ja2basis

 

Blutdiamanten




Kein Mann würde seiner Verlobten noch einen Diamantenring auf den Finger stecken, wenn er wüsste, dass wegen dieses Diamanten jemandem ein Finger, ein Arm oder ein Kopf abgehackt worden ist."
(Robert Fowler, kanadischer UN-Botschafter)


Manchmal kosten Diamanten eben mehr als Geld

Sierra Leone

Jim rannte um sein Leben. Wenn er den Busch vor seinen Verfolgern erreichte hatte er eine Chance. Er musste die Straße und das freie Feld hinter sich lassen.
Die spitzen Steine auf der Schotterpiste zerschnitten seine nackten Füße und als er die Böschung hinunter hetzte zerkratzten die Dornen seine braunen Beine und zerrissen sein altes T-Shirt. Praktisch nur noch in Fetzen gehüllt rannte er über das Sojafeld. Die schwarze Wand des Dschungels zum Greifen nahe. Der Busch würde ihn und seine Beute verschlingen.
Das rattern der Rotoren war jetzt aber nicht mehr fern sondern ganz nahe. Ein heller Suchscheinwerfer tastete das Feld ab und strich über den flüchtenden Schwarzen hinweg. Jim wusste, dass sie ihn gefunden hatten. Obwohl er schon zu Tode erschöpft war, rannte er so schnell wie noch nie in seinem Leben. Der Scheinwerfer folgte ihm erbarmungslos. Er war nur noch wenige Meter vom dichten Blattwerk des Busches entfernt, als die Männer im Hubschrauber ihr brutales Spiel beendeten. Sie hätten Jim schon töten können, als er das Camp verlassen hatte. Aber so hatten sie wenigstens noch ein bisschen Unterhaltung.
Der Hubschrauber kehrte um. Morgen, wenn es hell war, würden sie die Leiche abholen und verscharren. Langsam verklang das Knattern der Rotoren in der Ferne.
Jim lebte noch und versuchte kriechend den Dschungel zu erreichen. Aber er wusste, dass er, von mehreren Kugeln getroffen, bald sterben würde. Wie so viele vor ihm.
Mit seinem letzten Atemzug öffneten sich seine verkrampften Finger und ein Diamant von wunderbarer Reinheit kullerte auf die nackte Erde.

Am nächsten Morgen stand Henry Courtland schon früh am Rand einer Diamantenmine im Hinterland von Sierra Leone und sah auf ein Heer von schwarzen Arbeitern herab. Die Arbeiter brachten unter Aufsicht den Gesteinsschutt aus der Mine, wo er gereinigt und getrennt wurde. Am oberen Ende der Mine stand ein niedriges Gebäude der Sierra Mining Cooperation. Zwei neue Lastwagen standen davor, die ebenfalls das Logo der Firma trugen. Einen weißen Greifvogel, der einen Erzbrocken in der einen, einen Diamanten in der anderen Klaue hielt.
Courtland schulterte sein Gewehr vom Typ AK-47 und schlenderte auf das Haus zu. Dahinter war der Hubschrauberlandeplatz auf dem der MI-17 stand, der von ukrainischen Piloten geflogen wurde. Am Tag sah alles unverfänglich aus. Nur nachts montierten sie manchmal das 7,62 Millimeter Maschinengewehr an dem Hubschrauber und machten Jagd.
Jagd auf Menschen.
Als er gerade die vier Stufen zu dem Firmenbüro hinaufsteigen wollte, bog ein Laster die staubige Piste herunter und hielt vor dem Gebäude. Paul Decker sprang aus dem Führerhaus und deutete kurz einen militärischen Gruß an, bevor er mit Dooreward einen Sack von der Ladefläche warf. Courtland ging näher ran um sich anzusehen, was seine Männer ihm da Schönes gebracht hatten. Er schlug die Plastikplane zurück und sah in ein unbekanntes schwarzes Gesicht.
"Seid ihr sicher, dass er das ist? Und habt ihr den Stein?"
Decker antwortete in amerikanisch gefärbten Englisch: "Ja, das ist der Kerl. Er hat in Zwei-Dreizehn gearbeitet. Jim Irgendwas. Den Stein hatte er nicht bei sich."
Courtland grunzte. Während er die Plane zurückschlug, warf er Decker und Dooreward einen forschenden Blick zu. Konnte er den Beiden trauen? Es war nicht auszuschließen, dass sich die beiden Söldner den Diamanten selbst unter den Nagel gerissen hatten. Aber vielleicht hatte ihn dieser Jim wirklich auf der Flucht verloren.
"Gut. Ich fahr die Strecke noch mal ab. Gönnt euch einen Kaffee."
Die beiden Freischärler holten ihre automatischen Gewehre aus dem Truck und stiegen witzelnd zur Kantine hinauf. Der Tote blieb einfach vor dem Gebäude liegen. Irgendwann würde ihn schon jemand wegräumen. Courtland verpasste der Leiche noch einen Tritt und stieg in seinen Jeep um die Strecke abzusuchen, auf der der Schwarze gestern Nacht, den Stein verloren haben könnte.

