Neue Erkenntnisse
Gegen halb neun ging es zu Kelsos Geschäftsessen. Schnell wurde allen
Söldnern klar, dass "Geschäftsessen" den Abend nicht genau
beschrieb. Sie fuhren durch ein schäbiges Viertel und kamen schließlich
zu einer großen alten Fabrikhalle. Riesige blaue Leuchtreklame zog die
Motten und andere Nachtfalter des gesamten Viertels an.
CLUB BLUE Motion
Sie parkten beide Wagen gegenüber der Lagerhalle auf dem Parkplatz eines
Supermarkts, der für diese Nachtzeit ziemlich gut gefüllt war. Dann
überquerten sie zu viert, Kelso in der Mitte, die Straße und hielten
auf die Lagerhalle zu. Der Eingang befand sich oberhalb der Straße. Alle
Besucher mussten über eine an der Außenwand angebrachte Metalltreppe,
an deren oberen Absatz zwei Männer standen und entschieden, wer durch durfte
und wer nicht. Dancemusik drang aus der geöffneten Stahltür.
Etwa fünfzig Leute hatten sich hier versammelt. Die Anwesenden ließen
sich in zwei Gruppen aufteilen. Junge Menschen, Männer und Frauen, wohl
alle unter dreißig und ältere Herren. Geschäftsmänner.
Die erste Gruppe war wohl zum Feiern hergekommen. Wozu die zweite Gruppe da
war, konnte sich Hieb nicht so recht denken.
Die Vierergruppe hatte gerade die unterste Stufe der Treppe erreicht. Hinter
ihnen wurde die Schlange länger. Aber bisher ließen die Türsteher
fast alle ein. Es war ein einziger Alptraum. Die drei Söldner bemühten
sich ersichtlich, Kelso auf Abstand von den anderen Anwesenden zu halten. Was
aber praktisch unmöglich war. Es ging immer stufenweise vorwärts.
Als sie fast das Ende der etwa 2 Meter hohen Treppe erreicht hatten, konnten
die großgewachsenen Söldner einen Blick auf die Türsteher werfen.
Zwei Männer, wohl beide Ende zwanzig im Military-Look. Army-Hosen, Muscleshirts,
Piercings, Tätowierungen auf den muskelbepackten Oberarmen. Beide hatten
kahlrasierte Schädel. Einer hatte sich auf dem Hinterkopf einen langen
Zopf stehen lassen, der, orange gefärbt, fast bis zum Arsch reichte. Fossi,
der vorne stand, fragte sich, ob der wohl echt war. Hätte er zu gerne mal
ausprobiert. Jetzt erst fiel ihm auf, dass alle Passierenden blaue Karten vorzeigten,
die von den Muskelmännern in der Mitte durchgerissen wurden.
Er teilte es sofort Hieb mit. Dessen Blick verfinsterte sich zusehend. Sie hatten
Deutsch geredet und Kelso sah sie verständnislos an.
"Mister Kelso. Sie haben uns nicht gesagt, dass wir Eintrittskarten brauchen.
Das hätten Sie uns rechtzeitig mitteilen sollen." Hieb sagte das in
einem ruhigen, keinen Widerspruch zulassenden Tonfall.
Fast ein wenig ängstlich zog Kelso mit zwei Fingern eine blaue Karte aus
der Tasche. "Ich hatte gedacht, sie würden nicht mit reinkommen?"
Er hatte das als Frage formuliert.
Aber es war zu spät für einen Wutausbruch seitens Hiebs. Die drei
Söldner und ihr Schutzbefohlener waren an der Reihe. Kelso wollte schon
die blaue Eintrittskarte hervorziehen, aber Hieb hielt ihn zurück. Karotte
trat vor.
"Eintrittskarte!" kam es wirsch von einem der beiden Kerle mit Augenbrauenpiercing.
"Ich glaube, ich habe keine."
"Was?!" baffte der andere, "dann verschwinde, Mann!"
"Wir und meine Freunde hier wollen aber gerne rein. Meine Freunde haben
extra den langen Weg aus Deutschland gemacht und ich komme sogar bis aus Kanada,
um heute Abend diesen Club zu besuchen. Sie sind verdammt bekannt in der Szene.
Wir hatten auch Eintrittskarten. Schon Monate im Voraus auf dem Schwarzmarkt
gekauft. Die Dinger gehen bei uns zu Hause weg wie die warmen Semmeln und sind
verdammt schwer zu kriegen. Aber wir müssen sie irgendwie verloren haben.
Das tut uns wirklich Leid. Könnten Sie uns nicht so reinlassen? Oder gibt
es so eine Art Abendkasse?"
Die beiden sahen Karotte ziemlich verblüfft an. Der Zopfträger sagte
zuerst wieder was.
"Nein, alle Karten für heute Abend wurden schon im Voraus verkauft.
Mittwoch ist Guestsnight. Nur wer eine Karte hat, kommt rein. Warum sollte ich
dich also reinlassen, Rotschopf?!"
"Weil wir die Partylöwen sind?" warf Fossi grinsend ein. Ihn
amüsierte das Ganze. Aber die Situation wurde langsam ernst, die Menschen
hinter ihnen in der Schlange sahen, dass es nicht weiterging und fingen an zu
schieben. Worte des Unmuts wurden laut. Hieb hatte alle Mühe, Kelso auf
Abstand zu halten und blieb wie ein Fels auf der Treppe stehen, seinen breiten
Rücken gegen die Menge gestemmt.
Karotte war wütend. Dieses Arschloch hatte ihn Rotschopf genannt!
Der Revolver hing schwer unter seiner linken Achsel.
"Nein! Nein, nein, böse Idee, ganz böse Idee." Karotte schob
den Gedanken gewaltsam zur Seite. Er trat vor.
"Hey, willst du hier nen Aufstand?" dabei steckte er ihm ein Bündel
Pfundscheine in die Tasche und richtete sich zur vollen Körpergröße
auf.
"Ok, geht durch. Aber benehmt euch anständig, sonst fliegt ihr hochkant
raus." Der Gepiercte trat einen Schritt zur Seite und ließ die drei
Söldner und Kelso passieren.
Drinnen kam ihnen ein Schwall abgestandener Luft entgegen. Hieb hatte eine Miene
aufgesetzt als wolle er Kelso auf der Stelle zum Abendessen verspeisen. Er war
wohl stinksauer.
Die Halle war voller Menschen und das Licht war düster. Auf einer Seite
war eine Bühne aufgebaut, auf der mehrere DJs an Plattenspielern herumhantierten.
Die Boxen waren so riesig, dass es für den Betrachter aussah, als würden
sie bis zur Decke reichen. Während Fossi noch auf die zahlreichen Beleuchtungseinrichtungen
an der von Stahlträgern durchzogenen Decke starrte, stieg ihm ein höchstens
15 jähriges Mädchen in knappem Glitzer-Top und dünnen 12 Zentimeterabsätzen
auf die Füße und trennte ihm beinahe eine Zehe ab.
Die Musik war extrem laut und das Gedrängel der tanzenden Menge fast schon
Panik einflößend. Hieb schob Kelso schnell weiter. Karotte und der
leicht humpelnde Fossi nutzen ihre massigen Körper, den beiden einen Weg
durch die Menge zu bahnen. Schließlich gelangten sie in eine Art Separée.
Dort grüßte Kelso ein kleines schwarzhaariges Männchen in einem
scheußlichen Anzug, das hochtrabend eine Schwingtür öffnete
und eine Verbeugung machte, während es sie einließ.
Hätten sie das Casino von Monte Carlo, die Bayreuther Festspiele oder die
Queen besucht, wäre diese Geste wohl angemessen gewesen. In dieser aufgemotzten
Fabrikhalle wirkte sie nur schleimig. Als die Schwingtür hinter ihnen zuschlug,
herrschte plötzlich bedrückende Stille. Sie schloss verdammt dicht,
schalldicht. Sie waren in einem Gang, dessen Boden und Wände mit irgendeinem
schwarzen, schallschluckenden Kunststoff ausgekleidet war. Hieb rückte
unbewusst seinen Pistolenhalfter zurecht.
"Wo führen Sie uns eigentlich hin, Mister Kelso? Findet hier etwa
Ihr Geschäftsessen statt?"
Das Wort "Geschäftsessen" ließ er sich auf der Zunge zergehen.
"Gleich da hinten. Kommen Sie einfach mit."
Die drei bildeten einen Schutzwall um Kelso und gingen langsam den Gang entlang.
Durch eine weitere Schwingtür gelangten sie in eine andere Welt. Hier erinnerte
nichts mehr an die Fabrikhalle. Teppichböden, Sitznischen, Grünpflanzen,
leise Musikberieselung, eine monströse Bar. Die Söldner fühlten
sich auf Anhieb wohl.
Durch eine riesige Glasscheibe, die eine gesamte Wand des Raumes bildete, konnte
man auf die Tanzfläche sehen. Musste außen verspiegelt sein, denn
sie hatten von draußen nichts davon gesehen.
Karotte fragte sich, warum man eine solche Luxuskneipe neben einen Tanztempel
gebaut hatte, bekam aber vorerst keine Antwort auf seine Frage.
Kelso ging zielstrebig auf einen Tisch zu, an dem schon ein Mann saß.
Mitte fünfzig, graue Haare, Schnauzer, stinkteurer Dreiteiler. Sogar eine
goldene Taschenuhr. Kelso setzte sich zu ihm.
Hieb ließ sich am Tisch daneben nieder. Langsam ging ihm Kelso wirklich
auf den Sack. Er hätte ihnen sagen sollen, mit wem er sich hier trifft,
er hätte ihnen sagen sollen wo er sich trifft, er hätte... Das hatte
keinen Sinn.
Kelso vermittelte ganz den Eindruck, als wolle er gar nicht beschützt werden.
Oder hatte er etwas zu verbergen? Ein Kellner kam vorbei und die drei Söldner
bestellten Mineralwasser. Fossi nahm sein Glas und schlenderte langsam zur Bar,
von wo aus er die Eingangstür im Blick hatte. Einen spitzes Lachen ließ
ihn zusammenzucken. An einem Tisch etwas weiter saßen zwei ältere
Herren mit zwei blutjungen Mädchen. Eines der beiden erkannte er als das
wieder, das ihm vorhin auf den Fuß gestiegen war. Als er ein weiteres
Mal im Lokal herumblickte, sah er weitere Mädchen, die hier nicht reinpassten,
in Begleitung von älteren Männern.
