ja2basis

 

Janus




Disclaimer:

Alle Namen sind frei erfunden, jegliche Namensverwechselungen sind unbeabsichtigt. Die vorliegende Geschichte unterliegt dem uneingeschränkten Urheberrecht von Thomas Mattscherodt. Der Autor behält sich jedoch vor, die kommerzielle Nutzung für sich zu beanspruchen, eine freie Weiterverbreitung über das Internet oder einen Datenträger an andere Personen ist erlaubt. Es ist nicht erlaubt - mit Ausnahme von Rechtschreibkorrekturen - Änderungen an der Geschichte vorzunehmen oder sich als Autor zu behaupten.

Danksagung:

Ich danke vor allem Phoenix für seine tolle Arbeit an der Story. Des weiteren möchte ich meinen anderen Testlesern Dactylartha und Robert danken. Außerdem danke ich ICM für die moralische Unterstützung!
Danke, Ihr habt die Story zu dem gemacht, was sie heute ist.

 

"Der Tod eines Einzelnen ist eine Tragödie,
der Tod von Millionen nur Statistik."
(Josef Stalin-Diktator der UdSSR, Kriegstreiber, "Kommunist")

 


Kapitel I - Die Schatten der Vergangenheit

Der Herbst war in Arulco die schönste Jahreszeit. Er war sehr warm, um die 20 Grad und die Blätter der Wälder rund um Cambria färbten sich in den herrlichsten Farben. So auch an diesem Sonntag. Die Sonne schien und am Himmel schwebten nur ein paar Wolken in sonderbaren Formen in Richtung Horizont. Es erinnerte mich alles an den Indian Summer in Amerika, bloß hatte ich diesen nur in Form eines Kalenders erlebt. Das hier war authentisch. Es war wunderbar und so still, nur der Wind und Vogelgezwitscher durchbrachen die Ruhe. Hier erinnerte nichts mehr an den blutigen Bürgerkrieg, der in den letzten Jahren das Land verwüstet hatte. Die Spuren des Elends waren hier in der freien Natur schon zum größten Teil verwischt, während es in den Städten noch immer so aussah, wie zur der Zeit als der Bürgerkrieg das Land zerstörte. Im Hintergrund der vielen Ruinen ging der Alltag der Menschen weiter. Seit dem Krieg war nun schon ein Jahr vergangen, doch noch immer gab es viel Armut und leider war auch das einzige Krankenhaus in Cambria ständig überfüllt. Vieles war zwar schon wieder aufgebaut worden, aber bei weitem nicht alles.

Im Gegensatz zu vielen anderen ging es mir gut. Ich hatte Angelina. Als ich damals vor anderthalb Jahren nach Arulco kam, hätte ich nicht zu träumen gewagt, dort einen Menschen wie sie kennen zulernen. Sie war die Liebe meines Lebens. Wie ich sie traf hatte, war schon kurios. Alles verlief so typisch für mich. Eigentlich war ich in Arulco um mich zu erholen. Ich hatte gerade eine schwere Verletzung an der Schulter hinter mir und besuchte diese Bananenrepublik zur Regeneration. Doch daraus wurde nichts, in Arulco tobte ein blutiger Bürgerkrieg, an dem ich natürlich teilhaben musste. Ausgerechnet in Cambria, dieser kleinen Stadt dessen Namen ich vor ein paar Monaten noch nie gehört hatte, sollte ich einen Auftrag annehmen, der mein Leben veränderte.


Arulco ein Jahr zuvor
Nachdem ich geduscht und gefrühstückt hatte, verließ ich mein Hotel, in meiner Tasche die Beute von gestern abend. Zwei Kalaschnikows, eine MP5K und zwei AK74SUs. Da auf keiner dieser Waffen mein Schalldämpfer passte, entschloss ich mich sie zu verkaufen. West war nicht in der Bar und da ich keine Lust hatte ihn zu suchen, wollte ich meine Ware in einem Geschäft loswerden. Auf dem Weg dorthin fiel mir ein Plakat auf. Es zeigte ein Bild von Miguel Cordona, drüber stand "Wanted", darunter ein Propaganda-Text. Die Armee hatte also noch Leute in Cambria. Eigentlich war es mir egal, es war nicht mein Kampf. Deidrannas Leute waren höchstens meine Sparringspartner, sie sollten mir helfen wieder in Form zu kommen. Es war ein riskantes Training, aber es half mir sehr. Ein echtes Interesse hatte ich an dem ganzen Konflikt hier nicht.
Ich betrat den Laden mit dem klangvollen Namen "Keith´s Megastore".
"Hallo, Keith wie ich annehme."
"Ja genau, Hallo."
"Einen netten Laden haben sie hier." Es war das übliche Geplänkel um seinen Gegenüber für den folgenden Deal gefällig zu machen.
"Danke sehr. Was kann ich ihnen anbieten?"
"Wären sie an einem lukrativen Geschäft interessiert?"
"Jederzeit, was haben Sie für mich?"
"Ich hätte hier ein paar Sachen, die ich allerdings nicht ins Schaufenster stellen würde."
"Klingt interessant, reden Sie weiter."
"Ich hätte hier zwei AKs, eine MP5 und zwei AK74SUs. Ich würde ihnen alles für $1000 überlassen. Der Wiederverkaufswert ist weitaus höher."
"Tut mir leid, Mann, aber ich handle nicht mit Waffen."
"Bitte was?" Ich schüttelte den Kopf. Damit hatte ich nicht gerechnet.
"Sie wissen aber, dass ihnen da das größte Geschäft von allen entgeht?"
"Ach ne, wirklich? Hören Sie, dass ich nicht mit Waffen handele, hat einen Grund: Die Hillbilies."
"Wer?"
"Die Hillbilies sind eine Bauernfamilie. Sie sind alle Waffennarren und die reinste Inzucht-Brut. Früher habe ich mal mit Waffen gehandelt, aber jedes Mal kamen diese Bande und haben sie mir wieder geklaut."
"Warum haben Sie sich nicht gewehrt?"
"Gegen zehn bis an die Zähne bewaffnete Bauern? Ich bin doch nicht lebensmüde!"
Ich witterte ein Geschäft. Ich war ein selbstständiger Söldner, Töten war mein Geschäft. Menschen bedeuteten mir überhaupt nichts. Mich interessierten nur meine Ziele und wie viel Profit sie mit sich brachten. Wenn dabei der eine oder andere umkam, wen kümmerte das groß?
"OK, was halten Sie davon: Sie nehmen meine Waffen für $500 und den Rest geben Sie mir, wenn ich die Hillbilies erlegt habe. Sie können davon nur profitieren, wenn ich lebend wiederkomme, habe ich die Hillbilies erlegt und wenn ich tot bin haben Sie ein Schnäppchen gemacht."
"Das klingt gut, aber ich muss Sie warnen, sie sind wirklich extrem gefährlich."
"Keine Sorge, ich kriege das schon hin."