Belgien
Nichts war Isaak Rosenthal an diesem Morgen ferner, als der Gedanke, jemand könne ihm etwas Böses wollen. Wie jeden morgen seit vierzig Jahren verließ er Punkt 7 Uhr sein Haus um mit der Straßenbahn zu seiner kleinen Diamantenwerkstadt in Antwerpens Diamantenviertel zu fahren. Oft blieb er lange bis in die Nacht und rief sich dann ein Taxi.
Auch an diesem Tag war es wieder so. Rosenthal hatte die Zeit vergessen. Aber das war auch verständlich. Hatte er doch heute ein ganz besonderes Stück. Der Stein der ihn so faszinierte war ein Diamant von fast gespenstischer Reinheit und Größe. 6,34 Karat. Ungeschliffen und matt glänzend. Aber bereits jetzt ein wahres Prachtstück. Exakt 134 Millimeter breit, 204 Millimeter lang und 106 Millimeter tief. Ein kleiner Quader. Fast rechtwinklig und leicht zu bearbeiten. Ein wunderbares Stück. Absolut farblos. Reinheitsstufe River+. Höchste Reinheitsstufe.
Leider waren unter dem Mikroskop kleinere innere Einschlüsse zu erkennen. Aber das war zu verschmerzen. Der Stein war trotzdem von einzigartiger Eleganz.
Rosenthal nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Er sah nicht mehr sehr gut. Altersweitsichtigkeit. Er war jetzt fast 75 Jahre alt. Bald würde er abtreten müssen und einem Jüngeren das Feld überlassen. Das war nicht leicht. Seit 40 Jahren arbeitete er allein. Es gab keinen Nachfolger und er würde verkaufen müssen. Viel war es ja nicht. Der Laden, sein Werkzeug und ein kleiner Vorrat an Rohdiamanten. Es würde reichen um Elfriede und ihm ein sorgenfreies Leben zu bescheren. Lange hatten sie ja beide nicht mehr.
Rosenthal schaute auf die alte Standuhr. Schon nach elf. Seufzend stand er auf und nahm den Diamanten. Der Safe befand sich hinter einem alten Gemälde, das eine Winterlandschaft zeigte. Nichts wertvolles, Rosenthal hatte es auf dem Flohmarkt gekauft. Er hob das Bild herunter und öffnete den kleinen Safe dahinter. Er war bis auf ein weißes Leinensäckchen und ein paar Papiere leer. In dem Säckchen waren Rosenthals Diamanten. Vier kleine Steine. Nichts im Vergleich zu dem neuen Stein. Ja, so einen schönen hatte er noch nie in der Hand gehabt. Wohl mindestens 1 Million wert. US Dollar. Geschliffen noch mehr. Der Kunde würde zufrieden sein.
Rosenthal hängte das Bild wieder an seinen Platz und machte sich daran den Laden zu verlassen. Er zog die metallenen Jalousien herunter und sperrte die Tür auf. Ein kalter Windhauch schlug ihm entgegen. Er setzte seinen Hut auf und wollte eben die Tür wieder hinter sich schließen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
Rosenthal fuhr zusammen und erstarrte. Er wollte schreien aber jemand presste ihm etwas auf den Mund. Er wurde von kräftigen Händen gepackt und in den Laden zurück gestoßen. Isaak Rosenthal stolperte und schlug sich die Stirn an einer Tischkante blutig. Er presste seine zitternde Hand auf die Wunde und blieb auf dem Boden sitzen. Das war das Beste, was er tun konnte. Zum ersten Mal konnte er einen Blick auf die Eindringlinge werfen. Es waren zwei Männer. Große Kerle mit schwarzen Lederjacken und brutalen Gesichtern. Einer verschwand wortlos im Hinterraum.
Isaak lehnte mit dem Rücken gegen den Verkaufstisch und blinzelte durch das Blut der Platzwunde auf seiner Stirn den Mann an, der ihn in Schach hielt. Aus dem Hinterzimmer kam Lärm. Schubladen wurden durchwühlt und auf den Boden geworfen. Rosenthal nahm all seinen Mut zusammen.