Er warf einen weiteren Blick auf die Glaswand und merkte nun, dass fast alle
Tische so aufgestellt waren, dass man Blick auf die Tanzfläche hatte.
Auf der einen Seite die sexy Mädchen, die sich freizügig darboten,
auf der anderen Seite die alten geifernden Männer.
Die perfekte Symbiose. Eine moderne Form der Fleischbeschau. Hier holten sich
also reiche Londoner ihr williges Betthäschen für eine Nacht.
Er nippte wieder an seinem Wasser. Wie wurde die Sache hier finanziert? Ermächtigte
die Eintrittskarte zu der Disco auch zum Besuch dieser Bar? Wohl nicht. Aber
irgendwer musste diese Kneipe ja hier gebaut haben und auch diese Glasscheibe
eingesetzt haben. Wie rentierte sich diese neue Art von "Bordell",
wenn die Mädchen doch dem Besitzer nichts von ihrem "Lohn" abgaben,
wie immer der auch ausfallen sollte. Wie finanzierte sich das hier? Bisher blieb
diese Frage unbeantwortet, aber hätte Fossi den Preis für sein Mineralwasser
erfahren, wäre es ihm sofort klar geworden.
Kelso und der andere Mann mit dem grauen Schnauzer hatten sich zwei Gläser
Sekt bestellt und unterhielten sich angeregt. Scheinbar zufällig schob
Kelso ein Leinensäckchen über den Tisch. Der andere öffnete die
Verschnürung und ließ etwas Kleines in seine offene Hand fallen.
Man konnte nicht erkennen, was es war. Aber Hieb glaubte es zu wissen.
Der Schnauzer betrachtete das Objekt in seiner Hand und fuhr dann mit der anderen
Hand in sein Sakko. Die drei Söldner hatten alle die Bewegung gesehen und
verspannten sich. Fossis Hand rutschte unmerklich unter den schwarzen Mantel.
Hieb, der den beiden am nächsten saß, machte sich zum Sprung bereit.
Aber aus der Tasche wurde keine Pistole und auch kein Messer geholt, sondern
nur ein Bündel Scheine. Als der Bärtige das Päckchen über
den Tisch schob, bemerkte auch er endlich die beiden Männer am Nebentisch,
die ihn augenfällig musterten. Fossi konnte er nicht sehen. Er zögerte,
aber Kelso schien ihn mit Worten zu beruhigen.
"Hieb, ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir eben Zeugen
oder sogar Mittäter einer illegalen Transaktion werden." flüsterte
Karotte über den Rand seines Glases.
"Phh," Hieb stieß verächtlich die Luft zwischen seinen
zusammengepressten Lippen aus, "bei diesem Kerl wundert mich gar nichts
mehr. Der Typ ist aalglatt und ganz schön dreist. Verscherbelt seine Diamanten
öffentlich in einer 'Singlebar'. Ich frag mich, warum er nicht wie jeder
andere auf die Diamantbörsen geht. Das hier hat ganz den Anschein, als
wären die Steine nicht ganz mit koscheren Methoden in Kelsos Besitz gelangt."
Hieb erinnerte sich an den Bericht der Detektei. Kelso war wirklich ein Gauner.
Die beiden Männer hatten ihr Geschäft beendet. Kelso steckte das Bündel
Geldscheine, anscheinend Dollar, in seine Westentasche und der Schnauzer steckte
das Leinensäckchen ein. Dann prosteten sie sich zu und wandten sich der
verspiegelten Glasscheibe zu, hinter der etwas Seltsames vorging. Immer noch
tanzten die Menschen zu Musik, die man hier nicht hören konnte. Aber direkt
vor der Scheibe standen nur junge Mädchen herum - besser gesagt - sie posierten.
Eine kleine Blondine mit spitzer Nase und goldenem Minirock machte keinen Hehl
daraus, dass sie anscheinend wusste, wer da hinter der, für sie schwarzen
Wand, saß und sie angaffte. Sie öffnete ihre Jacke unter der sie
nur ein mit Pailletten besetztes Bikinioberteil trug. Schnell schlug sie sie
wieder zu und grinste kokett.
Was erwarteten die jungen Frauen da draußen von den Kerlen hier? Schöne
Kleider? Backstage-Karten für ein BSB-Konzert? Auf pompöse Feiern
mitgenommen zu werden? Oder hatten die Geschäftsleute hier einen heißen
Draht zur Jury von "Popstars"?
"Möchte der Herr, dass ich eines der Fräulein herein holen lasse?"
der schmierige Typ vom Eingang der Bar war an Hieb heran getreten, da er gesehen
hatte, wie er und Karotte den Mädchenauflauf vor dem "Schau"-Fenster
angestarrt hatten. Er hatte das deutsche Wort "Fräulein" benützt
und zwinkerte Hieb dabei zu. Manche Menschen, die die Halbwelt hervorbrachte,
schienen einen sechsten Sinn dafür zu haben, die Nationalität anderer
Menschen zu erraten.
Karottes Blick schien ihm aber schon zu sagen, dass er hier an der falschen
Adresse war.
"Nein ... danke, aber können sie uns noch zwei Wasser bringen?"
wiegelte Hieb ab.
Der Anzugträger ließ es sich nicht anmerken, wenn er indigniert war,
zum Kellner herabgewürdigt worden zu sein. Korrekt gab er die Bestellung
an einen der wirklichen Kellner weiter und verabschiedete sich höflich,
bevor er zum nächstes Tisch ging. Eben zu diesem Zeitpunkt stand auch Kelsos
Gesprächspartner auf und ging in Richtung Toilette. Ehe Hieb ein Zeichen
geben konnte, löste sich Fossi bereits vom Bartresen und folgte ihm.
Hieb stand ebenfalls auf, um zu Kelso zu gehen. Er blieb vor dem Tisch stehen.
Scheinbar auf die Tanzfläche stierend, sprach er ihn an.
"Mister Kelso, wie lange wollen Sie noch hier bleiben? Und wer ist der
Mann, der gerade sein Geschäft verrichtet?"
"Das braucht Sie nichts anzugehen, Herr Hieb. Kümmern Sie sich nur
darum, dass wir nicht gestört werden. Das Weitere können Sie ruhig
mir überlassen. Aber wenn Sie so schon da sind. Sehen Sie die junge Frau
da mit den braunen Haaren und das Mädchen daneben mit den großen
Ohrringen? Könnten Sie die bitte hereinbitten?"
Kelso genierte sich nicht, mit dem Finger auf die beiden Mädchen, beide
höchstens achtzehn, wenn man das bei dem ganzen Make-up auch nicht so genau
feststellen konnte, zu zeigen.
"Mister Kelso, Sie haben mich als Personenschützer und nicht als Zuhälter
engagiert. Dafür gibt es hier schon die passenden Institutionen."
Er warf einen Seitenblick auf das kleine, schwarze Männchen ein paar Meter
weiter, dann ging er zurück zu seinem Tisch. Der "Zuhälter"
wie ihn Hieb gerade getauft hatte, wuselte auch schon eifrigst zu Kelso hinüber
und nahm seine "Bestellung" auf.
Zur Toilette ging es über einen kurzen Gang, der plötzlich nach rechts
abbog. Links für Damen, rechts für Herren. Am Ende des Gangs eine
Tür mit der Aufschrift PRIVAT.
Fossi öffnete die Tür zur Herrentoilette. Es war keine mit Schloss,
sondern eine einfach Schwingtür, die sich lautlos öffnete. Langsam
schloss Fossi sie hinter sich. Die Toilette war edel. Marmorfliesen. Zuerst
ein Raum mit drei Waschbecken, Fossi registrierte die bereitliegenden Desinfektionstücher,
und dann der zweite Raum. Schmal und lang. Keine Tür, keine Fenster. Links
sechs Pissoire. Rechts fünf Toilettenhäuschen. Vier Türen offen,
bis auf die Letzte. Da musste der Schnauzer drin sein. Erst jetzt fiel Fossi
auf, dass es keinen Grund gab so geheimnisvoll zu tun. Er wollte gerade geräuschvoll
an eines der Pissoire treten, als das Piepen eines Handys die Stille im Klo
unterbrach. Jemand wählte eine Nummer. Fossi nutzte seine angelernte Fähigkeit
zu Schleichen und huschte lautlos zur Tür des besetzten Klos. Er durfte
nicht zu nah ran, weil man sonst seine Schuhe unter der Tür durchgesehen
hätte. Aber er hörte trotzdem alles.
"... ist jetzt da. Er hat mir den Diamant verkauft." Pause. "Müssen
Sie das unbedingt hier machen?" Pause "Nein, ich weiß nicht
mit welchem Wagen er gekommen ist. Woher..." Längere Pause "Ok,
ich weiß nicht, ob er mitkommt aber ich werde versuchen ihn rauszulotsen."
Pause. "Sie wollen jetzt reinkommen?! Hier sind doch viel zu viele Menschen!"
Pause "Ach so, nur beobachten. Und ach, passen sie auf. Er hat anscheinend
zwei Begleiter dabei. Er hat was von 'Geschäftspartnern' gesagt."
Pause. "Auf wiedersehen".
"Hähä." dachte Fossi hämisch. Zwei Begleiter? Nein,
er war der Dritte und er hatte alles gehört. Sorgsam begab er sich auf
den Rückzug. Er war schon wieder draußen, als hinter ihm die Klospülung
betätigt wurde. Schnell ging er wieder in den Barraum.
Kelso ließ sich eine ganze Flasche Sekt und vier Gläser an den Tisch
bringen. Dann saß er ruhig lächelnd da und wartete auf die Rückkehr
seines Geschäftspartners und die Ankunft der beiden Mädchen.
Karotte war dazu übergegangen ein kleines Kunstwerk aus einer Papierserviette
zu falten. Hieb fragte sich, wie lang er hier noch sitzen würde und ob
er den ganzen Abend Mineralwasser trinken musste. Er hätte jetzt echt Lust
auf ein Jack Daniels Cola und eine Kleinigkeit zu essen gehabt. Aber Alkohol
war nicht drin. Ob die hier Pizza hatten? In der Wohnung, die sie gemietet hatten,
waren noch gefrorene Pizzabaguettes. Hoffentlich würde sich Kelso bald
dazu aufraffen, mit seiner heutigen Errungenschaft ins Bett zu gehen, und nicht
vorher mit ihr noch ein paar Clubs und Partys abzuklappern.
