I: Nachricht von einer Entführung
“Your
Excellency, Ladies & Gentlemen, thank you and the Israel Diamond
Institute for this opportunity
to speak to you on a subject of great importance to the diamond
industry and, indeed,
to the whole of the international jewellery industry. It resonates
far beyond our usual
commercial concerns and is central to the future prosperity of our
business. I
realise that this is an issue that sometimes seems remote from the
day to day running of individual
firms and which, despite all the hype, has not had any real negative
impact on the
consumer or on the sales of diamond jewellery. Individual members of
the industry may
well feel that this is nothing to do with them - they buy their
diamonds from reputable sources
and cannot be expected to know from where they originated in the
rough. Or
they may feel that the industry should never have become involved in
this debate in the first
place - conflict diamonds account for less than 2% of world rough
diamond production, have
nothing to do with the legitimate mainstream, are an unfortunate but
largely African problem
and nothing to do with them...”
Frederick
Jason Barringer streckte seine Hand nach der Fernbedienung aus und
verringerte die Lautstärke des Fernsehapparates. Sein Gast
Alexander Smith dankte es ihm innerlich, er kannte die Rede von Rory
More O´Farrell über den Umgang mit Blutdiamanten beim
Konzern De Beers zur Genüge.
„Wollen
sie noch etwas Eis für ihren Whiskey, Mister Smith?“
„Nein
danke, ich habe genug. Wir sollten jetzt vielleicht zu unserem
Problem kommen?“
„Ihr
Problem, Mister Smith, ihr Problem. Sie kommen zu mir um mir Ihr
Problem zu unterbreiten. Ich weiß noch nicht, ob ich es für
wirklich relevant erachten soll.“
Alexander
Smith schluckte seine Verärgerung hinunter. Er war mal wieder
der ungezogene Schuljunge und der Alte der überlegene
Lehrmeister. Warum ließ er sich immer wieder darauf ein? Sollte
der alte Sack doch zusehen wo er ohne seinen Alexander Smith blieb.
Aber es war mal wieder Buckeln angesagt, später würde sich
sicherlich irgendein Untergebener finden, an dem man den aufgestauten
Frust ablassen konnte.
„Natürlich
Sir Barringer, mein Problem, aber ich bin der Meinung, dass es sich
um ein Problem handelt, dass die ganze Firma angehen könnte. Wie
Sie wissen, hat die Marketingabteilung seit einem Jahr eine Kampagne
laufen, die dafür sorgen soll, das das Image unserer Diamanten
sauber bleibt. Als De Beers mit diesem Unsinn von den ‚sauberen
Diamanten’ anfing mussten wir natürlich nachziehen. Wir
haben viel Geld ausgegeben um unserer Firma einen neuen Anstrich zu
geben. Wir mussten deshalb hohe Verluste in Kauf nehmen, vor allem in
Anbetracht der Situation in Angola. Zu dem Zeitpunkt an dem wir
öffentlich erklärt haben, auf keinen Fall Diamanten aus der
Bürgerkriegsregion mehr auf den Markt zu bringen, sind wir eine
hohe Verantwortung eingegangen. Die Augen der Öffentlichkeit
sehen auf uns und erwarten, dass wir unsere Versprechen einhalten und
jetzt…“
„Und
was jetzt?! Kommen Sie mir wieder mit diesem Renard? Ich hab ihnen
doch schon gesagt, wie sie das Problem aus der Welt schaffen sollen.“
„Ja,
aber da gibt es ein Problem. Renard ist nicht bestechlich.“
„Nicht
bestechlich? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen. Jeder ist
bestechlich, wie viel haben Sie ihm geboten?“
„1
Million Rand (ca. 120.000 Euro). Er hat abgelehnt, auch als ich noch
ein Aktienpaket draufgelegt habe. Hätte ich noch mehr bieten
sollen?“ “Nein, nein. Es sieht so aus, als hätten
wir es mit einem richtig ehrlichen Arschloch zu tun. Was genau droht
uns von diesem Journalisten?“ er spuckte das letzte Wort
regelrecht aus.
Smith
stellte sein Whiskey Glas auf den niedrigen Kristallglastisch und
kramte Papiere aus seiner Aktenmappe, die er Sir Barringer gab. Das
Büro in dem die beiden Männer saßen war eher ein
riesiges Wohnzimmer. Mindestens 100 Quadratmeter, 4 Meter hoch. Der
Boden war edles Parkett, blitzblank poliert. Zwei Wände waren
mit Bücherregalen gepflastert, und das war eine Menge Wand.
Dazwischen befanden sich ein Flachbildschirmfernseher und eine
gutbestückte Hausbar. In der dritten Wand befand sich eine große
Flügeltür, die jetzt aber geschlossen war. An der Wand
rechts und links davon hingen Jagdtrophäen. Vom Antilopengeweih
bis zum Löwenfell war alles vorhanden. In einer Ecke lehnte ein
mächtiger Stoßzahn eines Elefanten. Genau hinter dem
überdimensionierten Rosenholzschreibtisch war eine Fensterreihe
mit Blick auf den Atlantik. Der Besucher, der als Bittsteller auf
seinem Schemel vor dem Schreibtisch saß, hinter dem, einem
absolutistischen Fürsten gleich, Sir Frederick Jason Barringer
thronte, fühlte sich zwangsläufig klein und unwichtig. Er
saß hier im Büro eines alten mächtigen Mannes, den
immer eine Aura der Gefahr umgab. Barringer machte sich nicht die
Mühe zu verbergen, dass er egoistisch und aufbrausend war. Wer
ihm rein vom Auftreten nicht gefiel wurde gefeuert, egal ob er jetzt
drei Doktortitel und hundert Auszeichnungen hatte.
Smith
wusste das und bemühte sich redlich den Alten nicht zu
verärgern. Der Alte, den manche Shark nannten, hatte eine
überwältigende Wirkung auf alle seine willigen
Untergebenen. Überwältigend im negativen Sinne. Er duldete
keinen Widerspruch. Er war der einzige Boss einer Bergbaufirma der
seinen Wohnsitz noch nicht nach London oder Beverly Hills verlagert
hatte, sondern immer noch in Afrika residierte. Hier in Freetown,
bürgerkriegsgeschüttelte Hauptstadt von Sierra Leone, in
der es nicht einmal die Einheimischen aushielten. In der Flüchtlinge
die Straßen bevölkerten. Männer und Frauen ohne Arme,
Beine oder Nasen. Unschuldige Opfer eines grausamen Konflikts, die in
jedem westlichen Besucher Mitleid und Almosenwillen erweckten.
Barringer gab nie Almosen, wenn er sich mit seinem Bentley durch
die Stadt chauffieren ließ. Er ließ seine Bodyguards
Stockhiebe verteilen und fuhr eine Bettlergruppe auch mal über
den Haufen, wenn sie nicht Platz machten. Zwei Ehefrauen hatte der
alte Tyrann schon in die Alkoholsucht und in den Tod getrieben. Seine
dritte Frau lebte getrennt von ihm in Genf. Keines seiner vier Kinder
hatte es bei ihm ausgehalten. Sie waren alle verheiratet und hatten
ihren Vater verlassen. Barringer machte es nichts aus, dass er seinen
65. Geburtstag alleine feiern würde.
Dies
alles bedachte Smith, als er zu seinem Vortrag über den
Journalisten Renard ansetzte.
„Renard
hat in den letzten fünf Jahren mehrere kritische Artikel über
die sogenannte ‚Ausbeutung’ der Dritten Welt geschrieben.
Dabei hat er es vor allem auf die Bergbau- und Mineralölkonzerne
abgesehen. Er ist Gebührtiger Südafrikaner, Jahrgang 62.
Sein Vater war Hilfsarbeiter in einer Autogarage bei Johannesburg.
Renard hatte seine erste Anstellung als Laufbursche bei einer
Tageszeitung in Johannesburg im Alter von 16 Jahren. Dort flog er
raus, als er eine Schreibmaschine klaute. Später hörte man
von ihm als einem der ANC Aktivisten, die für ein paar liberale
Zeitungen in Europa direkt aus den Townships berichteten. Er wurde
vom südafrikanischen Geheimdienst als harmlos eingestuft. Das
änderte sich jedoch, als er aufhörte nur seine marxistisch,
ideologischen Artikel zu veröffentlichen, sondern anfing unter
einem Pseudonym in einer der illegalen Township Zeitungen
Spekulationen über das südafrikanische Atomwaffenprogramm
anzustellen. Nicht wenige seiner Anschuldigungen gegenüber dem
Apartheidregime fanden in Europa und den Staaten Gehör. Renard
wurde mit Haftbefehl gesucht, aber seine ANC Freunde versteckten ihn
natürlich. Darauf nahm man seinen Vater und Mutter in Beugehaft.
Das war 1987. Der Sohn stellte sich nicht wie erwartet, um seine
Eltern aus dem Gefängnis zu bringen, sondern wurde von ANC
Kämpfern aus dem Land geschafft. Man musste seine Eltern nach 8
Monaten wieder freilassen. Sie blieben aber weiter Schikanen der
Polizei ausgesetzt. Renard publizierte in seinem Exil in Nigeria
weiter. Er veröffentlichte ein Buch über die Postkoloniale
Ausbeutung Afrikas durch den Westen, das aber eine Auflage geringer
als 2000 Stück hatte.“
„Sie
brauchen mir nicht jeden Scheißhausbesuch im Leben dieses
Terroristen aufzählen, kommen Sie zur Sache, Smith.“
Barringer füllte seinen Whiskey nach. Der De Beers Public
Relations Director war inzwischen bei seinem Statement über den
Kimberly Prozess angekommen. Barringer sah abwesend auf den
Bildschirm.
„Was
ist das für ein Arschloch? Warum schmeißen Sie den nicht
raus? Der labbert doch nur Scheiße!“
Er
hob die Whiskeyflasche, stellte sie dann aber zurück und mixte
sich einen Gin Tonic. Viel Gin, kaum Tonic. Smith blätterte in
seinem Exzerpt vor, Barringer hatte sein Exemplar nicht einmal
angeschaut.
„Also,
Renard zog nach dem Wahlsieg Nelson Mandelas wieder nach Südafrika.
Dann unternahm er ein paar Reisen durch den Kontinent. Simbabwe,
Namibia, Äthiopien, Kongo-Brazzaville, Sierra Leone und viele
andere Staaten. Er schrieb weiter für europäische
Zeitungen. Uns fiel er auf, als er 1997 einen Artikel über die
Ausbeutung der Diamantminen in Sierra Leone durch die Sierra Mining
Cooperation schrieb, Sie kamen dabei nicht sehr gut weg Sir
Barringer.“ Smith sah vorsichtig auf. Der Alte stand bei der
Bar und blickte starr in die Ferne. “Ich erinnere mich. Der
Schweinepriester hat mich einen faschistischen Ausbeuter genannt. Und
so einem wollte ich noch Geld anbieten, damit er seine Schnauze hält.
Wir hätten gleich drauf schlagen sollen. Weiter Smith!”
“Im
selben und nächsten Jahr schrieb er mehrer Essays und Artikel
über die Tätigkeit mehrere Söldnerfirmen im Dienste
von Bergbaukonzernen. Sie erinnern sich, die Executive Outcomes
Sache. Die Sierra Mining Cooperation geriet 1999 wieder in sein
Schussfeld. Diesmal ging er publikumswirksamer vor. In einem von
Reuters gesponserten Treffen mehrerer Journalisten aus der Dritten
Welt in Paris holte er ein kleines schwarzes Mädchen aus Sierra
Leone auf die Bühne, der von RUF-Rebellen beide Hände
abgehackt worden waren. Dazu erzählte er seine Geschichte über
den Bürgerkrieg in Sierra Leone, der von den Bergbaukonzernen
finanziert wird. Dabei nannte er mehrmals unsere Firma beim Namen.