"Wenn Sie Geld wollen, nehmen Sie meine Brieftasche. Mehr hab ich nicht. Mein Geld ist auf der Bank." sagte er in einem leicht stammelnden Tonfall. Der Angesprochene würdigte ihn keines Blickes. Plötzlich hörte der Lärm auf. Sie hatten gefunden was sie suchten. Isaak wurde am Kragen seines unauffälligen grauen Sakkos gepackt und in das Hinterzimmer gezerrt. Das Winterbild lag auf dem Boden. Der Andere untersuchte den Safe.
"Kombination?"
Nein. Er würde sie ihm nicht sagen. Das würden sie von ihm nicht erfahren. Nein.
Trotzig presste er die Lippen zusammen.
"Kombination?!"
Einer der Männer rammte ihm eine Faust in den Bauch. Der alte Mann knickte sofort zusammen und ging hustend zu Boden.
"Kombination!?" er trat auf Isaaks Schienbein.
"Kombination!?" er trat auf Isaaks Knie.
"Kombination!?" Er trat wieder und wieder zu.
"Kombination! Kombination! Kombination!" Immer wieder brüllte er das deutsche Wort.
Drecksjude! Drecksjude! Drecksjude! Die Erinnerungen waren schlagartig wieder da. Isaak Rosenthal lag nicht mehr zusammengekrümmt auf dem Fußboden seiner Werkstatt, sondern auf dem Bahnsteig von Auschwitz. Der blonde SS-Mann trat ihn mit schweren Nagelstiefeln und brüllte ihn an. Isaak konnte seine Rippen krachen hören, sein vom Ghetto ausgemergelter Körper war zu schwach um sich zu wehren. Wenn er nur ruhig da lag und sich nicht wehrte, würde der SS-Mann wieder aufhören - aufhören ihn zu tot zu treten.
Isaaks Mund füllte sich mit Blut. Der Mann hatte aufgehört ihn mit den Füßen zu malträtieren. Nun legte er ihm ein Federmesser an den Hals. Isaak öffnete die Augen, er sah in die kalten Augen des KZ-Arztes Mengele. Langsam fuhr der Skalpell zu seinem Adamsapfel.
"Kombination?" fragte er jetzt mit fast sanfter Stimme.
"Zwei … Fünf … Eins … Acht … Sechs." Die Worte kamen Isaak schwer von den Lippen.
Der andere Mann öffnete den Safe und durchwühlte ihn. Die Zertifikate und Urkunden warf er achtlos auf den Boden. Dann nahm er das Säckchen und ließ den großen Diamanten in seine behandschuhte Hand gleiten. Er grinste und steckte ihn zurück in den Beutel. Zusammen mit den kleinen Diamanten verstaute er ihn in seiner Jackentasche.
Jetzt würden sie gehen und ihn in Frieden lassen.
Aber seine Peiniger ließen noch nicht von ihm ab. "Wer ist der Auftraggeber?"
Nein. Das dürfte nicht wahr sein. Ließen sie ihn gar nicht mehr in Frieden?
Schweigend nahm einer der Männer eine kleine Zange von der Werkbank und näherte sich Isaak. Eine Hand packte ihn an der Kehle. Dann durchfuhr ihn ein brennender Schmerz. Er konnte hören wie das oberste Gelenk seines kleinen Fingers von der Kneifzange zerquetscht wurde. Isaak wollte Schreien, aber sein Peiniger drückte ihm die Kehle zu.
Wortlos legte er den Ringfinger zwischen die Eisenflächen der Zange und drückte zu. Diesmal schrie Issak trotz des eisernen Griffs um seinen Hals. Der Griff lockerte sich soweit, dass er sprechen konnte.
"Wintrop Kelso! Wintrop Kelso! Ein Brite. Er kam gestern und gab mir den Stein zur Bearbeitung." Issaks Stimme überschlug sich.
"Adresse? Telefonnummer?"
"Ich ... ich weiß nicht. Telefonnummer drüben in der Kommode!" presste Isaak hervor.
Der Mittelfinger wurde ebenfalls zerquetscht.
"Danke. Wir sind fertig. Vorerst." Der Mann stand auf und klopfte Isaak auf die Schulter. Der andere hatte die Telefonnummer schon gefunden.
Isaak Rosenthal presste seine kaputte Hand fest gegen die Brust und stöhnte laut. Er konnte nicht sehen, wie einer der Männer hinter ihm eine kurze Eisenstange schwang und auf seinen Kopf niedersausen ließ.