Da kam ja schon Fossi zurück. Mit schnellen Schritten rauschte er an Kelso
vorbei und beugte sich zu Hieb und Karotte herunter, die gespannt die Köpfe
vorreckten.
"Der Kerl hat telefoniert. Er hat zu jemandem gesagt, er will Kelso hier
rauslotsen. Keine Ahnung. Aber anscheinend warten vor der Tür die Leute,
die Kelso bedrohen und wollen ihn fertig machen. Vor uns hat er sie auch gewarnt."
"Scheiße. Den Kerl schnapp ich mir." Karotte machte Anstalten
aufzuspringen. Fossi fuhr fort.
"Außerdem wurde irgendwas geredet, dass jetzt bald einer von den
Lads reinkommt um Kelso im Auge zu behalten."
Wie automatisch wanderten die Blicke aller drei auf den Eingang. Aber von da
kam nur der "Zuhälter" mit den beiden gewünschten Damen.
"OK, dann verlieren wir keine Zeit. Fossi, hol Kelsos Saab und fahr zur
Kreuzung hinter dem Block hier. Karotte, schau nach ob es einen Hinterausgang
gibt. Los jetzt."
Wie auf Kommando gingen die drei Söldner auseinander. Hieb trat zu Kelso
und packte ihn entschlossen am Arm. "Wir müssen hier raus. Ihr Geschäftspartner
hat sie verpfiffen. Ihre Freunde sind hierher unterwegs."
Kelso wurde mehr hochgezogen, als er selbst aufstand und zu zweit schritten
sie in Richtung Ausgang. Der "Zuhälter" versperrte ihnen den
Weg.
"Mister, wollen Sie etwa schon gehen? Die jungen Damen möchten Sie
gerne kennen lernen. Und," mit gespieltem Erstaunen, "Sie haben ja
noch gar nicht gezahlt."
"Wir zahlen später!" bellte Hieb und schob ihn gröber als
gewollt zur Seite. Das schmächtige Männchen strauchelte und riss einen
Blumenstock zu Boden, ehe er sich fing. Die beiden jungen Mädchen blieben
mit offenen Mündern stehen und sahen dem jungen Kräftigen und dem
alten Dicklichen nach, als sie durch den Ausgang schritten. Der eine mit forsch
ausholendem Schritt, der andere eher mitgeschleppt. In den empörten Rufen
des "Zuhälters" nach dem Sicherheitsdienst ging ganz unter, wie
ein schnauzbärtiger Mann am Ausgang zu den Toiletten stand und vor Aufregung
zitternd eine Nummer in sein Handy tippte.
Hieb marschierte mit Kelso am Arm durch den Gang mit der schallschluckenden
Verkleidung. Am anderen Ende schritt gerade ein Gast in einem hellgrauen Mantel
durch die Tür. Kurz war die Musik aus der Halle zu hören, dann herrschte
wieder bedrückende Stille. Der Mann blieb an der Tür stehen und sah
ihnen gespannt entgegen. Er war groß und hager. Strähniges, braunes
Haar, das sorgsam nach hinten gekämmt war und ein grobknochiges Gesicht
mit dunklen, ausdruckslosen Augen, die - das sah Hieb selbst in der Eile - ihn
lauernd anblickten. Eine Gestalt, die einem Angst einflößen konnte.
Hieb und sein Schutzbefohlener drückten sich rasch an ihm vorbei und waren
auch schon durch die Tür. Hieb glaubte noch zu hören, wie hinter ihm
ein Handy klingelte.
Als sie in der lärmenden Halle standen, war die unheimliche Begegnung auch
schon vergessen. Jetzt suchte Hieb nur noch nach Karotte, der den Fluchtweg
auskundschaften sollte. Der Mann, der den "Zuhälter" am Eingang
abgelöst hatte, wünschte ihnen noch einen schönen Abend.
Bei der Musik, die jetzt aus den Boxen dröhnte, war die Melodie zu Gunsten
der Beats aufs absolute Minimum heruntergefahren worden. Als Hieb gerade in
der Menge untertauchte, preschte der Mann aus dem Gang in die Halle. Das Mobiltelefon
noch immer in der Hand ließ er seinen Blick suchend durch die Menge schweifen.
Das Licht war aus und grelle Scheinwerfer rasten über die Menge hinweg.
Ein Punkt war plötzlich taghell erleuchtet und im nächsten Moment
wieder stockdunkel. Eine riesige Lichterorgel sorgte dafür, dass alles
in dämmriges orange, grünes oder blaues Licht getaucht war.
Hieb strebte selbstbewusst auf das grüne Notausgang-Schild am anderen Ende
der Halle zu. Einige der Besucher hatten inzwischen anscheinend auch Drogen
konsumiert und waren derart lethargisch oder aufgedreht, dass Hieb sich nur
mit aller Mühe einen Weg bahnen konnte, ohne dabei Kelsos Arm loszulassen.
Auf halbem Wege kam ihm Hilfe entgegen. Plötzlich stand Karotte neben ihm,
hakte sich bei Kelso unter und nutzte seinen stämmigen Körper, um
einen Keil in die tanzenden Wogen zu schlagen. Unerwartet schnell erreichten
sie den Notausgang, wo Karotte die Tür aufhielt, um Kelso und Hieb durchzuschleusen.
"Halt, was machst du da, Bursche? Spinnst du? Der Ausgang ist nur für
Notfälle da." Karotte drehte sich um. Hinter ihm stand der Security-Mann
im Military-Look vom Eingang. Den orangen Zopf über die Schulter auf die
Brust gelegt, ein Funkgerät in der Hand. "Ach du bists Rotschopf."
Hieb und Kelso schlüpften durch die Tür. "Hey!" der Glatzkopf
mit Zopf wollte vorpreschen. Karotte stellte sich ihm in den Weg. "Den
beiden ist schlecht. Wenn du nicht willst, dass sie hier alles voll kotzen würd
ich sie lieber gehen lassen."
"Du gehst mir langsam gehörig auf die Nerven Rotschopf!" der
Security-Mann blies seine Brust auf, so dass sich seine Fitness-Studio Muskeln
auf den nackten Oberamen anspannten.
"Auf die 1,90 Meter bist du wohl auch noch stolz!" dachte sich Karotte
und richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf und überragte
dadurch den Security-Mann um beinahe 10 Zentimeter.
"Bürschchen, erstens fasse ich 'Rotschopf' als Beleidigung auf und
zweitens nehm ich deinen Zopf und schleudere dich quer durch die ganze Halle,
wenn du mich noch einmal beleidigst oder mir in die Quere kommst. Also wie hast
du dich entschieden? Höflich sein oder Hammerwerfen, mit dir als Hammer?"
Die Antwort nicht abwartend, schlüpfte er durch die Tür und ließ
einen verblüfften Mann zurück, der eine Weile brauchte bis er sich
soweit erholt hatte, dass er mit seinem Funkgerät Verstärkung rufen
konnte. Während er in das Funkgerät brüllte, drehte er wegen
des Lärms der Musik, seinen Kopf zur Seite und sah nicht wie ein hagerer
Kerl mit dunkel funkelnden Augen, gespensterhaft durch den Notausgang schlüpfte.
Fossi rannte so schnell er konnte zu den geparkten Wagen. Er sperrte den Saab
auf und lenkte ihn vom Parkplatz. Eine verdammte Ampel zeigte rot. Fossi sah
sich um, ob jemand in der Nähe war und drückte das Gaspedal durch.
Der Wagen machte einen Sprung nach vorne, raste bei rot über die Kreuzung
und bog links ab.
Hinter dem Notausgang ging es durch eine Reihe kleiner Räume in einen
Teil der Fabrikhalle, wo noch nichts renoviert war. Hieb nahm seine schwere
Automatik aus dem Holster und steckte sie in den Hosenbund seiner blauen Jeans.
Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier bei den Brandschutzverordnungen
ganz gehörig geschlampt worden war. Hier gings zwar aus der Disco raus,
aber noch lange nicht ins Freie. Außerdem standen überall Kisten
herum und versperrten teilweise den Weg. Er folgte einem langen hohen Raum,
der von zwei Glühbirnen am einen Ende und einem grün strahlenden EXIT
Schild am anderen nur lächerlich schwach beleuchtet war.
"Ich hoffe Sie haben einen guten Grund hier mit mir diese Farce zu veranstalten!"
fauchte ihn Kelso an, der inzwischen nicht mehr von Hieb festgehalten wurde,
sondern neben ihm hertrottete.
"Ja, das habe..." antwortete Hieb, als er Schritte hinter sich hörte.
Er riss die Heckler&Koch Mark 23 aus dem Hosenbund und wirbelte herum. Aber
es war nur Karotte, der hinter ihnen herkam. Erleichtert steckte er die Waffe
wieder weg. "Was soll denn das..." weiter kam Kelso nicht, da Hieb
ihn anstupste und wieder auf das große Holztor am Ende der Halle zuging.
Ein großes Tor, durch das früher Lastwagen gekommen waren. Vom Tor
führte eine lange Rampe auf ein etwa 2 Meter höheres Plateau der Halle.
So lag die eine Hälfte der Halle höher als die andere. Kelso und die
Söldner waren auf dem niedrigeren Niveau. Es waren noch etwa 50 Meter,
links von ihnen ging es in die Höhe, Kisten standen auf dem Absatz herum,
wohl seit sie ein Lastwagen vor Jahren dort oben abgesetzt hatte. Karotte schritt
schnell voran, um zu seinem Boss aufzuschließen.
Der Schatten huschte geduckt über die Rampe, immer neben den Söldnern
her. Wenn eine Lücke zwischen den Kisten kam, sah er diesen Kelso und einen
seiner Bewacher zwei Meter unter sich. Trotz seiner schweren Stiefel tigerte
er fast lautlos vorwärts. Mit seinen klammen Fingern hielt er eine umgehängte
Mini-Uzi. Als seine beiden Ziele fast das Tor erreicht hatten, überholte
er sie und quetschte seinen Körper durch zwei mannshohe Kisten.
"Wissen Sie, dass man Sie heute umbringen wollte, Mister Kelso?"
Kelso war erstaunt. "Nein, was reden sie da? Man droht mir aber..."
