Kein Mann würde seiner Verlobten noch einen Diamantenring auf den Finger
stecken, wenn er wüsste, dass wegen dieses Diamanten jemandem ein Finger,
ein Arm oder ein Kopf abgehackt worden ist."
(Robert Fowler, kanadischer UN-Botschafter)
Manchmal kosten Diamanten eben mehr als Geld
Sierra Leone
Jim rannte um sein Leben. Wenn er den Busch vor seinen Verfolgern erreichte
hatte er eine Chance. Er musste die Straße und das freie Feld hinter sich
lassen.
Die spitzen Steine auf der Schotterpiste zerschnitten seine nackten Füße
und als er die Böschung hinunter hetzte zerkratzten die Dornen seine braunen
Beine und zerrissen sein altes T-Shirt. Praktisch nur noch in Fetzen gehüllt
rannte er über das Sojafeld. Die schwarze Wand des Dschungels zum Greifen
nahe. Der Busch würde ihn und seine Beute verschlingen.
Das rattern der Rotoren war jetzt aber nicht mehr fern sondern ganz nahe. Ein
heller Suchscheinwerfer tastete das Feld ab und strich über den flüchtenden
Schwarzen hinweg. Jim wusste, dass sie ihn gefunden hatten. Obwohl er schon
zu Tode erschöpft war, rannte er so schnell wie noch nie in seinem Leben.
Der Scheinwerfer folgte ihm erbarmungslos. Er war nur noch wenige Meter vom
dichten Blattwerk des Busches entfernt, als die Männer im Hubschrauber
ihr brutales Spiel beendeten. Sie hätten Jim schon töten können,
als er das Camp verlassen hatte. Aber so hatten sie wenigstens noch ein bisschen
Unterhaltung.
Der Hubschrauber kehrte um. Morgen, wenn es hell war, würden sie die Leiche
abholen und verscharren. Langsam verklang das Knattern der Rotoren in der Ferne.
Jim lebte noch und versuchte kriechend den Dschungel zu erreichen. Aber er wusste,
dass er, von mehreren Kugeln getroffen, bald sterben würde. Wie so viele
vor ihm.
Mit seinem letzten Atemzug öffneten sich seine verkrampften Finger und
ein Diamant von wunderbarer Reinheit kullerte auf die nackte Erde.
Am nächsten Morgen stand Henry Courtland schon früh am Rand einer
Diamantenmine im Hinterland von Sierra Leone und sah auf ein Heer von schwarzen
Arbeitern herab. Die Arbeiter brachten unter Aufsicht den Gesteinsschutt aus
der Mine, wo er gereinigt und getrennt wurde. Am oberen Ende der Mine stand
ein niedriges Gebäude der Sierra Mining Cooperation. Zwei neue Lastwagen
standen davor, die ebenfalls das Logo der Firma trugen. Einen weißen Greifvogel,
der einen Erzbrocken in der einen, einen Diamanten in der anderen Klaue hielt.
Courtland schulterte sein Gewehr vom Typ AK-47 und schlenderte auf das Haus
zu. Dahinter war der Hubschrauberlandeplatz auf dem der MI-17 stand, der von
ukrainischen Piloten geflogen wurde. Am Tag sah alles unverfänglich aus.
Nur nachts montierten sie manchmal das 7,62 Millimeter Maschinengewehr an dem
Hubschrauber und machten Jagd.
Jagd auf Menschen.
Als er gerade die vier Stufen zu dem Firmenbüro hinaufsteigen wollte, bog
ein Laster die staubige Piste herunter und hielt vor dem Gebäude. Paul
Decker sprang aus dem Führerhaus und deutete kurz einen militärischen
Gruß an, bevor er mit Dooreward einen Sack von der Ladefläche warf.
Courtland ging näher ran um sich anzusehen, was seine Männer ihm da
Schönes gebracht hatten. Er schlug die Plastikplane zurück und sah
in ein unbekanntes schwarzes Gesicht.
"Seid ihr sicher, dass er das ist? Und habt ihr den Stein?"
Decker antwortete in amerikanisch gefärbten Englisch: "Ja, das ist
der Kerl. Er hat in Zwei-Dreizehn gearbeitet. Jim Irgendwas. Den Stein hatte
er nicht bei sich."
Courtland grunzte. Während er die Plane zurückschlug, warf er Decker
und Dooreward einen forschenden Blick zu. Konnte er den Beiden trauen? Es war
nicht auszuschließen, dass sich die beiden Söldner den Diamanten
selbst unter den Nagel gerissen hatten. Aber vielleicht hatte ihn dieser Jim
wirklich auf der Flucht verloren.
"Gut. Ich fahr die Strecke noch mal ab. Gönnt euch einen Kaffee."