Die Reporter und Fernsehteams waren gerührt und brachten das
Bild des kleinen Mädchens teilweise sogar auf den Titelseiten.
Unser Firmenname und der einer anderen Gesellschaft darunter.“
Smith machte eine Kunstpause.
Barringers
Kopf begann rot anzulaufen. „Wenn ich allein an die Leserbriefe
im Independent zu dieser Schweinerei denke werde ich schon wieder
tobsüchtig. Die Leute haben die Geschichte von dem Frauenzimmer
nur zu gerne aufgegriffen. Mein Gott wie wenn ich schuld daran wäre,
dass man der kleinen Hure die Hände abgehackt hat. Wie viel ist
unser Aktienkurs danach gefallen, Smith?“
„28
Punkte in der ersten Woche, Sir. 19 Punkte in der zweiten. Wir haben
mehr als 60 Millionen Dollar verloren. Soll ich fortfahren?“
Barringer antwortet nicht.
„Als
vor wenigen Monaten De Beers verkündet hat, keine Diamanten aus
Bürgerkriegsgebieten mehr zu verkaufen war das Echo der
Medienwelt mittel bis gering. Aber die Fachwelt und die UN waren
natürlich 100% tatendurstig. Der Hohe Diamantenrat in Antwerpen
beschloss gleichzeitig mit De Beers die Kontrollen für
Blutdiamanten zu verschärfen. Kontrollausschüsse wurden
gebildet. Jeder sogenannte ‚Experte’ trug ständig
die Floskel ‚saubere Diamanten’ auf den Lippen und sprach
sie bei jeder Gelegenheit in jedes Mikrofon, das ihm
entgegengestreckt wurde.
Wir
drohten ins Abseits zu geraten. Wir wollten nicht als Konzern
dastehen, der Blutdiamanten handelt. Sie gaben eine Presseerklärung
dazu ab. Wir starteten eine Marketingkampagne, zogen uns aus Sierra
Leone zurück…“
„Ich
weiß, was wir getan haben. Ich habe mich ja von ihnen und dem
Aufsichtsrat beschwatzen lassen. Ich war von Anfang an dagegen und
jetzt kommen sie mir mit neuen Problemen. Also machen Sie endlich
einen Punkt Smith, Sie sind ein verdammter Schwätzer!“ Smith
bemühte sich redlich die Fassung zu bewahren.
„Wir
hatten natürlich nie vor uns aus Sierra Leone zurückzuziehen.
Nur die Sierra Mining Cooperation unterband die Geschäfte hier
im Land. Die Geschäfte übernahmen die über das
Transmining-Netzwerk mit uns verbundenen African Tech Group und
Millers Mineral Exploring Association MMEA. Wir blieben so nicht nur
mit unserem Firmensitz in Freetown präsent sondern hatten auch
unsere Tochterfirmen vor Ort, die für uns alle Geschäfte
abwickeln. Das hat bisher noch nie einen interessiert und ist auch
keinem aufgefallen. Und dann kam das hier.“
Smith
fischte eine abgewetzte Zeitung aus seiner Aktenmappe. Lagos Mail
Star von vor 2 Wochen. Auf der dritten Seite eine Bericht von Renard
über unsere anhaltenden Aktivitäten in Sierra Leone.“
Smith setzte eine Lesebrille auf. „Blablabla die Sierra Mining
Cooperation hat nicht wie angekündigt ihre Diamantenförderung
in Sierra Leone eingestellt, sondern ist über ihre Töchterfirmen
African Tech Group und MMEA weiterhin aktiv an der Ausbeutung und
Unterdrückung des Landes beteiligt blablabla in Anbetracht
dieser gravierenden Verletzung der UN-Sanktionen erwäge ich eine
Beschwerde bei den Vereinten Nationen einzureichen. Blablabla.“
„Und
er wollte das Geld nicht.“ Aus Barringers klang dies wie eine
Feststellung, nicht wie eine Frage.
“Nein.”
“Als
ich jung war hätte ich nie 1 Million Rand ausgeschlagen. Und
sehen Sie zu was ich es gebracht habe.“ Er fuhr mit einer
ausschweifenden Handbewegung auf seine kostbaren Büroeinrichtung
und die Jagdtrophäen. „Sie müssen eine Raubtier sein
auf dieser Welt. Die sogenannten „Guten“ bekommen nie
etwas im Leben. Sie bleiben immer auf der Strecke. Unbestechlichkeit,
Ehrlichkeit, Keuschheit, Großzugigkeit, Bescheidenheit,
Aufrichtigkeit, Treue. Das sind die Tugenden nach denen die Verlierer
und Schwachen in dieser Welt leben. Nelson hätte sich in seine
Badewanne gehockt anstatt die Schlacht von Trafalgar zu schlagen,
Cecil Rhodes hätte lieber seinen Vorgarten beackert als eine
Republik zu gründen, Eisenhower hätte den Achsenmächten
Europa überlassen, wenn er an solchen Unsinn geglaubt hätte.
Die Tugendhaften werden Religionslehrer, die Genies verändern
die Welt! Verstehen Sie das, Smith?“
Smith
nickte bedächtig und verstand langsam eher warum es weder seine
Kinder noch eine seiner drei Frauen bei Barringer ausgehalten hatten.
„Soll
ich Ihnen was sagen Smith? Ich habe im Leben nie etwas geschenkt
bekommen und es ist mir gutbekommen. Deshalb schenke ich auch nichts
her. Wer etwas von mir haben will, der muss es sich verdienen. Fleiß,
Smith! Fleiß, Beharrlichkeit und ein bisschen Grips. Mehr
braucht man nicht um was zu erreichen. Und natürlich eine gute
Portion Kaltblütigkeit. Sind Sie kaltblütig Smith?“
Smith
setzte das Glas wieder ab, das er gerade zum Mund führen wollte.
Was sollte er darauf jetzt antworten? Der Alte drehte langsam durch.
„Äh,
also ich glaube schon.“ “Sie glauben Mister Smith? Das
müssen Sie sich abgewöhnen. Sie müssen „Wissen“
nicht „Glauben“. Wenn Sie kaltblütig sind kann Sie
nichts aufhalten. Dann arbeiten Sie sich aus jeder Zwickmühle
wieder heraus. Ich bin kaltblütig. Das weiß ich. Ob Sie
kaltblütig sind, müssen Sie mir erst noch beweisen. Bisher
haben Sie ja noch nichts Großes geleistet. Ein paar
Transaktionen abgewickelt, ein paar krumme Geschäfte gedreht,
einige Angestellte entlassen und Ihre Sekretärin auf dem
Kopierer gevögelt. Gucken Sie mich nicht so verstört an,
Smith! Ich weiß von Ihren kleinen Techtelmechteln mit den
weiblichen Büroangestellten. Ich hoffe das Ding zwischen ihren
Beinen ist nicht das einzige was Sie zum Stehen bringen.“
Die
Stimmung im Raum war umgeschwungen. Smith saß mit angezogenen
Schultern auf seinem Sessel, das Whiskeyglas mit beiden Händen
umfassend und sah ängstlich und erstaunt auf den alten Sir
Barringer, der ihn unverhohlen provozierte. Was ging in dem Mann vor?
War er verrückt?
„Wenn
Sie kaltblütig sind, Mister Smith, dann wissen Sie was jetzt zu
tun ist. Also wenn Sie ein bisschen helle sind, dann lösen Sie
das Problem mit diesem Gazetten Schreiberling auf die Art wie Ihr
alter Boss Barringer es tun würde. Sie verstehen mich?!“
„Nicht
so ganz, Sir Barringer, aber ich…“
„Mein
Gott, was für eine Jugend haben wir denn heute. Gehen ständig
ins Kino und sehen sich diese Filme an und sind trotzdem schwer von
Begriff. Sie sollen den Mann beseitigen. Umbringen, töten,
kaltmachen. Nennen Sie es wie sie wollen.“
„Wie,
ich? Sie meinen ich soll…“
„Nein
der Heilige Geist. Man Smith, mir ist schon klar, dass Sie nicht
einmal wissen wie man ein Huhn tötet. Dafür haben wir
unsere eigenen Leute. Das sollten Sie langsam wissen, nach den Jahren
die Sie schon bei uns sind. In irgendeiner Mine im Hinterland
befindet sich zu Zeit ein gewisser Lawrence Courtland. Hat vor
einiger Zeit eine Sache die ich ihm aufgetragen habe ziemlich
verpfuscht und ist auf Bewährung bei uns. Nehmen Sie Kontakt mit
ihm auf. Und jetzt gehen Sie wieder an die Arbeit und lassen Sie die
Sekretärinnen in Ruhe.“
„Ja,
Sir Barringer.“ Mit einer unterwürfigen Körperhaltung
verließ Smith rückwärts den Raum. O´Farrell
hatte im Fernsehen ebenfalls das Ende seiner Rede erreicht.
It
is my hope and belief that this spirit of solidarity, co-operation
and transparency between the various trade associations and bourses
in the main cutting centres will be one of the defining
characteristics of our industry into the future.
Ladies
& Gentlemen, thank you.
Applaus
von der Menge, die man nicht sah. Der Direktor trat ab. Ebenso Smith,
der im Flur sein Taschentuch herauszog und sich den Schweiß von
der Stirn wischte. Mein Gott, Sir Barringer war verrückt.
Hochgradig verrückt. Nicht nur ein bisschen schrullig, sondern
wirklich irre. Er musste den Aufsichtsrat davon in Kenntnis setzten.
So ein Mann konnte doch nicht ein Unternehmen führen.
Oder
konnte er vielleicht doch? Brauchte man dieses Quantum an
Besessenheit um erfolgreich zu sein? Wenn ja, wollte er, Smith,
lieber nicht erfolgreich sein. Der Alte war bereit über Leichen
zu gehen.
„Auch
über meine Leiche.“ fiel es Smith wie Schuppen von den
Augen. Er konnte nicht zum Aufsichtsrat gehen. Die standen doch alle
hinter Barringer.
Dann
fiel ihm ein, was der Alte von diesem Courtland gesagt hatte. Ob er
wollte oder nicht. Der Boss hatte ihm etwas befohlen und er würde
es tun. Auch wenn er seine Hände mit Blut besudelte.
Nigeria;
29 April 2002
Lagos,
Metropole Westafrikas. Hoffnung für Abertausende von verarmten
Landbewohnern, Hölle für seine Einwohner, Stadt des
schnellen und einfachen Geldes und Sinnbild des afrikanischen Elends
in seinem schlimmsten Ausmaß.
Ehemals
blühende Hafenstadt war Lagos innerhalb weniger Jahrzehnte zu
einer einzigen riesigen Müllhalde geworden in der die Ratten oft
besser hausten als die Menschen. Es gab sowieso viel zu viele Ratten,
mindestens vier Ratten kamen auf einen Einwohner. Und Lagos hatte
deren über 15 Millionen. Genaue Zahlen gab es nicht. Es wurde
nur noch geschätzt und die Zahl nach oben korrigiert. Die Slums
um die City wuchsen schneller als die Pickel auf dem Gesicht eines
Pubertierenden. Täglich kamen neue Familien aus den armen
Provinzen hinzu. Immer geringer wurde der Wohnraum. Und da die
Menschen so nah aufeinander wohnten, lernten sie sich natürlich
auch schneller kennen. Der HIV-Virus grassierte wie weiland der
schwarze Tod in Europa. In zehn Jahren würde AIDS dafür
sorgen, dass die Überbevölkerung ein Ende fand. Aber bis
dahin war es noch lange und heute dachte jeder, der das Virus bereits
in sich trug, nur daran, den nächsten Monat, die nächste
Woche oder nur den nächsten Tag zu überleben, und
verschwendete keinen Gedanken an die Zeitbombe, die er in seinem
Samen trug und munter weiter verteilte.