Pah, ich würde ja wohl ein paar Bauern umlegen können, es war kein wirkliches Problem, dachte ich. Meine Gedanken waren eine gefährliche Mischung aus Arroganz und Ignoranz, die tödlich sein konnte.
Der Deal lief wie geplant ab, ich hatte meine nächste kleinere Aufgabe. Für arulcanische Verhältnisse war sie lukrativ und ich hatte endlich mal wieder was zu tun.
Mit den $500 Anzahlung ging ich erst mal in die Bar.

So lief das eben in Arulco, dass an einen bestimmten Deal besondere Bedingungen geknüpft waren. Diesmal war es die Vernichtung von rund 20 Bauern. Eine klassische Search and Destroy-Mission. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen für eine Einzelperson, aber hinterher ist man immer schlauer.


Der Marsch bis zur Farm verlief ohne weitere Probleme, ich kam ungefähr zwei Stunden später an. Es war eine gute Zeit um anzugreifen, es war stockdunkel und viele der Bauern waren bestimmt schon im Bett. Es würde bestimmt ein leichtes Spiel werden. Nach einiger Zeit intensiven Suchens hatte ich einen geeigneten Beobachtungspunkt gefunden. Durch das Fernglas konnte ich nicht viel erkennen, dafür war es viel zu dunkel. Wenigstens konnte ich im Haus mehrere Schatten sehen, sie waren also noch wach. Das verkomplizierte die Angelegenheit sehr, aber ich liebte die Herausforderung. Ich entschloss mich, mir das Geschehen etwas genauer zu betrachten. Unten angekommen legte ich mich in einen Busch. Vor dem Haus saßen drei Bauern, neben ihnen standen Gewehre, es war schwer zu erkennen wie sie bewaffnet waren, aber ich glaubte zu sehen, dass es sich um Shotguns handelte. Sie spielten Karten und stellten wohl so etwas wie eine Wache dar. Eine verzwickte Situation, drei Gegner auf einmal waren nicht so einfach zu erlegen. Zumal in dem Haus bereits drei bis sechs weitere Schatten darauf warteten, bei dem kleinsten Laut sofort loszuschlagen.

Ich entschied mich weiter zu gehen. Ein Maisfeld schien mir eine geeignete Deckung zu sein, auch gut um im Notfall zu flüchten. Auch wenn ich einen Notfallplan bestimmt nicht brauchen würde, es war immer gut einen zu haben. Ein Geräusch weckte meine Aufmerksamkeit. Es kam aus dem Stall. Als ich an der Wand desselben kauerte, hörte ich eine Kuh jammervoll stöhnen. Wahrscheinlich wurde sie gerade geschlachtet, dachte ich bei mir, und dafür war ein Bauer nötig, ein Bauer der beschäftigt war. Langsam schlich ich mich hinein, immer darauf bedacht, möglichst leise vorzugehen. In der einen Hand hielt ich die entsicherte USP, in der anderen ein Wurfmesser. Das Geräusch war ganz nah, nur noch eine Ecke entfernt, sie stöhnte seltsamerweise immer noch. Die Luft war zum Zerreißen gespannt, mit der Waffe voraus lugte ich um die Ecke. Ich war auf alles gefasst, doch was ich sah, war das Widerwärtigste, was ich mir nur vorstellen konnte. Die Kuh wurde nicht geschlachtet, sie wurde vergewaltigt. Einer dieser Hinterwäldler nahm sie von hinten. Vor Ekel und Abscheu musste ich mich fast übergeben, aber ich konnte es gerade noch zurückhalten. Unter den Gefühlen des Ekels mischte sich jetzt Wut. Ich nahm die USP hervor und visierte seinen Kopf an. Meine Waffe gab ein leises Surren von sich. Der Schuss zerfetzte seinen Hinterkopf. Er sackte über der Kuh zusammen, sie befreite sich von ihrem Peiniger und gab mit ihren Hufen der Leiche noch einen Tritt mit. Sie war vollkommen durcheinander und fiel hin. Ich gab ihr den Gnadenschuss.

Ich würde diese Kerle umbringen, neben meiner Geldgier kam jetzt noch das Gefühl des Ekels hinzu. Diese Brut hatte es nicht verdient zu leben. Ich schlich aus dem Stall und suchte mir mein nächstes Ziel, immer bereit abzudrücken.
Nach neuen Opfern ausschauend, bahnte ich mir den Weg an die Rückseite des Hauses. Niemand war in Sicht, aber plötzlich hörte ich Stimmen.
"Francis, hör auf zu arbeiten. Es ist schon spät. Den restlichen Mais erntest du morgen."
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich war vorhin ahnungslos zehn Meter an einen meiner Feinde vorbeigelaufen und hatte ihn übersehen. Mein Puls raste, meine Atmung wurde schneller und ich schwitzte aus allen Poren. Ich hätte mich am Liebsten selbst angeschrieen, wenn ich weiter so blöd wäre, würde ein Fehler mal tödlich enden. Dank meiner Erfahrung hatte ich mich nach kurzer Zeit wieder beruhigt und machte mich auf ins Maisfeld.

Da sah ich ihn, er packte gerade seine prächtige Ausbeute in eine Art Rucksack. Das war meine Chance. In unendlich langer Zeit gelang es im Schutze der Ähren bis auf fünf Meter an ihn heranzukommen, doch das war viel schwieriger als ich gedacht hatte. Die Situation war unberechenbar. Der Boden war staubig und überall lagen trockene Blätter rum. Ich wunderte mich, wie hier etwas wachsen konnte. Ein falscher Tritt und ich wäre entlarvt. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn die Inzucht-Brut mich in die Finger bekam. Durch die hohen Halme war nicht die gesamte Gegend einsehbar, hinter jeder Ecke konnte der Tod auf mich lauern. Ich duckte mich. Obwohl mein Puls wieder raste und in meinem Blut das Adrenalin nur so sprudelte, versuchte ich, so gut es mir möglich war, flach zu atmen. Es gelang mir, die Routine griff wieder. Der Naturbursche lud ein weites Bündel Mais in den Rucksack. Ich sprang auf und schlitzte mit meinem Messer die Kehle des Mannes auf. Ein Schrei war unmöglich, ich ließ ihn fallen ohne ihm den Mund zu zuhalten. Ich zog die Leiche meines Opfers außerhalb der Sichtweite der Bauern. Dann verdrückte ich mich in Richtung des Stalls.