Die beiden Freischärler holten ihre automatischen Gewehre aus dem Truck
und stiegen witzelnd zur Kantine hinauf. Der Tote blieb einfach vor dem Gebäude
liegen. Irgendwann würde ihn schon jemand wegräumen. Courtland verpasste
der Leiche noch einen Tritt und stieg in seinen Jeep um die Strecke abzusuchen,
auf der der Schwarze gestern Nacht, den Stein verloren haben könnte.
Belgien
Nichts war Isaak Rosenthal an diesem Morgen ferner, als der Gedanke, jemand
könne ihm etwas Böses wollen. Wie jeden morgen seit vierzig Jahren
verließ er Punkt 7 Uhr sein Haus um mit der Straßenbahn zu seiner
kleinen Diamantenwerkstadt in Antwerpens Diamantenviertel zu fahren. Oft blieb
er lange bis in die Nacht und rief sich dann ein Taxi.
Auch an diesem Tag war es wieder so. Rosenthal hatte die Zeit vergessen. Aber
das war auch verständlich. Hatte er doch heute ein ganz besonderes Stück.
Der Stein der ihn so faszinierte war ein Diamant von fast gespenstischer Reinheit
und Größe. 6,34 Karat. Ungeschliffen und matt glänzend. Aber
bereits jetzt ein wahres Prachtstück. Exakt 134 Millimeter breit, 204 Millimeter
lang und 106 Millimeter tief. Ein kleiner Quader. Fast rechtwinklig und leicht
zu bearbeiten. Ein wunderbares Stück. Absolut farblos. Reinheitsstufe River+.
Höchste Reinheitsstufe.
Leider waren unter dem Mikroskop kleinere innere Einschlüsse zu erkennen.
Aber das war zu verschmerzen. Der Stein war trotzdem von einzigartiger Eleganz.
Rosenthal nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Er sah nicht mehr sehr
gut. Altersweitsichtigkeit. Er war jetzt fast 75 Jahre alt. Bald würde
er abtreten müssen und einem Jüngeren das Feld überlassen. Das
war nicht leicht. Seit 40 Jahren arbeitete er allein. Es gab keinen Nachfolger
und er würde verkaufen müssen. Viel war es ja nicht. Der Laden, sein
Werkzeug und ein kleiner Vorrat an Rohdiamanten. Es würde reichen um Elfriede
und ihm ein sorgenfreies Leben zu bescheren. Lange hatten sie ja beide nicht
mehr.
Rosenthal schaute auf die alte Standuhr. Schon nach elf. Seufzend stand er auf
und nahm den Diamanten. Der Safe befand sich hinter einem alten Gemälde,
das eine Winterlandschaft zeigte. Nichts wertvolles, Rosenthal hatte es auf
dem Flohmarkt gekauft. Er hob das Bild herunter und öffnete den kleinen
Safe dahinter. Er war bis auf ein weißes Leinensäckchen und ein paar
Papiere leer. In dem Säckchen waren Rosenthals Diamanten. Vier kleine Steine.
Nichts im Vergleich zu dem neuen Stein. Ja, so einen schönen hatte er noch
nie in der Hand gehabt. Wohl mindestens 1 Million wert. US Dollar. Geschliffen
noch mehr. Der Kunde würde zufrieden sein.
Rosenthal hängte das Bild wieder an seinen Platz und machte sich daran
den Laden zu verlassen. Er zog die metallenen Jalousien herunter und sperrte
die Tür auf. Ein kalter Windhauch schlug ihm entgegen. Er setzte seinen
Hut auf und wollte eben die Tür wieder hinter sich schließen, als
sich eine Hand auf seine Schulter legte.
Rosenthal fuhr zusammen und erstarrte. Er wollte schreien aber jemand presste
ihm etwas auf den Mund. Er wurde von kräftigen Händen gepackt und
in den Laden zurück gestoßen. Isaak Rosenthal stolperte und schlug
sich die Stirn an einer Tischkante blutig. Er presste seine zitternde Hand auf
die Wunde und blieb auf dem Boden sitzen. Das war das Beste, was er tun konnte.
Zum ersten Mal konnte er einen Blick auf die Eindringlinge werfen. Es waren
zwei Männer. Große Kerle mit schwarzen Lederjacken und brutalen Gesichtern.
Einer verschwand wortlos im Hinterraum.
Isaak lehnte mit dem Rücken gegen den Verkaufstisch und blinzelte durch
das Blut der Platzwunde auf seiner Stirn den Mann an, der ihn in Schach hielt.
Aus dem Hinterzimmer kam Lärm. Schubladen wurden durchwühlt und auf
den Boden geworfen. Rosenthal nahm all seinen Mut zusammen.
"Wenn Sie Geld wollen, nehmen Sie meine Brieftasche. Mehr hab ich nicht.
Mein Geld ist auf der Bank." sagte er in einem leicht stammelnden Tonfall.