Wenn
sensationslüsterne Journalisten in ihren Pseudo-Reportagen mit
dem Polizeihubschrauber über Johannesburg fliegen und berichten,
der südafrikanische Ort sei die Stadt mit der höchsten
Kriminalitätsrate in der Welt, hatten sie noch nicht Lagos bei
Nacht erlebt. Was wohl auch besser so war. Verbrechen war hier so
alltäglich, dass man nicht mehr hinsah. Wurde zum Beispiel ein
Gemüsehändler auf offener Straße von Banditen
erschossen und beraubt rief man nicht einmal die Polizei. Aus zwei
Gründen: Erstens gab es in den Slums kein funktionierendes
Telefonnetz und zweitens konnte es sein, dass die Polizei den
Überfall selbst durchgeführt hatte. Die Beamten in Nigeria
hatten zwar kein regelmäßiges Gehalt, dafür aber
Gewehre mit Munition. Sie versuchten, wie alle anderen, ihre Familien
zu ernähren. Dass die Polizeibeamten dabei jährlich rund
300 „Verdächtige“ töteten, war traurig aber
real.
Hinzu
kamen ethnische Konflikte zwischen Muslimen, Christen und Animisten,
politische Verfolgung, Folter, marodierende Soldaten und staatliche
Willkür, wo man noch von einem Staat sprechen konnte.
Manche
bezeichneten Lagos als eine einzige riesige Räuberhöhle. Es
war unangefochten die kriminellste Stadt der Welt. Johannesburg
konnte sich mit Nairobi um den dankbaren zweiten Platz streiten.
Beide afrikanische Metropolen waren weit abgeschlagen. Hoyerswerda
wirkte gegen diese Städte wie ein wahr gewordener Traum des
Weltfriedens.
Doch
auch wenn in Lagos niemand alt wurde, gab es Leute, die gern in
dieser Stadt lebten. Einer von ihnen war Maurice Renard.
Schwarzafrikanischer Schriftsteller, Revoluzzer, Lehrer und
Überlebenskünstler. Irgendwie hatte er es geschafft trotz
aller Widrigkeiten sich selbst treu zu bleiben. Es gab nicht wenige,
die ihn wegen dieser Aufrichtigkeit und Unbestechlichkeit verdammten.
Er war Journalist, auch wenn er nie eine dementsprechende Ausbildung
gemacht hatte.
In
Lagos hatte er sich eine Wohnung eingerichtet. Direkt über dem
Laden eines Mechanikers, der Kotflügel glatt hämmerte und
einen schwunghaften Handel mit gefälschten Nummernschildern
betrieb.
Auf
engstem Raum schlief, aß und schrieb er jetzt seit 2 Jahren.
Mit ihm lebte seine Lebensgefährtin, sowie in wechselnder
Zusammensetzung etwa ein halbes Dutzend Freunde, Bekannte oder
Mitarbeiter. Aber heute war er alleine. Seine Freundin war auf dem
Markt einkaufen und keiner störte ihn. Der Apple Computer summte
monoton vor sich hin. Renard tippte seinen neuen Artikel für den
Lagos Mail Star, einer regionalen Zeitung von überraschend hoher
Qualität, als er merkte, dass außer ihm noch jemand im
Raum war.
Er
blickte überrascht auf und sah einen Mann Mitte zwanzig.
„Können
Sie nicht klopfen? Was wollen Sie?“ harschte er ihn an.
Aber
der Angesprochene grinste nur breit und entblößte zwei
goldene Schneidezähne.
„Polizei.
Mitkommen.“
„Was
Polizei? Zeigen Sie ihren Ausweis.“
„Entweder
Mitkommen oder das hier.“ Er hatte plötzlich einen
Gummiknüppel in der Hand.
„Sie
kommen hier rein, sagen kein Wort und fangen auch noch an mich zu
bedrohen! Was soll das?“
„Mitkommen,
dann werd ich es Ihnen sagen.“ Er schlug mit dem Knüppel
leicht in seine hohle linke Hand.
Es
war nicht das erste Mal, dass Renard mit einem Schläger zu tun
hatte. Die Straßen waren voll davon und man musste auf der Hut
sein um nicht ausgeraubt zu werden. Für solche Fälle hatte
er einen Revolver in der Schublade. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen
ihn zu benützen.
„Sehen
Sie mal nach Hinten.“ forderte er den Schläger auf. Der
drehte sich in seiner ganzen Beschränktheit natürlich um.
Schon hatte Renard die Schublade aufgerissen und den schweren Colt
Navy in der Hand. Kalter, blauer Stahl, vom vielen Putzen in der
Sonne glänzend. Sein Lauf fest auf die Brust des uneingeladenen
Besuchers gerichtet.
„V
E R S C H W I N D E .” buchstabierte Renard. Verdutzt legte der
Schläger den Rückwärtsgang ein. Renard setzte
ebenfalls einen Schritt vor den anderen und ließ ihn nicht aus
dem Auge. So ging es aus dem Zimmer, die Treppe runter und
schließlich auf den staubigen Hof. Der Schläger rückwärts
voran und Renard mit dem Revolver hinterher. Niemand war auf dem von
weißen Mauern umgebenen Hof zu sehen. Hier lagerte der
Autoteilehändler seine Ware. Aber es gab eine Hintertür,
die offen war. Renard deutete mit dem Revolver auf sie.
„So,
da geht’s raus und lass dich nie wieder hier blicken.“
Der
Angesprochen schien nichts dagegen einzuwenden zu haben und drehte
sich um. In diesem Moment geschah es. Renard spürte den
pochenden Schmerz im Nacken. Sein Gesicht vorzog sich zu einer
schmerzhaften Grimasse und er riss den Kopf hoch, bevor er in die
Knie ging. Sein Finger krümmte sich um den Abzug und eine Kugel
verließ den Lauf, als der Totschläger zum zweiten Mal auf
seinen Kopf niedersauste. Renard lag im Staub des Hofes. Ein brauner
Wildlederstiefel trat auf seine rechte Hand und unter dem Druck ließ
er den Revolverknauf los. Aber all das bekam er schon nicht mehr mit.
Sein Gehirn hatte so viele Erschütterungen abbekommen, dass es
für 10 Vollkater gereicht hätte.
Courtland
hob den Colt auf und warf einen Blick auf den schwarzen Gangster, der
die Kugel abbekommen hatte. Es war besser so, Courtland hätte
ihn sowieso töten müssen, wenn er es überlebt hätte.
Ruckhaft drehte sich der hagere Kämpfer mit dem immer grauer
werdenden Haar zu seinen Begleitern um, einem schlaksigen Nigerianer,
der für die Sierra Mining Cooperation arbeitete, und einem
stämmigen Südafrikaner namens Roy de Valera.
„Schafft
ihn auf den Pickup, aber seht zu, dass euch keiner sieht.“
Deutschland;
04 Mai 2002
Frühlingshafte
19° Celsius zeigte das Thermometer an diesem Morgen an. Barlmoro
hatte in seinen Büro die Fenster geöffnet und ließ
die frische Luft herein, was eigentlich nicht im Sinne des Handwerkes
war, der 10 cm dickes Panzerglas für die Fensterscheiben
verwendet hatte. Aber wenn man die Wahl hatte entweder von einem
Scharfschützen erschossen zu werden oder langsam und qualvoll in
seinem eigenen Mief zu ersticken, nahm man lieber das Risiko in Kauf,
eine Kugel in den Kopf zu bekommen.
Barl
lehnte sich in seinem lederüberzogenen Chef-Schreibtischsessel
zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf,
wobei die Muskelpakete an seinen Oberarmen beinahe den Stoff des
weißen Businesshemdes zu sprengen drohten. So bequem dasitzend,
einen Bleistift im Mundwinkel, hörte er sich an, was Ypsilon zu
erzählen hatte.
Der
mächtige Mann saß auf einem Stuhl, der unter seinem
riesenhaften Körper sehr zerbrechlich wirkte.
„…
drei Minuten später war ich
drin und wollt mich mal mit dem Burschen unterhalten. Wir sind aber
irgendwie nicht richtig warm miteinander geworden. Er wollte nicht
reden, ich nicht locker lassen. Als er dann auch noch pampig wurde,
hab ich ihn am Fußgelenk gepackt und ein bisschen aus dem
Fenster baumeln lassen. Da hatte er es plötzlich ganz eilig
gehabt zu quatschen. Hat mir alles erzählt. Aber nichts, was wir
nicht schon wüssten. Die Sache wäre damit wohl
abgeschlossen.“
„Gut,
exzellente Arbeit. Ich gebe dann dem Kunden Bescheid, dass wir jetzt
zu hundert Prozent wissen, wer in seiner Firma Interna an die
Konkurrenz verrät und ihn mit seinem Jeep von der Straße
drängen wollte. Gibt’s sonst noch was?“
„Ja,
die Batterien von dem Nachtglas sind leer.“
„Was,
schon wieder! Irgendwer muss das Ding die ganze Zeit eingeschaltet
rumliegen lassen.“ Barl nahm das Nachtglas vom Schreibtisch und
prüfte den Batterieschacht, in dem zwei stinkteuere Batterien
steckten. In diesem Moment summte die Gegensprechanlage. “Herr
Barlmoro, eine Dame ist im Vorzimmer.“ Tönte die monotone
Stimme der Sekretärin.
„Was
für eine Dame?“
„Eine
Dame eben, Sie will mit Ihnen oder Herrn Hieb sprechen. Aber der ist
nicht da.“
„Gut,
warten Sie zwei Minuten und bitten Sie sie dann zu mir rein.“
Das
Knacken in der Leitung bestätigte, dass die Sekretärin ihn
verstanden hatte.
Barl
gab Ypsilon mit dem Kopf einen Wink und dieser verschwand
entgegenkommend im angrenzenden Büroraum und nahm das Nachtglas
und sein Funkgerät gleich mit.
Barlmoro
machte gutgemeinte aber vergebliche Versuche etwas Ordnung auf seinem
Schreibtisch zu schaffen, schloss die Tür eines Aktenschrankes,
nahm den Bleistift aus seinem Mund und war dann bereit den Gast zu
empfangen.
Er
drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage.
„Bitten
Sie die Dame bitte herein.“
Nur
wenige Atemzüge später klopfte es leise an der Tür und
Barlmoro rief „Herein.“
Die
Tür schwang auf und auf zierlichen schwarzen Pumps tippelte das
wohl schönste Geschöpf, das dieser Raum je gesehen hatte,
herein.
Barlmoro
sprang unwillkürlich auf und bot ihr den Stuhl an, auf dem eben
noch Ypsilon gesessen hatte.
„Setzen
Sie sich, darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee?“
„Nein
danke. Miss Amalia Renard.“ Sie reichte ihm die Hand.
„Ich
bin hocherfreut, Miss Renard. Barlmoro, Barlmoro & Hieb Mercenary
Pool.“ Hätte sie ihre Hand nur eine Spanne höher
gehalten, hätte Barl wohl einen Handkuss versucht. So beließ
er es bei einem Händeschütteln.
Er
ging um den Tisch herum und setzte sich, sein Gast ließ sich
ebenfalls auf dem mit Samt überzogenen Barockstuhl nieder. Dabei
strich sie den knielangen Rock ihres taubengrauen Kostüms glatt.
