Diese Kurzgeschichte ist frei erfunden und soll weder den Krieg
verherrlichen noch Partei für eine der beiden Seiten ergreifen.
Das uneingeschränkte Autorenrecht verbleibt beim Autor, Mordrag.
© by Mordrag
Er
streicht die Zwei aus und ersetzt sie durch eine Eins.
Hunderteinundsiebzig Tage noch, offiziell zumindest, wie lange er
wirklich noch hier aushalten muss weiß niemand, außer
vielleicht jemand in Moskau. Er schließt seinen Spind und
sieht aus dem Fenster. Draußen ist ein kalter Frühlingstag,
der Wind pfeift um die kahlen Ecken des schmucklosen Gebäudes,
in dem seine Einheit untergebracht ist. Am Horizont, hinter den
verwüsteten Ebenen, erheben sich die Berge, voll mit
Schlupflöchern für den Feind. Seufzend steht er auf und
geht in den Hof. Es scheint ein weiterer Tag wie viele zu werden,
deprimierend, kalt, herzlos. Die einzigen Unterbrechungen im
Alltagstrott, wenn man es so nennen kann, sind so genannte Einsätze…
Meistens bestehen diese aus der Einschüchterung von Zivilisten,
bei denen die Offiziere anwesend sind und beide Augen zudrücken
oder ihre Männer sogar bei ihrem Taten unterstützen. So
hatten sich die russischen Soldaten schnell den Ruf erworben, sich zu
nehmen was sie brauchten, sei es nun Essen, etwas zu Rauchen oder
junge Mädchen und Frauen. Die Leidtragenden waren immer die
armen Bauern und Stadtbewohner.
Sie sind
schon lange ohne einen richtigen Einsatz gewesen, den er mit den
kümmerlichen Resten seiner Ehre hätte vereinbaren können.
Jünger als die anderen und aus relativ gutem Hause hatte er es
geschafft sich relativ lange aus dem herauszuhalten, was seine
Kameraden tagtäglich taten und wofür man ein paar hundert
Kilometer weiter nördlich als Verbrecher eingesperrt worden
wäre. Aber die Situation hier in Bugaroy, in den Bergen südlich
von Grozny, war anders – vollkommen anders als im Rest des
russischen Reiches. Sie hatten keinen richtigen Auftrag oder Befehl,
niemand kontrollierte sie in irgendeiner Art und Weise. Jeder mit
einer Waffe konnte sich hier zum Herrn über Leben und Tod
aufschwingen ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Er hatte
schon lange das Gefühl, vom Rest der Armee, die selbst mehr als
genug eigene Probleme hatte, vergessen worden zu sein, und irgendwann
kämpfte er nicht mehr gegen den Hass an, der sich in ihm
aufstaute. Hass auf die Armee, auf das miese Essen, auf dieses
verdammte Land, auf seine Kameraden, die er als roh empfand, und die
Rebellen, die manche seiner rohen Kameraden getötet hatten.
Immer wenn einer von ihnen umgekommen war--
erschossen von Heckenschützen, seinen von Granatsplittern
verursachten Wunden erlegen, verbrannt, verstümmelt - wurde
einige Tage später ein Neuer geschickt und der Alte abgeholt,
eingepackt in einem schwarzen Plastiksack. Jeder dieser Säcke
beflügelte seine grundlose Wut bis er mit seinen Vorsätzen
brach und mit der Kalashnikov im Anschlag in eines der düsteren
Häuser trat. Er nahm sich, was ihm gefiel und genoss sadistisch
den hilflosen Zorn und Hass in den Augen der Bewohner, die zumeist
nur alte Frauen waren. Obwohl ein Gefühl der Leere sowie ein
gewaltiger Kater in ihm zurückblieb nachdem er am nächsten
Morgen aus seiner vom Vodka verursachten Bewusstlosigkeit aufwachte,
tat er es wieder und immer wieder, bis er einmal in einer der ewig
gleichförmigen Hütten mit dem immergleichen Zwielicht neben
der obligatorischen Alten ein Mädchen entdeckte, das sich
wahrscheinlich nicht rechtzeitig verstecken hatte können. Es war
jung, vierzehn, fünfzehn vielleicht, und als es seiner
auffordernden, brutalen Handbewegung nicht Folge leistete, schlug er
die Alte nieder und holte es sich.
