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For the Old Days




Ich erkannte sie sofort, als sie die Bar betrat. Jemanden, in den man vier Jahre lang unglücklich verliebt war, egal wie lange das her sein mag, vergißt man nicht so schnell.
Ich saß wie üblich an meinem Stammplatz im Shamrock, jenem Irish Pub in Frankfurt, der seit langem die erste Adresse für Söldner, Geheimdiestler, Terroristen und ähnliche Leute ist.

Das Shamrock wurde Mitte der siebziger Jahre als eine Art Verbindungsbüro der IRA zur deutschen RAF eröffnet und hatte sich nach dem Ende des Kalten Krieges als Treffpunkt für die deutsche Oberliga der Söldner und ähnlicher Gestalten entwickelt. Der Polizei war das selbstverständlich bekannt, sie würde allerdings nichts unternehmen, denn mit der augenblicklichen Lage wußte man wenigstes, wo die Leute zu finden waren, wenn sie gebraucht wurden. Auf diese Weise konnte jeder zufrieden sein.

Die junge Frau ging zunächst zur Theke, wo sie kurz mit dem Besitzer der Bar, Padraigh O´Brien, einem ehemaligem IRA-Kämpfer aus Belfast, sprach, der daraufhin in meine Richtung zeigte.

"Paddy" und ich kannten uns schon länger. Als ich noch als Söldner für die IRA gearbeitet hatte, wohnte ich bei einem seiner Brüder, Timothy O´Brien, der mir auch den Kontakt zu Paddy vermittelt hatte, als ich Irland verlassen mußte. Ein dritter Bruder hatte früher Waffen verschoben, war aber vor einiger Zeit verschwunden.

Während sie sich zwischen den Tischen hindurch zu meiner Nische vorarbeitete, überlegte ich bereits, was dieses Mädchen wohl von mir wollte. "Was, du bist CAT Shannon?", fragte sie, als sie an meinem Ecktisch angekommen war. Offenbar hatte sie nicht gewußt, wer sich hinter dem Namen verbirgt. Ich forderte sie mit einer Geste auf, sich zu setzen. Der Vorteil an Ecktischen ist, daß beide Leute mit dem Rücken zur Wand sitzen und den Überblick behalten können.

"Allerdings, Andrea", antwortete ich, "was machst du hier?"
"Dich suchen. Ich habe viel von dir gehört."
"Gutes oder Schlechtes?" fragte ich. Viel von mir gehört? Ich mußte herausbekommen, was sie meinte.
"Interessantes" meinte sie lächelnd.
"Interessantes? Darauf trinke ich."

Ich leerte mein Glas Guinness und bedeutete der Bedienung, mir und Andrea ein neues zu bringen.
Es kam sofort.
Jemanden wie CAT Shannon ließ man hier nicht warten.
Nachdem die Kellnerin verschwunden war, fragte ich:
"Und was ist so interessant an mir, daß man viel darüber gehört haben könnte?"
Die Antwort auf diese Frage würde mir auch zeigen, woher Andrea ihre Informationen über mich hatte.

"Ich begnüge mich mit der Kurzfassung. CAT Shannon, wurde nach dem Abitur beim Bund zum Scharfschützen ausgebildet, ist danach zum BND gegangen, wegen Unzufriedenheit mit der miesen Bezahlung und der Bürokratie hat er sich selbstständig gemacht und ist jetzt ein verdammt guter Söldner. Zufrieden?"

Aha, die mehr oder weniger "offizielle" Version, kein Wort von Irland oder den noch immer guten Kontakten zum BND.
Na, das wäre auch zu peinlich für die Leute in Pullach, wenn bekannt würde, daß einer der von ihren eingesetzten Leute sein Geld auch damit verdient hat, britische Soldaten und Polizisten umzulegen. Es gab die unterschiedlichsten Varianten meines Lebenslaufes, aber keiner kannte die ganze Wahrheit. Nun, das war beabsichtigt. Andrea hatte ihre Informationen also aus der Presse, denn ihre Version meines Lebenslaufes war diejenige, die irgendwann mal publiziert worden war, allerdings ohne Fotos von mir.

"Nicht übel. Ich weiß nicht so viel über dich. Abi ein Jahr vor mir, dann zum Pädagogigstudium nach Dortmund. Und während der Schulzeit hättest du mich nicht mal auf dem Flur gegrüßt. Aber", ich lächelte kühl, " damals hatte ich auch noch nicht die Fähigkeiten, über die ich heute verfüge."

"Genau deswegen bin ich hier. Könnten wir irgendwo ungestört reden?"

Hinter dem Barraum verfügte das Shamrock über einige Zimmer, die speziell für ungestörte Gespräche zur Verfügung stehen.
In so eines führte ich Andrea.
Das Zimmer war nicht besonders groß und nur mit einem Tisch, zwei Stühlen und einer kleinen Kommode, auf der ein Radio stand, möbliert.

Andrea kam sofort zur Sache:
"Ich habe einen Auftrag für dich."
Ich sah sie mit leicht verkniffenen Augen an und fragte:
"Hörst du gern Musik?"
Sie bejahte die Frage, offensichtlich verdutzt.
"Na schön, dann wollen wir mal"

Ich drehte mich zum Radio um, schaltete es ein und drehte die Lautstärke hoch. Gleichzeitig griff ich unter meine Jacke, zog die Springfield Bureau Model und drehte mich um.

Wenn man auf geringe Distanz in die Mündung einer Pistole vom .45er Kaliber blickt, glaubt man, ein Auto darin abstellen zu können.
Andrea sah mich völlig entgeistert an.
Ich griff in die Schublade der Kommode, holte einen kleinen Block heraus, schlug ihn auf und legte ihn so auf den Tisch, daß Andrea das einzige Wort darauf lesen konnte:
Ausziehen!
Sie sah mich immer noch vollkommen überrascht an, ohne sich zu rühren. Ich spannte den Hahn der Pistole. Wenn ich schießen wollte, hätte ich das ohnehin tun müssen, aber auf diese Weise wirkte die Geste bedrohlicher.
Jetzt reagierte sie. Ziemlich hastig zog sie Blazer, Bluse und Hose aus. Als sie Anstalten machte, den BH zu öffnen, entspannte ich die Waffe und legte sie auf den Tisch, aber so, daß ich sie immer noch innerhalb von Sekundenbruchteilen aufnehmen konnte.

"Alles klar, anziehen" sagte ich.
"Was sollte das denn jetzt? Hat es dir Spaß gemacht? Dachtest du vielleicht, ich wäre bewaffnet?"
Sie fauchte mich regelrecht an.
Ich schüttelte langsam den Kopf. "Nein, hab gesehen daß du`s nicht warst."
Bevor ich weiterreden konnte, unterbrach sie mich.
"Und was sollte das dann? Rache, weil ich dich damals nicht wollte? Von einem Profi hatte ich sowas nicht erwartet, sich derart von seinen Gefühlen beeinflussen zu lassen."
Mußte sie soviel reden?

