Teil 7 - Stadt der Liebe
"Kämpf für das Gute und ne Woche später stehst du
bis zum Hals in Patronenhülsen."
Der Hafen von San Francisco kam langsam in Sicht. Mark richtete sich
von dem Stuhl auf, in dem er den letzten Tag verbracht hatte, Inzwischen
war es wieder Morgen; der Schrei von Möwen durchschnitt die Stille.
Mark genoß die Schönheit der Situation noch ein paar Minuten.
Mit der dunklen Vorahnung, das es bald wieder häßlich werden
würde, kletterte er die Leiter zur Brücke hinauf und steuerte
das Schiff vorsichtig an einen leeren Anlegeplatz. Es würde ihm keine
Probleme mehr bereiten; er hatte sorgfältig darauf geachtet, keine
Spuren seiner Identität zu hinterlassen. Ohne Blick auf die Uhr entschied
sich Mark dafür, das momentan Zeit für Frühstuck war. Einerseits,
weil er seit der Abreise aus Korea nur ein paar kalte Frühlingsrollen
aus einem chinesischen Restaurant gegessen hatte; andererseits, weil der
Duft von frischen Brötchen aus einem kleinem Café am Ufer
vom Wind zu ihm getragen wurde. Mit einem zur Unkenntlichkeit zersungenem
Lied auf den Lippen, schlenderte er den Gang zum Innenraum des Katamarans
entlang. Mark wollte nicht wissen, woher der Verkäufer am Hafen dieses
Schmuckstück besorgt hatte; die Angelegenheit war mit zehntausend
amerikanischen Dollar schon lange gelöst. Vor der Tür zum Unterdeck
hielt er kurz an, holte tief Luft und drückte dann die Klinke nach
unten.
"Wenn du jetzt hier rein kommst, kannst du deine Eier zum Frühstück
wieder runterschlucken."
Sharons Stimme war unverkennbar; Mark entschied sich gegen die Gefährdung
seiner Libido und ließ von der Klinke ab. "Du solltest dir
wirklich was anziehen, wir liegen schon im Hafen." "Ich hab
nicht gesagt, das ich nichts anhabe..." Mark lächelte. Er lehnte
sich entspannt gegen eine Wand aus grauem Hartplastik. Die Tür öffnete
sich langsam. "Komm rein." Mark folgte der Aufforderung und
warf einen Blick um sich; Sharon war nicht in Sicht. "Tschuldigung
für das Durcheinander, aber im Gegensatz zu dir ziehe ich mich auch
mal um. Wieviel Tage läufst du jetzt eigentlich schon in den filzigen
Klamotten herum ?" "Hm, ne Woche ?" "Na da will ich
nicht dran schnuppern." Sharon trat aus dem Blickschatten einer Trennwand.
Die Jeans war unverkennbar dieselbe geblieben. Statt des schweren Mantels
und des Sweatshirts trug sie ein leichtes Hawaii-Hemd und darüber
eine braune, ausgewaschene Lederjacke. Die Stiefel waren Sandalen mit
leichten Absätzen gewichen. Mark schüttelte den Kopf. "Und
wo willst du ne Waffe verstecken ?" Sharon schwenkte die rechte Seite
der Lederjacke zur Seite. Die Mossberg 590 paßte perfekt in eine
Halterung an der Innenseite; erst jetzt fiel Mark auf, das die Waffe offensichtlich
eine professionell verkürzte Version mit Klappschaft und abgesägtem
Lauf war. "Sag was du willst, aber die paßt perfekt. Du rechnest
doch nicht etwa damit, das es Ärger gibt ?" Mark öffnete
seinen Trenchcoat. Die zwei Ingram MAC-10, inzwischen repariert, lagen
direkt an der Seite der Flakweste; die zwei USP Tactical waren offensichtlich
in Holstern auf dem Rücken verstaut. Ein Pistolenholster, noch leer,
zierte Marks rechte Wade; links steckte sein Kristallschwert in der Scheide,
in der Zwischenzeit sorgfältig in das Innenfutter eingenäht.
Auf der entgegengesetzten Seite war eine deutlich als neu erkennbare Halterung
eingefertigt; soweit Sharon es erkennen konnte, war sie dazu bestimmt,
eine größere Waffe zu halten.
Mit einer schnellen Bewegung schloß Mark den Mantel. "Lust
auf einen kleinen ? Stadtbummel ? ?"
Erstes Ausflugsziel der beiden war man mag es kaum glauben der Flughafen.
Dass sich nach den Erlebnissen der letzten Tage eine leichte Aversion
gegen solche Einrichtungen bei Mark entwickelt hatte, dürfte jetzt
keine Rolle spielen. Immerhin waren die beiden Reisende mit eiliger Mission.