Daran muss er jetzt denken, als er langsam die
Treppe hinunter in den Hof geht. Plötzlich bleibt er stehen und
geht wieder nach oben. Früher hatte er immer auf diesen Tag
gewartet, fällt ihm gerade ein, und jetzt hätte er fast
vergessen, dass er heute neunzehn wird. Es fällt ihm spontan ein
und er hat nichts vorbereitet, was auch, aber jetzt durchsucht er
seinen Spind nach irgendetwas zum Feiern, und sei es nur eine
Kleinigkeit um diesen Tag von den anderen abzuheben. Er findet aber
nichts und so pflückt er nur eine schon halbverwelkte Blüte
von dem Strauch neben dem Eingang der Schule, die ihnen als Kaserne
dient, ab und steckt sie sich halbverdeckt an die Uniform. Unten
sitzt etwa die Hälfte des Zuges schon auf dem Boden und lässt
ungeniert eine Feldflasche herumgehen. Antreten wurde in fünf
Minuten befohlen, aber hier geht es nicht sehr militärisch zu
und einige sind bereits leicht angetrunken. Wenn der Leutnant nicht
gerade seinen Sauberkeitswahn bekommt, gilt er kaum mehr als die
anderen Soldaten, trinkt, plündert und vergewaltigt wie der
Niedrigste seiner Untergebenen.
Sie haben nicht wirklich Respekt vor ihm, als
der Zug einmal bei einer Hausdurchsuchung unter schweres Feuer geriet
lag er schreiend auf dem Boden, als die ersten Verluste zu beklagen
waren. Zu ihrem Glück waren sie damals noch von anderen gerettet
worden und seitdem nie mehr in eine wirklich gefährliche oder
anspruchsvolle Situation geraten, aber die Nachwirkungen jenes
Granatangriffes blieben – weniger Respekt vor ihrem so
genannten Vorbild und mehr Exzesse abends auf der Stube.
Er gesellt sich zu ihnen, nimmt einen tiefen Schluck aus der ihm
stumm gereichten Flasche und beobachtet den Rest seiner Kameraden,
die langsam eintrudeln. Nach einigen Minuten tritt auch ihr Zugführer
aus seiner Baracke.
Sie sitzt schweigend auf ihrem Stuhl an der
Wand des Zimmers, zusammen mit zwei anderen Frauen. Einige Männer
stehen und sitzen über die Hütte verteilt, manche reden
leise miteinander, andere putzen ihre Waffen oder schweigen. Sie
kennt sie alle ganz gut, obwohl sie mit niemandem aus ihrer Gruppe
ein engeres Verhältnis aufgebaut hat. Sie gilt als hart, grausam
und professionell, weil sie selten Gefühlsregungen zeigt, außer
ihrem Hass auf die Russen, und im Kampf ihren männlichen
Kollegen nur in wenig nachsteht. Sie hat den anderen nichts von ihrer
Vergangenheit erzählt, die sich wohl in wenig von den
Schicksalen der anderen unterscheidet. Die meisten sind nicht aus
Überzeugung hier, mehr wegen ihres Glaubens oder wegen einem
der ältesten Beweggründe der Menschheit – Rache.
Rache an einem gesichtslosen Feind.
Hinter
ihrer Gesichtsverschleierung will sich eine Träne den Weg
bahnen, aber sie lässt sich nicht gehen und zwingt sich, nicht
an ihre vier Kinder zu denken. Drei Jungen und ein Mädchen, das
Jüngste… die Kleine war die einzige gewesen, die sie noch
einmal gesehen hatte, nachdem die Soldaten eines Nachts gekommen
waren. Sie beschuldigten ihren Mann zu den Rebellen zu gehören
und einen Mörseranschlag auf eine Kaserne in Ulus Kert verübt
zu haben. Er war weder in Ulus Kert gewesen noch wusste er wie ein
Mörser funktionierte, aber das interessierte die Soldaten nicht
im Geringsten. Sie folterten erst ihn und dann ihre Kinder, als er
nicht gestehen wollte. In dieser Situation hat er wohl alles
gestanden, was sie ihm vorwarfen, aber er rettete damit weder sein
Leben noch das seiner Kinder.