Ich fuhr fort, als wäre nichts gewesen:
"Aber wenn du verdrahtet gewesen wärst, hätte ich dich mit dem Mikrodraht erwürgt und das Band davon deinem Boss geschickt. Ich habe nicht nur Freunde und eine Liebe aus der alten Zeit wäre da eine klasse Falle gewesen."

Bei meiner Erklärung war sie blaß geworden. Anscheinend war ihr aufgegangen, daß ich wesentlich gefühlloser und gefährlicher war als sie gedacht hatte. Als sie sich wieder einigermaßen gefaßt hatte, meinte sie:
"Verstehe. Kein Mikro, kein Boss. Könnten wir zu Geschäft kommen?"
Es war Zeit für eine höfliche Geste:
"Sicher. Rauchst du immer noch? Hier."

Ich schob ihr mein Feuerzeug über den Tisch, ein altes, etwas verbeultes Zippo mit dem Abzeichen der Fernspäher, meiner alten Einheit beim Bund.
Sichtlich dankbar nahm sie es und zündete sich eine Zigarette an.
"Ich frage mich, wozu eine so hübsche Studentin jemanden wie mich braucht. Du willst nicht zufällig einen Professor umlegen lassen, oder?"
"Nein, das war nicht ganz das, was mir vorschwebte."
"Schade, wäre mal was einfaches gewesen. Wenn man so gut ist wie ich bekommt man einfach keine simplen Aufträge mehr. Worum geht´s also?"

Sie erläuterte mir ihr Problem und meinen Auftrag.
Es ging darum, ihren Cousin, den ich auch aus der Schule kannte, aus der Hand einiger Leute zu befreien, die ihn gegen seinen Willen festhielten. Die näheren Umstände waren dabei nicht wichtig. Wichtig dagegen war, wo diese Leute zu finden waren, nämlich auf einem abgelegenen Bauernhof etwa sechs Kilometer außerhalb Andreas Heimatort.

"Wir haben schon mit der Polizei gesprochen, aber die ist außerstande, etwas zu unternehmen. Die sind auch gar nicht interessiert. Da die aber schon mal angesprochen wurden, sollte die Sache am besten still und heimlich über die Bühne gehen. Wir wollen keinen Ärger."

Ich entschloß mich, erstmal mir ein Bild von der Gesamtlage zu verschaffen, bevor ich definitiv zusagen wollte.
Als das Geschäftliche geklärt war, gingen wir zurück in den Barraum, wo wir den Abend mit einigen Guinness und Whiskey abschlossen.

"Worauf wollen wir trinken?" fragte Andrea.
"Auf die alten Zeiten?"
"Welche alten Zeiten? Kann mich nicht dran erinnern, daß wir je was gemeinsam hatten."
"Schade eigentlich. Wenn ich dich heute so sehe..."
"Meine Schuld war´s nicht."

So ging es noch eine Weile weiter, bis es für Andrea Zeit wurde zu gehen.

Nachdem sie nach Hause abgereist war, stellte ich in meiner Wohnung die Ausrüstung für den Aufklärungseinsatz zusammen.
Im wesentlichen war das ein digitaler Fotoapparat, mein Laptop mit transportablem Drucker und eine schallgedämpfte Walther PPK, die ich für "interne Operationen", das heißt Aktionen innerhalb Deutschlands, benutzte.

Im Einsatzgebiet, meiner ehemaligen Heimatgegend, angekommen, hieß es zunächst einmal, eine geeignete Basis zu finden, wo ich Ausrüstung und eventuell benötigtes zusätzliches Personal unterbringen konnte.
Das war die bei weitem einfachste Aufgabe, ein kleines Hotel bot sich an, dessen Besitzer aufgrund der mäßigen Touristiklage nur zu gern bereit war, für etwas höhere Bezahlung keine Fragen zu stellen.

Jetzt hieß es, das Zielobjekt auszukundschaften.

Ich rief Andrea an und nach Einbruch der Dunkelheit brachen wir auf.
Wir fuhren in meinem Wagen, einem älteren schwarzen BMW mit BND-Kennzeichen.
Das hatte den Vorteil, daß die Polizei, sollte der Wagen gesehen werden, es eilig haben würde, so weit wie möglich davon wegzukommen, um sich keinen Ärger mit dieser teilweise sehr dubiosen Behörde einzuhandeln.
Die Kennzeichen stammten noch von einem Einsatz für den BND und ich hatte "vergessen", sie zurückzugeben.

Das Ziel lag so günstig, wie man es sich nur wünschen konnte.
Nicht nur mehrere Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt, sondern auch noch etwa zwei- bis dreihundert Meter von der Hauptstraße entfernt, mit dieser nur über einen Zufahrtsweg verbunden und als besonderer Bonus von recht dichtem Gebüsch umgeben.

Ich parkte den Wagen auf der Hälfte des Zufahrtsweges und schaltete die Beleuchtung aus, so daß wir praktisch unsichtbar waren, während wir die Vorderseite des Ziels in Augenschein nehmen konnten.
Plötzlich kam vom Ziel ein Fahrzeug auf uns zu.
Ich beugte mich schnell über Andrea und küßte sie.
Nach anfänglicher Überraschung erwiderte sie meinen Kuß leidenschaftlich, während ich das Fahrzeug, das uns gerade passiert hatte, im Auge behielt.
Kaum war es verschwunden, ließ ich Andrea los und mich in den Fahrersitz zurückfallen.

"Nicht übel" meinte sie nach einer kurzen Zeit.
"Danke, ich tue mein Bestes",erwiderte ich kalt, in der Hoffnung sie davon abzuhalten weiterzumachen.
Allerdings erfolglos, denn kurz darauf beugte sie sich herüber und begann mich zu küssen.
Ich stieß sie weg, schließlich waren wir nicht zum Vergnügen hier und das machte ich auch deutlich, als sie protestierte.

"Sehen wir uns das ganze doch mal aus der Nähe an", schlug ich vor und stieg aus.
Sie folgte mir und gemeinsam schlichen wir, vom Gebüsch verdeckt, einmal um den gesamten Hof.

Er bestand nur aus einem Gebäude.
Wenn man den Zufahrtsweg herunterkam, befand sich auf der rechten Seite des Gebäudes der Wohnbereich, der etwa zwei Drittel ausmachte und über zwei Stockwerke verfügte.
Der Rest des Gebäudes war offenbar einmal eine Scheune gewesen, die nun zur Garage umgebaut worden war. Sämtliche Fenster waren vergittert, nicht so, daß es offensichtlich war, aber ein Entkommen durch die Fenster war nicht möglich.
Es gab auch nur eine einzige Tür an der Vorderseite, eine zweite an der Rückseite war zugemauert.
Alles in allem Maßnahmen, die ein Entkommen extrem schwierig machten.
Das machte die beiden Wachen, die um das Gebäude patrouillierten, eigentlich überflüssig.