Das Tor ging wie von Geisterhand knarrend auf. Hieb drückte Kelsos Kopf
nach unten und riss die Waffe heraus. Zu spät bemerkte er, wie hinter ihm
ein schwerer Körper mit ausgebreiteten Armen von der Rampe sprang und sie
beide zu Boden riss. Der Gegner war zuerst wieder auf den Knien. Während
Hieb sein Gesicht vom schmutzigen Fabrikboden hob, sah er wie der andere lächelnd
zu der umgehängten Uzi griff. Hieb rollte sich zur Seite und warf sich
schützend über Kelso.
Karotte war nur noch ein Dutzend Schritt von Hieb und Kelso entfernt, als urplötzlich
ein Schatten auf die beiden herabsprang. Er sah wie alle zu Boden gingen, der
Unbekannte sich gekonnt abrollte und wieder auf den Knien aufkam. Er hörte
auch das Klicken der entsicherten Waffe, aber da hatte er schon das schwere
Wurfmesser aus seiner Leder-Scheide am linken Unterarm gezogen und schleuderte
es mit aller Kraft auf den Unbekannten. Das Messer schnitt sich rotierend durch
die Luft und traf mit der Klinge voran zwischen die Schulterblätter seines
Zieles.
Der Attentäter spürte den stechenden Schmerz in seiner Wirbelsäule.
Seine Glieder wurden steif, der Finger am Abzug ließ sich nicht mehr Krümmen.
Er kippte nach vorne und im Todeskampf verdrehten sich seine Augen in den Höhlen.
Hieb riss Kelso hoch und hetzte mit ihm in Deckung. Keinen Moment zu spät.
Das Tor wurde vollends aufgerissen und ein blonder Kerl eröffnete das Sperrfeuer
aus eine kurzläufigen Automatik. Hieb versuchte erst gar nicht zurück
zu feuern, sondern ging mit seinem Schützling hinter den Kisten auf Tauchstation.
Karotte war sofort nach seiner Wurfmesserattacke auf den Getroffenen zugestürmt
und hatte ihm das Messer wieder aus der Wunde gerissen, er hätte sich eher
einen Arm amputieren lassen, als dieses alte Familienerbstück zurückzulassen.
Er wurde von dem plötzlichen Kugelhagel gezwungen, sich auf die Rampe hochzuziehen.
Hier wurde es verdammt ungemütlich. Nach wenigen Sekunden Dauerfeuer war
das Magazin des anderen leer. Karotte nutzte die kurze Pause und spurtete geduckt
von Kiste zu Kiste auf den Schützen zu.
Der lud hinter der Tür nach und trat dann wieder in die Halle. Wo waren
diese Kerle hinverschwunden?! Langsam schlich er seitwärts die Rampe hoch.
Mit Wollhandschuhen, die die Fingerspitzen freiließen, hielt er die MP5K
Maschinenpistole fest in beiden Händen. Er horchte auf jedes Geräusch
und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Düsternis. Er war
voll konzentriert. Nur einmal ließ er mit der Linken den kurzen Griff
am Ende der Waffe los, um sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
Noch ein bisschen! Hieb drückte sich eng an die Kiste und hielt seine Pistole
in der gestreckten Hand. Bereit, jedem, der seinen Kopf vorstreckte eben jenen
wegzublasen. Die linke Hand hatte er fest auf Kelsos Mund gedrückt, um
ihn am Schreien zu hindern.
Langsam trat der Mann, der Hieb und Kelso seit der Begegnung im Gang der Kneipe
verfolgt hatte, in die Halle. Seinen hellgrauen Mantel hatte er zurückgeschlagen
und einen ledernen Pistolenholster zum Vorschein gebracht. Er sah wie Decker
am anderen Ende der Halle langsam vorrückte. Er selbst zog seine Z88, ein
südafrikanischer Beretta-Nachbau, und schlich vorwärts.
Fossi raste um die Kurve und war hinter dem Gebäude. Wo blieben die anderen?
Im Schritttempo fuhr er die Rückfront des Hallenkomplexes entlang. Auf
beiden Seiten parkten dichtgedrängt die Autos der Disco-Gäste. Ganz
am Anfang der Straße kniete ein junger Mann im Rinnstein und kotzte sich
die Seele aus dem Leib. Er hatte wohl etwas zu tief ins Glas oder vielmehr in
den Pappbecher geschaut. Außer ihm war kein Mensch zu sehen. Fossi kurbelte
das Fenster herunter und fixierte vorbeirollend die zahlreichen Türen und
Tore des Blockes. Wo waren die anderen? Er war am Ende der Straße, als
ein gedämpftes Knallen ertönte. Ein Schuss?
Ruckartig legte er den Rückwärtsgang ein.
Karotte kniete verdutzt am Boden. Aus seinem linken Oberarm tropfte Blut. "Wie
... verdammt noch ..."
Eine weitere Batterie von Schüssen peitschte durch die Luft. Mündungsfeuer
blitzte auf. Karotte hetzte so schnell seine Verletzung es erlaubte hinter einen
Stapel Autotüren. Er wusste nicht, wie schwer es ihn erwischt hatte. Schmerz
spürte er noch keinen. Das machte das Adrenalin.
Ein einzelner Schuss hatte ihn getroffen. Aber woher? Die Antwort kam diesmal
schnell. Ein weiterer Schuss schlug knapp neben seinem Kopf ein. Also war der
Schütze hinter ihm.
Karotte duckte sich und zwängte seinen großen Körper durch die
Stapel hindurch an den Rand der erhöhten Plattform. Jetzt sah er ihn. Eine
weitere schemenhafte Gestalt stand unten, er musste ihnen gefolgt sein oder
hatte sich dort schon früher versteckt. Auf jeden Fall hatten sie jetzt
einen Gegner mit einer MPi, der ihnen den Ausgang versperrte, und einen anderen
Kerl, der ihnen den Rückzug unmöglich machte.
Karotte hob seine 44er Magnum und feuerte einen Schuss ab. Nicht sehr gut gezielt.
Der Schuss ging ein paar Meter daneben. Dann sprang der Gegner zur Seite und
aus Karottes Blickfeld. Scheiße!
Decker hielt die Maschinenpistole fest auf die Kisten gerichtet, hinter denen
er seine Opfer vermutete. Courtland kam ihm von der anderen Seite ebenfalls
bewaffnet entgegen. Kelso und seine Freunde saßen in der Falle.
Er bemerkte eine Kiste, deren Staubschicht verwischt war. Decker war noch nicht
weit auf der abgeflachten Fahrrampe nach oben gekommen und brauchte nur einen
großen Schritt herunter zu machen.
Er grinste siegessicher, während er die MP anlegte um die Kiste zu zerschießen.
In diesem Moment ertönte ein lautes Krachen und eine riesige Staubwolke
wurde aufgewirbelt. Decker riss die Arme hoch um seine Augen vor den Millionen
Staubpartikeln zu schützen, die durch die Luft tanzten. Er wurde voll von
dem Saab erfasst, der im Rückwärtsgang in die Halle hineinschoss und
mit einem Schaukeln stehen blieb.
Fossi sah undeutlich im Seitenspiegel wie er einen Mann angefahren hatte und
trat voll in die Eisen. Noch ehe sich die Staubwolke gelegt hatte, wurde die
rechte Hintertür aufgerissen und der wohlbekannte Kopf von Kelso in den
Wagen geschubst. Ihm folgte Hieb, der die Tür hinter sich zuschlug.
"Los! Raus hier!"
Fossi drehte sich um. "Wo ist Karotte?!"
"Der wird schon noch kommen! Wir müssen Kelso hier rausbringen. Fahr
jetzt!" brüllte Hieb während er sich umdrehte und versuchte,
etwas durch die Heckscheibe zu erkennen.
Fossi wechselte in den ersten Gang und raste wieder durch das Tor, das er eben
durchbrochen hatte. Endlich draußen, legte er noch eine schöne 90°
Wende auf dem Asphalt hin und bretterte die Straße hinunter.
Dort hielt er den Wagen an und stieg aus. Hieb rannte um den Wagen herum und
setzte sich ans Steuer.
"Ich bring Kelso erst mal in ein Hotel. Du suchst Karotte und kommst dann
nach. Ich miete in Bertram´s Hotel ein Zimmer und hinterlasse eine Botschaft
für dich an der Rezeption!"
Da fuhr er auch schon weiter. Fossi rannte so schnell er konnte zurück
zur Halle. Im Laufen lud er seine Heckler&Koch P7 durch. Er würde sie
brauchen.
Karotte konnte noch sehen, wie der Wagen wieder aus der Fabrikhalle herausfuhr.
Scheiße. Jetzt war er alleine noch da. Er musste sich was einfallen lassen,
wie er hier rauskam. Im Oberarm spürte er seltsamerweise noch immer fast
keinen Schmerz. Nur ein leichtes Brennen. Vielleicht war es doch nicht so ernst.
Vorsichtig lief er in Richtung Ausgang. Jetzt schoss niemand mehr. Die einzige
Lichtquelle an diesem Ende der Halle war das EXIT-Schild. Karotte zielte mit
seinem Revolver und legte mit drei Schüssen die Elektronik des Schildes
frei.
Jetzt raus. Er rannte die letzten Meter der Rampe hinunter und aus der Halle
hinaus. Beinahe wäre er mit Fossi zusammengestoßen, der im Trab den
Bürgersteig entlang gelaufen kam. Beide richteten im Schreck die Waffen
aufeinander und atmeten im nächsten Moment erleichtert auf, als sie sich
erkannten.
"Wie?! Du bist zu Fuß da? Keine Limousine für mich?"
"Nein, diesmal nicht. Wir sollten zum zweiten Wagen laufen, der noch auf
dem Parkplatz steht."
Es gab keine lange Diskussion, da in der Halle immer noch irgendwo ein bewaffneter
Mann hockte und beide Söldner nahmen die Beine in die Hand um von hier
wegzukommen. Die Wunde war jetzt stärker zu spüren, Karotte beruhigte
es aber, dass neben ihm ein Arzt joggte, der ein richtiges Examen auf einer
richtigen Uni gemacht hatte. Die meisten die sich im Söldnergewerbe als
Ärzte bezeichneten, waren nämlich Hochstapler, Quacksalber oder Fleischer,
deren ganze medizinische Ausbildung sich auf das Ausleeren von Bettpfannen und
Pisseflaschen beschränkte. So hatte Karotte mit Fossi richtiges Glück
gehabt.
Nach kurzer Zeit hatten sie den zurückgelassenen BMW erreicht und ließen
sich in die Polster fallen.