Wieder hörte ich Stimmen.
"Joey, schmeiß die Mistgabel in den Schuppen."
Wieder eine gute Situation für mich. Ich drückte mich an die Wand der kleinen Baracke. Alle meine Sinne waren geschärft. Der Bauer öffnete die Tür, ich hörte es am Quietschen. Gott sei Dank gab es in Arulco nicht genug Öl, um damit die Scharniere zu schmieren. Ich wirbelte herum und schmiss das Wurfmesser. Es landete genau am Hals meines Opfers. Dumpf fiel er zu Boden, die Mistgabel glücklicherweise lautlos ins Gras vor dem Schuppen. Schnell zog ich das Messer aus dem Hals und verschwand ins Dunkle. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn bemerken würden.

Doch ein weiteres Ziel war erledigt, ich schätzte es waren noch zwölf Hillbillies bis ich um $500 reicher wäre. Aber es war nicht nur das Geld, was mich reizte, es war die Mutprobe. Ich wollte mir beweisen, dass ich es noch konnte. Kurze Zeit später schlich ich erneut um das Anwesen herum, doch ich konnte keine weiteren Gegner ausmachen. Und so waren die Wachen an der vorderen Haustür meine nächsten Opfer.

Ich konnte Rufe vernehmen, verstand sie aber nicht deutlich. Zu meiner Überraschung waren dort nur noch zwei Wachen. Der Dritte war wohl gerade dabei sich zu erleichtern. Wie leichtsinnig von ihm. Das war meine Chance, mit den zwei anderen würde ich es aufnehmen können. Wie damals im Kosovo würde ich die beiden mit meiner Feuerwaffe erledigen. Zwei saubere Schüsse und die ganze Mission wäre um einiges leichter. Es kam mir wie ein Déjà-vu vor, in der Dunkelheit ähnelten sich die Szenerien frappierend. Ich konzentrierte mich, atmete flach und setzte meinen Tunnelblick auf. Ich visierte den Kopf der ersten Wache an. Wenn ich abgedrückt hatte, musste ich mir sofort den Zweiten vornehmen, bevor sie mich entdecken konnten. Ich atmete noch einmal kräftig aus und betätigte den Abzug. Pling! Die Weichkernkugel traf auf seine Schläfe und expandierte. Er hatte keine Chance. Jetzt musste alles schnell gehen. In Windeseile richtete ich meine USP auf den Brustkorb der zweiten Wache. Dieser erstarrte als er sah, wie sein Vater und wahrscheinlich auch gleichzeitig sein Bruder zusammensackte. Mein Finger wanderte zum Abzug. Gleichzeitig hörte ich ein Ruf.
"Alarm, Joey ist tot!"

Erschrocken verzog ich die USP und zog den Abzug durch. Die Kugel traf die Regenrinne. Der einzige Gedanke der momentan meinen Kopf durchschoss war, dass der Querschläger so laut wie ein Düsenjet gewesen sein musste. Dass die anderen durch den Schrei sowieso schon alarmiert waren, realisierte ich in dem Augenblick überhaupt nicht. Jetzt schaute die zweite Wache genau in meine Richtung, mit der Hand griff er nach seiner Pumpgun. Ich schoss dreimal auf ihn. Zu meiner Überraschung trafen alle drei Kugeln. Jetzt musste ich schnell verschwinden. Auf einmal wirbelte die dritte Wache vom Schuppen um die Ecke. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte ich. Das erlaubte ihm mich ins Visier zu nehmen. Fast zeitgleich rissen wir beide die Waffen hoch und drückten ab. Er traf mich an meiner Schulter. Unendlich viele kleine Splitter fügten mir unendlich große Schmerzen zu. Mit letzter Kraft gab ich noch drei Kugeln in seine Richtung ab. Eine landete im Knie, eine im Nirvana und eine andere im Unterleib. Von Schmerzen gekrümmt fiel er vornüber. Er war keine große Gefahr mehr für mich.

Die Schulter, nicht schon wieder die Schulter. Der Arzt hatte mir gesagt, dass noch ein Treffer an der gleichen Stelle mich zu einem Invaliden machen könnte. Aber das war das Letzte woran ich jetzt dachte. Ich musste nur raus, raus aus dieser Hölle, nur noch raus. Ich sah die Lichter im Haus angehen. Wieder dieses Déjà-vu. Mit letzter Kraft kletterte ich über den Holzzaun und schleppte mich ins Maisfeld. Meine Wunde blutete stark, auf dem Boden bildete sich eine Blutspur, die meine Position verriet. Ich lehnte mich kurz gegen den Zaun, mit der Hilfe meines Messers gelang es mir, einen Teil des Pullovers abzureißen. Ich wickelte den Fetzen notdürftig um die Schulter. Das musste reichen.. Das Wichtigste war jetzt keine Spuren durch rötliche Körperflüssigkeiten zu hinterlassen. Als ich gerade fertig war, spürte ich wie eine Schrotladung über meinen Kopf sauste. Blitzschnell drehte ich mich um, aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass mein Gegner mich aus 15 Metern verfehlt hatte. Jetzt stand er im Licht der Hauslampe und lud eine neue Schrotpatrone in den Lauf. Was für ein blutiger Anfänger, dass er sich mit mir angelegt hatte, würde er schon bald bereuen. Ich zog das Wurfmesser und warf es in Richtung des Feindes. Es traf im Magen auf. Geschockt hielt mein Gegenüber die Hände auf seine Wunde, fiel hin und fing an laut vor Schmerzen zu schreien. Gut, das würde reichen um mich zu entfernen. Doch kaum war ich drei Schritte gelaufen, knallte schon die nächste Schrotladung auf meine ursprüngliche Position. Zu dem dumpfen Brüllen der Shotguns mischte sich jetzt auch noch das Knallen einer Ruger. Wahrscheinlich Model Mini-14. Verdammter Mist, mit dem Teil konnte man noch auf 300 Meter einen Stecknadelkopf treffen, in den Händen eines guten Schützen würde er mich selbst bei Nacht auf 50 bis 75 Meter ausschalten. Dazu mischten sich Stimmen. Wieder und immer wieder diese Erinnerungen an den missglückten Einsatz im Kosovo, in meinem Ohr hallte es ununterbrochen Abbruch, Abbruch!!!