Nachdem ein erster Überblick gewonnen war, holte ich nun meinen Fotoapparat hervor, um bei einem sicher notwendig werdenden Briefing Bildmaterial zur Verfügung zu haben.
Andrea sah mich skeptisch an.

"Du willst doch jetzt hier nicht fotografieren, oder?"
"Wieso nicht? Gute Aufklärungsfotos helfen, die Sache sauber durchzuziehen und daran lag dir doch so viel, oder nicht?"
"Wenn du jetzt hier fotografieren willst, brauchst du doch sicher ein Blitzlicht. Und das werden diese beiden Typen da drüben sicher bemerken. Das nenne ich nicht gerade unauffällig."
"Ach, und wenn sie dein Gequassel hören, ist das unauffälliger, ja? Laß mich nur machen, ich weiß was ich tue."

Ohne mich weiter um sie zu kümmern schoß ich meine Fotos aus allen möglichen Positionen rund um das Gebäude, mit Nahaufnahmen von der Tür, den Fenstern und den Wächtern.
Daß die nichts bemerkten, erstaunte Andrea genug um mich meine Arbeit machen zu lassen.
Erst nachdem wir wieder im Wagen saßen und uns auf dem Weg zum Hotel befanden, fand sie die Sprache wieder.

"Wie kommt es, daß die nichts gemerkt haben? Sicher ist auf den Bildern nichts zu erkennen, dann sind wir nämlich zwei Stunden zu lange da herumgeschlichen. Die Zeit hätten wir auch besser nutzen können. Wo willst du die Fotos denn eigentlich entwickeln lassen? Hoffentlich nicht in einem Geschäft im Ort!"
"Warte ab, bis wir im Hotel sind. Oder besser noch, ich bringe dich nach Hause und du kommst morgen Vormittag vorbei. Ich bin nämlich hundemüde."

Obwohl es ganz offensichtlich nicht das war, was sie vorgesehen hatte, war es genau das, was ich tat.
Es war ein langer Tag gewesen und die nächsten würden nicht unbedingt besser werden, also hieß es, den Schlaf zu nehmen, den man kriegen konnte.

Am nächsten Morgen war Andrea schon da bevor ich gefrühstückt hatte, also taten wir das gemeinsam.
Danach ging es an die Arbeit.
Der Vorteil einer digitalen Kamera ist der, daß man die Fotos nicht langwierig entwickeln muß.
Ich schloß die Kamera an den Laptop an und lud die Fotos herunter.
Andrea war von der Qualität der Fotos gebührend beeindruckt und ich entschloß mich, das Rätsel zu lösen.

"Das ist eine Laserkamera. Wie es genau funktioniert weiß ich auch nicht, ich weiß aber, daß ich mit diesem Ding hochauflösende Fotos schießen kann, sogar in tiefster Finsternis und auf große Entfernungen. So was gibt es nirgens zu kaufen, das Ding habe ich noch vom BND. Man kann es sogar als Kopierer einsetzten und da es die Fotos speichert, brauche ich sie nicht entwickeln zu lassen, sondern kann sie ganz einfach auf einen Computer überspielen."

Inwiefern das praktisch war, zeigte sich im Verlauf der nächsten eineinhalb Stunden. Mittels eines Zeichenprogramms erstellte ich eine möglichst genaue Skizze des Zielobjektes und fügte die Fotos an entsprechender Stelle ein.
Durch einen Mausklich auf die Tür des Hauses zum Beispiel konnte man sich nun das entsprechende Foto ansehen. Dasselbe galt für die Fotos, die aus möglichen Beobachtungsstellen heraus gemacht wurden, um das Sichtfeld zu verdeutlichen.
So entstand eine Übersichtskizze mit allen relevanten Daten, die wir im Laufe der Nacht sammeln konnten. Anhand dieser Skizze würde, wenn es soweit war, der Einsatzplan erstellt werden.
Eine grobe Konzeption davon hatte ich bereits im Kopf und die legte ich jetzt Andrea dar.

"Ein Angriff in der Nacht, da sind anscheinend alle außer den Wachen im Haus. Wir schnappen uns die Wachen und stürmen das Haus. Da es nur einen einzigen Weg herein und heraus gibt, brauchen wir draußen keine Sicherungen. Im Idealfall können wir sie überraschen, ohne daß geschossen werden muß. Dann holen wir deinen Cousin raus und verschwinden. Ganz einfach."
"Wie lange wird das dauern und wie viel wird es kosten?"

Jetzt wurde es Zeit, die benötigte Ausrüstung und das Personal zu schildern.

"Ich schlage vor, noch drei Mann dazu zu nehmen, ich weiß auch schon wen. Wir brauchen schallgedämpfte Waffen, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte, vielleicht Kleidung, ein weiteres Fahrzeug...Also, ganz billig wird das nicht. Außerdem war unser kleiner Nachtspaziergang gestern erst der Anfang der Aufklärung. Ich will den Hof mindestens eine Woche rund um die Uhr beobachten, damit wir rauskriegen, mit wie vielen wir es zu tun haben. Die Leute werden auch noch was kosten, mal sehen, was da zusammenkommt. Woher hast du überhaupt das Geld, hier geht es in die Hunderttausende?"
"Naja, ich hätte es dir wahrscheinlich schon eher sagen sollen. Es geht nicht nur um meinen Cousin, da sind noch mehr Leute, die rausgeholt werden sollen."
"Noch mehr Leute? Ist machbar, wird aber schwieriger. Woher kommt das Geld? Ich will sichergehen, daß ich für diesen Job auch bezahlt werde."
"Tja, das Geld. Das kommt von den Familien der Leute. Wir haben zusammengelegt und dann bin ich los, um dich anzuwerben. Um CAT Shannon anzuwerben, genauer gesagt. Ich wußte ja nicht, daß du das bist."

Wenn man, wie ich, acht Sprachen beherrscht, verfügt man über ein beeindruckendes Repertoire an Flüchen. Im Geiste ging ich sie alle durch.

"Ach, das sagst du mir erst jetzt. Ist ja toll. Da setzte ich mein Leben aufs Spiel und hoffe, daß ein ganzes Konsortium von Leuten, die ich nicht kenne, den Mund hält. Wissen die, wen sie angeworben haben, oder was? Das hätte mir gerade noch gefehlt!"

