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Nigeria Connection
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II: Schnelle Lösung


Lagos

„Astou? Bist es du?“

„Wer ist da?“

„Ich bin es, Maurice.“

„Maurice! Wo bist du?! Geht’s dir gut?“

„Ja, es geht mir gut. Astou, du musst jetzt gut zuhören und genau das tun, was ich dir sage.“

„Ja, sag was los ist!“
“Ich wurde entführt und in einem Minengelände bei Oyo festgehalten. Ich konnte fliehen und stehe jetzt auf dem Flughafen in der Nähe von der City Avenue beim Oshodi-Markt. Ich hab einen Freund dabei und wir müssen dringend von dort weg, weil man uns wahrscheinlich schon sucht, du musst…“ Ein langer Piepston ertönte und das Gespräch wurde unterbrochen. Astou, der Lebensgefährtin von Maurice Renard, blieb beinahe das Herz stehen. Sie hielt den Hörer noch eine Minute lang an ihr Ohr, weil sie es einfach nicht fassen konnte, dass sie mit ihrem vermissten Freund telefoniert hatte und das Gespräch unterbrochen worden war. Das verdammte Telefonnetz von Lagos war einfach das Letzte. Astou überlegte nicht lange was sie tun sollte. Sie wählte die Nummer ihrer „Fast-Schwägerin“ Amalia Renard, bekam aber keine Verbindung. Drüben auf Victoria Islands hatten sie sicher funktionierende Telefonleitungen, wie sie auch immer Strom und fließendes Wasser hatten. Sogar kalt und warm. Normalerweise war Astou das egal, aber jetzt erfüllte sie es mit Wut. Sie wählte wiederum die Nummer. Ein Piepsen kündete davon, dass sie diesmal Glück hatte.

„Hallo, Francis Le Fallet?“

„Hier Astou, ist Amalia da?“
“Ja, ich hol sie schnell.“

Es dauerte ein paar Sekunden, die Astou, wie eine Ewigkeit vorkamen, bis Amalia an den Apparat kam.

„Ja? Ich bin…“

„Maurice hat angerufen! Er ist bei einem Flugfeld in der Nähe vom Oshodi Markt. City Avenue. Ich sehe zu, dass ich dort hinkomme. Tschüss!“

Astou hatte aufgelegt, bevor Amalia überhaupt zu Wort gekommen war.



Der Chauffeur, der sich inzwischen als Adolphus Diffa, vorgestellt hatte und weniger schweigsam war, als noch bei der ersten Fahrt, lenkte die Söldner wieder sicher durch den mörderischen Verkehr von Lagos. Während Cool Ibo noch darüber sinnierte, welcher christliche Missionar wohl Adolphus Eltern dazu gebracht hatte, ihrem Sohn diesen beschissenen Namen zu geben, kam Adolphus von selbst auf das Thema zu sprechen und forderte sie auf, ihn, wie alle seine Freunde, einfach „Alf“ zu nennen. Die drei Söldner nannten ihm auch ihren Namen und ließen sich dann von ihrem neuen Freund das Stadtbild erklären.

Viel gab es nicht zu erklären. Die großen Straßen, die meistens auf Brücken verliefen, wurden von der Miliz bewacht. Eine furchtbar heruntergekommene Polizeitruppe in bunt zusammengewürfelten Uniformteilen und mit verrotteten Kalaschnikow Gewehren, auf deren Funktionstüchtigkeit die Söldner keinen Pfifferling gewettet hätten. Die Hauptaufgabe dieser Soldateska war es die Reichen von Lagos vor Übergriffen bewaffneter Räuberbanden zu schützen und Unruhen in den Slums blutig niederzuschlagen. Jedes Jahr wurden Hunderte sogenannter „Verdächtiger“ von der Polizei regelrecht exekutiert. Sicherer wurde die Stadt dadurch auch nicht, selbst bei hellstem Tageslicht war ein Ausflug in die Festlandssiedlungen so verlockend wie die Aussicht an einem Geländelauf durch die ausgewiesenen Minenfelder Kambodschas teilzunehmen.

Einer dieser Polizisten winkte den weißen Range Rover zur Seite. Alf ließ die automatische Fensterscheibe herunter und der Polizeibeamte steckte seinen Kopf herein und musterte die drei Söldner auf der Rückbank.

„Police!“ dabei deutete er mit dem Daumen auf seine Brust.

„Gut dass du das sagst, sonst könnte man ja meinen du wärst irgendein versoffener Menschenschinder dem man zufällig ein Gewehr gegeben hat.“

„Ibo, mäßige deine rüde Wortwahl, wir haben es hier mit einer Amtsperson zu tun.“ Antwortete Phoenix grinsend. Der Polizist, der kein Wort von dem auf Deutsch geführten Gespräch verstand, wandte sich wieder dem Fahrer zu.

„Sie sind zu schnell gefahren, Sie müssen eine Strafe zahlen.“ Das Wageninnere füllte sich mit dem üblen Mundgeruch des Milizsoldaten.

„Stimmt nicht, ich bin Vierzig Meilen gefahren die ganze Strecke!“ antwortete Alf, griff aber schon nach dem Portmonee in der Mittelkonsole.

„Sie sind zu schnell gefahren! Ich bin Polizei-Major, also widersprechen Sie mir nicht! Zwanzig Dollar.“

„Was, bist du verrückt? Zwanzig Dollar, was soll der Scheiß.“ brüllte Alf, aber reichte dem Polizisten das Geld.

„Von jedem. Vier Leute sitzen im Auto. Alle vier müssen zahlen, wenn das Auto zu schnell ist.“

Die Schimpftirade die Alf diesmal losließ überstieg die audioelle Auffassungsgabe, seiner Passagiere im Fond des Wagens. Er zählte Geld ab und runzelte dann die Stirn. Das Geld reichte nicht. Panisch suchte er weiter das Handschuhfach und seine Taschen ab, aber es kamen nur noch ein paar zerknitterte Dollarscheine und ein Bündel der wertlosen nigerianischen Währung zu Tage. Der Soldat lehnte sich weiterhin durch das Fenster und blieb ruhig. Schließlich drehte sich Alf zu den Söldnern um. Verlegen fragte er sie:

„Das tut mir wirklich schrecklich Leid. Aber könntet ihr mir 30 Dollar leihen? Ihr bekommt das Geld wieder zurück. Versprochen.“

Ihm war es sichtlich peinlich mit dieser Bitte an seine Fahrgäste heranzutreten.

Ibo machte Anstalten dem unverfrorenen Polizisten Paroli zu bieten, aber Ypsilon holte seinen Geldbeutel hervor und holte die dreißig Dollar heraus. Die Sache war zu belanglos um sich darüber aufzuregen.

Der Major hatte sich schon die 50 Dollar von Alf gekrallt und reckte nun seine Hand an der Kopfstütze des Fahrers vorbei zu Ypsilon. Der drückte ihm die Geldscheine in die Hand.

„Willst du vielleicht auch noch ein Tik-Tak? Du stinkst aus dem Maul, свинья.“ Kommentierte Ypsilon ohne erkennbare Gefühlsregung. Der Major nahm das Geld und trottete von dannen. Als der Wagen wieder anfuhr, warfen die drei Söldner einen letzten Blick auf die Truppe am Straßenrand. Sie stritten sich um das Geld, wobei ein Soldat in Sandalen, der als einziges Kleidungsstück eine kurze Sporthose trug, jedoch ein gefährlich aussehendes FN MAG um die Schultern gehängt hatte, handgreiflich wurde und sich mit dem angeblichen Major schlug.

Diese Szene wischte schließlich die letzten Zweifel der Söldner über die Zukunft Nigerias hinweg. Das ganze Land schien geradewegs auf den Abgrund zuzusteuern und niemand kam auf die Idee die Bremse zu betätigen.

Alf war ruhig geworden und steuerte den Wagen nach einigen Kilometern auf eine der wenigen unbebauten Flächen der Stadt. Auf dem Weg hatten die Söldner mit ansehen können, wie die Qualität der Straßen und Häuser immer schlechter geworden war. An die klimatisierten Marmorstein-Villen und vierspurigen Straßen auf Victoria Island erinnerte hier nichts mehr. Die Straße bestand aus zwei Fahrrinnen und die Hütten waren aus allem möglichen gebaut, nur nicht aus Stein. Alf stieg aus. Die Söldner taten es ihm gleich und zuckten zusammen, als plötzlich eine Cessna über ihre Köpfe hinwegzog und fünfzig Meter weiter auf dem unebenen Grund aufsetzte. Sie rollte aus und beschrieb einen großen Bogen, ehe sie zu ihnen hinüber rollte. Nun war klar, dass es sich bei dieser Holperbahn nicht um einen Bauplatz handelte, sondern um einen Flugplatz. Die Cessna blieb nur wenige Meter vom Landrover stehen und der schwarze Pilot sprang heraus. Er schien sich nicht um seine Maschine zu sorgen sondern ging schnurstracks in eine Hütte, deren Bemalung sie unzweifelhaft als Kneipe auswies. Die Söldner staunten immer noch über die Leistung des Piloten seine Maschine auf diesen vierhundert Metern Hindernisparcours runterzubringen, als Alf sie in eine Hütte winkte.

In der Hütte war es düster und tausend verschiedene Gerüche peinigten die Nasen der Söldner und jemand stöhnte. Als sich ihre Augen an das schlechte Licht gewöhnt hatten konnten sie ein Lumpenbündel in der Ecke ausmachen, das die seltsamen Laute ausstieß, aber Alf drängte sie weiter. Sie gingen durch die Hütte hindurch und kamen in eine Art Hinterhof, wo ein weißhaariger Mann auf sie wartete.

„Eure Lieferung ist schon seit vier Tagen hier. Da drüben. Er deutete auf eine große Metallkiste und verschwand wieder in einer an den Hof angrenzenden Hütte.

Ibo wischte die Sandschicht von der Kiste und brachte den Aufkleber mit der Aufschrift: Frankfurt a. Main / Germany zu Tage. Die Kiste war versiegelt, vernagelt und mit einem Vorhängeschloss versehen. Es dauerte 15 Minuten bis sie sie mit Gewaltanwendung geöffnet hatten. Phoenix hob den schweren Deckel an.

In der Kiste waren Glühbirnen. Osram Energiesparlampen 40 Watt E7. Hunderte davon, jede in der Originalverpackung. Die Söldner arbeiteten stumm und langsam. Sie hoben die Glühbirnen heraus und stapelten sie auf dem Boden des Hofes. Nach der zehnten Schicht stießen sie auf einen Zwischenboden aus Pressspan. Ypsilon schlug einfach zwei Löcher hinein, in die er seine Hände steckte und riss schließlich das Brett heraus. Nach dem obligatorischen Schulterblick hoben sie die Schießeisen heraus.