Der Angesprochene würdigte ihn keines Blickes. Plötzlich hörte
der Lärm auf. Sie hatten gefunden was sie suchten. Isaak wurde am Kragen
seines unauffälligen grauen Sakkos gepackt und in das Hinterzimmer gezerrt.
Das Winterbild lag auf dem Boden. Der Andere untersuchte den Safe.
"Kombination?"
Nein. Er würde sie ihm nicht sagen. Das würden sie von ihm nicht erfahren.
Nein.
Trotzig presste er die Lippen zusammen.
"Kombination?!"
Einer der Männer rammte ihm eine Faust in den Bauch. Der alte Mann knickte
sofort zusammen und ging hustend zu Boden.
"Kombination!?" er trat auf Isaaks Schienbein.
"Kombination!?" er trat auf Isaaks Knie.
"Kombination!?" Er trat wieder und wieder zu.
"Kombination! Kombination! Kombination!" Immer wieder brüllte
er das deutsche Wort.
Drecksjude! Drecksjude! Drecksjude! Die Erinnerungen waren schlagartig wieder
da. Isaak Rosenthal lag nicht mehr zusammengekrümmt auf dem Fußboden
seiner Werkstatt, sondern auf dem Bahnsteig von Auschwitz. Der blonde SS-Mann
trat ihn mit schweren Nagelstiefeln und brüllte ihn an. Isaak konnte seine
Rippen krachen hören, sein vom Ghetto ausgemergelter Körper war zu
schwach um sich zu wehren. Wenn er nur ruhig da lag und sich nicht wehrte, würde
der SS-Mann wieder aufhören - aufhören ihn zu tot zu treten.
Isaaks Mund füllte sich mit Blut. Der Mann hatte aufgehört ihn mit
den Füßen zu malträtieren. Nun legte er ihm ein Federmesser
an den Hals. Isaak öffnete die Augen, er sah in die kalten Augen des KZ-Arztes
Mengele. Langsam fuhr der Skalpell zu seinem Adamsapfel.
"Kombination?" fragte er jetzt mit fast sanfter Stimme.
"Zwei
Fünf
Eins
Acht
Sechs." Die
Worte kamen Isaak schwer von den Lippen.
Der andere Mann öffnete den Safe und durchwühlte ihn. Die Zertifikate
und Urkunden warf er achtlos auf den Boden. Dann nahm er das Säckchen und
ließ den großen Diamanten in seine behandschuhte Hand gleiten. Er
grinste und steckte ihn zurück in den Beutel. Zusammen mit den kleinen
Diamanten verstaute er ihn in seiner Jackentasche.
Jetzt würden sie gehen und ihn in Frieden lassen.
Aber seine Peiniger ließen noch nicht von ihm ab. "Wer ist der Auftraggeber?"
Nein. Das dürfte nicht wahr sein. Ließen sie ihn gar nicht mehr in
Frieden?
Schweigend nahm einer der Männer eine kleine Zange von der Werkbank und
näherte sich Isaak. Eine Hand packte ihn an der Kehle. Dann durchfuhr ihn
ein brennender Schmerz. Er konnte hören wie das oberste Gelenk seines kleinen
Fingers von der Kneifzange zerquetscht wurde. Isaak wollte Schreien, aber sein
Peiniger drückte ihm die Kehle zu.
Wortlos legte er den Ringfinger zwischen die Eisenflächen der Zange und
drückte zu. Diesmal schrie Issak trotz des eisernen Griffs um seinen Hals.
Der Griff lockerte sich soweit, dass er sprechen konnte.
"Wintrop Kelso! Wintrop Kelso! Ein Brite. Er kam gestern und gab mir den
Stein zur Bearbeitung." Issaks Stimme überschlug sich.
"Adresse? Telefonnummer?"
"Ich ... ich weiß nicht. Telefonnummer drüben in der Kommode!"
presste Isaak hervor.
Der Mittelfinger wurde ebenfalls zerquetscht.
"Danke. Wir sind fertig. Vorerst." Der Mann stand auf und klopfte
Isaak auf die Schulter. Der andere hatte die Telefonnummer schon gefunden.
Isaak Rosenthal presste seine kaputte Hand fest gegen die Brust und stöhnte
laut. Er konnte nicht sehen, wie einer der Männer hinter ihm eine kurze
Eisenstange schwang und auf seinen Kopf niedersausen ließ.
Deutschland
Die Nachricht kam gegen vier Uhr nachmittags. Barlmoro hob den Hörer ab
und lauschte angespannt etwa fünf Minuten. Er musste den Anrufer nur zweimal
unterbrechen, um seine Zwischenfragen anzubringen. Als er das Telefongespräch
beendet hatte, bildeten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn. Er verließ
sein Büro und folgte einem Geräusch. Einem rhythmischen, dumpfen Klatschen
aus dem Nebenraum.