Ich war kurz davor, auszurasten. Gott sei Dank konnte Andrea mich beruhigen, denn sie hatte ihren Leuten lediglich gesagt, sie könne jemanden finden, der so etwas schaffen könnte und sie würde der einzige Kontakt zu mir sein. Anscheinend hatte sie zumindest ein Minimum an konspirativen Kenntnissen, obwohl es für meinen Geschmack immer noch zu wenig war.
Deshalb gab ich ihr noch einmal genaue Anweisungen:

"Nimm Kontakt zu deinen Leuten auf, sag ihnen, sie sollen das Geld bereitstellen und ansonsten abwarten und Tee trinken. Ich leite die Aktion so, wie ich es für richtig halte, ohne Einmischung von außen. Keiner kriegt mich zu sehen, auch nicht wenn alles vorbei ist. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt."

Ich hatte.

"Du hast mir aber noch immer nicht gesagt, wie viel Geld du brauchen wirst."

Ich überlegte.
Die Waffen und Ausrüstung konnte ich nach der Aktion wieder verkaufen, das Geld kam also wieder rein. Der größte Kostenfaktor würde das Personal sein.
Ich brauchte mindestens noch drei Leute, da es aber nicht ins Ausland ging, fielen teure Reisekosten weg.
Der Job sollte innerhalb einer Woche beendet sein, ich hatte wenig Lust, länger als nötig für ein Konsortium aus Zivilisten, die vermutlich nicht mal Geschäftsleute waren und die Notwendigkeit von Geheimhaltung wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise begriffen, zu arbeiten.

"Hunderttausend" sagte ich.

Das sollte eigentlich reichen.
Zwanzigtausend für jeden Söldner, einschließlich mich, zwanzigtausend für die Ausrüstung, falls davon was übrig blieb, würde es als "besonderer Kommandantenbonus" an mich gehen.
Falls Andrea gedacht hatte, nur weil ich mal in sie verschossen war, würde ich gratis für sie arbeiten, hatte sie sich geschnitten.

"Die Hälfte als Anzahlung, der Rest nach Erldigung."

Ich hoffte nur, sie würde jetzt nicht fragen, auf welches Konto das Geld überwiesen werden sollte. Sie tat es nicht.

"Ich muß telefonieren. Ich denke, ich kann das Geld morgen mitbringen."
"Sobald ich das Geld habe, muß ich kurz zurück nach Frankfurt um das Personal und die Ausrüstung zu besorgen. Hier würde das zu schwierig und auffällig. Nein, du kannst nicht mitkommen."

Mit dem letzten Satz kam ich ihrer Frage zuvor und an ihrem Gesicht konnte ich die Enttäuschung darüber ablesen. Wieso mußte sie dauernd Geschäft und Vergnügen durcheinander bringen?
Sie hatte schon während meiner Arbeit an der Lageskizze ständig versucht, mich zu umarmen und zu küssen.
Und wieso war sie überhaupt plötzlich so scharf auf mich?
Dachte sie, weil ich mein Geld damit verdiene, Leute umzulegen, wäre ich besser im Bett, frei nach James Bond ? Völlig unverständlich, aber was solls.

Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, um mit ihren Leuten zu telefonieren, hing auch ich mich ans Telefon um die drei Söldner anzurufen, die mit mir die Aktion durchführen sollten.
Ich bestellte sie für den Abend des kommenden Tages ins Shamrock.
Gerade als ich fertig war, kam Andrea zurück und teilte mir mit, daß das Geld von den verschiedenen Leuten jetzt abgehoben werde und sie mir die Anzahlung morgen früh überbringen würde.

Für diesen Tag gab es nichts mehr zu tun, daher verbrachten wir den Rest des Tages im Hotelzimmer. Als sie endlich abends nach Hause ging, ertappte ich mich bei dem Gedanken, daß ich damals wirklich Glück gehabt hatte. Sie zufriedenzustellen war anstrengender als es unsere Aktion sein würde.

Am nächsten Morgen hatte ich wenigstens die Zeit zu frühstücken, bevor Andrea mit dem Geld ins Hotel kam. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß die Anzahlung vollständig war, brach ich nach Frankfurt auf.

Am Abend ging ich ins Shamrock, wo die drei anderen Söldner mich bereits erwarteten.
Da war zuerst Targeteer, ein drahtiger Typ mit dunklen, kurzen Haaren und ständig zusammengekniffenen Augen, außerdem ein erstklassiger Schütze.
Dann noch Tank, blond und wesentlich größer und kräftiger.
Schließlich noch Jana, mittelgroß mit langen rötlichen Haaren und grünen Augen, auch sie ein Topschütze.

Vom Sehen her kannten wir uns natürlich alle, aber Tank und Jana hatten bereits miteinander gearbeitet, daher würden sie auch in diesem Einsatz ein Team bilden, während ich mit Targeteer eines bilden würde.
Ich erläuterte ihnen den Auftrag und gab die Bezahlung bekannt, nämlich zwanzigtausend, die Hälfte sofort, der Rest bei Abschluß. Daß alle drei mitmachen würden, überraschte mich nicht.
Natürlich gab es Fragen die Ausführung betreffend.
Targeteer stellte sie für das gesamte Team:

"Wenn ich das richtig sehe, gehen wir rein, setzten die Typen fest und marschieren mit den Befreiten raus möglichst ohne zu schießen, richtig? Wieso legen wir die Typen nicht einfach um? Erspart eine Menge Schwierigkeiten. Oder hast du seit neuestem was gegens Töten, CAT?"
"Nein, ich habe keine Probleme damit und das weißt du auch. Aber wenn alles glatt läuft wird es diesmal nicht nötig sein und wenn es nicht nötig ist wird es nicht gemacht, klar? Wenn wir die Typen festsetzten, reicht das völlig, die können nicht zur Polizei gehen. Aber wenn wir anfangen, Leute umzulegen wird das früher oder später die Bullen auf den Plan rufen und das will unser Auftraggeber nicht. Und wenn der etwas nicht will, will ich es auch nicht, ok?"

Das Thema sollte noch öfter zu Auseinandersetzungen führen.
Nachdem wir uns einig geworden waren und ich jedem der drei die zehntausend der Anzahlung gegeben hatte, gab es für sie anderen nichts mehr zu tun als am nächsten Tag pünktlich zum verabredeten Treffpunkt zu erscheinen.

Ich dagegen hatte noch eine weitere Verabredung, und zwar mit Achmed, dem türkischen Waffenhändler.
Ich sagte ihm, was ich benötigte und er forderte mich auf, am nächsten Morgen in sein Geschäft zu kommen.