Ibo schnappte sich seinen M4A1 Karabiner und seine Five-Seven. Die Pistole war geladen und drei Ersatzmagazine waren mit Klebestreifen an ihr befestigt. Er steckte die Waffe in seinen Gürtel und die Magazine in die Hosentaschen. Dann widmete er sich seinem verkürzten Sturmgewehr, in dessen Verschlussstück die Sandkörnchen knirschten als Ibo ihn testete.

Phoenix beugte sich über die Kiste. Etwas verdutzt hob er ein M16A4 heraus. Keine Sniper für ihn? Wahrscheinlich hatte Hieb so schnell nichts Brauchbares auftreiben können. Seit dem Zerfall der Sowjetunion war der Markt zwar überlaufen von billigen und zuverlässigen russischen Waffen, aber die Dragunov-Präzisionsgewehre waren das erste gewesen, was Ende der neunziger Jahre wieder knapp geworden war. Phoenix würde das Beste aus der Situation machen, wenigstens hatte Hieb jede Menge Zubehör eingepackt. Darunter ein gutes Zielvisier, das Phoenix schnellstens anbringen würde. Außerdem hatte er zwei Pistolen. Eine belgische Five-Seven und eine 357. Sig Sauer. Zwei seiner favorisierten Modelle.

Ypsilon hatte seine österreichische Glock Pistole samt Zubehör schon gegriffen und sah nach, was Hieb oder Barl sonst noch für ihn eingepackt hatten. Da niemand Anspruch auf das AK-74 erhob nahm er es an sich. Keine der chinesischen Nachbauten sondern das russische Modell. Allem Anschein nach fabrikneu. Das lackierte Holz des Griffs und des Handschutzes glänzte rötlich und aus dem Lauf waren nach Ypsilons Meinung noch keine 50 Schuss abgefeuert worden. In der Kiste lag noch allerlei Zubehör, dass Ypsilon sofort anbrachte. Dabei handelte es sich um einen 6GD5-Granatwerfer der unter dem Lauf angebracht wurde, ein Bajonett sowie ein Laserzielhilfe. Ganz unten lag auch noch ein NSPU-3 Nachtsichtaufsatz, den Ypsilon jedoch nicht anbrachte, da er ungefähr so lang wie sein Unterarm und dementsprechend unhandlich war.

Die drei Söldner hängten sich die Gewehre über die Schulter und verstauten das restliche Material aus der Kiste in einer mitgebrachten Sporttasche, dann ging es wieder durch die Hütte nach draußen. Alf stand schon im Türrahmen und redete mit Hoe. Zwei Kinder saßen nun in der Hütte. Aus dem Lumpenbündel in der Ecke schaute nun ein schwarzer Frauenkopf mit weißen Augen und Zähnen. Eine Fliege lief über das Augenlied, aber sie reagierte gar nicht. Als die Söldner endlich ins Freie kamen, folgte ihnen das Stöhnen.

Phoenix drehte den Kopf und fragte Hoe: „Was hat sie?“

„Das ist meine Frau. Sie hat die Krankheit.“

„Welche Krankheit?“

„Das Virus. Ich war schon bei so vielen Medizinmännern, aber sie können ihr nicht mehr helfen.”

Phoenix ging nach draußen ohne sich umzusehen.

Alf hatte zugehört und teilte den Söldnern außerhalb von Hoes Hörweite mit: „Sie hat AIDS und wird sterben. Die Leute in den Armenvierteln verstehen das nicht. Sie benutzen keine Kondome und haben allerlei Aberglauben im Kopf, wenn es um das Virus geht. Hoe ist selbst wahrscheinlich auch HIV-Positiv. Genau wie die meisten ihrer Kinder. Ich möchte wirklich nicht genau wissen, wie weit sich AIDS in Lagos schon ausgebreitet hat. Aber die offiziellen Zahlen sind wohl sehr optimistische Schätzungen. Sex ist hier wie russisches Roulett. Du weißt nie ob eine Kugel in der Kammer ist. Und die Chancen sind wohl fifty-fifty.“

Hätten die Söldner das noch nicht aus der Broschüre des Auswärtigen Amtes gewusst, die jeder Nigeriabesucher freundlicherweise umsonst erhielt, wäre mit dieser Feststellung Alfs wohl ein weiterer Programmpunkt auf der „Land und Leute Kennenlern-Liste“ der Söldner gestrichen worden.

Sie legten die Gewehre in den Kofferraum und setzten sich in den Fond. Der Pilot der Cessna war mit fünf anderen Männern zurückgekehrt. Sie entluden das Flugzeug. Sie konnten sich täuschen, aber das was sie ausluden, sah aus wie Stoßzähne. Elfenbein.

Ibo öffnete die Tür. Es wäre wohl zu einem Zusammenstoß zwischen dem jungen Söldnern und den Tierteilehändlern gekommen, wenn nicht in diesem Moment das Autotelefon geklingelt hätte. Alf nahm ab. Er hörte konzentriert zu und stellte immer wieder Fragen.

Renard war aufgetaucht. Sie sollten ihn am Flughafen abholen. Keine zwei Sekunden nach dem Anruf fuhren sie schon wieder auf die Straße. Alf fluchte:

„City Avenue. Da ist er. Verdammt noch mal, es gibt in der verdammten Stadt ungefähr 200 Straßen die City Avenue heißen! Aber ich glaub ich weiß ungefähr wo wir hin müssen.“

„Wo sind wir eigentlich? Ich hab völlig die Orientierung verloren.“ meldete sich Ypsilon von hinten.

Alf deutete auf das Meer, dass zwischen ein paar Lagerschuppen hindurch zu sehen war. „Da drüben ist Victoria Island.“

Ypsilon sah das Villenviertel. „Was? Das ist doch nicht mal ein Kilometer! Wir sind doch fast eine Stunde gefahren?“

„Willkommen in Afrika, weißer Mann.“ Alf lachte laut auf und schien sich köstlich zu amüsieren, während Ypsilon einige Unfreundlichkeiten auf Russisch zum Besten gab. Sie kamen wieder auf eine größere Straße. Auf der holprigen Fahrbahn wälzten sich fünf-, manchmal sogar achtspurig Autos dicht gedrängt im Abgasnebel. Einem Lastwagen neben ihnen hatte der Rost große Teile des Führerhauses weggefressen, der Fahrer saß im Freien. Plötzlich vollführte ein Taxi vor ihnen schlenkernde Lenkbewegungen, ehe ein Hinterreifen einfach abbrach. Alf reagierte gerade noch rechtzeitig und wich aus. Er schrammte das Taxi und fuhr einfach weiter, als ob nichts gewesen wäre. Der Verkehr wurde immer dichter.

„Macht die Fenster zu!“ kam der gebellte Befehl nach hinten.

Die Söldner widersprachen nicht lange, sondern taten wie ihnen befohlen. Und da waren sie schon. Kinderhände, Dutzende von ihnen, die gegen die Scheiben klopften und bettelten. Alf hupte und fuhr weiter. Die Straße war bevölkert von kleinen Kindern, Blinden, Verkrüppelten und Händlern, die sich geschickt zwischen den fahrenden Stahlkarossen bewegten.

Am Straßenrand brannten Autoreifen. Abfallhalden türmten sich bis zum Himmel, dazwischen die Holzhütten und Häuserruinen, an deren Wänden Moos und Farn wuchsen. Die Söldner hatten vorher am Flugfeld schon gedacht, sie wären im Slum von Lagos gewesen, jetzt wussten sie, dass es sich dabei um das Mittelschichtwohngebiet gehandelt hatte. Hier waren sie im Slum.

Die Autokarawane kam nie zum Stehen oder wurden langsamer als zehn Meilen, denn das war der Moment, in dem bewaffnete Jugendbanden von Auto zu Auto liefen, die Scheiben einschlugen und die Insassen ausraubten.

„Ein Stau ist in Lagos lebensgefährlich.“ erklärte Alf dazu „und wir haben eigentlich immer Stau.“

„Und ich hatte gedacht Hieb übertreibt.“ murmelte Phoe und versank in den weichen Sitzen, mit der Hand vorsichtig nach der Pistole in seiner Tasche fühlend.

„Es dauert wohl einen Tag, wenn ihr Lagos einmal von einem Ende bis zum anderen durchfahren wollt. Ich hab gehört, ihr baut in Deutschland Autos die 250 Kilometer in der Stunde fahren. Für was braucht ihr die?“

„Bei uns fahren nicht so viele Autos auf den Straßen. Wir haben mehr Platz.“ antwortete Phoenix. Es war ihm zu kompliziert etwas über deutsche Autobahnen, den ADAC oder Überholspuren zu erzählen.

Zwei Staustunden später, erreichten sie das Flugfeld neben der City Avenue. Oder besser gesagt, Alf sagte es ihnen, denn die Söldner hatten kein einziges Straßenschild gesehen. Das Flugfeld stand mitten im Slum. Oder besser gesagt, das Slum hatte sich um das Flugfeld herum gebildet. Kaum das sie stehen geblieben waren, scharten sich Bettler um sie herum. Alf vertrieb sie und erst dann wagten sich die Söldner auszusteigen. Die Kinderhorden waren nur einen Steinwurf entfernt stehen geblieben und standen auf dem Sprung. Unter einem Vordach aus einer Plastikplane dösten ein paar junge Männer. Alf winkte einen von ihnen herbei und drückte ihm 1000 CFA Frances in die Hand. Wenn das Auto noch dastand, wenn sie zurückkamen, würde er viermal so viel bekommen. Die Söldner dachten wehmütig an die teuren Gewehre im Kofferraum und stolperten hinter Alf her. Es ging mitten durch ein paar Hütten. Die Hauptabfertigungshalle befand sich neben einem riesigen Müllberg, auf dem Frauen mit Kindern in den Tragetüchern nach Metall und verwertbaren Teilen suchten.

„Ich wäre euch dankbar, wenn einer von euch hier draußen bleiben würde und ein Auge auf das Auto wirft. Ich traue den Kerlen nicht.“

Ibo meldete sich freiwillig und die drei anderen verschwanden in der Hütte. Ibo drehte sich um und sah zum weißen Landrover. Der Mann, der es bewachen sollte hatte sich zwei Freunde geholt, die die Gesichter gegen die Scheibe drückten und anscheinend gerade berieten, was die Karre wohl ein paar Meter weiter beim Schwarzmarkthändler einbringen würde. Ein Kind, das sich etwas zu weit vorwagte wurde mit einem Fußtritt weggescheucht. Ibo drehte sich um rümpfte die Nase vom Gestank, der aus den Hütten drang. Neben einer Hütte war ein offener Abwasserkanal, in dem knöcheltief die Scheiße und Pisse stand. Ein zerfetzter Schuh schwamm herum und trieb langsam Richtung Abfallhalde, wo das Rinnsal endete. Ibos Blick folgte dem Schuh vor ihm und blieb ein paar Schritt weiter an etwas Seltsamem hängen.

Seine Augen weiteten sich vor Unglauben. Da schwamm ein totes Baby.

Entsetzt und abgestoßen wandte er sich ab. Er war Söldner, ans Töten gewöhnt und sicherlich nicht zimperlich. Aber so etwas musste er nicht sehen. Das war einfach zu viel.