Barlmoro sah sie sich genau an. Sie war wohl um die 25, vielleicht
auch etwas älter. Das pechschwarze Haar schulterlang und zu
einem lockeren Zopf nach hinten geflochten, so dass man ihr Gesicht
in voller Pracht sehen konnte. Ihr Herkunftsland war eindeutig
Afrika. Barlmoro war lange genug als Fremdenlegionär in Afrika
gewesen um zu wissen, dass das alte rassistische Kolonialklischee
„Alle Neger sehen gleich aus“ nicht der Wahrheit
entsprach. Am deutlichsten zeigte sich das in Ruanda und Burundi, wo
die negriden Hutu und die nihilitischen Tutsi seit Jahren ein
blutigen Bürgerkrieg führten und es zu furchtbaren
Massakern kam. Bei seinem Gast hatte Barl Schwierigkeiten, sie
einzuordnen. Semitische Gesichtszüge, aber auch negride
Einflüsse. Die Haut zu hell, als dass sie aus Zentralafrika
kommen könnte. Ihr Englisch zu gut, um aus einer der
französischen Provinzen zu stammen. Auf jeden Fall war sie
schön, sehr schön. Barlmoro merkte, dass er sie jetzt eine
Sekunde zu lange fixiert hatte und er etwas sagen musste.
„Miss
Renard, was führt Sie zu uns. Haben Sie ein Problem oder eine
Aufgabe die Sie gerne uns übertragen wollen?“ Barlmoro
hoffte, dass sein Englisch nicht zu schlecht war, vielleicht konnte
man das Gespräch später noch auf Französisch umlenken,
das er fließend sprach. Im Notfall konnte er Ypsilon als
Übersetzter hinzuschalten, der jetzt sicherlich im Nebenraum
hockte und lauschte. Das würde sich einer, der im russischen
Geheimdienst tätig gewesen war, nie abgewöhnen.
„Mister
Barmoro, ich habe wirklich ein Problem. Ich habe über eine
Freundin von ihrer Firma gehört, sie ist Model und vor ein paar
Monate haben zwei Männer ihrer Firma für sie als
Begleitschutz fungiert.“
Barl
musste lächeln. Mund zu Mund Propaganda funktionierte immer noch
am besten.
„Sie
hat auf jeden Fall gemeint, dass sie nicht nur Bodyguard Aufgaben
übernehmen sondern auch andere Sachen.“ Sie drückte
sich um das, was sie sagen wollte. „Und da ich zur Zeit ein
sehr schweres Problem habe… eigentlich hat jemand aus meiner
Familie das Problem … also schon ich auch eben ein Problem.
Sie verstehen?“
Barlmoro
nickte, obwohl er eigentlich nicht verstand. Sie redete sehr schnell
und dazu noch wirres Zeug. Er verstand immer nur „Problem“,
aber das klang schon mal gut.
„Sie
wollen sagen, dass Sie uns für eine Aufgabe benötigen, die
über das normale Angebot des Personenschutzes hinausgeht?“
„Ja,
was ich sagen will, ist, dass einer meiner Brüder in großen
Schwierigkeiten steckt. Sogar in sehr großen. Wir – meine
Familie – weiß nicht einmal, wo er im Moment ist. Man hat
mich vor drei Tagen aus Nigeria angerufen, dass mein Bruder Maurice
spurlos verschwunden ist. Dafür lag eine Leiche im Hinterhof
seines Hauses, die eindeutig mit Maurice Revolver erschossen wurde.
Wir haben Angst, dass er entführt wurde.“
„Das
klingt allerdings schlimm. Besteht denn Grund zur Annahme, dass ihr
Bruder entführt wurde?“ “Nein eigentlich nicht.
Er ist nicht reich, er hat nur wenig Geld. Also für
nigerianische Verhältnisse ist er wohl wohlhabend. Aber noch
nicht so wohlhabend, dass sich eine Erpressung lohnen würde.
Außerdem gab es keine Lösegeldforderung.“
„Wann
verschwand ihr Bruder genau?“ “Am 29. April.“
„Das
ist schon fast ein Woche. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich
Entführer erst nach einiger Zeit melden, um die Angehörigen
mürbe zu machen. Aber eine Woche ist schon sehr lang, meldet
sich in der nächsten Woche auch niemand, handelt es sich
meistens um keine Lösegeld-Entführung, sondern…“
Barlmoro stockte. Wie sollte er den Satz beenden, er konnte ihr ja
nicht sagen, dass es sich dann meistens um einen Mord handelt, bei
dem die Leiche bei Seite geschafft wurde. Barlmoro entschied sich zu
einer Notlösung: „…sondern um eine Entführung,
bei der es nicht um Geld geht oder um sehr gerissene Entführer,
die ihr Opfer erst einmal an einen sicheren Ort bringen wollen. In
Kolumbien zum Beispiel kommt das sehr häufig vor. Was für
Gründe konnte es noch für eine Entführung geben, hatte
ihr Bruder Feinde, Schulden oder war er Mitwisser bei einem
Verbrechen?“
„Verbrechen!
Mein Bruder war kein Verbrecher!“
Scheiße,
da hatte er sich in die Nesseln gesetzt. Barl versuchte
abzuschwächen. „Natürlich nicht. Aber wenn ihr Bruder
zum Beispiel Polizist ist, kann es sein, dass er etwas wusste, das
niemand erfahren sollte. So etwas, Sie verstehen?“
„Ja,
natürlich. Da haben Sie nicht ganz Unrecht. Mein Bruder war
Journalist. Er hat viele Artikel und einige Bücher geschrieben
und hatte auch viele Feinde. Ich habe mir auch schon gedacht, dass er
deswegen entführt wurde.“
„Was
für Feinde? Polizei, Geheimdienst, Verbrechersyndikat?“
„Alles.
Früher musste er sich verstecken, er war Mitglied des African
National Congress. Aber in letzter Zeit hat er nur Artikel gegen die
Globalisierung und die Ausbeutung Afrikas geschrieben.“ Barl
wusste wofür African National Congress stand. Bekannter war
diese Organisation unter ihren Initialen ANC. Die
Widerstandsorganisation, die gegen die Apartheidregierung in
Südafrika, Namibia und Simbabwe gekämpft hatte. Eine
Terrororganisation, die man nicht so nennen durfte, die aber Terror
für ihre Ziele eingesetzt hatte, heute die Regierung in
Südafrika stellte und deren berühmtester Vertreter Nelson
Mandela ist.
„Wissen
Sie genauer, über was ihr Bruder geschrieben hat?
„Ich
hab Ihnen seine letzten Artikel mitgebracht.“ Sie griff in ihre
sehr große Lederhandtasche und förderte einen DINA 4
Ordner zu Tage, den sie Barlmoro reichte.
„Gut,
ich werde mir das ansehen. Die Entführung fand wo in Nigeria
statt?“
Amalia
Renard erzählte dem B&HMP Chef alles über die Umstände
der Entführung, die bekannt waren. Und das war sehr wenig.
Barlmoro stellte viele Fragen, die sie aber meist nur mit einem
Schulterzucken beantworten konnte. Sie sprachen inzwischen
Französisch, denn Barl hatte es durch ein paar hingeworfene
französische Floskeln geschafft, das Gespräch auf diese
Sprache umzulenken, die Miss Renard ebenfalls fließend
beherrschte. Während beide sich nun angeregt unterhielten,
fluchte Ypsilon im Nebenraum, weil er nur noch Bahnhof und „quelque
chose“ verstand.
Die
Zeit verging sehr schnell. Ehe Barl es richtig merkte, war es fast
schon Mittag und sie hatten schon über eine Stunde über
absolut irrelevante Dinge geredet.
„Also
Miss Renard, wir nehmen den Auftrag Ihren Bruder zu Finden an. Dazu
müssen wir aber wohl nach Afrika und dort Nachforschungen
anstellen. Ich bin mir jetzt fast sicher, dass Leute ihren Bruder
entführt haben, die wütend wegen seiner Artikel über
die Rohstoffausbeutung in Afrika waren. Wir werden heute noch alles
in die Wege leiten. Sie wissen, dass unsere Dienste nicht gerade
billig sind?“
„Natürlich.
Machen Sie sich da keine Sorgen. Ich verdiene genug. Ich habe schon
meinen Bruder mit Geld unterstützt.“ Barl fragte sich,
was so ein hübsches Geschöpf denn für einen Job haben
konnte.
„Darf
man fragen, was Sie Beruflich machen?“ “Ich bin Model,
zurzeit bin ich Deutschland, weil ich in Berlin auf einer Modenschau
war. Ich habe selbst vor nach Nigeria zu fliegen. Meine Schwägerin
ist mit den Nerven am Ende und braucht meine Hilfe.“
„Gut,
das geht mich nichts an. Es ist sicher nicht schlecht, wenn Sie vor
Ort sind. Schön, dass das geregelt ist.“ (womit er die
Bezahlung seiner Söldner meinte)
„Also,
alles ist eigentlich noch nicht geregelt. Es gibt da noch ein zweites
Problem.“ Barl setzte sein hilfsbereitestes Lächeln
auf. „Es gibt nichts, was wir nicht lösen könnten.“ “Mein
Freund… er ist nicht wirklich mein Freund, gibt meinen Pass
nicht heraus. Sie müssen wissen, er ist sehr eifersüchtig
und manchmal auch,“ sie suchte nach dem richtigen Wort,
„aufbrausend. Er will alles kontrollieren. Ich wohne zurzeit in
seiner Wohnung in Köln. Wir verstehen uns nicht mehr. Aber…“
Barlmoro konnte sehen, wie sich in ihrem linken Auge
Tränenflüssigkeit sammelte und er reichte ihr
vorsichtshalber ein Taschentuch. Sie nahm es dankbar an und wischte
sich über die Augen.
„Ich
hab schon zwei Mal versucht ihn zu verlassen. Aber der Mistkerl lässt
mich nicht weg. Er hat meinen Reisepass in seinem Tresor. Er hat mich
sogar schon geschlagen, als ich den Pass nehmen wollte.“ Jetzt
kullerte ihr wirklich eine Träne über die Wange. Barl stand
auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Keine
Sorge, Miss Renard. Das Problem lässt sich wirklich sehr einfach
lösen. Sie werden sehen. Heute Abend haben Sie ihren Pass und
der Kerl wird Sie nie mehr belästigen. Das verspreche ich
ihnen.“
Er
reichte ihr ein weiteres Taschentuch, aber sie hatte sich schon
wieder beruhigt. „Danke, ich geh jetzt besser. Vielen Dank. Sie
können mich hier erreichen. Ich wohne seit gestern bei einer
Freundin hier in Frankfurt.“
Sie
reichte ihm eine Adressenkarte und ließ sich von ihm nach
Draußen begleiten, wo sie ihm auch noch die Adresse ihres
rüpelhaften Freundes gab. Barl ließ ein Taxi rufen und
wartete, bis sie eingestiegen war. Dann ging er zurück ins B&HMP
Büro. Ypsilon saß im Vorraum und ließ sich von der
mütterlichen Sekretärin mit Kaffee und Plätzchen
versorgen.
Als
Barl reinkam blickte er auf. „Interessante Kleine. Aber wenn
ihr noch länger geredet hättet, wäre ich in dem
Kopierraum noch verhungert.“ sagte er mit ernster Miene. „Ist
sie das? Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich konnte sie durchs
Schlüsselloch nur beim rein und rausgehen sehen.“ Er hob
eine aufgeschlagene Illustrierte hoch, die auf einem Tischchen neben
der Couchgarnitur lagen. Das Foto von Amalia Renard auf dem Laufsteg
nahm fast eine halbe Seite des sowieso nicht sehr textlastigen
Artikels ein. „Premiere der Neuen Berliner Modenschau voller
Erfolg!“ stand da in großen Lettern. Dann kam das Foto
von Miss Renard und daneben eins von einem weiteren sehr bekannten
Model.