Selbstverständlich kam ich.
Achmed war schon lange in Deutschland, er war einer der ersten Gastarbeiter gewesen, hatte sich nach seiner Einbürgerung selbständig gemacht und sein kleines Waffengeschäft "Achmed Arms" eröffnet.
Er versorgte die Söldner aus dem Shamrock seit langem mit Waffen aller Art.
Den wenigsten Leuten ist bekannt, daß Söldner ihre Waffen nach dem Einsatz häufig wieder an denjenigen zurückverkaufen, von dem sie die Waffen erhalten haben.
Im Prinzip handelt es sich bei den Käufen mehr um eine Miete mit Hinterlegung einer Sicherheit, wobei die Differenz zwischen Verkaufspreis und Rückkaufpreis die Mieteinnahme darstellt. Auf diese Weise können die Söldner eine Menge Geld sparen und die Händler haben genügend Waffen vorrätig.

"Schön dich mal wieder hier begrüßen zu können, CAT"

Achmed sprach ziemlich gut deutsch, aber sein Akzent war nicht zu überhören.

"Habe genau das, was du wolltest. Für eine Woche, hast du gesagt, ist gut, aber dann will jemand anderes die Dinger haben."

Während er redete, legte er zwei MPs, eine VZ-61 und eine Spectre, sowie eine Ruger .22 auf den Tisch. Beide MPs waren mit Reflexvisieren ausgestattet, alle drei Waffen waren schallgedämpft.

"Wie kommt´s daß du jetzt leise sein willst? Letztes Mal konnte es nicht laut genug sein."

Letztes Mal hatte ich ihm einen Mörser samt Munition abgekauft.
Natürlich erwartete Achmed keine ehrliche Antwort auf seine Frage.
Wofür seine Waffen gebraucht wurden war das letzte was er wissen wollte.

"Für die MPs jeweils 3000, für die Pistole tausend. Reflexvisiere noch mal zusammen 1500. Macht 8000 für alles, und wenn du´s mir in einer Woche wiederbringst, gebe ich dir dafür 5000."
"Achttausend für den ganzen Kram ist okay, aber wenn ich´s dir wiederbringe, will ich siebentausend dafür." "Sechstausend, mein letztes Angebot!"
"Na gut, aber ich will noch Munition. Reine Bleigeschosse, wenn du hast."
"Hör mal, Achmed hat alles! Und weil du ein so guter Kunde bist, gebe ich dir die Munition gratis. Wieviel denn?"
"Drei Magazine pro MP, zwei für die Ruger. Und zwei Schachteln 7,65 Browning."

Die waren für meine PPK.

"Da mache ich dir so ein gutes Angebot und du willst mich ausnutzen! Du bis ein Halsabschneider, CAT!"

Er lachte.

"Klar, dafür werde ich bezahlt!" antwortete ich, ebenfalls lachend.

Waffen und Munition wanderten in eine große Sporttasche, die ich wohlweislich mitgenommen hatte.
Jetzt fehlten noch die Nachtsicht- und Funkgeräte.
Die besorgte ich mir bei einem Händler, der ähnlich wie Achmed seine Ware vermietete.

Bei den Nachtsichtgeräten handelte es sich natürlich um Nachtsichtbrillen und die Funkgeräte waren extraleichte Modelle mit Ohrhörer und Kehlkopfmikro.
Dieses Material kostete mich noch mal sechstausend, wovon ich bei Rückgabe fünftausend zurückbekommen würde.

Von den für Materialkosten veranschlagten zwanzigtausend hatte ich somit vierzehntausend ausgegeben, würde aber nach dem Auftrag elftausend davon zurückerhalten.
Von den restlichen sechstausend, die ich jetzt noch besaß, würden noch eine Reihe Ausgaben zu bestreiten sein, unter anderem die Einsatzbekleidung, die ich ebenfalls in Frankfurt kaufen wollte, die Unterbringungskosten für das Team im Einsatzgebiet und vielleicht ein weiteres Fahrzeug, um die Befreiten nach der Aktion abzutransportieren.
Damit waren die fünfzigtausend der Anzahlung, die ich von Andrea erhalten hatte, fast völlig aufgebraucht, ohne daß ich bis jetzt selbst bezahlt worden wäre.

Meine Bezahlung würde ich erst am Abschluß des Auftrags erhalten, wenn meine Kameraden ausbezahlt und die Ausrüstung wieder verkauft war. Im Falle eines Fehlschlages würde ich natürlich nichts erhalten, das war das unternehmerische Risiko bei der Sache. Inzwischen war es auch Zeit geworden, meine Teamkollegen abzuholen, damit wir uns mit der Einsatzkleidung ausstatten konnten.
In verschiedenen Army-Shops kaufte sich jeder von uns einen schwarz gefärbten Kampfanzug der Bundeswehr, natürlich ohne Abzeichen, eine Sturmhaube und schwarze Lederhandschuhe.

Nachdem nun die gesamte Ausrüstung beschafft und zusammen mit den persönlichen Bedarfsartikeln meiner Teamkollegen im Wagen verstaut war, hieß es Abfahrt ins Einsatzgebiet.

Dort im Hotel angekommen, machte ich das Team mit Andrea bekannt, die mir die Anwerbung von Jana gleich übelnahm.
Nachdem ich sie endlich davon überzeugt hatte, daß ich Jana nur angeheuert hatte, weil sie zum einen eine klasse Schützin war und zum anderen bereits mit Tank zusammengearbeitet hatte, wurde es Zeit, dem Team das Zielobjekt vorzustellen.

Zu diesem Zweck hatte ich die Geländeskizze mit den Fotos vorbereitet.
Nachdem sich jeder einen Überblick verschafft hatte, wurden die Zeiten der Beobachtungsposten eingeteilt.
Jeder würde sechs Stunden das Ziel aus einer dafür bereits ausgewählten Stellung heraus beobachten, bis er abgelöst würde. Danach sollten achtzehn Stunden Freizeit folgen, die jedoch möglichst im Hotel verbracht werden sollten, bevor die ganze Sache von vorn losging. Ich ahnte schon, daß ich meine Freizeit großteils mit Andrea zubringen würde. Zu Recht. An und für sich war das ja nicht schlecht, hatte ich mir damals doch nichts sehnlicher gewünscht, aber ich befürchtete, daß es meine Arbeit beeinträchtigen könnte und das durfte auf keinen Fall passieren.
Also einigten wir uns darauf, daß ich vor jedem Beobachtungseinsatz wenigstens sechs Stunden schlafen konnte.
Ziel der Beobachtung war es, herauszufinden, wie viele Gegner sich im Ziel befanden, ob und wie sie bewaffnet waren, wie viele Leute sie festhielten und wie der Tagesablauf aussah.

Der erste Beobachter sollte in Stellung gehen, sobald es dunkel geworden war.
Als Beobachtungsposten war eine Stelle an der vorderen rechten Ecke, vom Zufahrtsweg aus gesehen, des Hauses gewählt worden, da an dieser Stelle die Büsche ein besonders gutes Versteck boten und man sowohl die Front des Hauses mit der Eingangstür als auch eine Seite des Gebäudes überblicken konnte.
Wir losten die Reihenfolge aus.
Targeteer würde als erster dran sein, dann Jana, ich und zum Schluß Tank.