Obwohl er nicht wollte drehte er sich wieder um, in der Hoffnung, nicht richtig gesehen zu haben. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Es war ein totes Baby, vielleicht einen Monat alt. Den Leib bis zur Unkenntlichkeit aufgedunsen von der langen Zeit, die es schon in dieser Brühe lag. Sah es denn niemand? Die Leute liefen nur einen Meter daran vorbei, sie mussten es sehen! Sie konnten das arme Ding gar nicht übersehen!

Ein Hund lief zwischen Ibos Beinen hindurch, die Nase immer auf dem Boden. Er hielt auch kurz bei dem toten Säugling, roch daran und streunte weiter. Ibo merkte, wie etwas aus seinem Magen nach oben kam. Er drehte sich um, würgte, konnte sich aber nicht erbrechen. Ein alter Mann mit einer abgenagten Pfeife im Mundwinkel sah ihn komisch an. Ibo riss sich zusammen. Sah in die andere Richtung. Zum Wagen, weg von der Müllhalde und ihrem Inhalt.


Die Söldner gelangten in die Abfertigungshalle. Diese war ein bisschen größer, als das Flugfeld, auf dem sie vorher waren. Keine Spur von Renard. Sie hatten alle ein Foto von ihm gesehen. Mehrere sogar, sie würden ihn wiedererkennen.

„Ich frag mal da hinten nach, bitte geht nicht so weit weg.“ Alf schritt ans andere Ende der Halle.

„Ich geh mal nach draußen. Hier riechts mir ein bisschen streng.“ antwortet Phoenix und drehte sich um. Ypsilon folgte ihm. Die Halle war eigentlich ein Hangar und das große Tor stand weit offen. Sie traten auf den Beton des Flugfeldes. Drei, vier Flugzeuge standen herum, brüteten in der Hitze. Alle älteren Datums. Am Ende des Feldes stand einer jener unverwüstlichen Sikorsky Hubschraubern, die man rund um die Welt antraf. Ein flachsblonder Overallträger schleppte gerade ein Kiste Bier zu dem Hubschrauber.

Die Söldner waren erstaunt und gleichzeitig erfreut ein weißes Gesicht hier zu sehen. Sie schlenderten wie zufällig zu dem Sikorsky. Der Weiße hatte die Kiste hinten verstaut und kam um den Helikopter herum. Er trug einen olivefarbenen Fliegeranzug. Auf seiner linken Schulter prangte ein Abzeichen. Ein Kreuz, dessen Querbalken von zwei Adlerschwingen, den Längsbalken aus dem Propeller eines Flugzeuges gebildet wurde. Das Abzeichen der russischen Luftwaffe. Der Flieger mit slawischen Gesichtszügen sah die beiden Männer vor ihm an. Er kniff die Augen zusammen, hakte seine Daumen im Gürtel ein und blieb betont lässig stehen. Aber es gelang ihm nicht richtig. Seine Körperhaltung drückte äußerste Angespanntheit und Reserviertheit aus.

„Hallo.“ Phoenix ließ seinen Blick über den Hubschreiber schweifen und dann wieder zu dem Piloten. „Ist das Ihre Maschine? Schönes Stück. Sind Sie der Pilot?“

„Co-Pilot. Würden Sie bitte von der Tür weggehen.“ er drängte Phoenix zur Seite und kletterte in das Cockpit.

„Nicht sehr gesprächig, der kleine Bengel.“ kommentierte Phoenix. Dabei fiel sein Blick auf die Seite des Hubschraubers. MMEA. Irgendwo hatte er das schon einmal gelesen. Ihm fiel nur nicht mehr ein wann und wo.

Alf kam aus dem Hangar und winkte sie zu sich.

„Einer von der Putzkolonne hat mir gesagt ein Weißer und ein Mann, der wie Renard aussah, haben eine Botschaft für uns hinterlassen. Renard sei auf dem Oshodi-Markt in der Hütte eines Töpfe- und Pfannenhändlers. Der Markt ist gleich nebenan. Ich hab da mal einen Kassettenrekorder gekauft.“ Und schon lief er los. Die zwei Söldner folgten ihm zum Wagen, wo Alf den Männern noch einmal 1000 CTA Frances gab, damit sie noch ein halbe Stunde auf den Wagen aufpassten. Ibo trottete hinterher. Er war seltsam still und wirkte abwesend.

Der Markt war ein riesiges Holzhüttenmeer, in dem es keine einzige asphaltierte Straße gab. Die schweren Lastwägen und Busse, die trotzdem dort fuhren, hatten metertiefe Senken in den weichen Boden gefahren. Überall waren Tümpel, in denen nackte Kinder spielten und in denen es Milliarden Viren, Bakterien und Moskito-Eiern gab. Es stank nach Verwesung und Kot.

Die Söldner folgten einfach Alf und wichen dem Unrat auf der Straße aus. Plötzlich brach Lärm los. Die Söldner zuckten zusammen und griffen zu den Waffen, aber es war nur eine Horde Kinder, die einen Stand überfallen hatten und mit ihrer Beute, Äpfeln, durch die Menge stürmten. Einige Zuschauer schimpften, einige lachten und der Markthändler rannte den Kindern fluchend hinterher. Eines der Kinder sprang in die Straße hinunter, die sich hier wirklich zwei Meter tief in den Boden gegraben hatte und rannte zwischen Ypsilons Beinen hindurch. Der Markthändler sprang hinterher und mitten in Ypsilon hinein. Leider war er bisschen zu groß um zwischen Ypsilons Beinen hindurchzuschlüpfen und ein bisschen zu klein um ihn umzurennen. Er pralle an dem Riesen ab und landete, von seiner eigenen Wucht getragen, in einer jener unhygienischen Bakterienbrutpfützen. Ypsilon konnte nichts dafür, der Mann war ihm reingerannt. Das war diesem jedoch egal und er überschüttet ihn mit einer Schimpftirade, von der der schweigsame Russe Gott sei dank kein Wort verstand.

Alf zerrte sie weiter und hatte plötzlich einen weißhaarigen Mann im Schlepptau, der aussah, als hätte er die achtzig Jahre schon lange überschritten. Die beiden schienen sich zu kennen und der Alte sprach sehr gut Englisch. Er übernahm den Part des Fremdenführers. „Hier beklaut jeder jeden. Die nichts haben werden von denen bestohlen die noch weniger haben. Vor ein paar Tagen hat man zwei Diebe erwischt. Das Urteil wurde schnell gefällt. Man hat ihnen Autoreifen über den Hals gestülpt und sie einfach angezündet. Wenn ihr wollt, könnt ihr ihre Überreste sehen. Sie liegen nur ein paar Meter weiter. Ihr könnt Fotos machen. Nur einen Dollar. Wollt ihr?“

Die Söldner wollten nicht. Sie wollten schnellstens wieder verschwinden. Alf schüttelte den Mann ab und erzählte den Söldnern was hier vor sich ging.

„Der Markt wird von den Yoruba-Milizen kontrolliert. Das ist die größte Volksgruppe hier im Land. Jeder auf dem Markt muss Schutzgeld zahlen. Sonst geht es ihnen wie den beiden Dieben. Und nicht nur hier auf dem Markt. Überall in der Stadt. Die Polizei tut nichts dagegen. Die Yoruba-Gang ist zu mächtig. Es gibt aber noch andere. Die Haussa und Ibo. Das sind die anderen zwei wichtigen ethnischen Volksgruppen hier im Staat. Ich bin ein auch ein Ibo.“ Alf schlug sich dabei mit der Hand auf die geschwellte Brust.

Nationalstolz auf einem Kontinent, dem man das nicht zutrauen würde. Ibo kannte sich etwas aus. Hauptsächlich weil er in einem Artikel über Nigeria auf die seltsame Namensgleichheit zwischen dem Volk der Ibo und seinem eigenen Namen gestoßen war. Die Ibo lebten im Südosten. Berühmt geworden waren sie durch den sogenannten Biafra-Krieg, der es in den sechziger Jahren sogar bis auf die Fernseher und in die Zeitungen Westeuropas geschafft hatte. Die Ibo, schon immer ein stolzes Volk, wollten sich unabhängig erklären. Wobei die riesigen Ölfunde auf ihrem Land nicht unbedingt eine unwichtige Rolle gespielt hatten. Aber sie verloren den Krieg und mit ihm das Land Hunderttausende von Menschenleben. Nur eine Episode in der dunklen Geschichte Afrikas, auch wenn sie etwas länger im Bewusstsein blieb als ähnlich verlustreiche Bürgerkriege.

„Die ethnischen Milizen kontrollieren fast ganz Lagos und viele andere Städte in Nigeria. Der Gouverneur von Lagos hat sogar schon vorgeschlagen die brutale Yoruba-Truppe als Sicherheitsdienst für die Stadt zu engagieren. Aber die Regierung konnte das Gott sei dank verhindern, sonst wäre man hier in der Stadt als Ibo oder Haussa seines Lebens nicht mehr sicher. Schon jetzt gibt es Kämpfe mit Hunderten von Toten. Nicht nur auf dem Land, auch hier in der Stadt!“

Alf verstand es wirklich die Söldner aufzumuntern. Wie bestellt lungerten an einer Bude in der Fladenbrote gegrillt wurden, mehrere Kerle herum die ihren schwarzen Brüdern aus der Bronx aufs Haar glichen. Sie trugen dieselben weiten Hosen und Basketballshirts, die die Söldner aus den zahlreichen Rappervideos von MTV kannten. Jeder hatte soviel Gold um den Hals und den Handgelenken, dass der arme Fladenbrotgrillkoch vom reinen Goldwert des Schmuckes seine eigene „Gegrilltes Fladenbrot Schnellrestaurantkette“ hätte eröffnen können. Das einzige was die Burschen hier in Lagos von ihren Pedanten aus den Videoclips unterschied, waren die Kalaschnikows und G3-Gewehre, die neben ihnen lehnten.

Die Söldner schälten sich so unauffällig wie möglich vorbei. Alf lotste sie zwischen den Ständen hindurch. Die Stiefel der Söldner blieben knöcheltief im Matsch stecken und es roch sehr stark nach Scheiße.

„Hier sind wir, das ist der Laden von Bob Doherty. Hier kriegt ihr die besten Töpfe von ganz Lagos.“

Durch einen verschlissenen Vorhang traten sie von hinten in die Bude. Sie war erstaunlich groß. Drei Männer saßen auf Schemeln zwischen Pfannen, Töpfen, Tigeln und Schalen. Die meisten waren aus Verkehrschildern gemacht.

