbrannte Touristen herumzufahren.
Einer von ihnen war Wintrop Kelso, der seinen fünften Tag auf Antigua mit einem üppigen Frühstück im Hotel begonnen hatte. Am Hafen ließ er anhalten und entlohnte den aufstrebenden Taxiunternehmer. Hinter ihm gab es einen kleinen Stau, da ein weiteres Fahrradtaxi einen Urlauber aussteigen ließ. Kelso schlenderte, die Angelrute untergehakt, auf die lange Mole hinaus, wo ein guter Angelplatz war. Er warf die Angelleine aus, als Köder benutzte er kleine Makrelen. Er konnte es sich leisten. Wenn er sich in Kürze ein Häuschen und ein Schiff kaufen würde, konnte er auch weiter raus fahren und größere Fänge machen, rechnete er sich aus. Er musste jetzt langsam dem B&HMP in Deutschland mitteilen, an welche Postfachadresse sie die neuen Papiere schicken konnten. Aber das schob er von Tag zu Tag hinaus. Er kam sehr gut mit seinem eigenen und dem Pass auf den Namen Richard Duncan zu Rande. Naja, spätestens wenn er sein Haus kaufte, würde er sich mit der deutschen Organisation in Verbindung setzten.
"Na, zappelt schon was an der Leine?"
Kelso drehte sich überrascht zu dem grauhaarigen Mann um, der unbemerkt an ihn herangetreten war. Irgendwoher kannte er das hagere Gesicht und diese ausdrucklosen dunklen Augen. Gerade als sein Mund die erstaunte Frage formulieren wollte, blitze etwas Helles in der Sonne.
Kelso spürte einen Schmerz, der seinen ganzen Körper durchfuhr, und seine Glieder wurden plötzlich unsagbar schwer. Er konnte nicht schreien oder wegrennen. Er sackte ohne Kontrolle über seine Gliedmaßen in die Knie und fiel wie in Zeitlupe nach vorne. Der strahlend blaue Horizont kippte weg, sein Gesicht berührte den steinigen Boden und eine schmerzhafte, bedrohliche Schwere erfüllte seinen Körper.
Das einzige tröstliche an seinem Tod war, dass er schnell kam und Kelso sich nicht mehr fragen konnte, wer ihn verraten hatte. Sein letzter Gedanke war, dass Blutdiamanten eben immer ihr Opfer forderten.


 

Zum Ende möchte ich allen Lesern danken, die meine Warstory gelesen haben, und hoffe, dass sie Euch gefallen hat. Danken möchte ich außerdem Gorgonzola von der Basis, der die Storys immer prompt und schnell online gestellt hat. Besonderen Dank gebührt natürlich meinem Testleser Dactylartha, der zahlreiche Fehler und unlogische Stellen verbessert hat, und meinen beiden Lektorinnen Tina und Sammy, die sich mit den manchmal seltsamen Auswüchsen meiner Rechtschreibkunst herumgeschlagen haben.


Von Job


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