Sie war nicht dabei gewesen, da sie
gleichzeitig im Haus von einigen unbeschäftigten Soldaten
vergewaltigt worden war, konnte nur die Schreie hören und war
schließlich ohnmächtig geworden. Als sie wieder zu sich
gekommen war, konnte sie nur noch ihre Tochter finden, tot - die
anderen waren wohl weggeschafft worden. Von diesem Tag an dachte sie
nur noch an eines—sich an den Bastarden und ihren Landsleuten
zu rächen, die sie ins Unglück gestürzt hatten. Sie
ging nach Dagestan und lernte dort Menschen auf alle erdenkliche Art
zu töten, zu erschießen, erstechen, vergiften, sie in die
Luft zu sprengen. Einige Male verspürte sie in ihrer rasenden
Trauer die Sehnsucht nach dem ultimativen Ende, dem
Sprengstoffgürtel, aber sie kam wieder davon ab, es wäre
feige gewesen, eine Flucht. Wahrscheinlich leidet sie noch mehr als
die anderen unter der ganzen Situation, da die meisten ihrer
Kameraden aus Glaubensgründen hier sind. Sie jedoch konnte mit
der ideologischen Unterweisung, die sie im Trainingscamp erhielten,
nichts anfangen, ihre einzige Motivation war die Rache.
Nachts
wacht sie manchmal immer noch schweißgebadet auf, wenn sie
wieder davon träumt, wie sie ihre Tochter beerdigt und an ihrem
Grab den Schwur geleistet hat, für jedes ihrer Kinder die
zehnfache Menge an russischem Abschaum zu töten,
niederzumetzeln, auszulöschen…
Der andere
Traum der sie immer wieder verfolgt, handelt von den Menschen, die
sie seither getötet hatte. Anonyme Gesichter in die sie
geschossen hat. Meistens in den Mund. Gesichter, von Wehrlosen,
Verletzten und um Gnade Flehenden, denen gegenüber sie ungerührt
bleibt. In jedem dieser Soldaten sieht sie einen Mörder ihres
Mannes und ihrer Kinder.
Ihre Hand spielt mit den Erkennungsmarken in
ihrer Tasche, von denen sie jede einzelne einem Russen vom Hals
gerissen hat.
Sie stellen sich in einer halbwegs geraden
Reihe auf und grüßen ihren Vorgesetzten. Es ist eine
Farce, dennoch halten sie Reste von Ordnung aufrecht und lassen sich
von ihrem Zugführer erklären, was heute ansteht. Alles
haben sie schon öfter gemacht, dennoch wird es noch einmal und
immer wieder nach Vorschrift erklärt. Mit ihrem altersschwachen
LKW irgendwohin fahren, Durchsuchung eines Dorfes, alle verdächtigen
Elemente festsetzen, bei Widerstand ist von der Waffe Gebrauch zu
machen. Die beiden Unteroffiziere besprechen das ganze noch einmal
mit ihren Gruppen, dann dürfen die Soldaten wegtreten, um sich
vorzubereiten. Er ist vorbereitet, prüft routinemäßig
seine Waffe und die restliche Ausrüstung und klettert in den
LKW. Sie haben das schon zu oft gemacht.
Sie wird aus ihren Gedanken gerissen als ein
Mann die Hütte betritt. Er ist der Anführer ihrer kleinen
Widerstandszelle, er hat die Verbindungen zu den größeren
Rebellennetzwerken. Er ist hoch gewachsen und kräftig, sein
dichter brauner Vollbart mit den Grauspuren hängt massig über
dem alten Kampfanzug. Sie mag ihn, er ist schweigsam und
unaufdringlich und macht seine Sache gut. Alle im Raum nehmen
unbewusst Haltung an, die leisen Gespräche verstummen. Er muss
keine Motivationsreden halten oder seine Leute anfeuern, sie sind
loyal bis in den Tod, zumindest der Sache, wegen der sie hier sind,
deswegen erklärt er ihnen nüchtern, auf welche Art und wie
genau sie heute dem Feind einen Schlag versetzen wollen. Sie wird mit
ihrem Trupp und dem Anführer nahe am Waldrand liegen und am
direkten Angriff teilnehmen, wenn ihr Kamerad mit dem einzigen
Granatwerfer den russischen LKW zerstört hatte, danach würde
ihr Trupp von der Seite zuschlagen und der Trupp mit dem Granatwerfer
den Laster von vorne unter Feuer nehmen. Sie werden an einer Kreuzung
zuschlagen, wo der LKW wahrscheinlich langsamer fahren wird, es geht
diesmal wieder um einen normalen Zug Feindsoldaten. Oft genug haben
sie es versucht zu üben, und einige Male hat es auch geklappt.
Es gibt keinen Grund, warum der Überfall schief gehen könnte.