Einer der Männer war alt und hatte weißes Haar und trug ein langes wallendes Gewand. Ein Baby saß auf seinem Schoß und wurde von ihm mit in Milch getauchten Weißbrotstücken gefüttert. Der auffälligste Mann war ein Weißer Anfang dreißig, der ein weißes Hemd trug, unter dessen Achseln sich große Schweißflecken befanden. Er war sichtlich nervös, wischte sich immer wieder über die Augen und hielt das Gelände vor der Bude im Auge. Der dritte Mann, war ruhiger, hatte einen ungepflegten Bart und trug einen zerschlissenen Anzug, der an mehr als einer Stelle geflickt werden musste. Es war eindeutig Maurice Renard. Der ältere Mann sah zu ihnen auf.

„Ich glaube das ist der junge Adolphus Diffa.“ Er hielt den Kopf schräg. „Bist du hier um endlich meine Tochter zu heiraten? Ich habe immer noch den Verdacht, dass ihr zweites Kind von dir ist. Aber ich sehe, du hast Freunde mitgebracht.“

Der Weiße schreckte auf, als er die Söldner sah, sprang auf und richtete ein Messer auf Phoenix Brust.

„Wer seid ihr? Schickt euch Barringer?“

„Nimm das Messer von meiner Nase weg, sonst nehm ich’s dir ab.“ Antwortete Phoenix und sah zu Renard.

„Sind das Freunde, Alf?“

„Ja Mister Renard. Ihr Fräulein Schwester hat sie engagiert. Wir bringen Sie sicher nach Hause.“

„Ich bin froh das zu hören, aber ich weiß nicht, ob wir dort sicher sind. Diejenigen die mich entführt haben, sind hinter mir her. Wir haben gesehen, wie ein Hubschrauber von ihnen auf dem Flughafen gelandet ist. Sie suchen wohl hier in der Gegend nach uns. Wir müssen uns beeilen. Sie dürfen uns nicht hier bei Ben finden.“

„Du weißt Maurice, dass meine Hütte auch deine Hütte ist. Du hast viel für mich und meine Familie getan und du tust noch mehr für Afrika. Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Hilfe wie jetzt brauchst.“ Das Baby verschluckte sich an einer Brotkruste und begann zu husten. Ben legte es auf den Bauch und klopfte ihm auf den Rücken. Das Kleinkind spuckte das Brotstück aus und begann zu weinen. Ibo musste unwillkürlich an den toten Säugling denken, den er gesehen hatte, schob den Gedanken aber schnell wieder beiseite und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Sie hatten Maurice Renard gefunden. Er würde in wenigen Stunden wieder im Kreise seiner Liebsten sitzen. Aber sie hatten nichts dazu beigetragen. Renard war selbst aus den Händen seiner Entführer entkommen. Er und die anderen Söldner kamen sich ein bisschen überflüssig vor, als sie aus der Hütte traten. Renard schien es eilig zu haben, von hier wegzukommen. Die Söldner konnten es durchaus verstehen. Es war heiß. Die Sonne brannte senkrecht auf das Hüttenmeer hinab. Wenigstens war alles schön bunt. Die zu Verkaufsständen mit integrierter Wohnung umgebauten VW-Buse waren in den grellsten Farben lackiert und die Frauen trugen hellrote und grüne Wallgewänder. Phoenix war fast versucht einen Blick auf das reichhaltige Angebot an CDs zu werfen, das die Händler an ihren Ständen ausgebreitet hatten. Hier war zwar garantiert nichts original, aber sicherlich wesentlich billiger als in Westeuropa. Aber mit schnellen Schritten gingen sie durch das Gedrängel. Sie waren begierig zu erfahren, wie Renard fliehen konnte und wer der Weiße bei ihm war.

Ihre kleine Gruppe zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Vier Weiße waren schließlich nichts Alltägliches hier auf dem Markt. Sie erreichten den Rand des Marktes, wo eine Teerstraße begann. Auf der anderen Seite befand sich hinter einem Zaun das Flugfeld, wo ihr Wagen stand. Von den Müllhaufen dort, oder vielleicht von noch weiter dahinter, blies ein leichter Wind Verwesungsgeruch herüber. Eine junge Frau, die ihr Baby in einem grünen Tragetuch auf den Schultern trug, sah die Gruppe Weißer aus großen Augen an. Ein klappriger Laster verließ den Markt und die in den Boden gegrabene Fahrrinne, und bog auf die Teerstraße ein. Als er die Sichtlinie wieder freigab, war die Frau verschwunden. An ihrer Stelle stand ein Soldat in Tarngrün und einem braunen Barett. In den Händen ein FN-FAL Gewehr. Ypsilon sah ihn als erster und blieb stehen. Sein Blick glitt über den Bewaffneten, 50 Meter entfernt, hinweg und über die Köpfe der Marktbesucher. Sofort erfasste er mit seinen scharfen Augen einen zweiten Uniformierten auf einem kleinen Parkplatz am Rand der Straße, der dort mit einem Parkplatzwächter redete. Er hatte ein ungutes Gefühl, ging aber weiter. Plötzlich stieß der unbekannte Weiße, die Söldner wussten nicht, dass es sich um Alexander Smith handelte, einen Fluch aus. „Scheißdreck. Das ist einer von Courtlands Leuten! Wir müssen uns verstecken.“ Er drehte sich abrupt um und rannte weg. Das hätte er besser nicht getan. Denn nun wurde der Soldat auf sie aufmerksam und begann die Straße zu überqueren. Die Söldner hatten nicht lange Zeit zu überlegen, was sie tun sollten. Renard nahm ihnen die Entscheidung ab, indem er hinter Smith herrannte. Der Soldat, vielleicht noch dreißig Meter entfernt schrie „Stop!“ und legte das Gewehr an.

„Deckung!“ brüllte Phoenix und sprang, entgegen besserer Einsicht in die Schusslinie. Ibo und Ypsilon stoben nach rechts und links. Den Feind verwirren, ihn überlegen lassen, auf wen er schießen sollte. Der Söldner der Sierra Mining Cooperation zögerte einen Moment zu lange.

Er hatte einen unbekannten Weißen im Schussfeld, aber er sollte doch Renard töten! Dies war sein letzter Gedanke, als zwei Kugeln vom Kaliber 9mm in seine Brust einschlugen. Er torkelte zurück und drückte ab. Aber die Kugel ging in die Luft. Ibo legte die Five-Seven auf ihn an. Drei mal zuckte sein Zeigefinder, dann fiel der Getroffene endlich auf den Rücken. Aber er lebte immer noch. Ypsilon stürmte vor, rannte auf den am Boden Liegenden zu, blieb drei Meter vor ihm stehen und richtete die Glock 18 mit beiden Händen auf seinen Kopf. Der Uniformierte wollte mit letzter Kraft sein Gewehr heben, konnte aber die Bewegung nicht mehr ausführen. Eine einzelne Kugel aus Ypsilons Waffe drang in der Mitte seiner Stirn ein und ließ seinen Hinterkopf aufplatzen. Die Menge stand nur einige Sekunden unter Schock. Dann wurde rings um sie herum ein Geschrei angestimmt. Die Frauen kreischten und rannten mit wehenden Rocken davon, die Händler sahen auf die Söldner mit den Waffen in der Hand und packten hektisch ihre Waren ein, während sie Schimpftiraden anstimmten. Ein kleiner Junger schrie nach seiner Mutter. Überall war Bewegung. Alle rannten durcheinander.

Phoenix stand mitten in diesem Gewimmel, wie Ibo eine FN Five-Seven in der Hand, und wirkte leicht abwesend. Er sah auf den toten Soldaten, dem er lebensmüde vor den Lauf gesprungen war um Renard zu schützen. Wo war Renard? Er war zwischen den Hütten verschwunden. Alf stand noch da.

„Alf! Renn zum Wagen, hol ihn her. Ypsilon geht mit! Wir holen Renard!“

Mit diesen Worten gab er Ibo ein Zeichen ihm zu Folgen. Sie sprangen durch den Matsch und zwischen der Bude eines Gemüsehändlers und eines Wunderheilers hindurch.

Ypsilon kauerte neben dem Soldaten, den er eben exekutiert hatte, und versuchte Alf über das allgemeine Chaos klarzumachen, er solle über die Straße zum Flugfeld laufen, während er gleichzeitig nach dem zweiten Soldaten Ausschau hielt, der gerade noch auf dem Parkplatz gestanden hatte.

Er hatte die Schüsse gehört und kam gerade die Straße hinaufgerannt und suchte seinen Kollegen. Den konnte er nicht sehen, weil er auf dem Boden lag und um ihn herum zahlreiche Autos standen, deren Besitzer entweder aufgebracht hupten oder das Weite gesucht hatten und jetzt aus sicherer Entfernung beobachteten. Endlich setzte sich Alf in Bewegung und überquerte die Straße. Ypsilon lief geduckt zwischen den Autos hindurch und dann durch die Menge am Rand der Straße, die vorsichtig zurückwich.

Smith rannte so schnell er konnte. Sie hatten ihn gefunden. Der Mann in der Uniform war einer von Lawrence Courtlands Leuten. Courtland war von Barringer geschickt worden Renard zu töten. Er hatte Renard befreit. Er hatte Courtland betrogen. Er hatte Barringer betrogen. Er war ein Verräter. Sie würden ihn töten. Courtland würde ihn töten. Er musste laufen. Er musste weg von hier. Er wollte zurück nach New York zu seiner Frau und dem kleinen Alex. Worin hatte er sich nur verwickeln lassen? Diese Leute hatten Gewehre und Pistolen, sie töteten Menschen. Das war nicht sein Leben. Er war ein Bürohengst, er wollte damit nichts zu tun haben.

Eine Reihe Hütte waren zu einem Quadrat angeordnet. Die offenen Fronten nach außen gekehrt. In diesem so gebildeten Hof türmte sich Müll und lagerten die Händler ihre Ware. Smith hoffte dort Schutz zu finden.

Ein Korb kam ihm in den Weg. Smith stolperte darüber und landete auf Händen und Knien.

„Hallo Mister Smith. Schön Sie zu sehen. Sie haben sich gar nicht verabschiedet, als sie uns gestern Nacht verlassen haben.“

Smith hob mit vor Schrecken geweiteten Augen den Kopf. Schwarze Stiefel, eine gefleckte Tarnhose, ein Pistolenholster, eine Tarnjacke im gleichen Muster und zwei kalte, dunkle Augen. Smith sah Courtland zum ersten Mal direkt ins Gesicht ohne seinem Blick auszuweichen. Braungebrannt war es und wie Leder. Zwei lange, tiefe Falten liefen von der Nase zu den beiden Mundwinkeln. Die Augenbrauen waren schmal und wie mit dem Lineal gezogen. Seine Haare waren dunkelgrau und nach hinten gekämmt, was die tiefgefurchte Stirn höher erscheinen ließ und ihm zusammen mit seinen eisenfarbenen Augen etwas inquisitorartiges verlieh.

„Wo ist Renard?“

Smith zitterte und war unfähig zu antworten.

„Renard. Wo ist er?“ und dann in schärferen Tonfall. „Antworten Sie mir!“

Ein Tritt von den schweren Stiefeln nahm Smith den Atem und ließ ihn zusammen krümmen.