Dort war Hieb gerade damit beschäftigt einen Sandsack mit den Fäusten
zu bearbeiten, dass die in der Wand verschraubten Dübel nur so ächzten.
Obwohl er ganz in seiner derzeitigen Aufgabe aufging, hörte er doch, wie
die Tür hinter ihm geöffnet wurde. Er brauchte sich nicht umzudrehen
um Barlmoros typischen schweren Gang auf dem Parkettboden zu spüren.
"Was gibt's?" er versetzt dem Sandsack einen letzten rechten Haken
und ließ sich dann schwitzend in seinen Bürostuhl fallen.
"Probleme." antwortete er grinsend "Von Problemen leben wir."
Hieb schob ihm, ebenfalls grinsend, einen Aschenbecher hin. Der Aschenbecher
war eine ehemalige jugoslawische 80mm Granate, die Hieb oben abgesägt hatte.
"Ein Mister Kelso aus Großbritannien hat eben angerufen. Er hat ein
'Problem'. Er wird von einem Unbekannten bedroht. Er bittet uns ihn zu beschützen.
Sieht eigentlich nach einer typischen Begleitschutz Sache aus."
"Gibt's irgendwelche Drohbriefe oder Anrufe?"
"Ja, gestern hat ihm jemand am Telefon angekündigt, dass er bald sterben
werde. Außerdem fühlt er sich beobachtet. Ich denke, zwei oder drei
von unseren Leuten sollten genügen, damit der Herr nachts wieder ruhig
schlafen kann. Ich an seiner Stelle würde zur Polizei gehen, aber wenn
er unbedingt unsere Dienste in Anspruch nehmen will." Barl zuckte mit den
Achseln.
Hieb war wieder aufgestanden und berührte den Sandsack, der immer noch
leicht hin und her schwang. An den Wänden hingen die Auszeichnungen, die
er beim BGS und der GSG9 erworben hatte. Dazwischen hing auch das gerahmte Diplom
für die bestandene Personenschutzausbildung. Er dachte bei sich, dass er
die Sache doch auch selbst übernehmen könnte. Wenn er noch länger
täglich Akten abheftete würde er noch Fett ansetzen und zum Bürohengst
mutieren.
Obwohl diese Gefahr nicht im Geringsten bestand (was der Sportgeräteversand
bestätigen konnte, bei dem Hieb jeden Monat auf Grund von starkem Verschleiß
einen neuen Sandsack bestellte), redete er sich ein, was er jetzt gerne hören
wollte.
"Barl, ich fahr da selber hin. Zurzeit ist ja hier nicht so viel los und
ich bin abdingbar."
Barlmoro runzelte die Stirn. "Ok, ist deine Sache. Wen nimmst du mit?"
"Kommt drauf an, wer gerade Zeit hat." Bei einem Unternehmen wie dem
B&HMP gab es immer das Problem, dass die Mehrzahl der "Mitarbeiter"
wenig von festen Arbeitszeiten hielt und auch keinen großen Wert darauf
legte, dass irgendwer mehr über ihren derzeitigen Aufenthaltsort wusste
als unbedingt nötig. Deshalb gestaltete sich die "Mobilmachung"
meistens etwas komplizierter.
Die Sonne ging noch zweimal auf, bis ein Passagierflugzeug der British Airways
vom Flughafen Frankfurt abhob und seine Route nach London einschlug. Hieb saß
in der ersten Klasse und trank den Drink, den die Stewardess ihm gebracht hatte.
Zwei Reihen hinter ihm hatte ein großer Mann mit einem kurzgehaltenen
roten Bart Platz genommen und studierte eine Zeitschrift. Neben ihm am Gang
saß ein wahrer Hüne, noch kräftiger gebaut als sein Nachbar,
und genoss die Beinfreiheit, die man in der Business-class hatte. Während
der Bärtige einen schwarzen Anzug und ein blaues Hemd trug, hatte sein
Nachbar eine Art Uniformanzug an, der irgendwo zwischen militärisch und
zivil einzuordnen war. Die Stewardessen tuschelten miteinander, ob sie nun Footballspieler
waren oder doch nur Manager, die eine Dauerkarte fürs Fitnessstudio besaßen.
Fossi und Karotte war es ganz recht, dass man ihnen nicht ansah, dass sie ihr
Geld in einem etwas unüblichen Gewerbe verdienten. Beide waren Söldner.
Zurzeit in einem Vertragsverhältnis mit dem B&HMP.
Nach kurzem Flug landeten sie auch schon in Heathrow und nahmen sich ein Taxi
in die City. Die eigentlich kurze Fahrt dauerte im Stoßverkehr der Stadt
um die Mittagszeit fast ebenso lang wie der Flug und als sie endlich den alten
Themsehafen erreicht hatten, hatte die U-Bahn diese Strecke schon dreimal zurückgelegt.