Ich musste mich jetzt konzentrieren. Im Zick-Zack-Lauf rannte ich durch das Feld, um mich herum spritze immer wieder durch die Schüsse die Erde hoch. Maisfetzen flogen mir ins Gesicht. Es war so heiß, noch heißer und es hätte Popcorn geregnet. Eine der Kugeln traf einen Bienenstock der surrend auf die Erde fiel. Sofort wurde es unheimlich laut. Die Bienen waren erwacht und nicht gerade froh darüber, dass man ihren Bau zerstört hatte. Sie schwärmten aus. Eine dröhnende Wand baute sich vor mir auf und ich musste direkt durch dieses Inferno. Mit den Händen schützte ich mein Gesicht, hoffte so auch zu verhindern, dass die Bienen in meinen Rachen gelangten. Ich hab nicht gezählt wie oft ich gestochen wurde, aber es mussten an die 100 Stiche gewesen sein, so schmerzte mein Körper. Endlich hatte ich den Rand der Farm erreicht. Ich erholte mich ein paar Sekunden, ein paar Sekunden zu viel. Hinter mir hörte ich Schritte, ich wirbelte herum und zog den Abzug zweimal durch.. Beide Kugeln trafen ihr Ziel...eine Kuh. Eine Kuh, die jetzt ihren Todeskampf zu laut austrug. Ihr Stöhnen klang furchtbar, es ließ mich erschaudern, es war schrecklich und laut. Meine Position war wieder bekannt. Sekundenbruchteile später flogen mir die Kugeln um die Ohren. Zu allem Übel landete ich unglücklich auf meine lädierten Schulter, ich musste laut aufschreien. Hinter der Farm folgte ein Wald. Sofort rappelte ich mich wieder auf und rannte los. Mit geducktem Kopf rannte ich so schnell ich noch konnte in den Wald. Um mich herum flirten die Kugeln. Ich lief und lief, ich rannte um mein Leben.

Ich wusste nicht mehr wo ich war, aber das war mir egal. Ich war in irgendeinem Wald, das bekam ich noch mit. Ich lief nur noch um mein Leben. Trotz der Verletzung rannte ich erstaunlich schnell, Adrenalin verleiht Flügel. Ich hatte das Gefühl, ich wäre schon mindestens eine Viertelstunde gelaufen, wahrscheinlich waren es aber nur fünf Minuten, ich hatte das Gefühl für Raum und Zeit schon lange verloren. Im Zick-Zack-Lauf probierte ich die Gegner abzuschütteln. Anscheinend gelang es mir, die Schüsse und Stimmen wurden immer weniger und immer leiser, sie rückten in weite Ferne. Allerdings war meine Wahrnehmung nur noch schemenhaft. Ich würde es gar nicht merken, wenn diese Hillbillies mir auf den Rücken klopfen würden. Wieweit sie wirklich weg waren? Ich hatte nicht die geringste Ahnung.

Inzwischen schleppte ich meinen Körper mehr hinter mir her, als dass ich rannte. Auf einmal sah ich ein Licht, nur ganz klein, nur ganz schwach, vielleicht war es nur eine Einbildung, aber es war ein Hoffnungsschimmer. Ich pumpte wie ein Maikäfer und rannte in Richtung des Lichtes. Meine Schritte wurden immer langsamer, eine unendliche Müdigkeit überkam mich und meinen Körper. Dann fiel ich über eine Wurzel. Ich kam hart mit dem Kopf auf, zu den Schmerzen in meiner Schulter kam noch ein unbarmherziger Kopfschmerz hinzu. Ich sah in Richtung des Lichtes, es war jetzt stärker als zuvor und auch größer. Doch dann wurde es immer schwächer und mit ihm auch ich. Letztendlich erlosch das Licht und mich überkam eine grausame Dunkelheit.
Doch schließlich schlief ich seelenruhig ein. Auf einmal war alles egal, ich hatte mit mir und meinem Leben abgeschlossen. Jetzt fehlte nur noch der Tunnel an deren Ende die Himmelspforte auf mich wartete.

Damals hörte ich schon die Engel singen. Doch dann kam alles anders. Ich wurde gerettet. Gerettet von einem Engel, Angelina. Ihr hatte ich mein Leben zu verdanken und nicht nur das. Durch sie wurde ich zu dem Menschen, der ich heute war...

Diese Alpträume. Sie quälten mich immer und immer wieder. Ständig spielte sich in meinem Kopf der Film von den Ereignissen im Kosovo ab. Immer wieder schlich ich zur Baracke, erschoss ich die Patrouille, legte die Sprengladung und jedes Mal wieder tauchte die zweite Patrouille auf und schoss mir die Schulter in Fetzen. Und immer und immer wieder hörte ich meinen Teamleader "Abbruch, Abbruch" schreien.

Jetzt schon wieder, nur diesmal schwächer als zuvor. Wieder kam die zweite Patrouille um die Ecke, aber diesmal sagte sie plötzlich: "Hallo Sie, sind Sie bei Bewusstsein?" Erschrocken öffnete ich meine Augen. Es war hell, zu hell. Sofort schloss ich meine Augen wieder. Ein paar Sekunden später konnte ich das Licht ertragen. Und dann sah ich sie: Ihre langen glänzenden schwarzen Haare, ihre kaffeebraune Haut, ihre rehbraunen Augen, ihr wunderschönes Gesicht mit der kleinen Stupsnase. Sie war ein Engel. Ich war im Himmel. Ich war tot. Aber es ging mir gut hier oben. Langsam öffnete ich meinen Mund.
"Sind...sind sie ein Engel?"
"Nein Senior, mein Name ist Angelina Santana, ich habe sie bewusstlos in der Nähe meines Hauses gefunden."
Ich war nicht tot, ich lebte. Sie sah nur aus wie ein Engel.
"Wie geht es ihnen?", fragte sie mich.
Mir fiel ihre wunderbare Stimme auf.
"Wie heißt es so schön? Den Umständen entsprechend."
"Also beschissen!"
Ich musste lachen, belies es aber bei dem Versuch, zu sehr schmerzte meine Schulter.
"Wie...wie lange war ich weggetreten?"
"Ich habe sie gestern Nacht gefunden, da waren sie schon bewusstlos. Wie lange sie dort schon lagen, kann ich nicht genau sagen, ich schätze so ein bis zwei Stunden. Jemand hat ihnen da ziemlich die Schulter zerschossen. Waren das diese Hillbillies? Ich hasse dieses Bauern-Pack."
Langsam kamen meine Erinnerungen an die gestrige Nacht wieder.
"Ja, genau die waren es."
"Warum sind sie überhaupt dorthin gegangen. Hat ihnen den niemand gesagt, dass die gefährlich sind?"
"Doch, aber ich wollte den Leuten aus Cambria einen kleinen Gefallen tun."
Das war gelogen. In Wirklichkeit waren die Hillbillies nur Teil meines Rehabilitationsprogramm. Dass die Leute mir dafür dankbar gewesen wären, war nur ein netter Nebeneffekt, aber bestimmt nicht der Hauptgrund meines Handelns. En weitaus wichtigerer Grund waren für mich die $500.