„Sie verdammter Idiot. Sie haben einen riesigen Fehler gemacht. Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass Sie entkommen können? Sagen Sie mir jetzt wo Renard ist.“ Courtland bückte sich zu Smith nach unten. Der schloss die Augen. Plötzlich spürte er kalten Stahl an seiner Schläfe. „Ich drücke ab. Wo ist Renard. Ist er hier?“

„Captain!“

Courtland hob den Kopf. Thomas Highfield, ehemals Sergeant First Class der britischen Armee, kam zwischen den Hütten hindurch. Einen Gefangenen vor sich her schiebend. Es war Renard.

„Gut gemacht Sergeant. Dann hätten wir die ganze Party ja beisammen.“ Er blickte sich um. Keine Menschenseele war zu sehen. Sie waren von den Rückwänden der Buden umgeben. Hier war so etwas wie der Hinterhof der Marktleute. Wäsche hing an Leinen und eine angebundene Ziege kaute auf den Graßhalmen herum, die neben der öffentlichen Latrine hervorragend wuchsen.

„Fesseln Sie seine Hände und verbinden Sie ihm die Augen.“ sagte Courtland und Highfield beeilte sich seinen Befehl zu befolgen. Er zwang Renard in die Knie und hänge sich sein FAL-Gewehr um die Schulter um beide Hände frei zu haben. Renards Handgelenke wurden von einem Leinenstrick zusammengezurrt und ein Halstuch um seine Augen gebunden.

„Gut. Smith?“ Courtland drehte sich zu dem am Boden liegenden um. „Einen bekannten Journalisten hier zu erschießen könnte Unannehmlichkeiten bereiten. Was leider nicht für Sie gilt. Sie armer Tourist, der versehentlich in einem bösen Viertel ausgestiegen ist. Sagen Sie Ade.“ Er hob die Pistole und richtete sie auf Smiths Schläfe.

„Hey Men!“

Ein schwarzer Bursche in Adidas Sporthosen und einem T-Shirt sprang zwischen zwei Buden heraus und hatte ein G-3 Automatikgewehr im Anschlag. Er schrie auf Ludu herum und niemand verstand ein Wort. Aber das brauchte man auch nicht. Es reichte ihm ins Gesicht zu sehen. Sein Puls war wohl bei um die 180 Schläge pro Minute.

Der Hammer von Courtlands Automatik war gespannt. Er brauchte seinen Finger nur ein paar Millimeter nach hinten bewegen und Smith wäre Geschichte. Aber Courtland war ein altgedienter Soldat und vorsichtig. Der junge Bursche war offensichtlich sauer. Aus welchem Grund auch immer. Courtland konnte nicht vorhersagen, wie dieser Kerl reagieren würde, wenn er jetzt abdrückte und Smith erschoss. Das musste warten. Der Kerl mit dem Gewehr war gefährlich. Jetzt fuchtelte er mit der Waffe vor Highfields Gesicht herum und schrie ihn an. Der Wahlhebel war auf Voll-Automatik gestellt. Beide wussten, was ein Feuerstoss aus einer Waffe in Kaliber 7,62 × 51mm NATO anrichten konnte. Und wie der Bursche aussah, würde er erst wieder den Finger vom Abzug nehmen, wenn er alle seine zwanzig Kugeln verschossen hatte.

Courtland ließ seine Z88 sinken und versuchte mit dem Kerl zu verhandeln.

„Hallo, jetzt werde mal bitte wieder ruhig. Was hast du für ein Problem?“
Aber entweder verstand der Angesprochene kein Englisch oder er wollte es nicht. Er brüllte Courtland an und man brauchte kein Ludu zu sprechen um zu verstehen, dass es so was wie „Halt deine verdammte Fresse!“ heißen musste.

Plötzlich begann Renard zu sprechen. Mit ruhiger gefasster Stimme sagte er langsame Worte zu dem jungen Mann. Der sah überrascht zu dem am Boden knienden Mann und hörte zu. Renard sprach Ludu, das hatte Courtland nicht gewusst, aber er hätte es sich denken können. Es war die meistverbreitete Eingeborenensprache hier in Nigeria. Der Mann mit dem Gewehr schien ruhiger zu werden. Er antwortete Renard, schien Fragen zu stellen und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Courtland. Renard machte eine bejahende Bemerkung auf Ludu und der Bursche hob sein Gewehr in den Anschlag.

Scheiße! Was hatte Renard gesagt?! Er musste den Kerl beschwatzt haben ihm zu helfen. Die beiden hatten sich verbündet! Ging es Courtland durch den Kopf.

Der Junge, er war vielleicht siebzehn, drückte ohne Vorwarnung ab. Courtland zuckte zusammen, aber er hatte nur in die Luft geschossen. Drei oder vier Kugeln verließen den Lauf. Dann richtete er die Waffe wieder auf Courtlands Brust. Courtlands Ohren dröhnten von dem lauten Knall der Schüsse.

„Drop it down! Drop it down!“ schrie der Bursche ihn an. Courtland ließ den Berettanachbau fallen und sah aus den Augenwinkeln, wie Highfield mit der linken Hand langsam zum Kolben seines Gewehres fuhr.

In diesem Moment kamen zwei weitere Schwarze zwischen den Buden hindurch. Sie trugen weiße Trainingshosen und weite Shirts. Der eine hatte einen Colt in der goldberingten Hand, der andere trug eine chinesische Kalaschnikow. Sie waren eindeutig Mitglieder der Yoruba-Gang, die den Markt kontrollierte.

Der Junge mit dem G-3 ließ einen Wortschwall los und zeigte dabei mit der linken Hand auf Renard, der immer noch mit verbundenen Augen da kniete. Der mit der Kalaschnikow, der gleich mehrere schwere Goldketten um den Hals trug und seine Haare auf wenige Millimeter kurzrasiert hatte gab dem mit dem Colt ein Zeichen. Er trieb Highfield von Renard weg und beschimpfte ihn.

Der Boss mit der AK fuhr Courtland an.

„Was sucht ihr hier. Wer seid ihr?“

Courtland suchte nach einer guten Erklärung, ihm fiel aber gerade keine ein. „Wir suchen diesen Kerl da drüben. Er hat uns beklaut.“

„Wer ist ‚uns’?“

„Die Sierra Mining… äh die Millers Mineral Exploring Association. Wir bauen Zinn in der Nähe von Oyo ab.“

„Ich kenne die Mine. Euch gehört das Flugzeug das hier jede Woche landet und die neuen Arbeiter mitnimmt.“

„Ja, wir sind übrigens sehr glücklich, dass Sie hier sind. Wir könnten Hilfe gebrauchen diese beiden Diebe in das Flugzeug zu bringen. Sie und Ihre Männer würden reichlich belohnt werden.“

Der Yoruba-Gangster schien über das Angebot nachzudenken.

„Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle umlegen soll?“
“Wegen des Geldes. 100 Dollar? Wie klingt das?“
“Arschloch. Legst du vielleicht noch ein paar Glasperlen und Glöckchen dazu? Ich bin nicht so blöd wie ich aussehe. Ihr seid stinkreiche Weiße. Ihr holt da draußen nicht nur Zinn sondern auch Gold aus der Erde und ihr pumpt Öl aus dem Meer. Das ist euer Teil des Geschäfts, unser Teil ist die Sicherheit. Wir schützen die Leute hier vor der Armee und der Polizei. Und wir sorgen auch dafür, dass niemand von unsren Jungs oder von den Haussa und Ibos etwas vom eurem Eigentum stiehlt oder Drogen auf den Firmengeländen verkauft. So ist der Deal. So haben wir es schon immer gehalten. Ihr könnt ihn Ruhe das Land ausbeuten und wir können in Ruhe unseren Geschäften nachgehen. Im Deal war jedoch nicht mit in Begriffen, dass Ärsche wie ihr mit euren schicken Uniformen und mit Waffen in unser Gebiet kommt und Leute abknallt! Wir sind hier die Herren, ihr seid es in euren Minen! Leert eure Taschen aus und dann nehmt euren Gefangenen und…“
Highfield war vorgesprungen und hatte das Handgelenk des Kerls umklammert, der ihm sein Gewehr abnehmen wollte.

„Nein nicht Thomas!“ brüllte Courtland aber es war zu spät. Der Sergeant rammte dem Gangster sein Messer von unten in Brustkorb und warf ihn zu Boden.

Courtland fluchte und trat einen Schritt nach vorne. Sein rechter Fuß fuhr blitzschnell nach oben und die Spitze des Timberlandstiefels traf das Kinn seines Gegenübers. Der Unterkiefer des Burschen mit dem G-3 krachte hart auf den Oberkiefer und der Kopf schlug in den Nacken. Er hatte ihm Möglicherweise das Genick gebrochen, aber Courtland hatte keine Zeit sich zu vergewissern, denn der Anführer der Gang stimmte einen Kampfschrei an und riss seine AK-47 hoch. Er hatte wohl keine sehr große Kampferfahrung, denn die Waffe war nicht entsichert. Schnell bemerkte er seinen Fehler und stellte den Hebel auf Einzelschuss, aber es war zu spät für ihn. Highfield hatte den Colt seines Opfers in der Hand und seine Waffe war entsichert. Er zog das ganze siebenschüssige Magazin durch.

Courtland brauchte seine Z88 gar nicht mehr abzufeuern. Mit was er nicht gerechnet hatte war Smith. Der winselnde Wurm sprang auf und umklammerte Courtlands Beine, so dass dieser das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Highfield stürzte herbei um den lästigen Burschen endlich zu erschießen.

Ibo, der in dieser dicht bebauten Umgebung sichtlich aufblühte und sein ganzes Talent für den Häuserkampf ausleben konnte, hatte die Schüsse als erster geortet. Den Rücken gegen die Holzwand einer mobilen Garküche gedrückt, schlich er langsam vorwärts. Seine Pistole hielt er in beiden Händen und mit dem Lauf nach oben vor seinem Gesicht. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Phoenix war hinter ihm. Sie mussten jetzt ganz in der Nähe sein. Plötzlich stürmte eine gebückte Gestalt in den schmalen Durchgang zwischen den Verkaufsständen. Ibo hätte beinahe geschossen, bevor er merkte, dass der Angreifer so gebückt lief, weil seine Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren und er nicht sehen konnte. Er hielt ihn auf, warf ihn fast zu Boden. Der Gefesselte brüllte und trat um sich. Phoenix riss ihm die Binde von den Augen.

„Ruhig. Wir sind es. Wir bringen Sie sofort hier raus.“

„Gott sei gedankt. Gut… Alexander, wir müssen Alexander da raus holen.“

Phoenix schnitt ihm mit seinem scharfen Taschenmesser die Fesseln durch. Er machte ein kummervolles Gesicht. Ihr Auftrag war es Renard in Sicherheit zu bringen, nicht irgendeinen Begleiter. Aber dieser Bursche hatte Renard befreit und so würde Renard ihn nicht einfach hier zurück lassen. Phoenix entschied sich, diesen Alexander Smith mitzunehmen. Er nickte Ibo zu und schob Renard zwischen ein paar leere rostige Ölfässer.
“Bleiben Sie hier. Ducken Sie sich und…“ Phoenix riss eine alte Plane vom Dach der Hütte „und decken Sie sich damit zu.“ Renard tat wie ihm aufgetragen wurde und Phoenix folgte wieder Ibo, der das Ende des Durchgangs zwischen den beiden Hütten erreicht hatte.
Ibo machte einen beherzten Schritt zur Seite aus der Deckung.