Der alte Hafen war in den 80er Jahren fast völlig abgerissen worden um
Platz für Bürotürme und Firmenniederlassungen zu machen. Innerhalb
von nur wenigen Jahren waren die Grundstückspreise um das achtfache gestiegen
und eine Vielzahl von internationalen Firmen hatte sich hier niedergelassen.
Sie fuhren zu einem zehnstöckigen Gebäude, das Etagen oder auch nur
Zimmerweise vermietet war, unweit der großen De Beers Firmenniederlassung.
Im vierten Stock befanden sich die Räume von Wintrop Kelso. Sie wurden
von einer Sekretärin direkt zum Chef geführt. Der erwies sich als
ein kleiner Mann Anfang 50, dessen Haare zu offensichtlich gefärbt waren.
Sie glänzten Schuhcremebraun und wurden auf der Stirn langsam lichter.
Kelso eröffnete das Gespräch:
"Ich bin über einen Freund auf Ihre Firma gestoßen. Er hat Sie
sehr empfohlen und Sie als zuverlässig und diskret beschrieben. Vor allem
Diskretion ist mir sehr wichtig." Er räusperte sich und sah dann wieder
zu Karotte, den er anscheinend für den Anführer hielt. "Ich bekam
vor ein paar Tagen einen Anruf, in dem man mir mit dem Tod drohte, falls ich
nicht meine Finger von einem bestimmten Geschäft lasse. Ich habe Grund
zur Annahme, dass die Sache ernst gemeint ist. Deshalb habe ich angefangen mir
Gedanken über meinen Schutz zu machen. Ihre Aufgabe ist es, mich für
einen Zeitraum von zwei, drei Wochen zu beschützen. Bis dahin dürfte
das Geschäft abgeschlossen sein und ich werde eine Weile Urlaub machen,
bis sich die Wogen hier geglättet haben. Was sagen Sie dazu", er kramte
in seinem Gedächtnis, "Mister Eisengießersohn"
Karotte schaffte es nicht ganz ein Grinsen zu unterdrücken. "Von meiner
Seite gibt es keine Einwände. Aber vielleicht hat der Chef noch Fragen."
Hieb ergriff amüsiert das Stichwort. "Mister Kelso, Sie haben den
Anruf wohl nicht aufgenommen?" Kelso schüttelte heftig den Kopf, ihm
war die Sache sichtlich peinlich.
"Gut, ist auch nicht so wichtig. Doch wäre es notwendig, dass Sie
mir sagen, von welcher Art dieses Geschäft ist, an dem Sie zur Zeit arbeiten."
Kelso schüttelte noch heftiger seinen Kopf. "Nein. Das ist Geheimsache
und nicht von Bedeutung. Sie sollen mich nur Beschützen."
Hiebs Gesichtsausdruck konnte man es ansehen, dass Kelso ihn vor den Kopf geschlagen
hatte.
"Gut. Mister Kelso. Wir fangen dann an einen Sicherheitsplan für Sie
auszuarbeiten. Dazu bräuchten wir ein paar Informationen über Ihren
Tagesablauf."
Dreißig Minuten später wussten die drei Söldner genug über
Kelso. Sie verabschiedeten sich und gingen in eine kleines Bistro in der Nähe
des Bürogebäudes.
Kelso war nach eigenen Angaben unverheiratet und hatte auch keine feste Beziehung.
Er lebte allein mit seinen Goldfischen in einem Appartement in West London,
war aber hauptsächlich im Büro. Essen nahm er auswärts ein oder
ließ es sich liefern. Einmal in der Woche kam die Putzfrau. Er war Mitglied
in einem Tennisclub, wo er immer Samstag-Abends spielte.
Das alles war zwar wichtig, aber nur am Rande. Das A und O für den erfolgreichen
Schutz einer bedrohten Person war, dass man wusste, woher die Bedrohung kam.
Kelso nahm jedoch das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold"
sehr ernst und hielt Informationen dazu beharrlich zurück.
Hieb war gelinde gesagt "brüskiert" über diese Dummheit
Kelsos. Aber auf Schwierigkeiten musste man immer gefasst sein.
"Wir bleiben am besten immer alle drei bei ihm. Alternativ wäre auch
möglich, dass zwei bei ihm bleiben und einer die Wohnung bewacht. Meinungen?"
Fossi zerbröselte eine Scheibe Weißbrot aus dem Brotkorb. "Ich
bin dafür, dass wir alle drei mitgehen, solange wir nichts Genaues wissen.
Wir könnten bei der Wohnung eine Kamera anbringen."