Glücklicherweise besaß ich zwei Speicherchips für meine Kamera, so daß die immer beim Beobachtungsposten bleiben konnte, während die Ablösung lediglich die Chips austauschen brauchte.

Als die Dämmerung hereingebrochen war, fuhr ich Targeteer zum Zielobjekt, um ihn vor Ort einzuweisen.
Den Wagen ließen wir auf der Hälfte des Zufahrtsweges in einer Feldeinfahrt stehen und schlichen uns zum Observierungsposten.

"Mein Gott, diese Idioten. Ich könnte sie von hier aus erledigen."

Targeteer meinte die beiden Wachen, die gerade ihre Runde drehten.

"Möglich, aber das ist nicht dein Job, denk dran. Beobachte alles, schreib auf, was passiert, knips die Wachen und warte auf die Ablösung. Das ist alles."

Das Problem mit Targeteer war, daß er ein ziemlicher Heißsporn war.
Aber er war auch ein guter Schütze, deshalb brauchte ich ihn. Und solange ich ihn bezahlte, würde er tun, was ich sagte.

Die Observierung lieferte uns eine Reihe von Erkenntnissen.
Es schien sich beim Gegner um fünf Leute zu handeln, dem Boss und vier Wachen.
Nach Einbruch der Dunkelheit patrouillierten alle zwei Stunden zwei Mann dreimal um das Gebäude.
Die Haustür schien abgeschlossen zu sein und ein Mann hielt offenbar immer Wache dahinter, da die Streife jedesmal erst anklopfen mußte. Wer auch immer der Boss der Leute dort sein mochte, er war nicht vollständig dämlich, denn er ließ seine Leute nicht zusammen gehen, wobei sie sich zweifellos dauernd unterhalten hätten, sondern ließ sie einzeln in entgegengesetzter Richtung um das Haus streifen, so daß sie sich einmal an der Vorder- und einmal an der Rückseite trafen.
Tagsüber wurden die Gefangenen, wie ich sie nannte, jeden Morgen pünktlich um kurz vor neun in einen Bulli geladen und weggefahren um nachmittags gegen fünf zurückzukommen.
Während sie fort waren, befanden sich nur drei der Wachen im Haus, trotzdem verwarf ich den Gedanken, das Gebäude in Abwesenheit der Gefangenen zu stürmen und ihre Rückkehr abzuwarten.
Es konnte zu viel dabei schiefgehen.

Den Beobachtungszeitraum hatte ich extra so gelegt, daß er auch übers Wochenende ging, aber es kam zu keinem Bruch der Routine.
Dämlich.
Routine macht berechenbar und damit verwundbar.
Das wollte ich ausnutzen.

Anhand der Aufklärungsergebnisse entwickelte ich nun den endgültigen Einsatzplan.
Der Angriff sollte um drei Uhr nachts erfolgen, während die Wachen patrouillierten.
Das war einerseits günstig, weil wir dadurch zwei Mann ausschalten konnten noch bevor wir ins Haus mußten, andererseits war es notwendig, um den Wächter an der Tür dazu zu bringen, uns zu öffnen.
Die beiden Streifen sollten bei der dritten Runde in dem Moment geschnappt werden, in dem sie sich auf den gegenüberliegenden Seiten des Hauses befanden.
Für jeden Wächter war ein Team aus zwei Mann vorgesehen.
Einer sollte sich, nur mit der Pistole bewaffnet, anschleichen und den Wächter überwältigen, der andere sollte mit der MP Feuerschutz geben, falls etwas schiefging.
Sobald die Wächter überwältigt wären, sollte sich die ganze Truppe an der Eingangstür sammeln, den Wächter durch Klopfzeichen zum Öffnen bewegen und ihn überwältigen.
Sobald wir im Haus wären, müßte improvisiert werden, um den vierten Mann und den Boss zu finden.
Um die ganze Aktion verdeckt über die Bühne zu bringen, sollte nach Möglichkeit nicht geschossen werden, aber für den Fall, daß es nötig wurde, waren auch bereits Sicherheitsmaßnahmen getroffen. So würden wir nur Geschosse aus gegossenem Blei verwenden, da diese sich beim Auftreffen häufig so stark verformen, daß sie für polizeiliche Ermittlungen unbrauchbar sind.
Die Auswurffenster der Waffen würden mit kleinen Säckchen umgeben werden, um die Hülsen aufzufangen.
Die einheitliche Kleidung, die wir tragen würden, sollte nach dem Einsatz vernichtet werden und die Ausrüstung würde, sobald der Auftrag abgeschlossen war, zurückverkauft werden.

In der Nacht vor dem Tag des geplanten Einsatzes zog ich den Beobachtungsposten ab, damit sich das gesamte Team ausschlafen konnte. Den Tag verbrachten wir zunächst damit, die Ausrüstung zu überprüfen und den Plan immer wieder durchzugehen. Etwa um zwei Uhr nachmittags rief ich Andrea an.
Sie kam ins Hotel und wir besprachen den Ablauf der Aktion.
Außerdem erläuterte ich ihr meinen Plan zur Geldübergabe.

"Nachdem wir das Gebäude gesichert haben, werde ich mich bei dir melden, leg dir also das Telefon neben das Bett. Am Morgen rufst du deine Leute an, daß sie das Geld bereitstellen sollen, die restlichen fünfzigtausend. Sobald du es hast, kommst du damit zum Haus draußen, gibst es mir und wir verschwinden."
"Und was ist mit unseren Leuten da?"
"Die bleiben da, bis wir weg sind. Ich will nur sichergehen, daß wir auch wirklich für unsere Arbeit bezahlt werden." "Wieso soll ich meinen Leuten nicht jetzt schon sagen, daß sie das Geld bereitstellen sollen? Dann könntet ihr sofort nach der Aktion verschwinden." "Ganz einfach. Wenn das Geld jetzt bereitgestellt würde, wüßten die Leute, daß es bald losgeht. Eventuell fangen sie an zu reden und das will ich nicht. Ich informiere dich, sobald wir fertig sind und du sagst deinen Leuten Bescheid. Es läuft, wie ich es sage, oder es läuft gar nicht, klar?"
"Schön, und wann soll´s losgehen?"
"Heute nacht, aber damit du nicht plaudern kannst, wirst du hierbleiben, bis wir abfahren."

Das wollte sie offenbar ohnehin und wir machten es uns auf dem Bett gemütlich.

