Intermezzo - 1982
Mark Simmons hatte Angst.
Das rührte nicht daher, dass er
seiner neuen Herausforderung unbewaffnet gegenübertrat. Allein
drei verschiedene Schrotflinten im Kofferraum, mehrere Kampfmesser
sowie ein Paar Browning Hi-Power verschafften ihm mehr als genügend
Feuerkraft. Und Don Ingues sollte diese Woche noch eine Lieferung von
Sturmgewehren reinkriegen...totaler Overkill, aber vielleicht könnte
man das ja mal gebrauchen. Und die .22? Davon hatte er noch eine
ganze Kiste; ganz gut als schallgedämpfte Wegwerfoption.
Nein, die Tochter des Dons war zu
Besuch. So ein Mist.
Dabei hatte sich Mark wirklich Mühe
gegeben. Er war beim Friseur gewesen. Er hatte seine Kevlarweste
ausgezogen und trug statt dem Sweatschirt ein weißes Hemd unter
seinem Mantel. Die Jeans waren frisch gewaschen, und die Turnschuhe
an seinem Füßen waren ebenfalls verhältnismäßig
neu. Verdammt, er hatte sich sogar frisch rasiert. Und er hatte sich
die Platte von Judas Priest gekauft. Die ganzen Kiddies standen doch
auf britische Rockmusik, oder?
Er hatte alles getan, um so respektabel
und hip wie möglich zu wirken. Sein gesamtes Selbstvertrauen
schmolz und regenerierte sich einige Dutzend Mal auf dem Weg vom Auto
zum Büro des Dons.
Dann trat er ein, und die Dualität
der Gefühle, die ihm entgegenschlugen, nahm ihm fast das
Bewusstsein.
Don Ingues – der alte Mann des
Kartells nach Art eines schwerkriminellen, aber netten Großvaters
– stürzte lächelnd auf ihn zu und schüttelte
Marks Hand, als ob er ihn am liebsten umarmt hätte.
„Da bist du ja, Mark! Und, wie
gehts? Alles glatt gelaufen?“
Mark fing sich langsam und nickte
ruhig.
„Die verschwenden keinen
Sauerstoff mehr.“
„Sehr gut, sehr gut! Mark, wir
haben Besuch. Wenn ich bekannt machen darf: Meine Tochter Alexandra.“
Das Mädchen sah viel zu jung für
die Zigarette in ihrer Hand aus, zumindest nach Marks moralischem
Standard; er schätzte sie und ihren gelangweilten
Gesichtsausdruck auf etwa 19. Ermutigt durch seinen Mentor nickte er
dem Mädchen respektvoll zu.
„Miss Ingues.“
„Reicht das jetzt, Vati? Für
mich sehen die Affen alle gleich aus.“
In Marks Kopf explodierte jedweder
Anstand und blies ihm den Rest der Selbstkontrolle zu den Ohren raus;
allerdings dauerte der Prozess lange genug, dass der Don
intervenieren konnte, und irgendwo in Marks Rückgrat hatte sich
die Maxime der Nichtunterbrechung des Dons soweit festgesetzt, dass
sie selbst jetzt noch griff.
„Alexandra...“
„Alex!“
„Alexandra,“ wiederholte
der Don, „du wirst in diesem Ton nicht mit meinen Angestellten
reden. Mr. Simmons arbeitet schon seit vielen Jahren für mich
und ist einer meiner besten Mitarbeiter. Er hat sich meinen Respekt
verdient, und ich erwarte, dass du ihn entsprechend behandelst.“
„Du glaubst doch nicht ernsthaft,
dass du mit den Typen irgendwas bewegen kannst.“
Dann mischte sich Mark ein.
„Verzeihung, Miss, aber ich komme
gerade von einem Auftrag. Ich hab zwölf Männer getötet
und muste dabei keinen Kugeln ausweichen. Ich weiß, was ich
tue.“
„Dann bist du wohl der Typ, der
die ganzen .22 verbraucht.“
„Woher...“
„Ich helfe Vati mit der Logistik.
Glotz mich nicht so an, ich weiß, wovon ich rede.“
„Alexandra...“ warf der Don
ein, aber nach einem bösen Blick seiner Tochter verlagerte sich
das Gespräch wieder zu ihr und Mark.
„Du arbeitest zu viel alleine,
deine Jobs dauern zu lange. Wir sind nicht dazu in der Lage,
auftauchende Probleme schnell zu erledigen. Stattdessen schuftet ihr
euch von einer Krise in die Nächste. Warst du beim Militär?“
„Nein.“
„Vietnam?“
„Die müssen mich wohl
übersehen haben.“
„Du bist zu langsam. Wir brauchen
Profis, und keine angelernten Waldschrate.“
„Also jetzt...“
„Schnauze halten, ich rede.
Kennst du dich mit automatischen Waffen aus?“
„Etwas...“
„Wir kriegen eine Kiste mit
M16A2, brandneues Zeug. Ausflug zum Schiessstand für dich. Und
wir haben ein paar MP5 im Keller. Freunde dich mit denen an.“
„Und was ist mit...“
„Die Pistolen sind an sich okay,
aber wir standardisieren unsere Ausrüstung. Mach es wie die
Italiener und besorg dir ne Beretta. Oder zwei, das kannst du ja.
Oder?“
„Natürlich, aber...“
„Deine Weste ist aus Kevlar?“
„Ja, und...“
„Warum hast du sie nicht an?“
„Naja, ich...“
„Tragen. Immer. Gewöhne dich
daran.“
„Also...“
Alex seufzte.
„Welche Platte hast du gekauft?“
„Judas Priest...“
„Welche Platte, die Napfsülze,
nicht welche Band.“
„Alexandra...“
„Jetzt nicht, Vati. Also, Mark,
welche Platte?“
„Keine Ahnung.“
„Hast du wenigstens ein
Lieblingslied?“
„Äh...Breaking the Law.“
„Das war vorhersehbar. Und jetzt
raus hier, du hast zu tun.“
Marks Blick schweifte zum Don, aber da
war keine Unterstützung zu sehen. Ohne weitere Kommentare
verließ er den Raum und bereute es gleich wieder. Er wollte
wieder dort rein und dieser Göre den Hals umdrehen. Sein Respekt
für den Don war zu groß, um ihm zu widersprechen, aber
andererseits hatte das Balg ihn offensichtlich um den Finger
gewickelt. Wenn er ihr den Hintern versohlen würde, dann könnte
er vielleicht den dynamischen Anführer des Kartells wieder zum
Leben erwecken. Er hatte sich schon fast wieder umgedreht, als
Vincent Ratioli an ihm vorbeiging; der junge Killer nickte ihm zu,
und Mark wurde bewusst, das seinem Freund die gleiche Tour
bevorstand.
Auf dem Weg nach unten verdaute Mark
die Kommentare von Alex und hasste sich mit jedem Schritt mehr. War
er überheblich geworden? War sein Perfektionismus ein
Stolperstein auf den Weg zum Erfolg? Er hatte sich seine Methoden vor
Jahren ausgesucht und perfektioniert. Vielleicht war er wirklich
schon ein Relikt.
Vielleicht war seine Zeit gekommen.
Was Don Ingues betraf, so war es das
letzte Mal, dass Mark ihn außerhalb eines Krankenhauses sah.
Von Gatac
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