Barl
nahm die Zeitschrift. „Ich glaub ich muss mehr von diesen
Klatschblättern lesen.“
„Was
habt ihr eigentlich geredet, ich hab am Schluss kein Wort verstanden.
Und,“ er machte eine Pause, „hat sie geweint?“
„Ja.“
knurrte Barl unwirsch. „Ist Hieb schon da? Ich will nicht alles
dreimal erzählen.“
Hieb
war bereits vor einer Stunde eingetroffen und war seitdem in seinem
Büro. Den Auftritt des Models hatte er leider verpasst. In
seinem Büro erzählte Barl das Vorgefallene.
„…und
das ist eben das zweite Problem. Er weigert sich ihren Pass
rauszurücken und hat sie sogar schon geschlagen, als sie ihn
verlassen wollte. Genau der Typ eingebildeter Affe, den man immer
wieder trifft.“ Barl dachte an den ersten Mann, den er getötet
hatte. Es war auch eine Frauengeschichte gewesen und der damals
Verschiedene hatte ebenfalls auf sein angebliches Vorrecht plädiert.
„Da
sie unsere Auftraggeberin ist und unseren Sold bezahlt, werden wir
das Problem für sie lösen. Es triff sich hervorragend, dass
du bereits da bist Ypsilon. Ich glaube das ist eine Aufgabe für
dich. Das Arschloch heißt Jens Jenkins auch Jens „der
Schöne“ genannt. Ihm gehört ein Nachtclub in Köln
und einer in Berlin und Hamburg. Er ist einer dieser High Society
Proleten, die noch nie in ihrem Leben ernsthaft gearbeitet haben,
aber einen schicken Ferrari fahren. Seine Hauptbeschäftigung
scheint zu sein, auf Ammler-Parties mit seinen minderjährigen
Begleiterinnen zu protzen und dabei zu hoffen, dass ein Kamerateam
von RTL2 da ist um ihn dabei zu filmen. Keine Ahnung wie Miss Renard
zu dem gekommen ist. Aber jetzt will sie weg und der Sack lässt
sie nicht.“
„Ich
denke, du gehst nicht allein Ypsilon. Sicherheitshalber. Phoenix ist
gerade frei und streunt hier in der Gegend rum. Ein bisschen
Abwechslung wird ihm gut tun.“ kommentierte Hieb.
Das
Penthouse in dem Jens Jenkins wohnte, war im 9. Stock eines Gebäudes
am Rande der Kölner Innenstadt.
Phoenix
legte seinen Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Die beiden
Söldner standen auf dem belebten Gehsteig, es war kurz nach 18
Uhr und der rote Ferrari vor dem Haus deutete darauf hin, dass
Jenkins zu Hause war. Phoenix blickte zu Ypsilon.
„Ziemlich
belebt hier unten. Ich denke, du solltest den Kerl diesmal lieber
nicht am Bein aus dem Fenster hängen.“
Ungerührt
blickte Ypsilon nach oben. „Woher weißt du denn das schon
wieder? Hat Hieb dir das erzählt? Aber glaub mir Junge, wenn du
gerade keine Wahrheitsdrogen zur Hand hast, gibt es nichts besser um
einen bockigen Delinquenten zum Sprechen zu bringen, als ihn aus dem
Fenster zu hängen.“ Er ließ eine Kaugummiblase
zerplatzen. Der chemische Zimtgeruch zeigte Phoenix, dass es ein Big
Red war.
Die
beiden Söldner halfen einer Frau mit Kinderwagen in den
Fahrstuhl einzusteigen und fuhren dann in den neunten Stock.
„Was
machen wir, wenn er nicht alleine ist?“
„Die
Person höflich nach draußen bitten, dann weiter gemäß
Plan.“
„Ich
wusste gar nicht, dass wir einen Plan haben.“ grinste Phoenix
und drückte die Klingel. Eine Sekunde später summte der
Türöffner. Ypsilon verzog ratlos das Gesicht und ließ
Phoenix den Vortritt. Die Wohnung war wirklich teuer und
geschmackvoll eingerichtet, wenn man mit Leopardenkunstfell
überzogene Sofas mochte. Die beiden dunkel gekleideten Söldner
sahen sich in Ruhe um, während sie auf den Besitzer warteten.
Plötzlich klang eine Stimme aus dem Nebenraum.
„Machs
dir bequem Schatz, ich wusste doch, dass du vernünftig werden
würdest. Ich lieb dich doch. Du brauchst mich, du kannst nicht
ohne mich leben. Aber wenn du immer weglaufen willst, werde ich eben
wütend. Du hast es in der Hand, ob ich wütend werde.“
Der Mann, zu dem die Stimme gehörte, trat in den Türrahmen.
Wenn
Jens Jenkins erwartet hatte, dass eine schuldbewusste und gehorsame
Frau zu ihm zurückkam, um ihn um Verzeihung zu bitten, wurde er
aufs Herbste enttäuscht. In seinem Wohnzimmer stand nicht die
schlanke Gestalt eines Topmodels, sondern ein Kerl mit dem Körperbau
eines Zuchtbullen, der völlig ungeniert seine CD-Sammlung
durchsah.
Mit
offenem Mund und unfähig ein Wort rauszubringen, ließ Jens
Jenkins seinen Blick von dem Muskelberg zu einem zweiten Mann
streifen, der sich vor einem Fenster aufgebaut hatte.
Dieser
Mann war wesentlich schmächtiger als der andere. Er war wohl
eben erst der Pubertät entwachsen und trug einen schwarzen
Ledermantel.
Langsam
ging der Unbekannte von Fenster zu Fenster und zog die Gardinen zu,
dabei sah er Jenkins kurz tief in die Augen - jung, hellwach,
tödlich.
Endlich
brach er die Stille: „Herr Jenkins, Amalia Renard hat uns
geschickt.“
(Hieb
hatte Phoenix die ganze Geschichte erzählt und sie waren zu dem
Schluss gekommen, dass es keinen Sinn machte zu verheimlichen wer sie
geschickt hatte.)
„Was
… was wollen Sie? Was machen Sie hier?“
„Ihre
Ex-Freundin will in Zukunft nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Nie
wieder.“ Er zog das Wort „nie“ in die Länge.
„Wie…
wieso kommt sie nicht selbst? Was…“
Phoenix
hatte das letzte Fenster verdunkelt. Jenkins fragte sich verzweifelt,
warum er das tat. Er blickte zu dem Riesen, der neben dem CD-Regal
stand und geruhsam einen Kaugummi auspackte. Sein Gesichtsausdruck
war gefühllos. Nun traten seine zwei uneingeladenen Gäste
von beiden Seiten langsam an ihn heran. Der jüngere hatte seine
behandschuhte Hand in der Manteltasche.
„Geht
sofort … raus! Verlassen Sie sofort meine Wohnung!“
seine Stimme zitterte.
Phoenix
schüttelte langsam aber bestimmt den Kopf.
Mit
einem Seitenblick nahm Jenkins wahr, dass der riesenhafte Kerl
ebenfalls schwarze Lederhandschuhe über den Händen trug.
Schlagartig fiel es Jenkins wie Schuppen von den Augen. Die
verdunkelten Fenster, die Handschuhe, die Faust in der ausgebeulten
Manteltasche … sie wollten ihn hier drinnen abknallen und
keiner sollte es sehen!
Er
begann zu wimmern: „Bitte, bitte nicht. Es tut mir leid. Ich
wollte sie nicht schlagen. Aber … aber… bitte nicht…“
Sie
blieben dicht neben ihm stehen. Jenkins rutschte im Türrahmen
wimmernd auf den Boden. Es war soweit.
„Wo
hast du ihren Pass? Im Tresor?“
„Was?
Bitte nicht! Ich weiß nicht was Sie von mir wollen!“
„Verarsch
uns nicht! Wir finden den Tresor auch ohne dich. Ich hab in meinem
Leben schon genug Zimmer durchsucht! Aber für dich wäre es
besser, wenn du uns möglichst schnell davon überzeugst,
dass du noch nützlich für uns bist!“ herrschte
Ypsilon ihn an.
Jenkins
zog den Rotz in seiner Nase hoch und blickte auf. „In Ordnung,
aber bitte tun Sie mir nichts. Der Safe ist da hinten. Er rappelte
sich auf und führte sie ins Schlafzimmer, wo er einen Schrank
öffnete und Kleidungsstücke beiseite schob. Eine kleine
graue Stahltür kam zum Vorschein. Vielleicht zwanzig mal zwanzig
Zentimeter groß. In der Mitte ein Rädchen.
„Aufmachen.“
Phoenix trat neben die offene Schranktür. Mit zitternden Händen
drehte Jenkins an dem Zahlenschloss und zog schließlich die Tür
auf. In seinem Hirn spukten tausend Gedanken. Die kleine braune
Schlampe war schuld an Allem. Diese Kerle waren Killer. Sie würden
ihn umbringen! Ypsilon und Phoenix triumphierten schon innerlich.
Was man mit ein bisschen Druck doch alles erreichen konnte. Sie
hatten nie vorgehabt den Kerl abzuknallen. Der Ärger mit der
Polizei war das nicht wert. Bis auf die kleine Walther PPK, die
Ypsilon in seinem linken Schuh trug, hatten sie nicht einmal eine
Waffe dabei. Sie hätten ihn höchstens ein bisschen
verprügeln wollen, damit er sich merkte, dass ein Gentleman
keine Frauen schlägt.
Aber
Jenkins war verständlicherweise fest davon überzeugt, dass,
sobald er den Kerlen gegeben hätte, was sie wollten, er selbst
eine Kugel in den Kopf bekommen würde. Der Überlebensinstinkt
ergriff bereits wieder die Oberhand und drängte die Todesangst
zurück. In dem Tresor lag im obersten Fach eine Pistole.
Instinktiv griff er danach.
Er
hatte keine Chance. Phoenix stand keinen halben Schritt neben ihm und
ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Als Jenkins Hand in das
Tresorfach schnellte, sah er noch aus den Augenwinkeln eine Pistole
mit Holzschalengriff und schlug bereits im selben Moment die
Tresortür mit Schwung zu.
Jenkins
kreischte laut auf und zog seine übel gequetschte Hand zurück.
Phoenix schubste ihn vom Tresor weg in die Arme Ypsilons.
Emotionslos
packte der den Unbedachten am Kragen seines Seidenhemds. „Das
hättest du nicht tun sollen.“
Im
nächsten Moment knallte er ihm die freie Rechte auf eine Stelle
knapp unterhalb des letzten Rippenbogens. Man konnte hören, wie
die Luft laut pfeifend aus seinen Lungenflügeln entwich. Hätte
Ypsilon ihn nicht festgehalten, wäre er sofort zusammen
geklappt. Jenkins rang nach Atem, als Ypsilon ausholte und ihm einen
Kinnhaken verpasste. Diesmal flog der Getroffene rückwärts
auf das breite Doppelbett, wo er bewusstlos liegen blieb. Ypsilon
hatte nicht mal mit halber Kraft zugeschlagen, weil Jenkins sonst
wohl nicht mehr aufgewacht wäre.
Phoenix
holte die Pistole aus dem Safe und ließ sie um seinen
Zeigefinger kreiseln. „9mm PAK. Schreckschusspistole.“
„Mit
dem Ding wollte er uns wohl erschrecken. Hast du den Pass?“
Phoenix
nickte und blätterte in dem vom Südafrikanischen
Außenministerium ausgestellten Dokument. Beim Passbild blieb er
hängen.
„Scharfes
Mädchen. Wo hat Barl die denn aufgerissen?“
„Wir
gehen jetzt besser.“
Sie
verließen die Wohnung, als Jenkins gerade wieder zu Bewusstsein
kam.