Fossi machte sich auf die vergebliche Suche nach Bertram´s Hotel. Er hatte
wirklich keine Ahnung, wo das lag. An der nächsten Telefonzelle hielt er
deshalb an um im Telefonbuch nachzuschlagen. Als er wieder in den Wagen einstieg,
sah er, wie blass Karotte geworden war.
"Stimmt was nicht?" erst in diesem Moment fiel ihm das dunkle Blut
auf, das den hellen Mantelärmel Karottes durchweichte.
"Verdammt! Du bist verletzt! Warum sagst du nichts?!"
"Nicht... ist nur ein Kratzer. Nichts Ernstes. War schon wesentlich schlimmer
verletzt. Das hat Zeit bis wir im Hotel sind."
Fossi war da ganz anderer Meinung. Aber da Karotte nicht so aussah, als ob er
gleich in Ohnmacht fallen würde, beließ er es dabei. Hier am Straßenrand,
ohne gute Beleuchtung konnte er sowieso nicht viel tun. Besser sie kamen jetzt
schnell in dieses verfluchte Hotel.
Hieb lenkte den Saab kurz vor einer Ausfahrt auf den Randstein.
"Warum bleiben wir stehen?" meldete sich Kelso vom Rücksitz.
"Steigen Sie aus." antwortete Hieb, stieg aus und ging um den Wagen
herum. Kelso kletterte gerade aus dem Fond. Noch ehe er die Tür hinter
sich zuschlagen konnte, packte ihn Hieb am Kragen und zerrte ihn in einen dunklen
Hauseingang. Dort drückte er den Verdutzten mit dem Unterarm gegen die
Wand.
"Erzählen Sie endlich, wer Sie töten will!"
Kelso versuchte vergeblich den Arm wegzudrücken, der ihn gegen die Wand
presste. "Was erlauben Sie sich! Ich weiß nicht, was Sie meinen!"
"Verdammt noch mal! Einer meiner besten Männer ist vielleicht tot,
ein weiterer hervorragender Mann versucht ihn gerade unter Einsatz seines Lebens
raus zu holen. Vielleicht ist er auch schon tot, gestorben weil sie ihr Maul
nicht aufbekommen. Also spielen Sie keine Spielchen mit mir! Sagen Sie endlich,
was Sache ist. Ich weiß, dass es mit Ihren Diamantengeschäften zu
tun hat! Also, wen haben Sie sich zum Feind gemacht? Wenn Sie es mir nicht sagen,
kann ich Ihnen nicht helfen. So etwas wie heute kann jederzeit wieder passieren.
Wir werden nicht länger unseren Arsch für Sie hinhalten. Wir müssen
agieren, nicht immer nur reagieren! Diese Leute wollen Ihren Tod. Und irgendwann
werden Sie Erfolg haben. Also?"
Erst redete Kelso zögerlich, dann sprudelte die Geschichte nur so aus ihm
heraus. Hieb hörte aufmerksam zu und speicherte jedes Wort in seinem Gedächtnis.
"Ich ... ich bin vor etwas mehr als einem Jahr nach Freetown, Sierra Leone
geflogen. Wissen Sie, die Geschäfte liefen schlecht und ich musste was
unternehmen. Ich hab von einem Mann hier in London den Namen eines Mannes erfahren,
der bei der Sierra Mining Cooperation als Wachmann angestellt ist, und Ärger
mit dem Gesetz hat. Ich habe Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn überredet,
Steine aus den Diamantenfeldern der Sierra Mining Cooperation in Kono zu entwenden..."
"Sie meinen, Sie haben ihn erpresst."
"Ja, ich hab ihn ein bisschen unter Druck gesetzt, ich würde der Polizei
einen kleinen Tipp geben und er würde so seinen Job verlieren. Sie wissen
ja wie man so was macht." Verständnissuchend sah er Hieb an.
"Er hat auf jeden Fall zugesagt. Fast jede Woche kamen jetzt Steine. Schwarze
Arbeiter brachten sie von den Diamantenfeldern in die Stadt. Sie können
nur mit Hilfe des Wachmanns die strengen Sicherheitskontrollen ausgetrickst
haben. Auf jeden Fall wurden die Steine dann per Luftpost nach Antwerpen verschickt.
Dort lebt ... lebte ein alter jüdischer Diamantenschleifer. Er wusste nicht,
dass er gestohlene Diamanten bearbeitete. Ich habe schon früher Geschäfte
mit ihm gemacht. Die kleinen Werkstätten sind oft zuverlässiger und
verschwiegener als die großen Schleifereien. Jeder verdiente gut daran.
Der Wachmann in Sierra Leone, die Boten, der Schleifer und nicht zu vergessen
ICH. Sie müssen verstehen, ohne solche Tricks hat man auf dem heutigen
Markt als Ein-Mann Unternehmen keine Überlebenschance!"
"Ja, was passierte dann?"
"Ein halbes Jahr ging alles gut. Dann passierte das Unglaubliche. Irgendwie
muss die ganze Sache aufgeflogen sein. Vielleicht hat mein bestochener Wachmann
geplaudert oder sie haben einen der Arbeiter mit einem Stein erwischt. Auf jeden
Fall las ich vor zwei Wochen, dass Issak Rosenthal, der alte Diamantenschleifer,
in Antwerpen erschlagen worden war. Ich war schockiert, das können Sie
mir wirklich glauben! Bereits zwei Tage später bekam ich einen Anruf. Eine
unbekannte Männerstimme drohte mir, dass ich sterben würde, wenn ich
nicht alle Steine und das Geld, das ich für die bereits Verkauften erhalten
habe, in einem Schließfach am Bahnhof deponiere. Da hab ich gewusst, dass
sie auch mich gefunden hatten. Da habe ich ihre Firma beauftragt,
mich zu schützen, da ich von ihren hervorragenden Remissensen erfahren
habe. Das war alles."
Hieb ging schweigend zurück zum Auto und hielt Kelso die Tür auf.
"Da haben Sie sich und uns ja ganz schön in die Scheiße geritten."
Das Hotel war ganz im Nordosten von London. Fossi suchte lange einen Parkplatz
und schließlich mussten sie doch mehr als einen halben Kilometer zu Fuß
gehen. Karotte hatte sich den Mantel über die Schulter gelegt, sorgsam
darauf bedacht, dass kein Blut zu sehen war. Hieb hatte sich eine richtig üble
Absteige ausgesucht. Fossi hatte keine Ahnung, von welchem früheren Besuch
Hieb dieses Hotel kannte. Konnten sie nicht mal im Sheraton, Hilton oder Four
Seasons absteigen? Warum landeten sie immer in völlig überfüllten
Wohnungen oder in solchen Rattenkäfigen? Fünf Stockwerke, Flachdach,
Plattenbau, wahrscheinlich überall Asbest in den Wänden. Auf dem Dach
war eine riesige Leuchtreklame für den Elektrokonzern Philipps, die in
den oberen Stockwerken Tag und Nacht jede Zimmerbeleuchtung überflüssig
machte. Dieses leuchtende Symbol des Fortschritts verstärkte noch den schäbigen
Eindruck, den der anspruchslose Besucher sowieso schon von dieser Pension hatte.
Über der Tür stand in abblätternder Farbe: Bertram´s Hotel.
Karotte fügte in Gedanken ein "Zutritt nur für Zuhälter,
Prostituierte, Drogenabhängige, entflohene Sträflinge und Söldner"
hinzu und trat durch die Tür, neben der zusammengerollt ein Hund schlief.
Es war noch offen, über der winzigen Rezeption brannte eine Wandlampe.
Ein zerschlissener Vorhang, dessen ausgeblichenes Blümchen-Muster an die
Küchenvorhänge der Adenauerära erinnerte, hing hinter der Rezeption.
Da niemand zu sehen war und es auch keine Klingel oder ähnliches gab, klopfte
Fossi mit den Fingerknöcheln auf den Holztresen. Es dauerte eine Weile
bis man hinter dem Vorhang schlürfende Schritte hörte. Ein kleiner
Mann mit dem schönsten Spitzbauch, den Fossi seit langem gesehen hatte,
schälte sich durch den Vorhang. In der einen Hand ein Messer, in der anderen
einen Apfel. Schweigend blieb er vor seinen beiden späten Gästen stehen
und schob sich seelenruhig ein Apfelstück in den Mund. Beim Kauen wippte
sein schwarzer Schnurrbart rhythmisch auf und ab. "Ghmm?!"
Dieser Grunzlaut sollte wohl eine Aufforderung sein endlich zu sagen, warum
man ihn in seiner Ruhe gestört hatte.
"Wurde hier ein Botschaft hinterlegt, für..."
"Hmm, da war einer da." Er legte den Apfel und das Messer weg und
eine Weile sahen die beiden Söldner nur einen schwarzen Haarschopf mit
grauem Einstich, als der Besitzer, Portier, Hausmeister oder was er sonst darstellte,
fluchend nach einem Zettel suchte. Als er ihn gefunden hatte, ließ er
ein lautes "Ahh" vernehmen.
"Der Herr der vorher da war, hat ein Zimmer im fünften Stock für
sie gemietet. Er selbst gleich eins daneben."
Das ging ja ziemlich schnell. Diskretion wurde hier anscheinend nicht großgeschrieben.
Der Schwarzhaarige reichte den Zettel und Schlüssel über den Tresen
zu Fossi. Auf dem Zettel stand nur: Zimmer 42.
"Die Hausordnung lautet: Keine Haustiere, keine Waffen, keine Drogen, kein
Sex mit Minderjährigen oder Tieren. Keinen Ärger mit der Polizei.
Im Bett wird nicht geraucht. Toilette und Bad ist auf dem Flur. Und seien Sie
sparsam mit dem Klopapier. Manche Leute scheinen Klopapier zu fressen! Man hängt
eine frische Rolle rein und ehe man sich umdreht ist sie schon wieder zur Hälfte
verbraucht. Die Leute führen sich auf, als koste Klopapier überhaupt
nichts!" Sein Schnurrbart zitterte beim Sprechen.
Nachdem Fossi und Karotte glaubhaft versprochen hatten sich an alle Regeln zu
halten, stiegen sie die schmale Stiege hinauf. Zimmer 42 hatte dieselbe braune
Pressspantür, wie alle anderen Türen hier oben. Eingeschlossen der
mit der Aufschrift "Toilette/Bad".
Fossi klopfte an. Warten. "Wir sinds, Fossi und Karotte. Mach auf."