Deutschland
Die Nachricht kam gegen vier Uhr nachmittags. Barlmoro hob den Hörer ab und lauschte angespannt etwa fünf Minuten. Er musste den Anrufer nur zweimal unterbrechen, um seine Zwischenfragen anzubringen. Als er das Telefongespräch beendet hatte, bildeten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn. Er verließ sein Büro und folgte einem Geräusch. Einem rhythmischen, dumpfen Klatschen aus dem Nebenraum.
Dort war Hieb gerade damit beschäftigt einen Sandsack mit den Fäusten zu bearbeiten, dass die in der Wand verschraubten Dübel nur so ächzten. Obwohl er ganz in seiner derzeitigen Aufgabe aufging, hörte er doch, wie die Tür hinter ihm geöffnet wurde. Er brauchte sich nicht umzudrehen um Barlmoros typischen schweren Gang auf dem Parkettboden zu spüren.
"Was gibt's?" er versetzt dem Sandsack einen letzten rechten Haken und ließ sich dann schwitzend in seinen Bürostuhl fallen.
"Probleme." antwortete er grinsend "Von Problemen leben wir."
Hieb schob ihm, ebenfalls grinsend, einen Aschenbecher hin. Der Aschenbecher war eine ehemalige jugoslawische 80mm Granate, die Hieb oben abgesägt hatte.
"Ein Mister Kelso aus Großbritannien hat eben angerufen. Er hat ein 'Problem'. Er wird von einem Unbekannten bedroht. Er bittet uns ihn zu beschützen. Sieht eigentlich nach einer typischen Begleitschutz Sache aus."
"Gibt's irgendwelche Drohbriefe oder Anrufe?"
"Ja, gestern hat ihm jemand am Telefon angekündigt, dass er bald sterben werde. Außerdem fühlt er sich beobachtet. Ich denke, zwei oder drei von unseren Leuten sollten genügen, damit der Herr nachts wieder ruhig schlafen kann. Ich an seiner Stelle würde zur Polizei gehen, aber wenn er unbedingt unsere Dienste in Anspruch nehmen will." Barl zuckte mit den Achseln.
Hieb war wieder aufgestanden und berührte den Sandsack, der immer noch leicht hin und her schwang. An den Wänden hingen die Auszeichnungen, die er beim BGS und der GSG9 erworben hatte. Dazwischen hing auch das gerahmte Diplom für die bestandene Personenschutzausbildung. Er dachte bei sich, dass er die Sache doch auch selbst übernehmen könnte. Wenn er noch länger täglich Akten abheftete würde er noch Fett ansetzen und zum Bürohengst mutieren.
Obwohl diese Gefahr nicht im Geringsten bestand (was der Sportgeräteversand bestätigen konnte, bei dem Hieb jeden Monat auf Grund von starkem Verschleiß einen neuen Sandsack bestellte), redete er sich ein, was er jetzt gerne hören wollte.
"Barl, ich fahr da selber hin. Zurzeit ist ja hier nicht so viel los und ich bin abdingbar."
Barlmoro runzelte die Stirn. "Ok, ist deine Sache. Wen nimmst du mit?"
"Kommt drauf an, wer gerade Zeit hat." Bei einem Unternehmen wie dem B&HMP gab es immer das Problem, dass die Mehrzahl der "Mitarbeiter" wenig von festen Arbeitszeiten hielt und auch keinen großen Wert darauf legte, dass irgendwer mehr über ihren derzeitigen Aufenthaltsort wusste als unbedingt nötig. Deshalb gestaltete sich die "Mobilmachung" meistens etwas komplizierter.