Im
dämmrigen Zustand wurde ihm klar, dass er in den nächsten
Monaten Dauergast beim Kieferorthopäden sein würde.
Vorrausgesetzt er hatte noch einen Kiefer, wovon er im Moment nicht
so ganz überzeugt war.
Der
Pass lag auf Barlmoros Schreibtisch. Davor saßen Amalia Renard
und Hieb. Durch die offene Tür konnte man Ypsilon, Phoenix und
Cool Ibo sehen. Sie waren die Söldner, die am morgigen Tag einen
Flug der Ibis Air nach Lagos besteigen sollten.
Sie
waren sichtlich mehr oder weniger aufgeregt. Wegen des bevorstehenden
Einsatzes oder wegen des Models, das im Nebenzimmer saß, konnte
man nicht genau feststellen. Amalia Renard dankte den beiden Chefs
des B&HMP für die Beschaffung ihres Passes und
verabschiedete sich. Auf ihren langen Beinen stakste sie, von Hieb
begleitet, zum Ausgang. Vier Augenpaare folgten ihr dorthin.
„Du
hättest sie uns wenigstens vorstellen können.“
beschwerte sich Ibo als die Tür sich schloss.
„Wenn
ihr erst mal in Nigeria seid, werdet ihr sie wieder treffen. Obwohl
ich Angst habe, dass euch ihre Anwesendheit vielleicht ein bisschen
zu sehr von der Arbeit ablenken wird.“ grinste Barlmoro, der in
der Tür zu seinem Büro stand. „Aber jetzt mal zum
Thema. Eure Flugtickets habt ihr ja, der übliche Vorschuss wurde
auch schon gezahlt. Eure Aufgabe in Lagos lautet, Nachforschungen
über den Verbleib von Maurice Renard anzustellen. Wenn er
entführt wurde, müssen wir Schritte zu seiner Befreiung
einleiten. Wenn er tot ist, na ja, vielleicht will die Familie seine
Leiche haben.
Bisher
gibt es keinen so rechten Hinweis, was mit dem Reporter passiert ist.
Im Moment arbeitete er an einer Reportage über den illegalen
Diamantenabbau in Sierra Leone. Er hatte ein paar sehr mächtige
Feinde. Von den Diamantenförderern, über den liberianischen
Regierungschef Charles Taylor, bis hin zu den großen
Bergbaukonsortien in Europa, Israel, Südafrika und den
Vereinigten Staaten von Amerika. Außerdem hatte er Probleme mit
den örtlichen Diamantenschmugglern in Ostafrika. Neben diesen
ganzen Feinden, die speziell etwas mit Renards Arbeit zu tun haben,
darf man aber nicht vergessen, dass in Nigeria das Verschwinden eines
Journalisten auch einen ganz einfachen Grund haben kann. Nämlich,
dass er von der Regierung einkassiert wurde. Nigeria ist eines der
instabilsten Länder der Welt. Die Regierung wechselt beinahe
jährlich, und selten auf friedliche Weise. Das einzige, was
Konstanz hat, ist die Brutalität und Willkür mit der sie
gegen ihre Bürger vorgeht. Und Journalisten sind bekanntlich das
ungeliebte Stiefkind eines autoritären Regimes. Auch diesen
Punkt dürft ihr bei euren Nachforschungen nicht außer Acht
lassen.“
Passend
zur Pause in Barls Vortrag kam Hieb wieder in das Büro. Er hatte
Amalia Renard in ein Taxi gesetzt, dass sie zum Flughafen Frankfurt
a. M. bringen würde.
„Viel
mehr gibt es eigentlich nicht mehr zu sagen. Nur noch eins. Passt auf
euch auf. Lagos ist ein ziemlich heißes Pflaster. Wer von euch
war schon mal in einer afrikanischen Metropole?“
Ypsilon
und Ibo hoben die Hand. „Abidjan, Elfenbeinküste. War ganz
nett damals.“ sagte Ibo.
„Wenn
du Abidjan nett fandest, wirst du Lagos lieben. Ich war mal da, schon
ne Weile her. Inzwischen dürfte es eher schlimmer geworden
sein.“ antwortete Barlmoro. „Das was man als ‚die
Stadt’ bezeichnet, hat etwa 1,8 Millionen Einwohner. Mit allen
Slums die außen herum gewachsen sind, dürften es aber fast
sechs Millionen sein. Vielleicht auch zehn Millionen, oder zwölf
Millionen, was weiß ich wie viel. Bildet euch bloß nicht
ein, ihr müsstet euch nachts in den Vororten blicken lassen, ihr
würdet, nach allem was ich gelesen habe, spätestens nach
einer halben Stunde tot sein. Deshalb solltet ihr auch Waffen tragen.
Wir wissen, was eure favorisierten Modelle sind. Wenn ihr eure
eigenen Waffen mitnehmen wollt, gebt ihr sie Hieb.“
Der
nahm das Stichwort auf und fuhr fort: „Wir werden alle Waffen
per Luftfracht nach Lagos schicken. Ihr könnt sie vielleicht
noch am Tag eurer Ankunft, aber spätestens am nächsten
Morgen, auf einem Flugfeld im Norden der Stadt abholen. Rausholen
werden wir sie auf demselben Weg. Ihr werdet legal mit einem
Touristenvisum einreisen, das für 4 Wochen gilt. Bis dann sollte
die Sache beendet sein. Ich persönlich habe sowieso nicht sehr
große Hoffnung, dass Renard noch lebt. Gäbe es eine
Lösegeldforderung, wäre ich wesentlich optimistischer, aber
man hat eine Woche nichts von ihm gehört. Ich würde wetten,
dass er tot ist.“
Nigeria,
13 Mai 2002
Trotz
der negativen Prognosen die im fernen Deutschland über seine
körperliche Verfassung angestellt wurden, lebte Maurice Renard
noch. Doch hing sein Leben am seidenen Faden. Seit sechs Tagen wurde
er in einem Kellerloch westlich von Oyo festgehalten. Hier wurde Gold
und Zinn abgebaut, was auch der Grund war, warum die Sierra Mining
Cooperation, hier in Form ihrer Tochterfirma Millers Mineral
Exploring Association, kurz MMEA, eine kleine Anlage zur Ausbeutung
der Rohstoffe unterhielt. Nach seiner Entführung aus Lagos war
Renard im Laderaum eines Trucks hierher gebracht worden. Hier sollte
er auch sterben.
Lawrence
Courtland, der die Entführung geleitet hatte, ließ ihn
rund um die Uhr von zwei nigerianischen Männern des Firmen
Wachschutzes bewachen. Diese Bewachung beschränkte sich jedoch
hauptsächlich darauf, dass die beiden Männer ihm zweimal am
Tag Wasser und Essen brachten und ihn dabei jedes Mal ein paar
Fußtritte verpassten. Renard verbrachte fast den ganzen Tag in
völliger Dunkelheit. Er konnte in dem Keller herum gehen, jedoch
nur ein paar Meter, da er eiserne Fußfesseln trug, die mit
einer Kette an einem in der Wand eingelassenen Ring verbunden waren.
Etwa drei Meter konnte er in seinem Verließ herum humpeln. Er
war resigniert und verzweifelt. Er wusste nicht wer ihn entführt
hatte und was sie mit ihm vorhatten. Nur dass es nichts Gutes war,
wusste er. Aus den beiden Kerlen die ihm Essen brachten und ihn
schlugen, hatte er nichts herausgebracht. Inzwischen sprach er sie
nicht mehr an, weil das nur weiter Schläge und Tritte
provozierte. Er war dem Wahnsinn nahe, und hätte er die
Möglichkeit dazu gehabt, hätte er Selbstmord begangen.
Courtland
saß keine 200 Meter von seinem Gefangenen entfernt in einem
Bungalow der Minengesellschaft und brütete über der drei
Tage alten Zeitung. Es wurde Zeit, dass etwas geschah. Er wartete
jeden Tag darauf, dass er von Barringer die Order bekam seinen
Gefangenen zu töten. Er hatte sich schon einen schönen
alten Stollen ausgesucht, in dem er die Leiche verschwinden lassen
würde. Aber es kam nichts. Ein enger Mitarbeiter des Bosses war
auch im Lager. Alexander Smith. Er hielt mit Freetown über ein
Satellitentelefon Kontakt. Aber es war noch keine Meldung gekommen.
Weitere
hundert Meter entfernt saß Alexander Smith in dem ihm
zugeteilten Bungalow und grübelte ebenfalls. Jedoch zielten
seine Gedanken in die genau entgegengesetzte Richtung von denen
Courtlands. Smith versuchte verzweifelt einen Weg zu finden, wie er
diese Sache beenden konnte ohne sich des Mordes schuldig zu machen.
Obwohl Smith in einem brutalen Gewerbe arbeitete und sich nicht
scheute die Ellenbogen einzusetzen um vorwärts zu kommen, war er
nun mit seinem Gewissen in Konflikt geraten.
Natürlich
wollte er in der Hierarchie der Sierra Mining Cooperation aufsteigen.
Aber er wollte auch kein Mörder sein. Nein, ein Verbrechen, dass
über Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung hinaus lief,
wollte er nicht begehen. Aber hier wurde von ihm gefordert einen
unschuldigen Mann hinrichten zu lassen. Vor vier Tagen hatte
Barringer am Telefon mitgeteilt, er solle den Journalisten nach
Sierra Leone bringen, wo es Courtland dann frei stünde, auf
welche Weise Renard aus dem Leben scheiden würde.
Smith
hatte die Anweisung nicht an Courtland weitergegeben. Er mochte den
hageren Mann aus der Savanne nicht, der Augen hatte, wie ein Leopard,
den Smith einmal im New Yorker Zoo gesehen hatte.
In
New York warteten auch seine Frau Susan und sein Sohn Alex darauf,
dass ihr Gatte und Vater wieder von dem einjährigen
Afrikaaufenthalt zurück kam und einen hochbezahlten Job in der
New Yorker Filiale des Transmining Netzwerkes übernahm, hinter
dessen guten Namen sich nichts anders verbarg, als die in Kritik
geratene Sierra Mining Cooperation. In der Abendschwüle des
Tropendschungels, beim Surren des Ventilators wurde Smith klar, dass
er seiner Frau und seinem Sohn nicht mehr gegenüber treten
könnte, wenn er sich erst mal des Mordes schuldig gemacht hatte.
Er musste etwas tun. Noch heute Nacht würde er zum ersten Mal in
seinem Leben etwas wirklich Gefährliches tun.
Es
war zu früh für das Mittagessen oder wie man den wässrigen
Brei nannte, den man Renard gab. Deshalb krümmte er sich in
seiner Ecke zusammen, als die Falltüre in der Decke sich öffnete
und ein viereckiges Lichtfeld auf den Betonboden des Kellers fiel.
Jemand kam die wackelige Treppe hinunter gestiegen. Er kam auf den
Zehenspitzen zu Renard hinüber gehuscht. Der erkannte, dass es
sich nicht um einen seiner Wärter handelte. Es war ein Weißer
mit einer beigen Leinenhose und einem durchschwitzten Hemd.
„Mister
Renard. Haben Sie keine Angst. Ich hol Sie hier raus. Die Wachen sind
nicht da. Aber Sie müssen ganz leise sein. Können Sie
laufen.“
Renard
nickte und schluckte den Klos in seinem Hals hinunter.
Mit
zittrigen Händen schloss der Fremde die Fußfesseln auf und
half ihm auf die Beine. Renard ging schwankend und musste sich auf
seinen Retter stützen. Sie schafften es irgendwie nach oben und
von dort nach Draußen. Ein weißer Toyota parkte vor dem
Haus.