"Jedenfalls, ich habe ihre Schulter jetzt soweit geflickt. Ich habe alle Schrot-Kugeln entfernt, dass hoffe ich jedenfalls." Sie hatte ein wundervolles Lächeln.
Ich guckte überrascht.
"Ach so, das wissen Sie natürlich nicht. Ich habe drei Semester Medizin an der Universität in Cambria studiert und nebenbei als Krankenschwester gearbeitet. Bis diese Schlampe die Uni komplett und das Krankenhaus für die Rebellen geschlossen hat. Ich musste mit Ansehen wie einer der Rebellen vor meinen Augen verblutet ist. Ich konnte nichts tun. Er war so jung, höchstens 18 Jahre, hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Er hatte einen Bauchschuss. Mit den Händen versuchte er die Blutung zu stoppen. Er schrie nach seiner Mama, seine Augen wurden immer leerer und schließlich verstummten seine Schreie. Und ich stand die ganze Zeit daneben, mit einer Waffe an der Schläfe und konnte nichts tun." Eine Träne kullerte über ihre Wange. "Seitdem habe ich aufgehört. Ich habe meinen Job im Krankenhaus geschmissen und bringe mir seitdem die Medizin so gut es eben geht selbst bei. Ich hasse den Krieg und ich hasse Soldaten!"
"Dich wird es bestimmt nicht freuen das zu hören, aber ich bin auch einer dieser verdammten Soldaten."
"Du bist einer von Deidrannas Leuten?"
"Nein, ich bin ein selbständiger Söldner."
"Also einer von den Rebellen?"
"Auch nicht."
"Was suchst du dann hier?"
"In einem Land wie diesem gibt es immer etwas zu holen. Aber eigentlich mache ich hier Urlaub. "
"Interessanter Urlaub. Seit wann gehört das Töten von irgendwelchen Leuten zur bevorzugten Freizeitaktivität? Ist das eine neue Art der aktiven Erholung? Aber was will ich erwarten, von einem Profisöldner."

Wut und Trauer zeichneten ihr Gesicht. Es stand ihr überhaupt nicht. Es brach mir das Herz sie so zu sehen. Und es brach mir mein Herz, dass ich sie verletzt hatte. Bei diesem Anblick bekam ich auf einmal das Gefühl mich zu öffnen, es platze aus mir heraus. Eigentlich hatte ich mir geschworen, nie meine wahre Identität preiszugeben, doch bei ihr fühlte ich mich sicher und geborgen. Irgendwelche Medikamente benebelten wohl meine Sinne, was mein ungewöhnliches Verhalten erklärte, denn die Vernunft sprach dagegen.
"OK, du willst wissen was mich in dieses gottverlassende Land gebracht hat? Ich erzähl es dir. Mein Name ist Ethan Silverman und wie du ja weißt bin ich ein Söldner. Mein Spezialgebiet ist das lautlose Töten in der Nacht."
Gleichzeitig wollte ich mir auch noch ein wenig Respekt verschaffen.
"Während meines letzten Einsatzes wurde ich schwer an meiner Schulter getroffen."
"Das erklärt einiges", warf sie ein, " ich habe mir doch schon gedacht, dass die Schulter vorher schon mal was abbekommen hat."
Ich war dankbar, dass sie mich unterbrach, das Sprechen fiel mir schwer.
"Danach bin ich nach Arulco gefahren um mir ´ne Auszeit zu nehmen. Ich wollte mir klar darüber werden, was ich mit meiner Zukunft machen werde. Und dann kam dieser Bürgerkrieg. Da konnte ich nicht widerstehen. Es war genau der richtige Schauplatz um sich selbst zu beweisen, dass man es noch drauf hat."
"Gefährlicher Schauplatz."

Es tat verdammt gut, die ganze Geschichte jemandem erzählen zu können. Ich fühlte mich befreit. Sie schaute mich an. In ihrem Gesicht sah ich Wut, Unverständnis und Gräuel. Wahrscheinlich fand sie mich und das was ich machte abstoßend.
"Warum machst du das? Warum tötest du Menschen?"
"Du hältst mich für einen Killer, nicht? Es gibt allerdings einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Killer und einem Söldner."
"Ach ja? Einstein hat mal gesagt "Töten im Krieg ist um nichts besser als gewöhnlicher Mord."

Das tat weh. Es tat so weh, weil sie recht hatte. Und das schlimmste war, ich konnte ihre Frage nicht beantworten. Ich wusste nicht warum ich Menschen tötete. War es für die gute Sache? Ganz bestimmt nicht. Ich war kein Gandhi, kein Martin Luther King, noch nicht mal ein Che Guevara. Ich arbeitete nur für Geld. Ich hatte nie moralische Zweifel. Dass ich keine Zweifel hatte, schob ich immer auf meine Kindheit. Ich wusste ja nicht mal was Liebe war. Noch nie war ich wirklich verliebt, ich hatte nie die Liebe meiner Eltern gespürt, wie denn auch, wenn ich nicht wusste wer meine Eltern waren? Alles was ich bisher erlebt hatte, war billiger Sex, meist von irgendwelchen billigen Schlampen. Aber richtige Liebe, hatte ich noch nie gespürt. Sie hatte recht, ich war ein eiskalter Killer, ohne Gefühle, ohne Reue. Ich dachte, nur weil ich, im Gegensatz zu vielen anderen Söldnern, nie Frauen vergewaltigte und keine Häuser ausraubte, wäre ich ein ehrenhafter Krieger. Für mich hatte es immer die Richtigen, die bösen Jungs, erwischt. Aber gab es Gut und Böse in einem Krieg? Versuchte nicht nur jede Seite einfach zu überleben? Jetzt fing ich an, über meine Taten nachzudenken, über meine Opfer nachzudenken, die auf einmal Menschen waren und keine Ziele mehr. Sie hatte mir die Augen geöffnet. In mir machte sich das Gefühl des Selbsthasses breit.