Courtland und Smith waren in eine Keilerei am Boden verstrickt. Der hagere Brite bekam gerade den Kopf Smiths zu fassen, aber der drückte ihm einen Finger in die Nase und drei weitere in den Mund, während er kräftig daran zog.

„Verdammt, Sergeant! Helfen Sie mir vielleicht?!“ brüllte er als Smiths Hinterkopf gegen den Boden schlug. Highfield stürzte herbei und trat Smith in den Bauch.

Aber Smith ließ nicht los. Der Schmerz in seinem Bauch war riesig, aber noch mehr schmerzte sein Kopf, den Courtland immer wieder auf den Boden schlug. Aber der schwächliche New Yorker ließ nicht los. Er spürte, dass seine Finger eine verwundbare Stelle in Courtlands Gesicht gefunden hatten und er zog mit aller Gewalt daran. Blut floss über seine Hand. Courtland jaulte auf. Dann hörte er nur noch wie eine Waffe ganz knapp neben seinem Ohr entsichert wurde.

Ibo hatte das breite Kreuz Highfields im Visier und drückte ab. Das kraftvolle Projektil der Five-Seven traf die Lunge des Soldaten und blieb darin stecken. Highfield konnte nicht mehr abdrücken und Smith den Schädel wegblasen. Wie gelähmt blieb er stehen, als der dumpfe Schlag seinen Körper erschütterte. Es knisterte in seinen Ohren und ein Schmerz breitete sich über seine ganze Brust aus. Ein zweiter Schlag ließ in erzittern, ein dritter und ein vierter in kurzer Folge rissen sein Fleisch aus dem Körper und zerfetzten seine Blutgefäße. Die wertvolle rote Körperflüssigkeit drang aus mehreren Wunden seines Körpers, schoss geradezu heraus. Sein Blutdruck fiel rapide und viel zu schnell ab. Highfield wollte sich hinsetzten, bis er merkte, dass er nicht mehr stand, sondern längst mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Das war das letzte, woran er sich erinnern konnte, bevor sein Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet wurde.

Courtland sah aus einem Auge, wie sein Sergeant, den er seit fünf Jahren kannte, von mindestens vier Kugeln getroffen zu Boden fiel. Kraft und gleichzeitig Todesangst durchdrang seinen Körper bei diesem Anblick und er packte Smiths Kopf mit beiden Händen und schlug ihn brachial auf den Boden. Unglücklicherweise kam ein Stein zwischen dem Erdboden und der Schädeldecke zu liegen und Smith hatte plötzlich das Gefühl sein Kopf würde gespalten. Dann wurde es Nacht um ihn.

Phoenix hatte seine schwere Sig Sauer P229 aus dem Holster gezogen und Courtlands Brust im Visier. Er wollte eben abdrücken als hinter ihnen Geschrei losbrach.

Die Yoruba hatte vor nicht einer Woche eine schwere Auseinandersetzung mit den Haussa gehabt. Es war um den Verkauf gestohlener Autos gegangen. Es hatte über fünfzig Tote auf beiden Seiten gegeben. Seitdem hatten die Yoruba eine ständige Präsenz von mehreren Dutzend Bewaffneten auf dem Oshidi-Markt und dem angrenzenden Flugfeld, über den 50% des Rauschgiftschmuggels für Lagos abgewickelt wurden.

Als die ersten Schüsse ertönten, waren zwei der Mitglieder der ethnischen Yoruba-Miliz zur Quelle des Lärms gegangen. Als weitere Schüsse ertönten, stürmte nun eine ganze Meute Bewaffneter herbei.

Phoenix sah, besser gesagt spürte, in letzter Minute den von hinten anstürmenden Schwarzen, der eine Machete schwang, mit der er wohl Ibos und seinen Kopf in kleine Stücke hacken wollte.

Drei .357 Vollmantelgeschosse belehrten ihn eines besseren.

Courtland nutzte die Pause und rollte sich in Sicherheit. Die Kugel aus Ibos Pistole traf nur den Boden, auf dem der Brite eben noch neben Smith gelegen hatte.

Phoenix stürmte vor und bückte sich im Laufen um die AK-47, die bis vor zwei Minuten noch zu dem Besitz eines Yoruba-Gangleaders gehört hatte, aufzuheben. Der junge B&HMP Söldner ließ sich neben dem erschlafften Körper Smiths fallen und fühlte mit seiner linken Hand nach dessen Puls. Sie waren im Kampfgebiet. Mitten auf einer künstlichen Lichtung zwischen den Gebäuden, ohne Schutz und Deckung. So mussten sich die Ranger 1994 in Mogadischu gefühlt haben. Ein Kampfschrei ertönte aus vielen verschiedenen Kehlen und drei Yoruba stürmten zwischen den Häusern heraus.

„Idioten.“ dachte Phoenix und drückte ab. Die Kugel riss einem der Angreifer den Kiefer weg. Einer der beiden anderen schien intelligent zu sein und ließ sich zu Boden fallen. Der andere war blöd und rannte weiter. Das G-3 Gewehr gegen die Hüfte gestemmt und auf Dauerfeuer gestellt. Die Kugeln fächerten über den halben Hof, waren aber alle gut einen Meter zu hoch um Phoenix zu verletzen.

Die AK war in einem miserablen Zustand. Es tat einem Scharfschützen wie Phoenix innerlich weh, den viel zu harten Abzug zu drücken und zuzusehen, wie der lockere Lauf nach dem Schuss vibrierte. Aber das Gewehr tat seinen Dienst. Phoenix hatte auf den am Boden liegenden Gangster gezielt, der eine größere Gefahr war und ihn am Schlüsselbein getroffen.

Der andere wurde, als er höchstens noch acht Meter von Phoenix entfernt war, jedoch nur noch ein leeres Magazin in seinem G-3 hatte, von Ibo niedergestreckt.

Ibo rannte über den Hof, die Pistole fest auf den letzten Yoruba gerichtet. Aber er bewegte sich nicht mehr. Phoenix hatte den am Boden kauernden zwar nur ins Schlüsselbein getroffen, aber in einem so dummen Winkel, dass die Kugel jetzt in seinem Herz steckte. Er war noch schneller tot gewesen, als seine beiden Kumpanen, von denen einer immer noch lebte, aber in Kürze sterben würde.
“Machen wir, dass wir hier weg kommen!“ schrie Phoenix Ibo zu. Er ließ die AK fallen und packte eines der G-3 Gewehre am Boden und zog das Magazin heraus. Zwei Patronen glänzten im Sonnenlicht und nach dem Gewicht zu schließen, waren noch mindestens zehn weitere darin. Phoenix legte sich Smiths Arm um die Schulter und richtete ihn auf. Aber die Beine des Schwerverletzten blieben schlaff und er wurde nur von Phoenix auf den Beinen gehalten, obwohl er bei Bewusstsein zu sein schien. Kurzerhand bückte sich Phoenix und ließ den nicht sehr schweren Weißen auf seine Schultern sacken.

Ibo warf einen letzten Blick auf den Schwarzen, den er mit den letzten Kugeln aus seiner Five-Seven erschossen hatte, und der jetzt auf dem Rücken lag. Seine Augenlieder flackerten und rosa Schaum kam aus seinem Mund. Ein Lungenschuss. Wie lange würde er noch leben? Eine Minute, zwei Minuten, eine Viertelstunde?

Es war seltsam ruhig. Keine Schüsse, keine Sirenen. Nur der Lärm der Menschenmenge. Aber Cool Ibo wusste, dass der Feind irgendwo auf sie lauerte. Die Entführer Renards hatten sie in die Flucht geschlagen, aber die Gangster dieser ethnischen Miliz waren noch irgendwo hier.

Phoenix schleppte Smith in Feuerwehrmannmanier über seinen Schultern. Das erbeutete G-3 Sturmgewehr baumelte am viel zu langen Gurt und schlug ständig gegen seine Oberschenkel.

Renard schlug die Plane hoch und kam ihnen entgegen gerannt.
“Nicht hier lang! Da rüber!“

Er übernahm die Führung. Ibo rannte schnell hinterher und holte ihn ein. Verdammt noch mal, sie mussten ihn schützen und wussten nicht einmal ob sie selbst lebend hier raus kamen.

Obwohl die Schüsse weit zu hören gewesen sein mussten, waren noch viele Menschen auf dem Markt unterwegs. Sie kauerten in den Hütten und Buden, die nicht viel mehr als einfache Holzverhaue waren und blickten auf das weiße Trio, das ungefähr so wenig Aufsehen erregte wie eine Frau die nackt über den Petersplatz in Rom läuft, während der Papst seine Osteransprache hält.

Die beiden Söldner wussten, dass jederzeit ein Yoruba zwischen den Leuten hervortreten und auf sie feuern konnte. Und beide wussten auch, dass sie einen dieser Gangster erst von einem Zivilisten unterscheiden konnten, wenn er die Waffe schon auf sie gerichtet hatte.

Diese ganzen, nicht sehr zuversichtlich stimmenden, Erkenntnisse und die Tatsache, dass Phoenix nur zwei Hände hatte, also entweder Smith tragen oder seine Waffe benutzen konnte, trieben die Söldner dazu an, möglichst schnell von hier zu verschwinden.

Sie kamen zur Straße und sahen den weißen Rangerover und daneben die hoch aufragende Gestalt Ypsilons. Die Türen waren offen und Phoenix ließ Smith unsanft hineinfallen und kletterte sofort hinterher. Renard wurde dazu geschoben und Ibo lies sich neben ihm in die Polster der auf einmal sehr engen Rückbank fallen. Ein einzelner Schuss ermahnte sie, dass sie immer noch nicht in Sicherheit waren.

Alf startete den Motor und raste los. Ein weiterer Schuss ertönte und die Heckscheibe des Wagens zersplitterte. Die Söldner auf der Rückbank legten ihre Köpfe auf die Knie und hielten sich die Hände schützend über den Kopf, um sich vor den Glassplittern zu schützen, und allem was diesen Splittern vielleicht noch folgen mochte. Alf drückte aufs Gas und der Rangerover raste an den altersschwachen Fahrzeugen vorbei. Als Ypsilon in den Seitenspiegel auf seiner Seite sah, konnte er mehrere Gestalten mit Waffen sehen, die auf der Straße standen und mit den Armen winkten.

Sie waren in Sicherheit. Sie hatten es geschafft. Alf lenkte den Wagen sicher auf den nächsten Highway, wo sie prompt in einen Stau gerieten. Diesmal standen sie. Nur im Schritttempo ging es weiter. Alf wurde nervös. Die anderen Fahrer ebenfalls. Jeder, der eine funktionierende Hupe hatte, benutzte sie. Aber es ging nicht vorwärts.