Der LKW ist schlecht gefedert und hüpft
bei jedem Schlagloch in der kaum ausgebauten Straße auf und ab
und schüttelt die Insassen durch. Der Leutnant und der Fahrer
sitzen im Führerhaus während sich der Rest auf den
splittrigen Holzbänken der Ladefläche drängt. Er nimmt
wenig von seiner Umgebung wahr und hängt seinen Gedanken nach.
Früher, als er noch ein Kind war, konnten es sich seine Eltern
leisten, eine große Feier zu veranstalten, mit vielen Freunden,
Kuchen und Kerzen. Später fielen die Eltern weg, als er mit
seinen Kumpels durch die Stadt zog und die Kneipen unsicher machte -
oder es sich zumindest einbildete. Im Rückblick war es ein
schönes Leben gewesen, auch wenn es ihm damals oft sinnlos
vorkam, nachts die Besäufnisse, morgens verkatert die Ordnung in
der teuren Privatschule. Er dachte an die Schriftsteller, die sie
gelesen hatten und die ihm damals todlangweilig erschienen waren, und
die Fremdsprachen, in denen er sich meistens recht geschickt
angestellt hatte. Nach seinem nicht schlechtem Abschluss war es aber
rapide bergab gegangen, sinnierte er, aber in gewisser Weise, machte
er sich Mut, fiel das ganze hier ja auch unter Erfahrungen, die man
machen musste. Die einzige Bedingung, die es dafür gab, war,
hier lebend wieder raus zu kommen, was allerdings im Moment auch mit
ein wenig Glück nicht sehr wahrscheinlich scheint.
Sie machen sich fertig, es wird ihnen nie viel
Zeit gelassen zwischen der Einweisung und dem eigentlichen Einsatz.
Sie schultert ihre Waffe und folgt den anderen. Schweigsam gehen sie
die fünf, sechs Kilometer durch die bergige Waldlandschaft. Die
Stille wird nur durch das Knacken der Zweige unter ihren Füßen
und das Zwitschern der Vögel unterbrochen. Während sie mit
ihrer Gruppe durch den Wald wandert, fällt ihr das heutige Datum
ein - irgendetwas Besonderes war daran, es fällt ihr nur nicht
mehr ein, was genau. Sie schiebt den Gedanken beiseite, als sie am
festgelegten Platz ankommen. Vier Männer gehen weiter, der Rest
versteckt sich im Gebüsch. Sie lädt ihre AK-47 durch und
legt sich neben ihren Anführer. Sie sind bereit.
Einer
der Soldaten zieht zum wiederholten Male die Feldflasche aus der
Tasche und setzt sie an den Mund als das eintönige
Motorengebrumm von einer Explosion unterbrochen wird. Der Lastwagen
bleibt stehen, als Schüsse fallen. Plötzlich ist die Luft
von einer Mischung aus Detonationen, Schreien, Befehlen und dem
Stottern von Handfeuerwaffen erfüllt. Seine Reflexe übernehmen
die Kontrolle über seinen Körper als die Unteroffiziere
ihre Untergebenen anschreien aus dem LKW zu springen und sich im
Gelände zu verteilen. Nach einem Hechtsprung von der Ladefläche,
bei der er sich die Schulter prellt kommt er neben einem der Reifen
zu liegen. Unter dem Auto hindurch sieht er einen bärtigen Mann
über die Straße laufen, das Gewehr im Anschlag. Hundertmal
eingebläute Bewegungsabläufe werden abgespult, als er die
Kalashnikov auf ihn richtet und den Hebel auf Dauerfeuer stellt. Die
erste Kugel trifft den Gegner in die Brust, die anderen gehen höher.
Der Getroffene fällt nach hinten gerissen auf die Straße,
doch das Adrenalin in seinem Blut sorgt dafür, dass er erst dann
zu Feuern aufhört, als die ersten seiner Kugeln schon so hoch
fliegen, dass sie in den Boden des LKWs einschlagen.
Irgendetwas ist schiefgegangen, die Granate hat
nicht den Transporter getroffen sondern ist einige Meter davor
eingeschlagen und hat keinen größeren Schaden angerichtet.
Sie wissen alle, dass es jetzt auf den Feuerkampf in den ersten
Sekunden ankommt, denn wenn die Soldaten innerhalb des Trucks sich in
die Büsche schlagen können würde eine Pattsituation
entstehen und im direkten Kampf sind die Rebellen unterlegen. Sie
feuern mit allem was sie haben auf die Soldaten, die jetzt aus dem
Fahrzeug quellen und sich über die Straße ergießen.