"Warum machst du das eigentlich?" fragte ich sie in einem ruhigen Moment. Sie sah mich erstaunt an.
"Was denn?"
"Na, mit mir schlafen natürlich. Damals war ich Luft für dich und jetzt kannst du nicht genug von mir kriegen."
"Du bist irgendwie faszinierend. Ich mag dich, aber damals...Du warst einfach nicht mein Typ, ich wußte ja nicht, was aus dir werden würde."
"Du weißt, daß ich nach dem Auftrag nach Frankfurt zurückfahre. Und daß ich dich nicht mitnehmen werde."

Es war keine Frage, das letzte was ich vorhatte, war, eine feste Bindung einzugehen. Nicht solange ich in diesem Job war. Andrea war sichtlich betrübt, aber sie verstand.

"Ja, natürlich. Ich weiß auch nicht, ob ich dauernd mit dir zusammensein wollte, dazu bist du zu gefühllos."

Natürlich. In meinem Job kann man sich keine Gefühle leisten, aber ich war noch nie ein emotionaler Typ gewesen. Deshalb kam ich auch so gut in diesem Beruf zurecht.

"Aber wenn du wirklich bald losmußt, laß uns die Zeit bis dahin noch genießen."

Das taten wir dann auch, bis ich sie vor Erschöpfung bat, mich wenigstens ein paar Stunden schlafen zu lassen. Aneinander geschmiegt schliefen wir, bis uns der Wecker um zwei Uhr nachts aufweckte.
Der Rest der Truppe hatte sich ebenfalls ausgeschlafen und war nun einsatzbereit.
Wir zogen die Kampfanzüge an, befestigten die Funk- und Nachtsichtgeräte und ich gab die Waffen aus.

Targeteer bekam die VZ-61 und Jana die Spectre, da die beiden den Feuerschutz geben sollten. Tank bekam die Ruger und ich nahm meine Walther.
Nachdem wir alle die Waffen nochmals überprüft und entölt hatten, wurde es Zeit, aufzubrechen.

Im Wagen war Targeteer der einzige, der das Schweigen brach.

"Sag mal, CAT, unsere Auftraggeberin..."
"Was ist mit ihr?"
"Hast du was mit der?"
"Würde dich das stören? Wieso fragst du?"
"Nein, reine Neugierde."
"Laß das nicht zur Gewohnheit werden. Könnte ungesund sein."

Wir verfielen wieder in Schweigen, aber immerhin hatte es die Anspannung etwas gelockert.

Am Ziel angekommen, parkte ich den Wagen wie schon die ganze Woche in der Feldeinfahrt am Zufahrtsweg.
Nur daß es diesmal keine reine Beobachtung sein würde.
Diesmal wurde es ernst.

Gemäß des Plans teilten wir uns in die zwei Teams auf, Tank und Jana als Team Zwo, Targeteer und ich als Team Eins, und schlichen uns in unsere Ausgangsstellungen.
Die waren so ausgewählt, das der MP-Schütze den Wächter ins Visier nehmen konnte, sobald er zur dritten Runde um die Ecke kam. Jetzt hieß es abwarten.
Genau nach Zeitplan begannen die Wachen ihren Rundgang.

Targeteer lag direkt neben mir und flüsterte:

"Wir könnten sie ganz einfach erwischen, jeder einen Schuß und fertig."

Über das Funkgerät konnte ich hören, daß Jana eine ähnliche Ansicht hatte.

"Es wird nicht geschossen! Wir halten uns an den Plan."

Selbst geflüstert brachte der Befehl die Autorität rüber.
Ich wandte mich an Targeteer.

"Ok, wenn der Typ zur dritten Rund um die Ecke kommt, nimmst du ihn ins Visier. Ich schleiche mich da durch den Schatten von hinten ran und schnappe ihn mir."

Vorsichtig zeigte ich den Weg, den ich nehmen wollte.

"Du schießt nur, wenn ich es befehle, oder wenn die Sache erkennbar schiefgeht."

Targeteer nickte bloß und konzentrierte sich auf die Ecke, wo die Wache auftauchen mußte.
Auf der anderen Seite des Gebäudes hatten Jana und Tank sich ebenfalls abgesprochen.
Jetzt konnte es jeden Moment losgehen, daher schob ich mich langsam in meine Ausgangsposition.

Dann kam der Wächter um die Ecke, rauchend, was ihn in meiner Nachtsichtbrille mehr als deutlich markierte.
Er schlenderte gemächlich seinen Weg ab und konzentrierte sich mehr auf seine Zigarette als auf seine Umgebung. Ganz langsam schlich ich mich von hinten an ihn heran, die Walther schußbereit in der rechten Hand. Als ich ihn erreicht hatte, riß ich die Pistole hoch, setzte sie ihm ins Genick und zischte:

"Kein Mucks! Runter auf den Boden! Hände hinter den Rücken! Beine zusammen!"

Er war klug genug zu gehorchen.
In dem Moment kam Targeteer aus dem Gebüsch und drückte dem Wächter den Schalldämpfer der VZ-61 ins Genick, während ich ihm mit Kabelbindern Hände und Füße fesselte und ihn anschließend knebelte.

"Team Eins klar!" sagte ich ins Funkgerät.
"Team Zwo klar!" Bei Tank und Jana hatte also auch alles geklappt.
"Zur Haustür!"

Das gesamte Team sammelte sich an der Haustür, sorgfältig darauf achtend, nicht in das Licht , das aus den Fenstern fiel, zu geraten. Die Haustür war ziemlich massiv und hätte, wenn wir sie gewaltsam hätten öffnen müssen, ein lautloses Vorgehen unmöglich gemacht. Sprengstoff läßt sich nun einmal nicht schalldämpfen.
Dank meines Planes würde sie uns aber von innen geöffnet werden.
Da die Tür, von innen gesehen, nach rechts und außen aufschwang, war alles, was rechts davon stand unsichtbar.
Dort postierten sich Jana und Tank. Targeteer legte sich in drei Metern Entfernung so hin, daß er denjenigen, der die Tür öffnete im Licht des Flurs als Zielscheibe vor sich sah, während er selbst im Dunkeln lag.
Ich postierte mich direkt links neben der Tür und gab ein Handzeichen.
Diese Idioten hatten, wie sich während unserer Beobachtung herausgestellt hatte, nicht einmal ein Klopfzeichen vereinbart.
Also hämmerte Tank jetzt mit der Faust an die Tür.

Während der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde und die Tür aufschwang, hörten wir die Stimme der Wache:

"Ist ja gut, nun macht mal nicht so´n Terror, ich mach ja schon...".

Weiter kam er nicht, denn in dem Moment hielt ich ihm meine Pistole ins Gesicht. Die Routine lief ab wie bei der Streife draußen.

"Kein Wort! Runter! Hände auf den Rücken!"

Auch er wurde mit Kabelbindern gefesselt und anschließend geknebelt. Machte drei. Jetzt galt es Nr. vier und den Boss zu finden, möglichst ohne Krach zu machen.
Wir teilten uns wieder in die beiden Teams auf und begannen lautlos, den Flur abzusuchen.
Jede Tür wurde lautlos geöffnet und das Zimmer dahinter mit schußbereiter Waffe abgesucht.