„Klettern
Sie auf die Ladefläche und decken Sie sich mit der Plane zu.“
flüsterte der Weiße ihm zu.
Renard
gehorchte sofort und kroch unter die dreckige Plane, wo er sich
mucksmäuschenstill verhielt. Der Motor wurde in Gang gesetzt und
der Toyota rollte los.
Smith
schaltete das Abblendlicht ein und näherte sich dem Ausgang des
Lagers. Es war kurz nach Mitternacht und der Dschungel um das Lager
wirkte bedrohlich. Ein bewaffneter Posten ließ Smith anhalten.
Dem wurde klar, wie schlecht seine Flucht geplant war. Er hatte keine
Ahnung, ob ihn der Posten einfach so durchlassen würde. Eine
Taschenlampe wurde kurz auf sein Gesicht gerichtet und dann wieder
gesenkt. Der Torwächter war ans Seitenfenster getreten.
„Warum
wollen Sie das Camp verlassen?“
„Ich
muss morgen in aller Frühe einen Flieger in Lagos erwischen.“
„Warum
nehmen Sie nicht den Hubschrauber nach Lagos?“
Der
Posten stellte seine Fragen in einem anklagenden Tonfall, der Smith
irgendwie an die Ausdrucksweise der Nazis in Hollywoodfilmen
erinnerte. Smith machte sich zwar beinahe in die Hose, aber hier
musste er Stärke zeigen. Dieser eingeborene Nachtwächter
stand in der Hierarchie doch meilenweit unter ihm.
„Hör
mal zu, ich bin enger Mitarbeiter von dem Mann, dem das alles hier
gehört und der dir deinen Lohn auszahlt. Ein Wort von mir genügt
und du kannst dir morgen einen anderen Job suchen. Ich hab gehört,
das soll in diesem Land gar nicht so einfach sein. Hast du Familie?
Siehst du, es wäre besser, wenn du mich ohne blöd zu
fragen, durchlässt. Geht das in deinen Schädel?“
Einen
Moment dachte Smith, er wäre zu weit gegangen. Im dichten
schwarzen Bart des Afrikaners blitzen weiße Zähne auf.
Smith wurde klar, dass der Mann ein belgisches Sturmgewehr trug,
während er keine Waffe hatte. Aber die Grimasse des Wachpostens
veränderte sich in ein Lächeln.
„Okay
Master. Sie können fahren.“
Smith
atmete auf und fuhr durch das Tor in die dichte grüne Vegetation
hinaus.
Hinter
ihm knurrte der Posten etwas von „rassistisches Arschloch“
und „ich hoffe deine Hoden verdorren“ während er in
die Wachstube zurückging.
Smith
hielt nach fünf Meilen den Toyota an und ließ Renard vorne
einsteigen. Sie sagten nichts, sondern fuhren wortlos weiter. Smith
wollte nach Oyo, wo es einen kleinen Flugplatz gab. Dort endete
jedoch auch schon sein Plan, wenn man das überstürzte
Vorhaben überhaupt so nennen konnte. Er hatte keine Ahnung, wie
es weitergehen sollte.
Lagos;
Nigeria 14 Mai 2002
Die
ganze Söldner-Aktion drohte zur Farce zu werden. Nicht nur, dass
die Erfolgchancen von vornherein sehr gering waren, nein sie
verschlechterten sich auch noch dadurch, dass die Einreise der
Söldner in Nigeria verzögert wurde. Die Visa-Anträge
beim Generalkonsulat Nigerias in Berlin hatten 8 Tage gebraucht, bis
sie bewilligt worden waren.
Als
die drei Söldner schließlich in Lagos aus der Boeing 747
stiegen, waren seit Renards Verschwinden schon fast 3 Wochen
vergangen. Selbst der optimistischste Ermittler musste sich
eingestehen, dass nach so einer lagen Zeit kaum mehr eine Chance
bestand eine Spur des Verschwundenen zu finden.
Besonders
peinlich für die Profis aus Europa wurde die Situation dadurch,
dass ihre Auftraggeberin Amalia Renard schon eine Woche vor den
Söldnern eingetroffen war. Gott allein wusste, wie sie ihr Visum
so schnell bekommen hatte.
Am
Flughafen waren sie von einem sehr freundlichen Beamten der ihre Visa
durchsah ermahnt worden auf gar keinen Fall große Geldsummen in
das Land zu bringen oder sich auf lukrative Geschäfte mit
sogenannten Regierungsstellen einzulassen. Egal wie überzeugend
die Vertreter aussahen oder wie günstig die Konditionen waren.
Das sei alles Betrug und jedes Jahr fielen Hunderte von Touristen
darauf herein, die dachten sie könnten in Nigeria das schnelle
Geld machen und am Ende nicht einmal mehr genug Kleingeld hatten um
ihre Botschaft anzurufen. „In Nigeria gab es nichts umsonst!“
Das waren seine Worte gewesen, als er ihnen ihre Visa zurückgab.
Das stimmte auf jeden Fall nicht. Als die Söldner den Flugplatz
verließen, drückte ihnen ein Junge umsonst und ganz
kostenlos eine Broschüre in die Hand, in der vorgeschwärmt
wurde, wie man durch den Kauf von nigerianischen Eisenbahnaktien in
wenigen Wochen 800%-Gewinne einfahren konnte.
Abgeholt
wurden sie von einer Lexus-Limousine. Der Fahrer lenkte die schwere
Karosse sicher durch den dichten Verkehr auf die Brücke nach
Victoria Island. Die drei Söldner, die sich im Fond gegenüber
saßen, schwiegen und sahen aus den getönten Fenstern.
Lagos sah gar nicht so schlimm aus, wie Barl und Hieb gemeint hatten.
Die Straßen und Brücken waren neu und die meisten der
Wagen sahen auch passabel aus. Entgegen der allgemeinen Vorstellung,
die man von Afrika hatte, waren erstaunlich viele Fahrzeuge
unterwegs. Ford, Toyota, Mitsubishi, Lada und einige Audi und
Mercedes Fahrzeuge schwammen im Verkehr mit.
Das
Erste was den positiven Eindruck von Lagos schmälerte, waren die
bewaffneten Posten an der Zufahrt zu Victoria Island. Es bildete sich
eine Autoschlange und es dauerte eine Weile bis die Lexus Limousine
an den Posten vorbeirollte. Die Söldner sahen neugierig aus den
Fenstern. Die Wachmänner waren einheitlich und sauber gekleidet.
Schwarze Stoffhose, weißes Hemd, ein schwarzes Barett und um
die Schultern gehängt oder in den Händen die unvermeidliche
Kalaschnikow.
Der
Fahrer übertraf die Söldner noch an Schweigsamkeit. Ohne
ein Wort gesagt zu haben, lenkte er den Wagen nach 10 Minuten Fahrt
in die Auffahrt eines stattlichen Hauses. Ganzila Road 42. Hinter
ihnen schloss sich ein automatisches Türgatter.
Die
Söldner stiegen aus, streckten ihre Glieder und sahen sich das
Gelände an. Der Chauffeur öffnete die Garagentür und
parkte die Lexus-Limousine neben einem nagelneuen Range Rover und
einem schnittigen BMW Coupe rückwärts ein. Die vier Söldner
warteten nicht bis er fertig war, sondern schritten die Stufen zum
Haus hinauf. Links und rechts wuchsen zahlreiche Palmen, Kakteen und
andere farbenprächtige Pflanzen, deren Namen die Söldner
nicht einmal hätten aussprechen können, wenn sie sie
gekannt hätten. Ein Gecko flüchtete vor den Schuhen der
Männer in eine Felsspalte der Natursteintreppe. Oben angekommen,
klingelte Phoenix. Ein breitschultriger, vierschrötiger
Schwarzer mit kahlrasiertem Schädel öffnete ihnen und bat
sie ohne ein weiteres Wort hinein. Sie durchquerten eine mit weiß
schwarzem Marmor geflieste Diele und ein teuer eingerichtetes
Wohnzimmer und wurden von dem Türöffner Richtung offene
Gartentüre geschoben. Dort stand sie – Amalia Renard, in
ein leichtes geblümtes Sommerkleid gehüllt und ein
Cocktailglas in der Hand. Sie versuchte ein Lächeln, das nicht
ganz gelang, als sie die Söldner erblickte. In Amalias Augen
waren sie nicht mehr als professionelle Mörder. Die Leute gegen
die ihr Bruder immer geschrieben hatte. Brutale Gunmen, die von
Neo-Imperialisten angeheuert wurden um Not und Elend über den
schwarzen Kontinent zu bringen. Im sechzehnten Jahrhundert waren es
die Sklavenhändler und Fänger gewesen, in den Sechzigern
Hoares und Denards weiße Mercenaries und heute waren es die
gewissenlosen Büttel der Rohstoffkonzerne und Privaten
Militäragenturen. Aber Amalia wusste auch, dass diese drei
Männer vielleicht die letzte Hoffnung waren, die ihr noch blieb.
Von ihrer Fähigkeit einen kühlen Kopf und einen ruhigen
Zeigefinger zu bewahren hing das Leben ihres Bruders ab.
Phoenix
übernahm es die drei Söldner vorzustellen. Amalia reichte
jedem höflich die Hand und stellte ihnen Francis Le Fallet vor.
Eine sehr blonde Person, die ihren herrlichen Körper in einer
Hollywoodschaukel räkelte. Was die Sache besonders interessant
machte, war die Tatsache, dass sie dabei einen weißen Bikini
trug, der in eine Streichholzschachtel passen musste. Ihr strahlend
weißes Zahnpastalächeln präsentierend erhob sie sich
und reichte Phoenix, der ihr am nächsten stand, ihre zierliche
weiße Hand. Am Ringfinger blitzte ein Diamantring.
„Nennt
mich einfach Francis. Ich bin wie Amy Model und mir gehört das
Haus hier, eigentlich gehört es meinem Verlobten, er ist
Geschäftsmann und zurzeit in Japan. Ich komm aus Frankreich. Aus
Saint Tropez an der Cote ´d Azur. Meistens wohn ich aber in
Beverly Hills. Wo kommt ihr her?“ Sie lächelte Ypsilon
an und erwartete wohl eine Antwort. Der fragte sich, ob das eine
Befragung sei, und wo dann die Verhörlampe und die beiden
KGB-Männer mit den gummiüberzogenen Kabelenden waren. Er
hatte mal eine Majorin vom Abschirmdienst gekannt, deren Schnurrbart
dieselbe Farbe wie die Locken dieses neugierigen Frauenzimmers gehabt
hatte. Die Situation war ähnlich gewesen damals, nur war er mit
Handschellen gefesselt gewesen und die nette Majorin Rukova hatte
seine Hoden in ihrer Pranke gehalten. Das Dragonerweib hätte
ohne mit der Wimper zu zucken zugedrückt. Alles nur ein Test,
wie man ihn nachher beschwichtigte. Er hätte ihn mit Bravour
bestanden und man hätte sowieso nie an seiner Loyalität
gegenüber der Sowjetunion gezweifelt. In Wirklichkeit hatte er
nur wahnsinnige Angst um seine Geschlechtsteile gehabt. Wochen später
hatte man ihn in die USA geschickt.
Francis
zog die Augenbraue hoch und sah den schweigenden Riesen fragend an.
Der
öffnete den Mund. „Ich denke nicht, dass so ein reizendes
Geschöpf wie Sie schon mal etwas von meiner Heimatstadt gehört
hat. Wir sind Fremdenverkehrsmäßig noch nicht richtig
erschlossen.“
Das
Model lachte als ob Ypsilon einen guten Witz gemacht hätte, sie
konnte nicht wissen, dass er das vollkommen ernst gemeint hatte. Er
machte sich in Gedanken eine Notiz, dass er sich mal in seiner alten
Heimatstadt erkundigen musste, ob das Arbeitslager noch existierte.