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und Hieb öffnete die Tür.
Fossi und Karotte, ignorierten die Mark 23 in Hiebs linker Faust und traten
ein. Hieb schloss die Tür hinter ihnen wieder ab und warf die Pistole achtlos
auf eines der beiden Betten, die hier im Raum standen, ehe er sich selbst darauf
plumpsen ließ. Ein Hauch der Erleichterung erfüllte seinen Körper,
als er seine beiden Männer gesund und wohlbehalten vor sich sah. Auf dem
zweiten Bett saß Kelso und rauchte nervös eine Zigarette.
Das Zimmer hatte eine verblasste Tapete mit einem hübschen Muster aus daran
klebenden toten Schnaken, einen halben Quadratmeter Kachelfußboden unter
dem in der Wand eingelassenen Waschbecken, sonst Teppichfliesen mit Resten von
hineingetretenem Blut. Die Folgen einer Schlägerei, einer sexuellen Abart,
einer plötzlichen Menstruation?
Die Fächer des einzigen Schrankes waren mit altem Zeitungspapier ausgelegt.
Mirror vom 13.6.1999. Neben dem Waschbecken ein löchriges Geschirrhandtuch
zum Abtrocknen. Das weiße Laken des Bettes war der sauberste Ort weit
und breit. Hieb nahm bei Auslandseinsätzen immer ein frischgewaschenes
Laken mit.
Fossi hielt sich nicht lange mit Betrachtungen auf, sondern zog einen Stuhl
zum Waschbecken. Dann winkte er Karotte herbei, der sich stöhnend darauf
nieder ließ.
Karotte legte den Mantel weg, unter dem er ein sorgsam gebügeltes graues
Hemd trug, das irgendwie an das Hemd einer Ausgehuniform erinnerte. Wahrscheinlich
war es sogar eins. Hieb kam herbei. "Hats dich erwischt?"
"Nicht der Rede wert. Nur ein Kratzer. Tut fast nicht mehr
aua!"
Fossi nahm den Revolverhalfter ab. Dann zückte er sein Taschenmesser und
schnitt den Ärmel auf. Karotte fluchte unterdrückt als sein schönes
Hemd in Fetzten geschnitten wurde.
Die Wunde sah böser aus, als sie war. Fossi träufelte etwas Wasser
auf ein zusammengeknülltes Tempotaschentuch und machte sich daran die Wunde
zu säubern.
Jetzt konnte er sehen, was die Kugel angerichtet hatte. Sie war am Oberarm vorbeigestreift
und hatte ein großes Stück Fleisch mitgenommen. Zuerst war wohl viel
Blut geflossen, aber die weißen Blutkörperchen hatten es anscheinend
schon geschafft, das Blut zum Gerinnen zu bringen. Zwei unschöne Hautfetzen
hingen herum. Er desinfizierte die Wunde mit einem Mittel, aus dem Erste-Hilfe-Kasten
des Mietwagens, das anscheinend stark brannte wie er aus dem Gesichtsausdrucks
Karottes lesen konnte.
"Ich werde nähen."
"Hey! Das verheilt auch so, is nicht mehr schlimm. Mach ein Pflaster drauf!"
Aber Fossi ließ sich nicht abbringen. "Wenn du nicht willst, kriegst
du eine Betäubung."
"Womit denn? Gibt's seit neuestem Morphium in den Erste-Hilfe-Kästen?"
fragte Karotte zynisch.
"Nein damit." sagte Fossi und hob grinsend seine Faust.
"Das wollen wir mal sehn, dich mach ich doch mit einer Hand fertig!"
protestierte Karotte lachend und wollte aufstehen, aber Hieb drängte sie
endlich weiter zu machen.
Fossi nahm Nadel und schwarzen Operationszwirn aus der eigenen Verbandsbox und
machte sich pfeifend an die Arbeit. Er machte schnell und nähte die Hautfetzen
mit raschen Stichen wieder zusammen. Am Schluss machte er einen Knoten in den
Faden und kappte ihn mit dem Taschenmesser knapp über der Haut. Karotte
ließ die schmerzhafte Prozedur mit zusammengebissenen Zähnen beschwerdelos
über sich ergehen und rief sich ins Gedächtnis, dass eine geplatzte
Lippe wesentlich schmerzhafter war.
Fossi wusste, dass eine nicht kleine Narbe zurück bleiben würde, aber
davon hatte Karotte schon einige auf seinem muskulösen Oberkörper.
Solange die Kugeln nur die Arme streiften, konnte man von Glück reden.
Eigentlich war er schon jetzt wieder fit.
Fossi verband die Wunde und ging danach nach draußen, um die blutigen
Überbleibsel des Verbandzeuges im Klo runterzuspülen. Karotte machte
sich ärgerlich bewusst, dass er kein zweites Hemd dabei hatte und seine
Hose zwei hässliche Blutflecken hatte. Mit Spucke gingen sie einigermaßen
wieder raus.
"Wir werden heute Nacht hier bleiben. Morgen sehen wir nach, ob Kelsos
Wohnung überwacht wird. Dann entscheiden wir wies weitergeht. Jetzt sollten
wir zusehen, dass wir irgendwo was zum Essen auftreiben. Fossi, schau mal ob
du irgendwo bei dem alten Geizhals unten ein Telefonbuch auftreiben kannst.
Hier muss es doch irgendeinen Lieferservice geben, bei dem es was Anständiges
zu essen gibt."
Spät nachts, gegen halb zwei klopfte es an Fossis und Karottes Tür,
es war Hieb. Auf dem Gang, vor dem Zimmer in dem Kelso schlief, erfolgte eine
geflüsterte Besprechung, in der Hieb den beiden anderen mitteilte, was
er auf der Rückfahrt aus Kelso herausgequetscht hatte. Von der Reise Kelsos
nach Sierra Leone, den bestochenen Wachmann, den gestohlenen Steinen und dem
grausigen Ende des Diamantenschleifers Isaak Rosenthal.
"Und jetzt haben diese Typen Kelso anscheinend zum Abschuss freigegeben.
Anders kann ich mir die Aktion gestern Abend nicht erklären. Wer auch immer
diese Burschen sind. Sie sind irgendwo hier in der Stadt und wussten, wo Kelso
gestern Abend hingehen würde. Das heißt, dass sie wahrscheinlich
auch wissen wo er wohnt, arbeitet und zum Bumsen hingeht!"
"Wer könnten die Kerle sein? Sie konnten verdammt gut kämpfen.
Um ein Haar hätten sie uns alle geschafft." Karotte sah bedauernd
auf seine bandagierte Schulter.
"Wenn diese Sierra Mining Cooperation ihre Diamantenfelder in Sierra Leone
hat, wird sie sicherlich ein paar professionelle Killer und Mordbrenner auf
ihrer Gehaltsliste haben. Da herrscht doch schon seit Jahren Krieg. Dort operierten
auch die Söldnerarmeen von Executive Outcomes und Sandline International.
Deren "Personal" hat sicher nicht vollständig das Land verlassen.
Für die Betreiber der Firma, dürfte es keine Schwierigkeit gewesen
sein, ein paar dieser Gunmen anzuheuern um die Minen zu schützen. Und jetzt
sind sie hier." Hieb senkte die Stimme, als eine Tür aufging und ein
junger Mann nur mit einer Unterhose bekleidet über den Gang zur Toilette
ging. Karotte warf ihm einen bitterbösen Blick zu und sorgte dafür,
dass er schnell die Tür hinter sich zuschlug, und sein Geschäft verrichtete.
"Gut, am besten überreden wir Kelso, die Diamanten wirklich zurückzugeben.
Ewig können wir ihn nicht beschützen."
"Ich hoffe, dass wird so einfach wie du es sagts." Fossi legte die
Stirn in Falten. Scheiße, hier draußen war es kalt und er hatte
nur T-Shirt und Boxershorts an. Dieser alte Kerl da unten in seinem Kabuff sollte
mal die Heizung aufdrehen. Es ertönte eine Spülung und bevor der junge
Mann wieder in sein Zimmer ging, verabschiedeten sich auch die drei Söldner
und verschwanden wieder in ihren Zimmern.
Courtland lenkte den alten Chevrolet durch die nächtlichen Straßen
Londons. An einer roten Ampel kam neben ihm ein Wagen voller junger Leute zu
stehen. Sie kurbelten das Fenster herunter und winkten zu ihm herüber.
Courtland lächelte zurück und fluchte leise vor sich hin. Der Fahrer
des Wagens ließ den Motor beschwörend aufheulen und streichelte auffordernd
das Gaspedal. Aber der hagere Courtland ließ sich nicht auf die Einladung
zu einem Wettrennen ein. Mit dem Stück Scheiße auf dem Rücksitz
wollte er nicht von der Polizei angehalten werden.
Inzwischen hatte drüben einer seinen Hintern entblößt und wackelte
damit aus dem Fenster, ob Männlein oder Weiblein konnte Courtland nicht
erkennen. Die Jugendlichen grölten wieder.
"Was ... verdammt, shit!"
Decker auf dem Rücksitz wurde wieder lebendig.
"Fuck, Court! Was ist los? Mir ist so scheiß übel. Ich glaub
ich muss kotzen."
"Du wurdest angefahren. Sehr spektakulär wie du durch die Luft geflogen
bist."
Als die Jugendlichen drüben sahen, wie ein weiterer Mann plötzlich
im Fond des Wagens auftauchte, grölten sie noch lauter.
"Scheiße is mir schlecht, eye. Ich muss auf den Kopf gefallen sein.
Ich ... wer sind diese Shitheads da drüben!" Er warf einen wütenden
Blick auf die Vergnügungssüchtigen nebenan.
"Die Lachen über mich, diese Schweine ..." Decker griff nach
dem Türgriff. Courtland wusste, was jetzt kommen würde und war überglücklich,
als die Ampel grün wurde und die Jugendlichen mit kreischenden Reifen lospreschten.
Decker benutzte die schlimmsten Schimpfwörter, die er in seiner Jugendzeit
in New York gelernt hatte und ließ das lange schmale Messer genauso schnell
wieder in der Hosentasche verschwinden, wie er es herausgezogen hatte. Er wollte
die Tür wieder zuschlagen, überlegte es sich im nächsten Moment
aber anders. Weit beugte er sich hinaus und würgte.