"Wie auch immer, was hast du jetzt vor? Willst du wieder auf Menschenjagd gehen?"
"Ich weiß es nicht. Das Komische ist, bis gestern war ich mir noch sicher. Aber jetzt weiß ich es nicht mehr. Ich weiß nicht woran es liegt, dass ich so unschlüssig bin, ob an dem Desaster gestern Nacht oder an dir..."
Sie schaute mich überrascht an. Obwohl sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, beobachtete ich, dass sie leicht errötete.
"Nun gut, rufen sie mich, wenn sie mich brauchen, Mister..."
"Nennen sie mich Ethan, Miss Santana."
"Für sie Angelina."
Da war es wieder, ihr wundervolles Lächeln. Als sie ging fiel mir ihre sexy Figur auf, ihr praller Po, der selbst einem Topmodell gut stehen würde. Irgendetwas in meinem Innern hatte sie verändert, doch ich konnte noch nicht sagen was es war.
"Bis bald, mein kleiner Engel", sagte ich leise zu mir.

Als ich einige Stunden später aufwachte, schaute ich mich zum ersten Mal richtig um. Ich hatte keine Uhr, aber die Sonne stand schon sehr tief. Es musste gegen vier Uhr gewesen sein. Sie hatte mich in ihrem Schlafzimmer untergebracht. Es war einfach eingerichtet, aber es gefiel mir. Der große, alte, massive Holzschrank erhielt meine Aufmerksamkeit. Er sah wirklich sehr alt aus, aber trotzdem sehr gepflegt. Ich schätze es war ein Erbstück. Vielleicht hatte sie ihn auch auf einem Floh-Markt erstanden. Die weißen Wände wirkten sehr beruhigend. Das Bett war groß und bequem. Neben dem Bett standen zwei kleine hölzerne Nachtschränke, wie ich sie schon in Chitzena gesehen hatte. Zwischen dem Bett und dem schönen alten Schrank stand ein großer Spiegel mit vergoldeter Umfassung. Na klar, dass durfte in einem Frauenschlafzimmer natürlich nicht fehlen. Ich schmunzelte.

Obwohl das Bett sehr groß war, durfte ich mich nicht umdrehen, dafür schmerzte meine Schulter viel zu sehr. Der Schmerz war in der letzten Stunde stärker geworden, die Wirkung der Medikamente ließ spürbar nach. Dafür konnte ich wieder klar denken. Ich dachte noch einmal an die Ereignisse der letzten Nacht zurück.

Ich war ein Versager. Ich konnte nicht einmal mehr ein paar hinterwäldlerische Bauern überwältigen und eliminieren. Das war ein tiefer Fall. Vom König der Nacht zu einem alternden Sack. Aber woran lag es? Am Training? Nein, ich hatte zuvor zwei Kämpfe bestritten, daran konnte es nicht liegen. An der Ausrüstung? Sicher, sie war bei weitem nicht perfekt, ich hatte ja auch nur $1000, aber es waren Bauern mit Schrotflinten, da brauchte man keine schallgedämpfte MP5 mit Infrarot-Scope. Zu meiner besten Zeit hätte ich die nur mit meinem Kampfmesser erledigt. War ich wirklich schon zu alt? Ich war jetzt 36. Nein, wenn ich wollte, könnte ich jederzeit mein Training bei meinen alten Lehrern aufnehmen und so gefährlich werden wie früher.

Doch wollte ich das überhaupt noch? Neuerdings kamen mir Zweifel, ich musste mich entscheiden. So konnte ich nicht weitermachen. Wenn man nicht 100% hinter seiner Entscheidung steht, wenn man zu lange überlegt, war das im Kampfeinsatz der sichere Tod. Doch warum zweifelte ich? Der Hauptgrund war meine Angst. Ich hatte schon immer Angst, aber produktive Angst. Es war die Sorte von Angst, die mich vorsichtig werden ließ. Aber die, die ich jetzt hatte, war eine andere. Es war die Furcht verletzt zu werden, die Furcht zu sterben. Dieses Gefühl war mir neu. Vorher war es mir egal ob ich sterben würde, ich hatte nichts zu verlieren. Je mehr ich über meine Taten nachdachte, desto mehr entdeckte ich mein wahres Ich, erkannte ich, dass ich wirklich nur ein Killer war. Ich wollte nicht mehr diesem Geschäft, ich war 36 Jahre und noch bestand die Chance heil aus der ganzen Angelegenheit rauszukommen. Ich war Angelina einiges schuldig, sie hatte mir das Leben gerettet und mir die Augen geöffnet. Sie war die netteste Person, die ich seit Jahren kennen gelernt hatte. Ein kleines Bisschen gab sie mir den Glauben an die Menschheit wieder, den ich während der letzten 15 Jahre auf den Schlachtfeldern dieser Welt verloren hatte. Da war noch etwas, was ich fühlte, wen sie in der Nähe war, doch es war noch zu früh um zu beschreiben was es war.

Warum sollte ich weitermachen? Geld? Sicher, dass war ein Grund. Aber nicht der Entscheidende. Wenn ich wollte, konnte ich mit dem Geld, dass ich bisher verdient hatte, sehr gut bis ans Ende meiner Tage leben. Vielleicht nicht in Amerika, vielleicht ohne viel Luxus, aber es würde reichen. Bloß, was sollte ich mit meinen restlichen 40 Jahren dann machen? Ich konnte nur kämpfen, was anderes hatte ich nie gelernt. Ich bezweifelte, dass ich einen normalen Job finden könnte. Ich war nicht dumm, aber einen Job lernen oder gar zu studieren, das würde ich mir bestimmt nicht antun.
Die Schmerzen in meiner Schulter wurden stärker. Zu diesen kamen jetzt noch Kopfschmerzen, es ging mir hundeelend.
Dann kam sie herein.

"Hallo Ethan, Zeit für deine Medizin."
Sie hielt mir eine Tasse mit einer teeartigen Substanz hin.
"Was ist das?", fragte ich.
"Das ist ein besonderer Heil-Tee mit arulcanischen Kräutern. Ich habe sie extra für dich frisch gepflückt."
"Ich dachte du bist Arzt und kein Druide."
"Naturheilpraktik ist das einzige, was man sich einigermaßen selbst beibringen kann und, wie du siehst äußerst praktisch. Nun trink schon endlich deinen Zaubertrank."
Sie hatte Sinn für Humor.
Das Trinken fiel mir äußerst schwer, deswegen hielt sie mir den Kopf. Ich war ihr unheimlich dankbar dafür, obwohl es für eine Krankenschwester wahrscheinlich fast schon eine Art Reflex war.
Der Tee schmeckte scheußlich, aber ich hatte keine andere Wahl. Ihre Hilfe machte die ganze Prozedur für mich deutlich erträglicher.