"Gute Idee. Ich bin auch dafür, dass wir zusammenbleiben. Es wäre
aber wesentlich einfacher, wenn wir ungefähr wüssten, ob dieser Kelso
von seiner Ex-Freundin oder der Irish Republican Army bedroht wird. Könnten
wir das irgendwie rauskriegen?" Karotte sah Hieb fragend an.
"Vielleicht gar keine so schlechte Idee. Ich schlag später mal in
den gelben Seiten nach, ob es hier irgendeine gute Detektei gibt. Dann brauchen
wir noch ne gute Überwachungskamera, einen Laptop, einen Wagen und natürlich,"
Hieb schaute misstrauisch über seine Schultern, "sollten wir uns um
die Waffen kümmern. Sie müssten morgen ankommen. Also machen wir uns
an die Arbeit."
Freetown, Sierra Leone
Courtland hatte ein Vorsprechen beim Chef. Er saß in einem roten Clubsessel,
der irgendwie von England seinen Weg nach Westafrika gefunden hatte, und nahm
höflich den Scotch an, den sein Boss ihm anbot. Dann ging es sofort zum
Geschäftlichen. Der Boss war ein Mann von schnellen Taten.
"Mister Courtland. Ich habe Sie den weiten Weg von den Minen hierher machen
lassen, weil wir ein Sicherheitsproblem haben. Sie wissen ja selbst, dass in
letzter Zeit viele Diamanten aus unserer Mine im Gebiet von Koa entwendet wurden.
Sie haben den Verantwortlichen gestellt und seiner Strafe zugeführt. Wie
ich aus Ihrem Bericht sehen kann," er blätterte in dem zehnseitigen
Schriftstück, das Courtland mühsam mit zwei Fingern auf der alten
Adler-Schreibmaschine getippt hatte, "verdanken wir es einem gewissen Jim,
dass uns sehr viele Dollar in der Kasse fehlen. Wir haben nachgerechnet und
gemerkt, dass aus der Mine, Ihrer Mine Mister Courtland, in den letzten fünf
Monaten fast 1000 Karat gestohlen wurden. Das sind etwa 70 sehr große
Steine oder 15 Millionen Dollar, wenn Sie das besser verstehen! Und Sie wollen
mir weiß machen, dass das ein einziger Arbeiter geklaut hat!" Der
Boss schlug mit der Faust auf den Tisch. In Courtland kämpften die Gefühle
Wut, Hass, Gehorsam und, ja, auch Angst miteinander. Die Augen des Chefs flimmerten
vor Rage.
"Courtland. Während Sie im Busch Däumchen gedreht haben, habe
ich herausgefunden, wer der Sierra Mining Cooperation das antut. Hier sehen
Sie her!" Er warf ein Foto auf den Tisch.
"Das ist Wintrop Kelso, ein Brite wie Sie. Er ist für alles verantwortlich.
Wir haben von ihm über einen Antwerpener Diamantenhändler namens Issak
Rosenthal erfahren. Für wen er arbeitet ist noch unklar. Möglicherweise
hat er diese Aktion alleine durchgezogen. Er war es, der vor einem halben Jahr
in Freetown Arbeiter von uns bestochen hat, Diamanten zu stehlen. Einen dieser
Diebe, Jim, haben Sie ja schon kennengelernt. Ich hab ihnen ja schon gesagt,
welchen Schaden diese Gauner angerichtet haben. Sorgen Sie dafür, dass
auch die anderen gefunden werden. Aber das können ihre Männer erledigen.
Sie," er deutete mit dem Finger auf Courtland, "fliegen morgen nach
England und kümmern sich um diesen Kelso. Er muss noch Diamanten im Wert
von 15 Millionen Dollar besitzen, die uns gehören. Wir haben schon versucht
ihn weich zu machen. Aber der Kerl ignoriert unsere Drohungen. Sorgen Sie dafür,
dass wir die Steine zurückbekommen."
Courtland spürte, dass das Gespräch beendet war und stand auf. Er
deutete eine Verbeugung an und machte sich an das Zimmer zu verlassen. An der
Tür wurde er zurückgerufen.
"Noch etwas, Mister Courtland. Sie brauchen sich bei der Wahl Ihrer Mittel
nicht zurückzuhalten. In dieser Sache musste schon ein alter Mann in Antwerpen
sterben. Good bye."
Der Wagen und der Laptop waren kein Problem. Bei der Kamera sah es anders aus.
Karotte übernahm es, die Elektrogeschäfte abzuklappern, die es in
London wie Sand am Meer gab. Schließlich hatte er Erfolg und erwarb eine
Funkkamera, die laut Hersteller und Verkäufer so ungefähr die größte
Erfindung seit dem Rad war, und es von bodenloser Ignoranz zeugte, dieses Wunderwerk
der Mikrochiptechnik nicht sofort zu kaufen. Karotte drehte schließlich
den Spieß um und beschwatze den Händler, ihm 10% Preisnachlass zu
gewähren. Am Abend probierten er und Fossi die Kamera aus.