Da wir noch immer die Nachtsichtbrillen trugen, war es nicht nötig, Licht einzuschalten.
Wache Nr. vier fanden wir schließlich vor dem Fernseher, der so laut lief, daß er uns erst bemerkte, als Tank im die Ruger in den Hinterkopf drückte.

Der Boss war offensichtlich nicht im unteren Stockwerk, dort hatten wir bereits alles abgesucht.
Also war er oben.
Ich postierte Jana an der Treppe, sie war nicht so schießwütig wie Targeteer, für den Fall, daß der Boss sich plötzlich entscheiden sollte, herunterzukommen.
Bevor wir Wächter Nr. Vier knebelten, wollte ich von ihm wissen, wo der Boss sich für gewöhnlich aufhielt.
Obwohl er offenbar eine Heidenangst vor ihm hatte, kam er zu dem Entschluß, daß drei bewaffnete Unbekannte, er wußte ja nicht von Jana, die seine drei Kollegen überwältigt hatten, für ihn wesentlich gefährlicher sein würden als sein Boss es jemals sein könnte. Er hatte recht damit.
Also sagte er uns, wo sich das Zimmer des Bosses befand, erste Tür links, wenn man die Treppe raufkam.

Nachdem wir auch ihn geknebelt hatten schlichen wir uns die Treppe hinauf, die Waffen schußbereit.
Außer dem Zimmer hatte uns der Wächter nämlich auch noch verraten, daß der Anführer der einzige Bewaffnete war.

Das war etwas, das sich durch Beobachtung nicht herausfinden ließ, denn Pistolen ließen sich leicht unter einer Jacke oder Pullover verstecken.
Darin hatten wir alle Erfahrung, so daß es eine recht überraschende Eröffnung war.
Bis jetzt war der Einsatz also ziemlich ungefährlich gewesen, auch wenn wir das erst jetzt wußten.
Nun, besser so, als anzunehmen, daß die Wachen unbewaffnet waren und dann plötzlich das Gegenteil festzustellen.

Als das Team oben angekommen war, stellten wir uns in Position für den Angriff.
Langsam drückte ich die Klinke herunter.
Die Tür rührte sich nicht.
Abgeschlossen!
Dann würde es also doch Krach geben.
Ich gab Tank ein Zeichen.
Als Größter und Kräftigster war es seine Aufgabe, die Tür aufzubrechen.
Der Rest von uns stellte sich daneben auf, die Waffen bereit.

Tank nahm kurz Anlauf und warf sich mit voller Wucht gegen die Tür.
Es krachte fürchterlich, aber die Tür blieb trotzdem zu.
Dafür hörten wir von innen jetzt laute Flüche und Schritte in Richtung Tür.

"Verdammt noch mal, seid ihr wahnsinnig geworden? Was fällt euch ein? Euch werd ich´s zeigen. Ihr seit wohl völlig überge..."

Den Rest des Fluches verschluckte er.
Kein Wunder, bedenkt man, daß er in diesem Moment in die Mündungen von zwei MPs und zwei Pistolen blickte, die sich in den Händen völlig unkenntlicher, schwarz gekleideter Gestalten befanden, während er selbst lediglich mit einem T-Shirt und Boxershorts bekleidet in der Tür stand.
Da ich keine Lust auf langwierige Erklärungen hatte, ließ ich auch ihn fesseln und knebeln.
Jetzt hieß es, das Haus nach den Gefangenen absuchen, die wir befreien sollten, was keine Schwierigkeiten mehr machte. Sie waren in den restlichen Zimmern im oberen Stockwerk eingeschlossen, vorwiegend junge Männer und ein Mädchen.

Ich erkannte Andreas Cousin wieder, hütete mich aber davor, mich erkennen zu geben.
Ich machte ihnen nur knapp deutlich, daß sie bis zum nächsten Tag in den Zimmern bleiben sollten, bis jemand sie abholen würde. Ich rechnete dahingehend nicht mit Schwierigkeiten, sie hatten sich von den Idioten, die jetzt zusammengeschnürt im Keller lagen, einschüchtern lassen.
Ein Bewaffneter, der mitten in der Nacht hereinplatzte, hatte da eine fast gottgleiche Autorität.
Nun gab es nur noch eins zu tun. Ich hob den Hörer vom Telefon und wählte Andreas Nummer.

Sie klang nervös als sie sich meldete.

"CAT hier. Alles klar, du kannst deinen Leuten Bescheid geben... Nein, es gab keine Probleme...Ja, dem geht´s gut...bis morgen."

Jetzt hieß es bloß noch abwarten.
Ich ließ den Wagen auf den Hof holen und stellte eine Wache am Eingang auf, nur für alle Fälle.
Dann warf ich mich in voller Montur auf die Couch im Fernsehzimmer und schlief ein. Geweckt wurde ich durch Tank, der mir eine Tasse Kaffee brachte.

"Jana hat welchen gemacht. Dachte mir, du könntest ihn brauchen." Allerdings.
"Sie soll auch welchen für die Leute oben machen. Aber denk dran, sie brauchen dich nicht zu erkennen. Ist Targeteer noch an der Tür? Er soll auch welchen kriegen. Ich löse ihn gleich ab."

Schließlich konnte Andrea jeden Moment hier auftauchen und ich wollte sie persönlich empfangen.
Sie kam etwa eine Stunde später.
Targeteer, Tank und Jana verstauten gerade die Ausrüstung im Wagen, als sie auf den Hof fuhr.
Ich ging ihr entgegen.

"Hallo, da bist du ja. Ist alles klar?"

Sie strahlte mich an und umarmte mich.

"Ja, sicher. Dein Cousin ist im Haus, zusammen mit dem Rest. Die Typen sind im Keller, alle verschnürt, früher oder später sollten sie sich befreien können. Nein, sag nichts. Wir konnten sie nicht umlegen, ohne daß es Ärger gibt. Und den Bullen übergeben kann ich sie wohl auch schlecht. Ich glaube, die sind ungefährlich. Hast du das Geld?"

Die drei anderen saßen schon im Wagen, denn sobald ich das Geld hatte, würden wir hier verschwinden.
Andrea wurde ernst.

"Ja, hier. Die restlichen fünfzigtausend. Du kannst nachzählen. Willst du wirklich schon los?"

Sie wollte es offensichtlich nicht.

"Ist das Beste für alle. War nett mit dir. Mach´s gut."

Ich nahm das Geld und ging zum Wagen. Ohne mich umzudrehen stieg ich ein und fuhr los. Im Rückspiegel sah ich Andrea, wie sie mir nachblickte.


Von CAT Shannon

 

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