Dann knöpfte sie mein Hemd auf. Sie zog es mir so aus, dass beide Schulter frei lagen.
"Was hast du vor?", fragte ich erregt.
"Keine Panik, ich will deine lädierte Schulter nur mit einer Packung behandeln. Ich verpass ihr jetzt eine Mischung aus Heilerde und einer 3 %igen Wasserstoffperoxydlösung. Die Mixtur hab ich mir selbst ausgedacht, die Heilerde sorgt für einen sauberen Wundverschluss und die Wasserstoffperoxydlösung wirkt desinfizierend. Das Tolle daran ist, dass es kaum brennt."

Es brannte wirklich kaum, es war himmlisch. Ihre Hände waren so geschickt. Sanft massierte sie die Mixtur auf meiner Schulter. Es dauerte höchstens 30 Sekunden, aber ich wünschte dieser Augenblick würde ewig dauern. Zu meinem Bedauern tat er es nicht. Schließlich umwickelte sie meine Schulter fest mit einem Leinentuch. Mein Blick wanderte für eine Sekunde von ihrem Gesicht etwas tiefer. Mir fielen ihre prallen Brüste auf. Schnell blickte ich weg. Ich hoffte inständig, dass sie meinen lüsternen Blick nicht bemerkt hatte, es war mir zu peinlich. Ich verhielt mich wie ein pubertierender Junge.
Sie hatte ihn nicht bemerkt, oder sie ließ es sich nicht anmerken. Jedenfalls verließ sie das Zimmer wieder. Und ich war wieder allein. In mir ging der Kampf weiter...

Letztendlich hatte es doch mit uns beiden geklappt. Angelina, mein Engel, meine bessere Hälfte, du hast mich zurück auf den rechten Weg gebracht. Ohne dich würde ich wahrscheinlich immer noch sinnlos töten. Es lief gut mit uns beiden, das erste Kind war sogar schon unterwegs.

Außerdem ging es mir gut, weil ich im Gegensatz zu dem Großteil der Bevölkerung von Arulco Geld hatte. Geld aus meiner Zeit bei der Agentur. Es war verdammt viel, was ich dort verdient hatte. Wir hatten unser Haus ausgebaut mit einem Keller und einer zweiten Etage. Wir hatten sogar eine große Badewanne, welch wahnsinniger Luxus in Arulco. Benutzen konnten wir sie aber nur nach einigen Regenschauern. Wasser war das kostbarste Gut, es gab bei weitem nicht genug davon. Es für ein Bad zu benutzen wäre die reinste Verschwendung gewesen. Wir hatten uns einen von diesen modernen Regenfängern mit Wasserboiler angeschafft. So konnten wir einmal im Monat gemeinsam baden. In den Sommermonaten gingen wir immer zu den kleinen See, der in der Nähe unseres Hauses lag.

Obwohl ich es für nicht möglich hielt, hatte ich sogar wieder einen Job gefunden. Ich arbeitete beim ADSR, dem Arulcan Department for Security Reasons, sprich beim arulcanischen Geheimdienst. Dort war ich verantwortlich für die innere Sicherheit. Ich musste die öffentlichen Gebäude und die Minen von Arulco gegen Staatsfeinde schützen. Es gab noch immer einige Anhänger Deidrannas und einige von ihnen planten wohl einen Putschversuch. Außerdem sollte ich Kontakte zu anderen Geheimdiensten knüpfen. Als Ex-Freelancer kannte ich viele andere Söldner und damit gingen auch Verbindungen zu Geheimdienstlern einher. Arulco verdiente viel Geld als vorrübergehende Erholungsstädte für Agenten. Im Vergleich zu dem, was ich vorher als Profi-Söldner bekommen hatte, war mein Lohn lächerlich, aber für arulcanische Verhältnisse war ich damit ein Top-Verdiener. Angelina studierte inzwischen weiter Medizin und arbeitete halbtags im Krankenhaus. Sie machte das kostenlos, was ihrem Naturell voll entsprach. Sie war die hilfsbereiteste Person, die ich je kennen gelernt hatte.
Es ging mir richtig gut, wenn... ja wenn da nicht meine grausame Vergangenheit gewesen wäre, die noch schwer auf mir lastete und mich einfach nicht losließ.

An diesen wunderschönen Sonntag gegen acht Uhr saß ich draußen auf der Veranda und wartete darauf, dass Angelina aus dem Krankenhaus nach Hause kam. Sie hatte Nachtschicht von 0 bis 6 Uhr. Es war die schlimmste Schicht, zu dieser Zeit wurden immer die gewaltbereiten Alkoholiker eingeliefert und von denen gab es eine Menge in diesem zerstörten Land. Ich hatte es mir in dem antiken Schaukelstuhl gemütlich gemacht. Auf dem Tisch stand ein Glas Jack Daniels, es war der dreckigste Bourbon den ich je getrunken hatte, aber in diesem Land bekam man einfach nichts besseres, zwei belegte Brötchen, die mein Frühstück bildeten und der Aschenbecher, in den ich in regelmäßigen Abstände die Asche meiner Zigarre entleerte. Die Natur hier draußen war wunderbar, unser Haus lag nicht direkt in Cambria, sondern ungefähr zwei Kilometer nördlich davon. Es war ein ländliche Gegend, in dem gegenüberliegenden Feld wurde gelber Klatschmohn angebaut. Ich beobachtete das wunderbare Farbenspiel. Früher gehörten der Familie Santana noch das ein oder andere Feld, doch die Familie verkaufte sie als Deidranna vor zwölf Jahren an die Macht kam. In weiser Voraussicht verließen sie das Land und bauten sich in Tracona eine neue Existenz auf. Angelina blieb hier, sie wollte unbedingt Medizin studieren. Sie bekam ein Stipendium von der Universität in Cambria.

Das kleine Kofferradio war auf den einzigsten arulcanischen Radiosender eingestellt. Die Ansagen waren in spanisch und obwohl ich nun schon seit fast einem Jahr probierte diese Sprache zu lernen, verstand ich jedoch kein Wort. Dafür war die Musik gut, unverfälschte Musik, nicht dieses Pop-Gedudel, was man in Amerika zu hören bekam. Kubanische Son-Musik war vorherrschend, eine Verschmelzung von Ruhe und Intensität. Doch auch amerikanische Rock war vertreten. Im Moment lief gerade one of my turns. Pink Floyd, ein wunderbares Lied und das Lied, welches meinen Gemütszustand am besten ausdrückt. Mein Blick entfernte sich von den wunderschönen Mohnfeld und wanderte auf meine Schenkel. Ich hielt eine kleine Kiste in den Händen, so groß wie ein Schmuckkästchen. Sie war mit schwarzem Samt überzogen und in silbernen Lettern stand in kursiver Schrift Nicaragua ´87 drauf. Auf dem versilberten Verschluss war ein Kopf mit zwei Gesichtern eingraviert. Es war das Symbol des Janus, der römische Gott allen Ursprungs, allen Anfangs. Ihm wurde der erste Monat im römischen Kalender gewidmet, der Januar, bei den Römern der Beginn des Frühlings, der Beginn des Sommerfeldzuges. Heute nennt man diesen Monat März, nach Mars, dem Kriegsgott. Janus war der Gott, der die Vergangenheit und die Zukunft überschaute. Er hatte zwei Köpfe um nach vorne und nach hinten zu schauen. Böse Zungen behaupteten die beiden Gesichter würden die beiden Seelen wiederspiegeln, die in seinem Körper waren. Einerseits war er sehr gutmütig, andererseits aber auch ein gefährliches Monster. Er war der Wächter zwischen den Welten.