Viele werden getroffen, manchen gelingt die Flucht und sie müssen
nachsetzen. Ihr Anführer springt auf und rückt vor, gefolgt
von seinen Kampfgefährten. Sie alle schreien, ohne dass sie es
merken und rennen feuernd auf den LKW zu. Obwohl ihre Augen nicht
mehr viel außerhalb eines eng begrenzten Sichtfeldes und ihre
Ohren fast nichts mehr registrieren, spürt sie einen Stich ins
Herz als sie sieht wie ihr Anführer vom Feindfeuer umgerissen
wird. Brüllend leert sie ihr Magazin in Richtung der fliehenden
Soldaten bis es leer geschossen ist, wobei sie mehrere Soldaten
niederstreckt. Hastig geht sie hinter dem Auto in Deckung und lädt
nach. Als sie nach neuen Zielen sucht, merkt sie dass es fast still
ist. Vereinzelt sind noch Schüsse zu hören, entfernt von
der Straße, doch das Hauptgefecht scheint zu Ende zu sein. Sie
steht auf und schleicht mit dem Sturmgewehr an der Wange an dem LKW
vorbei. Einige Meter neben ihr liegt ihr bärtiger Anführer
auf der Straße, das Gesicht zum Himmel, auf seiner Brust und
Stirn sind Einschusslöcher. Einige Meter vor sich hört sie
ein leises Stöhnen. Vorsichtig geht sie darauf zu.
In seinem Gedächtnis fehlen einige
Sekunden, das letzte an das er sich erinnern kann war der Mann, den
er erschoss und dass er den Finger vom Abzug genommen hatte. Jetzt
liegt er auf der Straße halb unter dem LKW und kann sich nicht
bewegen. Er versucht Atem zu schöpfen, doch es geht nicht; das
taube Gefühl in seiner Brust hindert ihn daran. Mit Anstrengung
führt er seine rechte Hand zur Brust, zuckt aber zurück,
als sie in eine große Wunde etwas rechts neben dem Herz greift.
Ihm wird immer kälter, als sein Blut aus ihm entweicht und im
Staub versickert. Er kratzt seine letzten Gedanken zusammen….er
muss von mehreren Kugeln getroffen worden sein, mindestens je eine
in der Brust und im rechten Schenkel. Er kann nichts dagegen tun, er
wird hier verbluten, wenn ihn nicht ein Sanitäter aufliest.
Plötzlich erinnert er sich an die in der
Armee kursierenden Schauergerüchte über die Foltermethoden,
die die Rebellen angeblich an gefangenen Soldaten anwenden. Sie
hatten ihm immer einen Schauer über den Rücken gejagt und
indem er den Rat eines Veteranen befolgt, greift er mit letzter Kraft
nach einer an seinem Gürtel hängenden Handgranate. Er
bugsiert sie auf seine Brust und legt die Hände darum. Falls ein
Rebell ihn findet, kann er ihn zumindest noch in den Tod reißen.
Er hört Schritte und ein Schatten fällt auf ihn.
Sie schiebt erst den Gewehrlauf, dann die Hand
und schließlich ihren restlichen Körper um die Ecke des
Lkws, aber die Vorsicht ist überflüssig, der Soldat, von
dem der rasselnde Atem kommt, ist schwer verletzt. Gleichzeitig mit
der Erkenntnis, dass er eine Handgranate festklammert, bemerkt sie
die an seiner Uniform steckende Blume, hat aber keine Zeit, sich
darüber zu wundern, weil seine Finger nach der Granate tasten.
Sie legt ihr Gewehr an. Während sie den Abzug durchzieht,
krampft sich ihr Magen zusammen als ihr plötzlich einfällt,
warum das heutige Datum besonders ist. Ihre Tochter wäre heute
neunzehn geworden.
Er kann den Eigentümer des Schattens nicht
sehen, denkt aber, dass das Risiko klein genug ist einen Kameraden zu
treffen und beschließt zu sterben. Er fingert nach dem
Abzugsring als er einen Schlag an der linken Kieferseite verspürt.
Während es um ihn herum schwarz wird und seine Finger nutzlos
in der Luft tasten - oder zumindest glaubt er das - spürt er
gerade noch, wie eine Hand nach der Erkennungsmarke um seinen Hals
tastet.
Ich
danke meinen beiden Testlesern Job und NightSarge herzlich für
ihre Schleifarbeit…..denn auch rohe Diamanten müssen
geschliffen werden ;)
Von Mordrag
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