Hieb hatte Kelso abgeholt und war mit ihm in die Wohnung gefahren, wo der Schutzbefohlene
jetzt sein chinesisches Essen aß und anschließend Duschen wollte.
Hieb begutachtete erst einmal die Wohnung und durchforstete, während Kelso
unter der Brause "Yellow Submarine" sang, das ganze Fünfzimmerappartement
mit einem leistungsfähigen Wanzendetektor. Schließlich ließ
er sich von Karotte und Fossi die Überwachungskamera vorführen. Sie
hatten das kleine Gerät nicht wie üblich an der Haustür, sondern
im Flur der Wohnung angebracht. Sie war über Funk mit dem Laptop verbunden.
Er war das "Gehirn". Die Kamera war das "Auge". Alles was
das "Auge" sah, speicherte das "Gehirn" mit einer Verzögerung
von zwei Hundertstelsekunden auf der 1 Gigabyte Festplatte. Später ließ
sich alles auf CD brennen oder Minidisk überspielen.
Im Normalfall wanderte die Kamera einfach mit gleichbleibender Geschwindigkeit
von links nach rechts. Ein besonderer Gag der Kamera (und der Grund, der sie
so teuer machte) war jedoch der eingebaute Bewegungsmelder. Er sendete ständig
Mikrowellen aus, die in einem Umkreis von 8 Metern jede Bewegung wahrnahmen
und sofort dafür sorgten, dass die Kamera sich auf das bewegte Objekt ausrichtete.
So war es unmöglich unbemerkt in die Wohnung zu gelangen. Sollte es ein
Eindringling trotzdem versuchen, würde die Kamera 32 gestochen scharfe
Schwarzweißbilder pro Sekunde von ihm anfertigen.
Das Ganze hatte über 2000 Pfund gekostet und Hieb hoffte, dass sich die
Investition lohnen würde.
Am späten Abend gab es noch einmal einen kleinen Aufstand, als Kelso bemerkte,
dass die Söldner vorhatten in seiner Wohnung zu übernachten. Nach
einigem Hickhack gelang es Hieb schließlich Kelso davon zu überzeugen,
dass nur so seine Sicherheit gewährleistet werden konnte. Aber als sie
zu dritt im engen Wohnzimmer schliefen, wurde auch den Söldnern klar, dass
sie sich nach etwas anderem umschauen müssten. Ideal wäre eine Wohnung
im selben Haus gewesen. Aber das war wohl illusorisch. Nach einer unbequemen
Nacht, in der festgestellt wurde, dass Schnarchen anscheinend zu den urtümlichen
Eigenschaften eines Söldners gehört, machten sie sich auf die Suche.
Das Nächstbeste wäre eine Wohnung im Haus gegenüber. Hieb beschloss
mögliche Vermieter ausfindig zu machen. Zuerst mussten sie Kelso zum Büro
begleiten. Dies erfolgte in der normalen Art, wie sie bei Personenschützern
üblich war. Kelso wurde in seinem eigenen Wagen von Hieb gefahren, während
Fossi und Karotte im gemieteten Wagen, einem BMW, direkt folgten. Kurz vor dem
Ziel überholten Fossi und Karotte und sicherten die Einfahrt zu Kelsos
Arbeitsplatz. Nachdem Kelso ins Büro gebracht worden war, unterhielten
sich die drei Söldner im Vorzimmer. Es ging um die Waffen. Hieb erklärte,
wie sie vorgehen sollten.
"Barlmoro hat die Schießeisen verpackt und unter falschem Namen in
ein Lagerhaus am alten Hafen geschickt. Dort wird das Päckchen herausgegeben,
wenn es ein Mister Weintraub abholt." Hieb holte einen Pass auf genau diesen
Namen aus seiner Tasche. "Was drinnen ist, weiß von den Lagerhausarbeitern
keiner. Am besten, ihr holt das Päckchen heute noch ab. Den Pass könnt
ihr nehmen. Auf dem Bild ist sowieso nichts zu erkennen. Ich bleib hier. Im
Laufe des Tages sollte eine Sendung von der Detektei kommen, die ich beauftragt
habe, was über unseren Kelso rauszufinden."
45 Minuten später quittierte Karotte am Themsehafen den Empfang einer
Schiffsfracht aus Rostock. Bei der Entgegennahme der etwa einen Meter langen,
sechzig Zentimeter breiten und vierzig Zentimeter hohen Holzkiste gab es keine
Probleme. Der Hafenlagerist verlangte nicht einmal einen Pass, sondern begnügte
sich mit einer Unterschrift von Mister Weintraub. Zehn Minuten später verließen
sie die Lagerhalle wieder und fuhren wieder nach London City hinein.