Francis
führte die Söldner durch das Haus und zeigte ihnen ihre
Zimmer. Die Villa war wirklich groß, jeder hatte ein eigenes
Zimmer mit Bad und Fernseher. Außerdem gab es eine Klimaanlage,
die die Temperatur bei angenehmen 19 Grad Celsius hielt. Den Söldnern
begann es zu gefallen. Sie hatten sich eigentlich darauf eingestellt
einige Zeit auf die Errungenschaften der westlichen
Industrienationen, wie luxuriöse Zimmer, Klimaanlagen und
fünflagiges Klopapier verzichten zu müssen. Wenigstens die
ersten beiden Befürchtungen hatten sich nicht erfüllt. Das
mit dem Klopapier würde sich auch noch herausstellen.
Mine;
Oyo
Die
beiden Wächter, die Renault hätten bewachen sollen, und der
Mann, der letzte Nacht Torwache hatte, waren in einen aufgegebenen
Stollen geschafft worden. Man hatte ihre Handgelenke mit Stricken
zusammen gebunden und dann eine Eisenkette zwischen den gefesselten
Armen durchgeschoben. Zuerst wussten die drei vor Angst betäubten
Männer nicht, was das sollte, bis man die beiden Kettenenden
über einen alten Stahlträger in der Minendecke geworfen
hatte und sie von den Söldnern daran hochgezogen worden waren,
bis nur noch ihre Zehenspitzen den Boden berührten. Dem
Torwächter, der den flüchtigen Smith und Renard
durchgelassen hatte, hatte man dabei die Hände nicht vor dem
Körper sondern auf dem Rücken zusammen gebunden. Als der
kräftige De Valera an der Kette gezogen hatte, waren ihm beide
Schultergelenke ausgekugelt worden. De Valera hatte sich extra sehr
viel Zeit gelassen und den Gefesselten nur Zentimeterweise höher
gezogen, wodurch dessen Qualen noch erhöht worden waren.
Vier
Männer standen in der Mine herum und leuchteten mit starken
Taschenlampen auf die drei gefesselten Männer. Der brutale
Südafrikaner Roy de Valera, sein Landsmann Hawkins, der
Nigerianer Jim Stanton und Jacques Toruffe. Sie und zwei andere
Söldner waren die einzigen Männer, die Courtland
mitgebracht hatte und die nicht, wie die normalen Leute vom
Geländewachschutz, in der Umgebung angeworben worden waren.
Roy
de Valera hatte einen Rohrstock in der Hand, den er immer mal wieder
auf die Brust oder die Oberschenkel der nackten Gefangenen sausen
ließ. Stanton bevorzugte seine Zigaretten, die er am liebsten
auf die Genitalien seiner Opfer drückte. Hawkins und Toruffe
bastelten an einer Autobatterie herum, die einfach keinen Strom
liefern wollte. Bis sie Erfolg hatten, blieb den Gefangenen
wenigstens erspart, dass man ihnen Kupferelektronen an Eichel und
Brustwarzen befestigte und Strom durch ihren Körper jagte.
Die
Tortur der drei armen Seelen dauerte jetzt schon zwei Stunden an. Der
Mann mit den ausgekugelten Armen hatte schon mehrfach das Bewusstsein
verloren und war mit Ohrfeigen immer wieder zurückgeholt worden.
Die
Wächter hatten ihren Peinigern schon alles erzählt was sie
wussten. Hatten es ihnen vier, fünf Mal erzählt. Aber die
Söldner schienen sich nicht wirklich dafür zu interessieren
und machten einfach weiter. Sie schienen auf jemanden zu warten.
Als
De Valera und Stanton eine Pause machten und sich ein paar der
mitgebrachten Bier gönnten, hörte man Schritte den Stollen
hinunter schreiten. Hawkins wandte sich von der Autobatterie ab und
leuchtete dem Neuangekommenen ins Gesicht.
„Du
Arsch, nimm die Funzel aus meinem Gesicht!“ herrschte ihn Paul
Decker an.
„Decker,
du altes Aas! Seit wann bist du wieder da?“ De Valera sprang
vom Boden auf und breitete die Arme aus um seinen alten Söldnerkumpan
in die Arme zu schließen.
„Begrüßen
können wir uns später du alter Suffkopf. Ich hab Schnaps
mitgebracht.“ Er wandte sich den drei an der Decke Aufgehängten
zu.
Obwohl
die drei Folteropfer schwarz waren, wurden sie in diesem Moment
bleich. Der, mit den ausgekugelten Armen, hob den Kopf zum Himmel
(den er natürlich nicht sehen konnte) und schickte ein stummes
Stoßgebot zum großen Vater dort oben. Alle drei waren
schon lange genug in der Mine beschäftigt um Decker zu kennen.
Er war die letzten zwei Jahre jeweils für ein paar Monate dort
gewesen. Alle drei wussten, dass sie nun auf jeden Fall sterben
würden, hatten sie doch alle noch etwas Hoffnung gehegt, wieder
lebend hier rauszukommen.
„Unseren
Gästen scheint es ja gut zu gehen.“ Decker trat näher
an sie heran. Stumm begutachtete er ihre Wunden und ging zu dem
unglücklichen Torwächter, dessen Oberarmknochen sich weit
durch die Haut drückten.
„Deine
Arme sind ausgekugelt.“ stellte er sachlich fest. Er ging um
ihn herum und fragte schließlich: „Tut das weh?“ Er
holte aus und trat dem Verletzten mit dem Stiefel ins Kreuz. Die
Ketten quietschten und der Geschundene schrie Stimmbänderzerreißend
als er hin und her schwang.
„So,
und nun erzählt mir, warum ihr den Gefangenen und diesen Smith
zur Flucht verholfen habt. Und natürlich wo sie hin sind.
Courtland jagt sie schon und wird sie in Kürze finden. Also tut
euch keinen Zwang an.“
Die
beiden anderen Gefangenen platzten gleichzeitig los. „Wir haben
ihnen nicht geholfen! Wirklich nicht… bitte Sie müssen
uns glauben. Bitte! Wir haben nur ein paar Drinks beim Fahrzeugdepot
getrunken … und als wir zurückkamen, waren sie weg! Bitte
tun sie uns nichts mehr …“
„Was
ist eigentlich schlimmer? Dass ihr Renard zur Flucht verholfen habt
oder dass ihr unerlaubt euren Posten verlassen habt?“
„Es
tut uns Leid, wirklich“ kreischte einer der beiden. „Er
war doch angekettet und eingesperrt. Wir haben doch nicht daran
gedacht, dass ihn jemand mit einem Schlüssel für die Ketten
befreien könnte. Bitte, ich habe Familie, drei Kinder, ich muss
doch…“
Decker
hob die Hand. „Stooopp. Das reicht fürs erste. Hawkins,
funktioniert die Batterie?“
Der
Jeep raste über die Sandpiste und wirbelte eine Staubwolke
hinter sich auf. Der Wagen war eines der unkaputtbaren Modelle, das
schon von Montgomery im Wüstenkrieg benützt worden war und
hatte keine Windschutzscheibe. Bei 80 Kilometern die Stunde bedeutete
das, dass alle Körperöffnungen der Insassen innerhalb
kürzester Zeit mit Sand gefüllt waren. Es empfahl sich
deshalb eine Brille aufzusetzen und sich ein Tuch vor Mund und Nase
zu binden oder wenigsten für die Dauer der Fahrt die Klappe zu
halten.
Der
nigerianische Fahrer lenkte den Wagen in eine scharfe Kurve ohne
abzubremsen und riss dann das Lenkrad herum um einem Bauern samt
Handkarren auszuweichen, der urplötzlich vor ihm auftaucht war.
Der Wagen schien kurz nur auf zwei Reifen zu fahren und breschte dann
mit unvermittelter Geschwindigkeit weiter. Vor ihnen tauchten die
Wellblechhütten von Oyo auf. Der Flughafen, oder besser gesagt
das Flugfeld und die zwei Hütten, lagen östlich der Stadt.
Sie rasten über den Feldweg, der sich Hauptstraße
schimpfte, und fuhren mitten über das Flugfeld aus bröckelndem
Beton. Der Fahrer hielt vor einem Hangar. Nur zwei Maschinen standen
herum. Eine uralte Fokker und eine Dassault Passagiermaschine, der
man jedoch erst mal wieder ein Fahrwerk verpassen musste, bevor sie
auch nur auf die Startpiste rollen konnte.
Der
Fahrer blieb sitzen, während die drei anderen Männer aus
dem Jeep sprangen und sich den Staub von den Camouflage-Uniformen
schlugen. Courtland schritt forsch aus und die beiden Männer,
beide von der Truppe die Courtland aus Sierra Leone mitgebracht
hatte, folgten ihm mit ihren FAL-Karabinern.
Courtland
steuerte zielsicher auf einen großen Mann mit einer
ölverschmierten Latzhose zu, der unter einem Motor
hervorgekrochen kam und sich die Hände an seiner Hose abputzte.
„Haben
Sie zwei Männer gesehen? Ein Weißer und ein Schwarzer, die
in einem weißen Toyota fuhren?“
„Ein
Weißer fällt hier auf.“
„Ja,
deshalb frag ich ja. Haben Sie so ein Pärchen gesehen?“ “Ich
weiß nicht.“ Er hielt Courtland die offene Hand hin und
wartete wohl darauf, dass sie mit ein paar Geldscheinen gefüllt
wurde. Courtland lächelte weiter, als er die Hand packte und sie
um 180 Grad verdrehte. Der Flughafenmechaniker sank in die Knie und
unterdrückte einen Schmerzenschrei, stattdessen stieß er
einen Fluch in seiner Muttersprache Ludu aus.
Courtland
fuhr unbewegt fort. „Wir sind zu viert und bewaffnet und ich
sehe hier weit und breit niemanden der dir helfen könnte.“
Dabei schlug er mit der freien linken Hand auf den Pistolenholster an
seinem Oberschenkel. „Es wäre für dich besser, wenn
du uns sagst, ob du die Personen gesehen hast, die wir suchen.“
„Ok,
ok, ich hab sie gesehen. Sie kamen heute in aller Frühe und
haben mich gefragt, wann die nächste Maschine von hier
wegfliegt. Ich hab ihnen gesagt, dass heute meines Wissens kein
Flugzeug von hier startet, aber dass vielleicht ein Flugzeug hier
landet und sie auf dem Rückweg wohin immer auch mitnehmen
könnte.“
„Und
weiter?“
„So
ein Flugzeug kam auch. Eine Super Constellation von der MMEA, die hat
einen Passagier und zwei Kisten für die Mine abgesetzt. Der
Weiße und der Schwarze haben gefragt ob sie mitfliegen könnten,
wenn die Maschine zurück nach Lagos fliegt. Hat anscheinend
geklappt, denn sie sind eingestiegen und losgeflogen. Mister, könnten
Sie jetzt bitte meine Hand loslassen? Mehr weiß ich wirklich
nicht.“
Courtland
ließ die Hand los und der Mechaniker rieb sich das schmerzende
Handgelenk. Die drei Männer kehrten um und stiegen wieder in den
Jeep. Der Mechaniker schickte ihnen ein paar geflüsterte Flüche
hinterher. Er kannte diese Leute. Bezahlte Killer vom sogenannten
„Firmenwachschutz“ der MMEA Mine. Das seltsame Pärchen,
das mit der Super Constellation weggeflogen war, war wirklich nicht
zu beneiden, wenn diese Burschen hinter ihnen her waren.
Von Job
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