Es war an der Zeit sich um Smith zu kümmern. Er war immer noch ohne Bewusstsein und als Ibo seinen Puls fühlen wollte, hatte er Blut an den Händen.

„Wir müssen ihn schleunigst zu einem Arzt bringen!“ rief er nach vorne.

Alf war gereizt: „Ihr seht doch, dass hier nichts vorwärtsgeht!“

Ibo und Phoenix legten ein Kissen unter Smith Kopf und verstauten seine Glieder im Fußraum so bequem es ging.

Am Straßenrand hoben zwei Männer gerade einen Toten auf die offene Ladefläche eines Lasters. Selbst aus einiger Entfernung sah man das Einschussloch auf seiner Stirn. Auf der Ladefläche lagen bereits zwei andere Leichen.

Inzwischen hatten die Bettler den teuer aussehenden Rangerover gesichtet und kamen angerannt. Sie bettelten in drei Ebenen.

Die Erwachsenen, viele von ihnen blind, hielten eine Hand vor die Scheibe, während sie mit der anderen auf das Autodach trommelten. Die Kinder sahen die im Wagen sitzenden aus selber Höhe an und bettelten mehr mit ihren traurigen Augen, als mit den Händen. Von unten schoben sich andere Hände hoch. Die Söldner brauchten eine Weile um zu begreifen, dass sie zu Beinamputierten oder Gelähmten gehörten, die auf Skateboards durch den Verkehr surften. Bald war die Menschentraube so dicht, dass Alf nicht mehr weiterfahren konnte, auch als vor ihm alles frei wurde. Er wurde immer nervöser. Ibo auf dem Beifahrersitz holte ein Bündel CFA-Scheine aus seiner Tasche. Umgerechnet vielleicht 3 Euro und öffnete das Fenster einen Spalt und reichte das Geld hinaus. Es wurde ihm aus der Hand gerissen.

„Mach das Fenster wieder zu!“ brüllte Alf nach hinten und mit einem Blick nach vorne. „Scheiße jetzt wird es richtig ernst.“

Ypsilon folgte seinem Blick, als plötzlich seine Seitenscheibe zersplitterte. Erschrocken zog er seinen Kopf ein und duckte sich weg. Eine Hand schob sich durch das Fenster und versuchte den Türschließer hochzuschieben.

Alf drückte aufs Gas, obwohl noch immer Dutzende von Bettlern um sie herumstanden. Die Hand entriegelte die Sperre und die Tür schwang auf. Geschockt von der schnellen Aufeinanderfolge war Ypsilon erst jetzt in der Lage zu reagieren. Er griff mit der linken Hand zu seinem rechten Stiefel, wo ein kurzes, aber ungemein scharfes Messer mit Plastikhartgriff mit einem Klettverschluss an seinem Fußgelenk befestigt war. Der junge Mann, der sich mit einer Hand am Dachgepäckträger festklammerte und mit der anderen Hand Halt im Inneren des Wagens suchte, trug ein schwarzes, ärmelloses T-Shirt und ein rotes Bandala um den Kopf. Ypsilon stach zu. Rotes Blut quoll aus dem Oberschenkel seines Gegners. Der Verletzte versuchte sich in das Innere des Wagens gleiten zu lassen, aber Ypsilon war verständlicherweise strikt dagegen, dass der Bursche ihm auf den Schoß sprang. Der Carnapper, oder welche moderne Form des Wegelagerers dieser Bursche war, hatte anscheinend nicht mit der Gegenwehr des Russen gerechnet und sah sich nach seinen Kumpanen um, von denen einer ein altes Lee Enfield Gewehr in der Hand hielt. Seine Gangsterkollegen liefen zwar dem Wagen hinterher, waren aber verständlicherweise zu langsam.

Ypsilon beschloss der Sache ein Ende zu machen und packte den Burschen am Hosenbund seiner Jeans. Ein Ruck genügte und der Mann war schneller im Inneren des Wagens, als er es sich gewünscht hatte. So schnell, dass er nicht einmal mehr Zeit gehabt hatte, seinen Kopf einzuziehen und deshalb unfreiwillig Bekanntschaft mit dem harten Metallrahmen der Tür machte. Derart benommen reichte ein kräftiger Schubs von Ypsilon aus, um ihn auf den Asphalt zu befördern.

Der Wagen hatte schon leicht 40 Meilen pro Stunde auf dem Tachometer und der Bandit überschlug sich mehrmals, bevor er mit gebrochenen Gliedern auf der Straße liegen blieb.
Ypsilon schloss die Tür, als ob nichts geschehen wäre.

Die Söldner auf der Rückbank atmeten auf. Renard beugte sich zu Smith nach unten.

„Ich kann seinen Puls nicht finden!“

Ibo beugte sich vor und suchte mit fachmännischem Griff nach dem Puls. „Keine Sorge. Sein Puls ist normal. Aber er muss schleunigst ins Krankenhaus. Gibt’s hier in der Nähe eins?“

„Ja schon, aber da können wir ihn nicht hinbringen. Ein Krankenhaus in Lagos ist der beste Ort um tödlich krank zu werden. Dort holt man sich die Malaria oder etwas Schlimmeres.“ Antwortete Alf nach hinten.

„Auf Victoria Island gibt es ein Krankenhaus für die Reichen und die Touristen. Dort bringen wir in hin. Alf, fahr schneller.“

„Ja, Mister Renard.“

Sie kamen in einer halben Stunde nach Victoria Island. Sie wurden vom Posten an einer Brücke angehalten, aber Renard und Alf redeten gleichzeitig auf ihn ein und deuteten auf den verletzten Alexander im Fußraum. Die Söldner verstanden nur das Wort „Malaria“ worauf der Polizist den Wagen gar nicht schnell genug durchwinken konnte.

Das kleine Krankenhaus sah von außen ansprechend aus. Ypsilon und Phoenix schleppten Smith direkt in die Aufnahme, wo sie jedoch erst 300 Dollar hinterlegen mussten, bevor man Smith in den Operationssaal schob. Sie wurden wieder nach draußen geschickt.

„Er wird operiert, wenn ich das richtig verstanden habe. Wir sollten jetzt zu dem Haus ihrer Schwester fahren, Mister Renard.“

„Ja, tun Sie das.“ Renard fiel in seinen Sitz zurück. Er war müde, konnte aber nicht schlafen. Nach fast zwei Wochen hatten die Leiden seiner Entführung ein Ende gefunden und er hatte noch immer keine Zeit gehabt es verarbeiten zu können.



Juri Smornov und sein Co-Pilot Tadeusz lenkten den MI-17 Hubschrauber über das nächtliche Häusermeer von Lagos auf der Suche nach dem Flugfeld östlich des Oshodi-Marktes. So etwas wie Fluglotsen gab es auf den kleinen Flugfeldern nicht und die beiden waren auf ihre Augen angewiesen. Auf den meisten Flugfeldern gab es auch keine Beleuchtung, was sie für Flugzeuge nur bei Tageslicht benutzbar machte. Aber eine gute Hubschrauberbesatzung konnte ihren Vogel mit Hilfe von Nachtsichtgeräten oder starken Suchscheinwerfern auch bei Nacht runterbringen. Die Besatzung des MI-17 hatte beides und die beiden russischen Piloten gehörten zu den erfahrensten, die man bekommen konnte.

Nachts bot sich Lagos dem Auge des Betrachters schöner dar, als bei Tage. Man sah nicht die abertausend Wellblechhütten, die überquellenden Slums und die Blechlawinen auf den Straßen. Man sah nur ein Millionenheer von Lichtern. Soweit das Auge reichte. Gegen den Abendhimmel hob sich die beleuchtete Skyline der City ab und man hätte fast meinen können, man wäre in einer normalen Stadt, wenn nicht ab und zu das Mündungsfeuer einer automatischen Waffe ihre Lichtblitze in die Dunkelheit senden würde. Juri und Tadeusz unterhielten sich über ihre Mikrofone, während die sechs Soldaten im Laderaum nur über Ohrenschützer verfügten.

Ein rotes Signallicht leuchtete in regelmäßigen Abständen auf. Tadeusz sah auf seine Karte von Lagos, auf der jedoch nur die wichtigsten Straßen eingezeichnet waren.

„Ich geh auf 90 Fuß runter, damit wir etwas erkennen.“ Murmelte der schnauzbärtige Pilot und sah zu, wie der Zeiger des Höhenmessers nach unten ging. Sie setzten die ON-1 Nachtsichtbrillen ab, da die vielen Lichter der Stadt ihre Augen blendeten.

„Suchscheinwerfer?“ fragte Tadeusz.

„нет, wir wollen nicht die ganze Gegend aufschrecken.“ Antwortete Juri, als er den von zwei 1900 PS starken Klimov Antriebswellen fortbewegten Hubschrauber in etwa 30 Metern Höhe über die Slums von Lagos lenkte. Das rote Licht blinkte weiter. Es sah gut aus. Juri ging in den Schwebeflug. Beide Piloten waren vorsichtig. Es kursierten Geschichten, dass Banditen falsche Landelichter setzten um so Helikopter zur Landung zu bewegen und sie dann am Boden auszurauben.

„Ok, schalte kurz den Scheinwerfer ein.“

Tadeusz griff kurz über seinen Kopf und legte einen Hebel um. Kurz darauf erwachte der mehrere 1000 Watt starke Scheinwerfer unter der Nase des Hubschraubers zum Leben und leuchtete den Boden weitläufig aus. Es gab nicht viel zu sehen, nur eine staubige Fläche, die wohl das Landefeld war.

„Wir gehen runter. Ihr da hinten, macht euch fertig. Ich weiß nicht, was uns da unten erwartet.“ Brüllte Juri nach hinten in den Passagierraum. Er konnte es nicht sehen, aber spürte wie die sechs Männer in Kampfausrüstung die Magazine ihrer Sturmgewehre prüften. Es war wie damals mit der Roten Armee in Afghanistan. Sollten wirklich Banditen dort auf dem Feld warten, würden sie eine Überraschung erleben, die sie ihr kurzes Leben lang nicht mehr vergessen würden.

„10 Fuß, wir setzen gleich auf.“ Sagte Tadeusz in dem Moment, als die Kufen den Boden berührten und eine leichte Erschütterung durch den Hubschrauber ging.

„Scheiß Höhenmesser.“ fluchte der Co-Pilot und schaltete den Scheinwerfer aus.

Die Rotoren verursachten kleine Mini-Tornados auf der staubigen Piste und wirbelten auch noch allerlei Zivilisationsmüll auf.

Die hintere Ladeklappe wurde mit einem Ruck aufgerissen. Paul Decker und De Valera sprangen mit eingezogenen Köpfen und die AK-74 Sturmgewehre im Anschlag aus dem Helikopter. Als ihre Stiefel den Boden berührten stürmten sie nach rechts und links auseinander und ließen sich nach einigen Metern zu Boden fallen. Die anderen Soldaten folgten ihnen. Der Landeplatz war sicher.