Im Deckel war ein Zettel angeklebt, auf ihm stand Ethan Silverman. Er war schon lange vergilbt und die Schrift kaum noch zu lesen, aber trotzdem hing ich sehr an diesen Stück Papier. Dieser Zettel war von meiner Mutter geschrieben worden und damals in den Korb gelegt worden, in den ich ausgesetzt worden bin. Langsam kämpfte ich mich bis zu dem Inhalt der Kiste vor. Es enthielt ein Tagebuch, einen persönlichen Brief und einen formellen Brief, alles in spanisch. All diese persönliche Schriftstücke hatte ich meinen erlegten Gegner abgenommen. Sie waren die Trophäen meiner Jagd, meine Köpfe an der Wand. Ich hatte sie schon öfters stolz herum gezeigt, doch noch nie hatte ich den Inhalt gelesen. Bisher war es mir auch nicht möglich, ich konnte kein spanisch und ich wollte es auch nicht. Ich hatte Angst vor diesen Gegenständen. Sie würden mir vielleicht Sachen über meine Opfer erzählen, die aus ihnen Menschen machen würde. Darauf folgte Mitleid und Selbsthass, Gefühle, die sich kein Profi-Söldner erlauben konnte. Doch so einer war ich schon lange nicht mehr, ich musste mit meiner Vergangenheit abschließen. Hier und heute würde ich damit anfangen, das schwor ich mir.

Mit zittrigen Händen nahm ich das Tagebuch hervor. Der Inschrift zufolge gehörte es einem Angelo da Silva. Ich las weiter, zumindest probierte ich es. Innerlich zerwühlt versuchte ich die fremde Sprache ins Englische zu übersetzen. Doch ich schaffte es nicht. Kurze Zeit später legte ich es resigniert zur Seite, es hatte keinen Zweck. Ich würde mindestens noch ein Jahr Unterricht brauchen um alles lesen zu können. Angelina kam heim und riss mich aus meinen Gedanken. Sie gab mir einen Kuss auf den Mund, jedes Mal, wenn sie das tat bekam ich eine Gänsehaut. Sofort waren meine Sorgen wie weggeblasen. Sie sah müde aus, schnappte sich noch schnell ein Brötchen und ging dann ins Bett. Die Nachtschicht hatte ihre Zeichen in ihrem Gesicht hinterlassen, doch das änderte nichts an ihrer Schönheit, zumal ein wenig Schlaf auch diese Zeichen wieder verschwinden ließ. Ich lehnte mich zurück, blickte wieder in mein Mohnfeld, einen tiefen Zug nehmend. Im Radio dudelte Buena Vista Social Club.

Inzwischen war es kurz nach eins. Wie jeden Sonntag gingen Angelina und ich spazieren. Wir wollten diesmal ein Picknick im Feld machen. Ich trug den Picknick-Korb, sie die große Wolldecke. Es war ein wundervoller Spaziergang, die Ruhe, die Natur, das schöne Wetter, die Szene hätte auch aus einem Werbefilm des arulcanischen Fremdenverkehrsamtes stammen können. Angelina trug ihr schönes blaues Sommerkleid, sie sah einfach himmlisch aus. Nur ganz leicht zeichnete sich ihr Bauch ab, sie war erst im vierten Monat schwanger. Nach ungefähr einer Stunde fanden wir einen geeigneten Platz für unser Picknick. Wir ließen uns inmitten eines Maisfeldes nieder. Die goldenen Ähren glänzten in der Sonne und bildeten ein farbiges Meer, das rhythmisch vom Wind umspielt wurde. Wir breiteten die Decke aus, sie war groß genug für vier Leute, für uns also genug Platz. Das Picknick war lecker, Angelina hatte die Sandwiches gemacht.

Alles war perfekt, doch noch immer lastete meine Vergangenheit schwer auf mir. Und ich war nicht der Einzige, der das bemerkte.
"Hey Ethan, was ist? Sag es schon, mir kannst du es ja wohl alles erzählen."
Ich fragte mich, woher Frauen immer gleich wussten, wenn einen irgendetwas bedrückte. Sie hatten wohl bestimmte Sensoren für solche Sachen.
"Nein, mit mir ist nichts. Es ist alles in Ordnung, wirklich."
Sie wussten aus irgendeinem Grund auch immer, wenn man log.
"Irgendwas bedrückt dich doch. Was ist es? Hat es etwas mit uns zu tun?"
"Das ist es ja gerade, alles ist perfekt."
"Wo liegt denn dann das Problem?"
"Es ist... meine Vergangenheit. Ah wie soll ich es dir sagen. Sie lässt mich nicht mehr los. Ich denke ständig an sie. Vor anderthalb Jahren, da war das alles noch normal, aber heute; heute scheint es mir widerwärtig und abscheulich."
"Willst du darüber reden?"
"Ich weiß nicht, ja vielleicht, aber ich muss dich warnen, es sind alles andere als nette Geschichten aus dem Ferienlager."
"Hey, Ethan", sie streichelte mir zärtlich die Wange, "du bist der Mann meines Lebens und der Vater meines zukünftigen Kindes. Ich will alles über dich wissen, auch wenn ich dadurch deine gewalttätige Seite kennen lerne. Und wenn du darüber redest, hilft es dir, dieses dunkle Kapitel deines Lebens endgültig abzuschließen."
Sie hatte Recht, wie immer.
"Wenn ich nur wüsste wo ich anfangen soll."
"Wie wäre es mit dem Anfang?"
Sie hatte mich überzeugt. Wie hatte das alles angefangen? An welcher Stelle lief alles aus dem Ufer? Wann rief ich die Geister, die ich nicht mehr los wurde? Es begann 1985.


Von Mattscho

 

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