Kurz vor dem Eingang beschlich Mark ein undefinierbares, aber dennoch
auf seine Weise deutliches Gefühl. "Hier stimmt was nicht."
Mit schnellem Griff und einem Schritt zur Seite brachte er sich und Sharon
hinter eine Wand. Mark spähte um die Ecke. Es war ruhig. Viel zu
ruhig. Sein geistiges Auge wanderte durch die Halle des Airports. Hinter
den einzelnen Ecken und Säulen hatten Männer eines SWAT-Teams
Stellung genommen. Mark wandte sich an Sharon, die ihn mit einer Art verständnislosen
Blicks Marke "Was ist denn jetzt schon wieder ?" strafte. Mark,
gutmütiger Weise nicht auf diese Zeichen eingehend, flüsterte
etwas, das nach "Wir werden erwartet" klang. Ohne ein weiteres
Wort deutete Mark Sharon, das einer Flugreise wohl einige Hindernisse
im Weg standen. Die beiden schlichen sich wieder davon; ihr neues Ziel
war die Halle für Luftfracht aus Übersee; sie hatten mit Hilfe
eines privaten Flugunternehmers und des allmächtigen Dollars ihre
Fahrzeuge bereits vorausschickt. Mark gefiel der Gedanke, am hellichten
Tag seine Fähigkeiten in dieser Weise einzusetzen, überhaupt
nicht; irgendwie jedoch mußte er den Zaun zum Gelände überwinden.
Ein kurzer Blick in die Umgebung war für ihn Bestätigung genug,
das es keine Zeugen geben würde.
Mit kurzer Konzentration und einem gewaltigen Sprung überwand er
die Absperrung.
Während Mark sich durch das Unterholz einen Weg zum Gebäude
bahnte, ging Sharon in Deckung und zückte ihre Waffe. Von hier aus
konnte sie Mark nicht helfen, es war besser, sich selbst bedeckt zu halten
und nur im Notfall das Feuer zu eröffnen. Selbiger erreichte gerade
die Lagerhalle. Er zählte nur eine Wache. Der Mann war in der blauen
Uniform eines SWAT-Teams gekleidet, trug eine kugelsichere Weste und patrouillierte
die nähere Umgebung mit einer Colt Commando 5.56mm NATO im Anschlag.
Mark entschied sich gegen die offene Konfrontation mit einem Sturmgewehr
und schlich sich langsam hinter ein in der Nähe geparktes Lotsenfahrzeug.
Er versuchte sich die Route der Wache genau einzuprägen und wartete
noch etwa eine halbe Minute, dann stürmte er ohne einen Laut los.
Hinter der Wache, die ihn noch nicht bemerkt hatte, griff er zunächst
nach dem Funkgerät des Polizisten und hielt es mit einem kräftigen
Ruck in der Hand. Der überraschte Gesetzeshüter drehte sich
um; bevor er die Situation überblickte, hatte Mark ihm die Waffe
schon aus der Hand gerissen. Ein Tritt in den Bauch verhinderte den Versuch,
um Hilfe zu schreien, lange genug, um dem Polizisten mit dem Kolben seines
eigenen Gewehrs einen Schlag gegen den Kopf zu versetzen. Die Wache taumelte
nach hinten und fiel schließlich zu Boden; ein zweiter Schlag mit
dem Kolben bescherte ihm endgültig einen tiefen, wenn auch unfreiwilligen
Schlaf.
Mark nahm die Waffe und die Munition, die der Polizist bei sich hatte,
vorerst an sich wenn man nur in unregelmäßigen Abständen
neue Waffen erhielt, mußte man halt nehmen, was verfügbar war.
Mark entschloß sich jedoch, diese Waffe wieder zu veräußern;
sie war nicht besonders leistungsfähig, zumindest nach seiner persönlichen
Meinung. Im Moment war jedoch die Rückaneignung der Fahrzeuge wichtiger.
Mit gewaltiger Anstrengung verstaute Mark sein Motorrad im Kofferraum
von Sharons Wagen. Den Schlüssel aus der Tasche fischend, startete
Mark den Wagen, dessen Motor zwar leiser, aber auch gleichzeitig weniger
grazil und undynamischer als der seines Motorrads klang. Insgesamt konnte
sich Mark mit diesem Wagen nicht wirklich anfreunden: er war zu neu und
sauber; und die Tatsache, das keine mit Fell besetzten Würfel vom
Rückspiegel baumelten, verriet eindeutig ein absolut unpersönliches
und anonymes Fahrzeug. Förmlich angeekelt von den Ledersesseln, setzte
Mark zurück. Er konnte nicht widerstehen. Sonnenbrille zurechtrücken,
in den sechsten Gang schalten und dann das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten.