"Decker, Decker... du musst ruhiger werden. Die Zeit in der Savanne hat
dir nicht gut getan. Wir sind wieder in der 'zivilisierten Welt' hier kannst
du nicht einfach einem die Kehle durchschneiden, wenn er dir nicht passt. Das
hier sind keine rechtlosen schwarzen Arbeiter. Hier stecken sie dich in den
Knast wenn du jemanden umbringst!"
Decker schlug die Tür zu und wischte sich den Rest des Erbrochenen vom
Mund.
"Halts Maul Courtland! Red nicht mit mir als wär ich ein Kind!"
er verschränkte die Arme und ließ sich in die Polster sinken. Ihm
tat alles weh. Seine Knochen fühlten sich zerschlagen an, aber er war zu
stolz das zuzugeben. "Wo ist Konsalik?"
"Im Kofferraum."
"Häh!?"
"Tot. Hat ein Messer in den Rücken bekommen. Wir fahren jetzt zu Dooreward
und sehen weiter. Der Boss will die Steine und wir bringen sie ihm. Aber vorher
müssen wir die Leiche loswerden. Andere Tote gab es nicht." Courtland
tippte im Rhythmus von "American Pie" aufs Lenkrad.
"Courtland, das stimmt nicht. Einer vom Sicherheitsdienst der Disco ist
auch tot."
"Was!" Courtland fuhr wütend herum. "Was hast du getan,
du Psychopat?!"
"Hey, dieses tätowierte Sackgesicht kam angelaufen und hat gesagt,
ich dürfe da nicht parken! Das wäre nur für Gäste. Er wollte
mit seinem Funkgerät die Polizei anrufen, damit sie unsere Karre abschleppen
lassen. Ich hatte keine andere Wahl. Das verstehst du doch."
Courtland murmelte unterdrückte Flüche vor sich hin und verwünschte
Decker. Er hätte ihn nicht mitnehmen sollen. Dieser Irre versaute noch
die ganze Aktion. Der nette junge Mann mit den blonden Strähnen und den
himmelblauen Augen war ein durchgeknallter Amokläufer. Er hätte ihn
im Busch lassen sollen, aber hier in London konnte er noch wertvoll werden.
Er bog von der Schnellstraße ab und der Wagen holperte über nichtbeleuchtete
Wege. Es war ein Uhr morgens und nicht einmal ein Liebespärchen war noch
an diesem einsamen Altwasserarm der Themse. Decker fluchte, er sei verletzt
und ihm tue alles weh, als Courtland ihn anwies, Konsaliks Leiche aus dem Kofferraum
zu holen. In eine Plastikplane gewickelt und mit ein paar Findlingen beschwert
verschwand der tote Söldner im trüben Wasser.
Zufrieden stieg Courtland und der murrende Decker wieder in den Wagen und fuhren
in einen Vorort von London. Nette kleine Einzelhäuser mit Vorgarten und
Garage. Sie ließen den Wagen in die Garage rollen und gingen dann ins
Haus, wo Dooreward und der zweite Mann, ein Deutscher namens Hansen, vor dem
Fernseher saßen und ein Pornovideo ansahen.
Karotte ging zum Bad. Besetzt. Der mies gelaunte Hotelier humpelte zufällig
vorbei. "Da sitzt ein Rücksacktourist drin und macht ein großes
Geschäft. Sie wissen ja was das heißt."
Vier Minuten später verließ der junge Backpacker missmutig dreinblickend
das Bad und ließ Karotte rein. Der hatte doch allen ernstes geduscht!
Karotte würde lieber in der Themse baden, als sich hier zu duschen. Damals
bei der Polizei in Kanada hatte er mal eine Dusche gesehen, in der ein Drogendealer
mit 8 Kugeln hingerichtet worden war. Es hatte vier Wochen gedauert, bis man
die schimmlige Leiche gefunden hatte. Und diese Dusche damals war nicht sehr
viel dreckiger gewesen als diese hier. Der Vorhang war so von Kalk verkrustet,
dass er hart wie ein Brett geworden war. Die Duschhähne waren verrostet,
der Abfluss von Haaren und anderen ekelhaften Dingern verstopft. Das Wasser
stand und lief nur ganz langsam ab. Eine Spinne hatte sich an der Decke ein
Netz gebaut.
Scheißladen! Wie viel kostete hier die Nacht? 50 Pennys wären ein
angemessener Preis gewesen.
Karotte verrichtete sein Geschäft und verbrauchte aus purem Fleiß
den letzten Rest Klopapier.
"Mister Kelso, wie viele von den Diamanten haben Sie denn noch?"
"Wieso? Fast alle. Ich wollte eben wieder nach Antwerpen."
"Ich habe mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn Sie die
Steine der Sierra Mining Cooperation zurückgeben würden. Irgendwie
haben die ja auch mehr Anrecht darauf als Sie. Das wäre für alle Beteiligten
wirklich das Beste. Ich würde es nicht auf eine Konfrontation ankommen
lassen. Die Leute dort scheinen vor Gewalt nicht zurück zu schrecken. Es
wäre wohl wirklich das Beste, sich mit den Betreibern der Sierra Mining
Cooperation gütlich zu einigen. Ich habe mich mal informiert. Nur ein paar
Straßen von Ihrem Büro entfernt befindet sich eine Niederlassung
der Sierra Mining Cooperation. Wenn wir jetzt losfahren, kommen wir noch rechtzeitig
zu deren Arbeitsbeginn..."
"Nein! Ich verdiene mit diesen Diamanten meinen Lebensunterhalt. Ich werde
doch nicht klein beigeben! Dann kann ich mich ja gleich aus dem Geschäft
verabschieden. Sie sind für meine Sicherheit zuständig. Sie sollen
nur dafür sorgen, dass mir nichts zustößt!"
"Und wie lange sollen wir das tun? Für den Rest ihres Lebens? Man
wird Sie nicht einfach in Ruhe lassen. Und bedenken Sie, Sie haben die Steine
dem rechtmäßigen Besitzer gestohlen!"
"Und dieser 'rechtmäßige Besitzer' hat bereits einen unschuldigen
Diamantenschleifer in Antwerpen getötet! Ich werde die Steine verkaufen
und dann verschwinden!"
Hieb seufzte. "Sie wollen also die harte Tour durchziehen."
Er stand auf und ging zu den anderen. Auf dem Gang kam ihm der Hotelier, Pförtner,
oder wie man ihn sonst nannte, entgegen. Eine frische Rolle Klopapier in der
Hand und Hieb so finster anblickend, als würde er durch eben diese Rolle
Klopapier dem Ruin ein Stück näher kommen.
Hieb brauchte nicht lange und verschwand wieder in seinem Zimmer.
"Mister Hieb?"
Kelso lag auf dem Rücken und rauchte verbotenerweise eine Zigarette im
Bett. Rauchkringel zogen nach oben zur Decke, die bereits den Putz verlor.
"Mister Hieb. Ich will heute noch nach Antwerpen." Ein kleiner, einfacher
Satz. Aber Hieb war sofort hellhörig.
"Wegen ihrer Steine?"
"Ja. Ich hab mir noch mal überlegt, was Sie gesagt haben. Ich will
mich in Antwerpen mit einem Händler treffen. Ich werde alle Steine, die
sich noch in meinem Besitz befinden verkaufen und mich dann absetzen."
Hiebs Gesicht hellte sich ein klein wenig auf. Absetzen,
das klang gut. Das schien ein Ausweg aus dieser scheinbar auswegslosen Situation
zu sein.
"Und was schwebt Ihnen da so vor?"
"Kanarische Inseln, Azoren, Karibik, Pazifische Inseln. Etwas in der Art.
Helfen Sie mir?"
"Pazifik klingt gut. Hauptsache weit weg." Von
ihren Verfolgern und
von mir. Aber das sprach Hieb nicht aus.
"Wir müssen die Sache geschickt anstellen. Sonst wird man Sie aufspüren.
Wo haben Sie die Steine?"
"Hier in London. In einem Schließfach. Ich würde sie per Luftpost
schicken."
"Gut. Wie lange brauchen Sie in Antwerpen die Steine loszuwerden?"
"Ein, zwei Tage. Vielleicht länger. Ich habe noch keinen bestimmten
Käufer in Aussicht."
"Dann würd ich mir an Ihrer Stelle mal Gedanken darüber machen.
Der letzte Käufer, der in dieser Single-Bar, war Ihnen ja nicht gerade
gut gesonnen." Hieb verkniff sich weitere Bemerkungen und packte eilig
seine Sachen zusammen. Sie wollten Bertrams Hotel schnell verlassen. Da er und
Kelso nicht sehr viel mehr dabei hatten, als das was sie am Leib trugen, ging
das verhältnismäßig schnell. Karotte und Fossi wurden durch
Hämmern an ihrer Tür aufgeschreckt und waren nach nicht mehr als 60
Sekunden aufbruchbereit.
Am Kabuff des Hoteliers erwartete sie noch einmal eine Überraschung, als
der Hotelier ihnen die Rechnung präsentierte. Hieb hatte schon am Vortag
im Voraus gezahlt und versuchte dies dem Kerl klarzumachen. Aber der blieb standfest
und behauptete, es wäre nur für eines der beiden Zimmer bezahlt worden.
Für das Zweite, sei die gleiche Summe noch einmal fällig. Karotte
löste, trotz seines verletzten Arms, das Missverständnis mit einer
Mischung aus freundlichem Entgegenkommen und kaltblütigen Drohungen.
Endlich verließen sie das "Hotel" und traten auf die Straße.
Kelso zwischen sich. Fossi hatte schon den Saab und den BMW geholt, die beide
wie durch ein Wunder nicht aufgebrochen, gestohlen, in Einzelteile zerlegt und
nach Polen verschifft worden waren. Der Kratzer auf der rechten Tür des
Saabs war fast nicht zu sehen.
Courtland hatte wenig geschlafen. Vier Stunden, denn bereits früh morgens
hatte er das Büro der Sierra Mining Cooperation in London aufgesucht und
per Fernschreiben Verbindung mit seinem Boss in Freetown / Sierra Leone aufgenommen.
Der letzte Versuch an Kelso ranzukommen war am Widerstand seiner Leibwächter
gescheitert. Dafür wurde in den Lokalspalten der Sun und des Daily Mirrors
über einen Mord berichtet.
7 April 2001
Mord in Großraumdisco!
Am späten Abend wurde gestern
ein Sicherheitsmann der Diskothek "Club Blue Motion" tot in einem
Müllcontainer aufgefunden. Nach Polizeiangaben wurde er Opfer eines bestialischen
Messerangriffes.