Hieb studierte derweil den Bericht über Kelso. Die Detektei, die er beauftragt
hatte, hatte gute Arbeit geleistet. Schnell und gründlich. Ein Fahrradkurier
hatte ihn eben in das Büro Kelsos gebracht. Ziemlich unverfroren von Hieb,
wenn man bedenkt, dass Kelso keine zehn Meter oder eher fünf Meter (die
Grundstückspreise in London sind sehr hoch) saß. Das, was er da las,
klärte einige Dinge.
Kelso war in der Diamantenbranche tätig. Er kaufte und verkaufte Steine
aus Westafrika. Zu diesem Zweck reiste er etwa jedes halbe Jahr auf den schwarzen
Kontinent um dort billig Diamanten zu erstehen. Diese verscherbelte er über
einen längeren Zeitraum verteilt auf der Diamantenbörse von Antwerpen.
Das hörte sich recht profan an, aber Kelso schien in dem Geschäft
einer der größten und spitzfindigsten Gauner zu sein. Genaues war
nicht heraus zu finden gewesen, aber anscheinend schaffte er es regelmäßig,
die Großen im Geschäft, wie De Beers und Diamond Works, vor den Kopf
zu stoßen. Natürlich konnte er diesen riesigen Unternehmen nicht
wirklich schaden. Kelso machte nie Deals über einer Million Dollar, aber
hier und da schaffte er es, die Konzession für ein Diamantenfeld billig
zu erwerben und teuer an die Bergbauunternehmen zu verkaufen. Er war eine Art
Makler. Ein kleiner Raubfisch, der im Becken mit den ganz großen Haien
mitschwamm.
Und früher oder später würde er gefressen werden.
Hieb legte den Bericht weg und befasste sich wieder mit der Lektüre der
Times. "Man muss sehen, was die Zukunft bringt." dachte er sich noch,
als die Tür von Kelsos Büro aufging.
"Könnten Sie bitte mal kommen?"
Hieb stand auf und folgte Kelso in sein Büro. Wortlos deutete Kelso auf
den Bildschirm. Outlook war geöffnet und eine Mail zu sehen.
DAS IST DIE LETZTE WARNUNG. WIR WOLLEN UNSERE STEINE ZURÜCK! WENN SIE NICHT STERBEN WOLLEN SOLLTEN SIE GEFÄLLIGST TUN WAS WIR IHNEN SAGEN. SONST ERGEHT ES IHNEN WIE DEM MANN IN ANTWERPEN!
SCHÖNE GRÜSSE
Hieb las die E-mail schnell durch und setzte sich dann an den PC. Die E-mail
war über einen großen finnischen Internetprovider verschickt worden.
Hieb wusste, dass es keinen Sinn machte nach dem Absender zu forschen. Ohne
polizeiliche Befugnis würde er bei Nachforschungen nicht viel weiter vordringen
als zur Hotline der Providerfirmen. Und außerdem würde der Absender
bei der Registrierung der E-mail Adresse sicherlich nicht seinen richtigen Namen
angegeben haben.
"Ist das die erste Mail dieser Art?"
"Ja...ja, die erste." stotterte Kelso. Schweißperlen hatten
sich auf seiner Stirn gebildet.
"Und von welchen Steinen ist hier die Rede? Und welcher Mann in Antwerpen?
Wir können Ihnen nicht helfen, wenn Sie uns nicht sagen was vorgeht!"
"Diamanten, die wollen m e i n e Diamanten! Aber ... das tut nichts zur
Sache. Ich geb den Arschlöchern nicht nach." Mit seinem Hemdsärmel
wischte er den Schweiß von seiner Stirn.
Hieb seufzte. Beinahe hätte er Kelso dazu gebracht, zu sagen wer und warum
er verfolgt wurde.
"Mister Kelso, jemand droht ihnen mit dem Tod! Ist es etwas Geschäftliches?
Ein wütender Kollege?"
"Nein. Das ist nebensächlich. Sie sind für meinen Schutz zuständig.
Ich regle die Sache schon selbst." Kelso hatte sich wieder gefasst und
die gelassene Miene des Selfmademans aufgesetzt.
"Heute Abend muss ich zu einem Geschäftsessen nach Arsenal. Bereiten
Sie bitte alles vor?"
Hieb nickte müde und ließ sich die Adresse des Restaurants geben.
Zwecklos.
Wenigstens hatten sie eine Wohnung. 56 Quadratmeter und zwei Häuser schräg
gegenüber von Kelsos Wohnhaus. Schweineteuer und winzig, aber Hieb hatte
sowieso vor, die Preise für Kelso zu erhöhen. Der Kerl ging ihm auf
die Nerven.
Von Job
copyright by www.jaggedalliance.de - Stand: 12.06.2002