Der Lärm der Rotoren verstummte langsam und Decker brüllte über seine Schulter. „Stanton! Sie zu, dass du Courtland findest!“

Der schwarze Soldat nahm sein Gewehr in die Armbeuge und joggte zum Hangar, aber schon nach wenigen Metern tauchte vor ihm eine Gestalt aus dem Dunkeln auf.

„Decker, ich kann nicht wirklich sagen, dass ich mich freue dich wiederzusehen.“ Aus dem Schatten trat Courtland. Sein Gesicht war wie sein Feldanzug blutverschmiert.

Fasziniert und unfähig zu sprechen, sah Decker an, was der kleine Buchhalter Alexander Smith mit dem Gesicht seines Chefs angerichtet hatte. Seine Unterlippe schien geplatzt zu sein, sein linker Mundwinkel war so stark eingerissen, dass man das Weiß der Zähne sehen konnte. Sein linker Nasenflügel hing wie ein Hautfetzen herab.

„Mein Gott Courtland, du siehst aus, wie einer, den ich in der Mangel hatte.“ staunte Decker.

„Halts Maul!“ spuckte Courtland. „Hawkins, hol den Verbandskasten aus dem Hubschrauber. Mach ein wenig schneller, verdammt noch mal!“

Der Ex-Major der britischen Army setzte sich erschöpft in die Luke des Helikopters und wartete darauf, dass Hawkins, der am besten den Sanitäter mimen konnte, ihn verarztete.

Decker sah sich nervös um und fuhr sich durch die blonden Haare. Courtland sah ihn finster an. Der sozialgestörte Decker hätte Courtland nicht beleidigen sollen. Courtland war ein harter Kerl, verdammt hart. Wäre er nicht verletzt, hätte er Decker wohl sofort eine geschmiert, als der sich über ihn lustig gemacht hatte. Er versuchte es mit gespielter Freundlichkeit.

„Ist´s schlimm?“
Courtland grunzte zur Antwort und verzog sein Gesicht, als Hawkins die Wunde desinfizierte.

„Nach was sieht es wohl aus, Idiot. Dieser Hurensohn wollte mir das Gesicht runterreißen.“

Hawkins drückte ein Pflaster auf den Mundwinkel des Majors und sah sich die verstümmelte Nase an.

„Sie müssen zu einem Arzt, Sir. Da kann ich hier nichts machen.“

„Machen Sie einen Verband drum und geben Sie mir was Starkes gegen die Schmerzen, aber ich will noch klar denken können.“

Hawkins runzelte besserwissend die Stirn und suchte im Medizinschrank des MI-17 nach einem Opiat.

„Was habt ihr so lange gemacht? Ich hab euch vor über vier Stunden gerufen! Warum seit ihr erst jetzt da.“
“Es hatte ein Weile gedauert bis die zwei Neuen da waren.“

„Verdammt noch mal. Wäret ihr ohne sie geflogen, glaubst du, dass es ein Spaß ist vier Stunden mit zerfetztem Gesicht da zu sitzen und nur einen halb leeren Erstelhilfekasten zu haben und einen Piloten zu haben, der dich verarzten soll, aber nur kyrillische Schriftzeichen lesen kann?!“ Courtland fluchte und schluckte drei der Pillen, die Hawkins ihm gab. „Oh ich hab vergessen, dir würde das wahrscheinlich sogar Spaß machen, du kranker Irrer.“

In Decker kam Wut auf, die er nur mühsam unterdrücken konnte. Er setzte seine olive-grüne Schirmmütze ab und strich sich durch die Haare.

„Du armer Irrer. Warum hat der Alte dich geschickt? Damit du die Sache wieder verbockst, wie damals in Antwerpen und London?“

Es platzte aus Decker heraus: „Verbockt? Du hast damals Scheiße gebaut. Vielleicht will der Boss jetzt einfach jemanden hier haben, der weiß wie man kämpft und sich nicht die Fresse polieren lässt, wie ein gewisser Major von der Royal British Army ihrer Queen.“

Courtland sprang auf und packte Decker am Kragen seines Uniformblousons. „Mit dir rechne ich auch noch ab, glaub mir das Private Paul Decker.“

Decker schüttelte ihn wütend ab. Courtland spielte auf Deckers Degradierung vom Staff Sergeant zum Private an, bevor er unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. Nachdem er sechs Monate im Bau verbracht hatte, wegen Körperverletzung eines Vorgesetzten, Befehlsverweigerung und unangebrachter Brutalität gegenüber Gegnern, Zivilisten und Rangniedrigeren.

Wäre der Pilot Juri, in diesem Moment nicht aus dem Hubschrauber gestiegen und hätte die beiden unmissverständlich aufgefordert ihren Streit wo anders auszutragen, als unter seinem Hubschrauber, wären sie wohl aufeinander losgegangen.

So schaffte es Courtland wieder sein Pokerface aufzusetzen und Decker brachte es immerhin fertig sich soweit zu beruhigen, dass er den Gedanken beiseite schob, Courtland die Hoden abzuschneiden und sie ihm um den Hals zu hängen. Wenigstens vorerst würde er dies nicht tun.

Courtland winkte Fahami herbei. Er war der einzige Soldat, der ihm von seinem Trupp geblieben war. Highfield und der Söldner Philip Spencer aus Sierra Leone waren tot. Dafür hatte er jetzt sechs neue. Hawkins, Jim Stanton, Jacques Toruffe, De Valera, Pierre Rohbach und Brian Rush.

Und natürlich Paul Decker - der irre Soziopath der sich aus seiner Zwangsjacke befreit hatte. Er gefährdete sie alle mit seiner ungezügelten Gewalttätigkeit. Courtland sah sich seinen Trupp an. Alles Verrückte, Sadisten, Glücksritter und gescheiterte Existenzen. Typen wie er.

Der Sikorsky rollte heran. Die Piloten waren nervös. Sie wollten ihre teuren Maschinen hier raus bringen. Im Laufe der langen Wartezeit hatten sich immer mehr Menschen aus dem benachbarten Slum auf dem Flugfeld angesammelt. Nur die Anwesenheit von Courtland, Fahami und der bewaffneten Crew hatten sie abgehalten, den Hubschrauber auszurauben. Jetzt wo es dunkel war, stieg die Gefahr eines Überfalls aber ums Zehnfache. Sie mussten raus.



Alf öffnete das Garagentor mit einer Fernsteuerung und lenkte den Wagen mit einem Schwung hinein. Hinter ihnen schloss sich das Tor. Eine Minute saßen sie alle still. Verarbeiteten das Geschehene. Dann öffneten Phoenix die Tür und glitt nach draußen.

„Mister Renard.“ Er hielt der befreiten Geisel die Tür auf. Alf beeilte sich eine Tür in der Wand der Garage zu öffnen, von der eine Steintreppe zum Haus hinauf führte. Renard stieg den Weg mit bedächtigen Schritten hinauf. Er hatte noch immer die Kleider an, die er am Tag der Entführung getragen hatte. Aber das Hemd und die Hose waren dreckig und rochen auch ziemlich streng. Er hatte abgenommen und das Hemd schlotterte an ihm herab. Sein Gesichtsausdruck war, jetzt nachdem er alles überstanden hatte, müde und erschöpft.

Oben öffnete sich die schwere Mahagonitür und Miss Amalia Renard schwebte die Treppe hinunter. In Bluejeans und ein Männerhemd gehüllt stolperte sie in ihren Hauspantoffeln auf ihren Bruder zu. Ihr folgte Astou, die Lebensgefährtin Renards, in ein traditionelles buntes Kleid gehüllt. In der Mitte der Treppe gab es eine herzzerreisende Wiedersehensszene, die so auch in einem dieser Trivialromanen Platz gefunden hätte, die man an der Kasse eines Supermarktes kaufen kann und die so prägnante Titel wie „Sehnsucht nach Angelika“ und „Liebe auf Irrwegen“ tragen.

Die drei Söldner, Gewehre über die Schultern gehängt und Ausrüstung schleppend, wirkten in etwa so deplaziert wie Statisten aus einem Steven Seagal Film, die sich im Set geirrt hatten und unvermittelt am Drehort einer Rosamunde Pilcher Produktion auftauchten.

Schnell drückten sie sich an Amalia, Astou und Maurice vorbei und verschwanden im Haus. Begleitet vom monotonen Summen des großen Deckenventilators mixte sich Ibo einen Drink der farblich gut zu seinem grellen Hawaiihemd passte und schaltete den Fernseher ein. Es lief eine nigerianische Seifenoper.

Phoenix, ebenfalls einen Cocktail schlürfend, hatte immer noch das G-3 Gewehr umhängen und nahm es jetzt endlich ab. Bis auf ein paar Kratzer war die Waffe in einem tadellosen Zustand. Eins A Qualität. Viele Wehrpflichtige in deutschen Kasernen wären wohl froh eine Waffe in solch guten Zustand zu haben.

Heckler und Koch Waffen wurden in Lizenz in Nigeria produziert. Stellte sich nur noch die Frage, wie die Mitglieder einer brutalen, ethnischen Miliz dann an diese Waffen rankamen. Legal waren sie sicherlich nicht gekauft. Obwohl, der heutige Tag hatten den Söldnern gezeigt, dass in Lagos alles möglich war.

Ypsilon hatte sich ans Telefon gehängt und versuchte eine Verbindung mit Deutschland herzustellen. 049 war die Vorwahl, aber er bekam einfach kein positives Rufzeichen. Er würde es später noch einmal versuchen.

„Was machen wir jetzt? Ich kann das Büro nicht erreichen.“ War seine erste Frage, als er sich zu den anderen wandte.

„Unser Job ist eigentlich erledigt. Wir müssen warten, was unsere Auftraggeberin sagt. Ob sie uns noch braucht oder nicht.“ Antwortete Phoenix und schaufelte ordentlich Eiswürfel in seinen Drink.

„Ist die Gefahr eigentlich gebannt oder werden diese Burschen noch einmal versuchen Renard zu entführen oder ihn zu töten? Wer ist dieser Weiße, den wir ins Krankenhaus gebracht haben? Wie konnte Renard entkommen? Welche Rolle spielte der Weiße dabei?“ Ibo ließ diese Fragen im Raum stehen. Dann fuhr er fort. „Ich glaube nicht, dass diese Sache schon beendet ist.“

Phoenix ließ die Flüssigkeit in seinem Glas kreisen und antwortete schließlich. „Wir müssen warten was Barl und Hieb sagen, vorher können wir nichts tun. Aber du hast Recht. Wir sollten vorsichtig sein. Sehr vorsichtig sogar. Diese Soldaten, Söldner oder was sie waren, haben mir nicht gefallen. Überhaupt nicht.“

Ypsilon drehte sich um und versuchte wieder Deutschland zu erreichen.



Von Job


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