Die Polizei ließ das Gelände großräumig absperren und
alle Gäste der Disco durchsuchen, dabei wurde eine große Menge an
illegalen Aufputschmitteln u.a. Kokain sichergestellt. Fünfzehn Haftbefehle
wurden von den Ordnungshütern erlassen und die überführten Dealer
gleich an Ort und Stelle verhaftet.
Auch bei dem toten Securitymann wurden Extasy-Tabletten und Haschisch gefunden.
Anscheinend handelte es sich bei der Bluttat um eine Abrechnung unter Dealern.
Die Polizei hält sich bisher mit Untersuchungsergebnissen sehr zurück,
was auf eine heiße Spur hindeuten könnte. Wir werden auf jeden Fall
versuchen, die gesetzestreuen Bürger von London weiterhin auf dem Laufenden
zu halten.
Courtland musste lächeln und war gleichzeitig wütend. Polizei und
Presse hatte überhaupt keine heiße Spur. Sie tappten völlig
im Dunkeln. Aber sie waren nur aufmerksam geworden, weil Decker den Security-Mann
aufgeschlitzt und in den Müllcontainer gesteckt hatte. Wegen eines Streits
über ein falsch abgestelltes Auto! Decker war ein hirnverbrannter Idiot.
Aber den zweiten Toten hatten sie nicht gefunden. Und wenn alles gut ging, würde
sie es auch nie. Keiner würde den deutschen Söldner Kurt Konsalik
vermissen. Er hatte keine Familie und keine Angehörigen, nicht einmal gültige
Papiere. Wieder ein Affreux weniger, wie die weißen
Söldner in Afrika in Ahnlegung an die legendären Söldner genannt
wurden, die in den 60er Jahren in und um den Kongo kämpften. Übersetzt
wurde Affreux mit die Abscheulichen.
Ein Spitzname den die Söldner sicherlich nicht wegen ihrer humanitären
Wohltaten und ihres Ansehens bei der Bevölkerung bekommen hatten.
Pierce war zwar nur ein kleiner Fisch, aber ein gewiefter Einbrecher, der fast
jedes Schloss aufbekam. Das simple Modell an Kelsos Appartement hatte ihm nur
75 Sekunden Widerstand geleistet. Jetzt lehnte Pierce neben der offenen Tür
und wartete bis die Männer die ihm den Auftrag gegeben hatten, endlich
fertig waren.
Decker war sofort die Kamera ins Auge gestochen. Mitten ihm Flur hatte sie ihn
ins Visier genommen und ihr Okular ausgefahren. Fluchend verdeckten er und Hansen
die Maschinenpistolen heimlich unter den Mänteln. Die Kamera und der angeworbene
Einbrecher brauchte nicht alles sehen. Als sie durch den Flur stapften folgte
ihnen die Kamera. Die beiden Männer wussten zwar nicht, nach was sie suchten,
gingen dabei aber äußerst rabiat vor. Schubladen wurden herausgerissen
und ihr Inhalt auf den Boden entleert, Bodendielen herausgebrochen und Schränke
durchwühlt.
Pierce, der ein Mann von der stillen Truppe war, wurde draußen immer nervöser.
Die beiden Typen machten mehr Lärm als ein ganzes Infanterie Bataillon.
Decker stopfte alles bedruckte Papier, das er finden konnte, in eine Leinentasche,
als sein Blick auf das Aquarium in der Ecke fiel. Drei Goldfische schwammen
darin herum. Decker ging davor in die Hocke und blies seine Backen auf. "Na,
ihr kleinen Schuppentiere. Wo hat euer Herrchen denn die Diamanten versteckt?
Sind sie hier? Warum antwortet ihr mich nicht? Kommt schon. Sonst brech ich
euch die Gräten."
Hansen sah seinen Kollegen kopfschüttelnd an und widmete sich wieder dem
Öffnen von Schränken und dem Herausreißen des Inhalts. Dann,
als hinter ihm das Klirren von Glas ertönte, sah er den Laptop.
"Hey Decker. Ich hab was." Decker stand mit den Schuhen im Wasser
des ehemaligen Aquariums. Hansen hielt den tragbaren Computer hoch, an dem ein
anderes elektrisches Gerät angeschlossen war. Decker ging zu ihm, wobei
sich ein zappelnder Goldfisch in sein Schuhprofil presste.
Da Decker nicht wusste, was er da genau für ein Gerät vor sich hatte,
stopfte er das Notebook ebenfalls in die Tasche.
"Gut, bringen wir die Sache zu Ende."
Auf dem Weg nach draußen streckte sich Hansen und zerschlug mit dem Knauf
der MP5K die Überwachungskamera im Flur.
"Mein Gott, seid ihr unfähig! Ein Wunder, dass ihr nicht das ganze
Haus aufgeschreckt habt!" Pierce trat unruhig von einem Fuß auf den
anderen. Hansen kam heraus, die MP wieder einsteckend.
"Hey, hey Leute! Von Waffen war keine Rede! Was habt ihr da drinnen gemacht!"
"Gar nichts." knurrte Decker.
"Haha, und ich bin der Weihnachtsmann. Ich will jetzt den Rest von meinem
Geld. Ihr Typen seid mir nicht geheuer."
Hansen zählte die Pfundnoten ab. Deckers Gehirn arbeitete auf Hochtouren,
während er sich mit seinem Messer irgendeinen ekelhaften Brei von der Schuhsohle
kratzte. Der Bursche war zu nervös. Pisste sich vor Aufregung fast in die
Hose. Würde er quatschen?
"Hier hast du dein Geld." Hansen gab ihm die Scheine und schob den
Einbrecher die Treppe hinunter. Vor der Haustür wandten sich Hansen und
Decker nach links und Pierce wollte nach rechts gehen, aber Decker zog ihm am
Arm mit.
"Du hast gute Arbeit geleistet. Wo musst du jetzt hin?"
"Arsenal, Rutherford Street... aber..."
"Kein Problem Junge, wir bringen dich hin." Decker schob ihn auf den
Beifahrersitz ihres Peugeots und stieg selbst hinten ein. Eine Weile sagte keiner
etwas. Hansen schaltete das Radio ein und lenkte den Wagen sicher durch den
Verkehr. Pierce wurde erst unruhig als sie an einer Themsebrücke von der
Straße abbogen.
"Hey hier geht's nicht nach Arsenal!"
"Keine Sorge, Tommy Boy. Wir wissen schon was wir tun." zwitscherte
Decker während er sich vorbeugte und sein Messer quer über Pierces
Kehle zog.
Sie fuhren schnurstracks zur Central Station und parkten auf einem der großen
Parkdecks. In einem der Schließfächer des Bahnhofes hatte Kelso die
Diamanten deponiert. Eskortiert von den drei Söldnern holte er sie heraus
und sie gelangten ohne Zwischenfälle zurück zu den Wagen. Es ging
weiter zu einem Import-Export Unternehmen in den Docks von London. Auf unbequemen
Stühlen warteten die vier Männer darauf, dass ein gutgekleideter Angestellter,
das kleine Päckchen mit Diamanten sichtete und einen Berg von Formularen
ausfüllte. Wegen des hohen Werts der Fracht, Kelso schätzte die Diamanten
auf etwa 8 Millionen Dollar, bestand der Exporteur darauf, dass eine Risikoversicherung
abgeschlossen werde. Nachdem Kelso drei oder vier Unterschriften gesetzt hatte,
wurde das Päckchen in einer Metallkassette verschlossen und versiegelt.
Die Kassette wurde in ein Kuvert gesteckt, mit dem Stempel der Firma versehen,
und mit einem Siegel verschlossen, auf dem der Abteilungsleiter unterschrieb.
Dann wurde ein uniformierter Wachmann gerufen, der das Päckchen in den
Lagerraum brachte und in den Container warf, der noch heute Abend von einer
Sicherheitsfirma abgeholt und nach Heathrow gebracht werden sollte. Wenn keine
Verwechslung, Panne oder ein Fluglotsenstreik dazwischen kam, würden sie
es bereits am nächsten Tag ab 10 Uhr vormittags auf dem Antwerpener Flughafen
abholen können.
Exakt 14 Stunden nachdem sie sie verlassen hatten, betraten sie wieder Kelsos
Wohnung. Waren die Hände, als sie vor der Tür standen, nur auf den
Waffen gelegen, wurden sie als eben jene Tür aufschwang, aus den Gürteln
und Holstern gerissen. Hieb drückte Kelso zur Seite, während Fossi
und Karotte, die Waffen im Anschlag, in die Wohnung wirbelten. Die zerstörte
Kamera hatten sie schon von Draußen gesehen. Aber je weiter sie in die
Wohnung vordrangen, desto schlimmer sah es aus. Hier hatte ein Hurrikan gewütet.
Alles war an einer anderen Stelle als sie es zurückgelassen hatten. Aber
der Verursacher des Chaos schien nicht mehr anwesend zu sein. Sie steckten die
Waffen weg und riefen die beiden anderen herein. Kelso packte schnell ein paar
Klamotten zusammen und holte seinen Pass. Auf Hiebs Bitte nahm er auch noch
zwei ungenutzte Passbilder mit. Ein eingehender Blick auf seine Wohnung - und
vor allem sein Aquarium - blieb ihm erspart.
Gegenüber holten die Söldner noch ihre eigenen Besitztümer ab
und bereiteten sich auf den Flug vor. Die Vorbereitung bestand hauptsächlich
daraus, die Waffen verschwinden zu lassen. Die Behörden waren seit dem
11. September richtig ekelhaft und nachtragend was Waffen in Flugzeugen anging.
Deshalb wurden die drei Pistolen und ein Wurfmesser wieder in derselben dubiosen
Spedition, die sie schon nach England gebracht hatte, aufgegeben. Ein LKW, der
morgen mit der Fähre nach Dover fahren sollte, würde sie in zwei Tagen
nach Antwerpen bringen.
Als sie den gemieteten BMW in London wieder zurückbrachten, erlebten sie
noch eine Überraschung. Dort wartete ein Strafzettel für Überqueren
einer Ampel bei rot, auf sie, der noch beglichen werden wollte. Fossi fiel der
Abend vor dem Club Blue Motion wieder ein, als er den Wagen geholt und dabei
die Verkehrsregeln etwas frei zu seinen Gunsten ausgelegt hatte. Murrend zahlte
er die Strafgebühr.
Von Job
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