Der Wagen machte einen kurzen Satz nach vorne und raste brüllend
aus dem Gebäude auf eine Startbahn; die sich anschließende
180°-Drehung durch Handbremse verriet eindeutig, das Mark als Jugendlicher
zu oft "Die Blechpiraten" gesehen hatte. Der schwarze Wagen
raste an der Lagerhalle vorbei und pflügte mit brutaler Gewalt durch
das Gestrüpp, um schließlich mit ungebremster Wucht eine Masche
des Zauns von 2 cm Durchmesser auf 2 m zu erweitern. Die Sirenen im Hintergrund
signalisierten Sharon, das diesmal Schicht mit bequemem Einsteigen und
Anschnallen war.
Dank haarsträubenden Kurvenlage und schier übermenschlicher
Konzentration und Fahrzeugbeherrschung verlor sich die Spur des Fahrzeugs
irgendwo in den Gassen der Großstadt.
Während sich draußen die Polizei von San Francisco der Jagd
nach einem Phantom widmete, hatte sich das Gespann in eine kleine Werkstatt
gerettet und genoß einen Kaffee, während ein paar alte Bekannte
von Mark den Wagen umspritzten. Eine Gestalt näherte sich dem Tisch
der beiden. Der untersetzter Mann mit einer sich flächenbrandartig
ausbreitenden Glatze und hinter einer dicken Brille versteckten grünen
Augen setzte sich zu den beiden und eröffnete das Gespräch.
"Na Mark, läßt du dich auch mal wieder hier blicken. Neuer
Auftraggeber und neue Freundin, was ?" "Ersteres ja, letzteres
nein. Das ist Sharon. Wir arbeiten an der Sache gemeinsam." "Nicht
gerade deine Art, den Gewinn zu teilen." "Na ja, man kann nicht
wirklich von Gewinn reden. Ich erledige den Job und fang damit ein neues
Leben an." "Erpressung ?" Mark mußte lächeln.
Ja, es war eigentlich schon fast Erpressung gewesen. "Kann man so
ausdrücken. Ist aber ein guter Job. Wenn ich Ausrüstung oder
Geld brauche, kriege ich sie auch ohne Probleme. Außerdem nun
ja, sagen wir mal, ich hab einen guten Auftraggeber, der sorgt für
mich, egal was passiert." "Und was machst du so ?" "Im
wesentlichen Objektschutz." "Die Polizei hast du ja mächtig
verärgert. Was ist passiert ?" "Wenn ich das wüßte.
Wir haben nicht mal 10 Leute umgelegt, und die waren auch noch Koreaner,
also ist mir das ein Rätsel. Nun ja, genug gelabert." "Kommen
wir zum Geschäft. Ich nehme an, du willst was abholen, oder ?"
Fünf Minuten später trugen ein paar Mitarbeiter der Werkstatt
eine alte Kiste in den Raum. Mark griff das ihm feierlich gereichte Brecheisen
und setzte an. Mit einem kräftigen Ruck öffnete er die Kiste
und fischte seine alte Ausrüstung wieder aus dem Behälter. Er
prüfte die Waffen sorgfältig. Seine alte Desert Eagle, im Kaliber
.50AE mit Zielfernrohr und Laserzielhilfe. Er verstaute die schwere Pistole
in dem Holster an seiner Hüfte und griff dann die Waffe, auf die
er sich schon die ganze Reise nach San Francisco gefreut hatte. Ein Heckler
& Koch PSG-1 Präzisionsgewehr, für 5000$ gekauft, aber für
Mark eine Million wert. Das schwere Gewehr mit Schmidt & Bender Zielfernrohr
und einem Zweibein wanderte in die Halterung im Innenfutter seines Trenchcoats.
Mit einem Lächeln überreichte er dem Besitzer die Colt Commando
und die Munition dafür. "Hier, dafür das du es für
mich aufgehoben hast. Ist der Wagen jetzt eigentlich fertig ?" "Die
Farbe ist trocken; ihr könnt jederzeit wieder abhauen." Mit
einem Lächeln schüttelte Mark die Hand des kleinen Mannes. "Danke
für den guten Kaffe, Joe. Wir sehen uns." Er deutete Sharon,
das die Reise jetzt weitergeht. Mark wollte im jetzt braunen Wagen Platz
nehmen, als er eine Luftbewegung hinter sich hörte. Mit einer schnellen
Handbewegung fing er den Gegenstand ab, den Joe ihm offenbar zugeworfen
hatte. Ein Colt von STI, handgefertigt und im Kaliber 10mm Auto. Joe lächelte
nur, dann verschwand er in einen anderen Raum. Mark steckte die Waffe
weg und stieg ein.
Am Abend war das Gespann dank gefälschter Pässe wieder ungestört
auf der Straße und strebte der Ostküste zu.
Von Gatac
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