Die Sonne ging noch zweimal auf, bis ein Passagierflugzeug der British Airways vom Flughafen Frankfurt abhob und seine Route nach London einschlug. Hieb saß in der ersten Klasse und trank den Drink, den die Stewardess ihm gebracht hatte. Zwei Reihen hinter ihm hatte ein großer Mann mit einem kurzgehaltenen roten Bart Platz genommen und studierte eine Zeitschrift. Neben ihm am Gang saß ein wahrer Hüne, noch kräftiger gebaut als sein Nachbar, und genoss die Beinfreiheit, die man in der Business-class hatte. Während der Bärtige einen schwarzen Anzug und ein blaues Hemd trug, hatte sein Nachbar eine Art Uniformanzug an, der irgendwo zwischen militärisch und zivil einzuordnen war. Die Stewardessen tuschelten miteinander, ob sie nun Footballspieler waren oder doch nur Manager, die eine Dauerkarte fürs Fitnessstudio besaßen. Fossi und Karotte war es ganz recht, dass man ihnen nicht ansah, dass sie ihr Geld in einem etwas unüblichen Gewerbe verdienten. Beide waren Söldner. Zurzeit in einem Vertragsverhältnis mit dem B&HMP.
Nach kurzem Flug landeten sie auch schon in Heathrow und nahmen sich ein Taxi in die City. Die eigentlich kurze Fahrt dauerte im Stoßverkehr der Stadt um die Mittagszeit fast ebenso lang wie der Flug und als sie endlich den alten Themsehafen erreicht hatten, hatte die U-Bahn diese Strecke schon dreimal zurückgelegt.
Der alte Hafen war in den 80er Jahren fast völlig abgerissen worden um Platz für Bürotürme und Firmenniederlassungen zu machen. Innerhalb von nur wenigen Jahren waren die Grundstückspreise um das achtfache gestiegen und eine Vielzahl von internationalen Firmen hatte sich hier niedergelassen. Sie fuhren zu einem zehnstöckigen Gebäude, das Etagen oder auch nur Zimmerweise vermietet war, unweit der großen De Beers Firmenniederlassung. Im vierten Stock befanden sich die Räume von Wintrop Kelso. Sie wurden von einer Sekretärin direkt zum Chef geführt. Der erwies sich als ein kleiner Mann Anfang 50, dessen Haare zu offensichtlich gefärbt waren. Sie glänzten Schuhcremebraun und wurden auf der Stirn langsam lichter.
Kelso eröffnete das Gespräch:
"Ich bin über einen Freund auf Ihre Firma gestoßen. Er hat Sie sehr empfohlen und Sie als zuverlässig und diskret beschrieben. Vor allem Diskretion ist mir sehr wichtig." Er räusperte sich und sah dann wieder zu Karotte, den er anscheinend für den Anführer hielt. "Ich bekam vor ein paar Tagen einen Anruf, in dem man mir mit dem Tod drohte, falls ich nicht meine Finger von einem bestimmten Geschäft lasse. Ich habe Grund zur Annahme, dass die Sache ernst gemeint ist. Deshalb habe ich angefangen mir Gedanken über meinen Schutz zu machen. Ihre Aufgabe ist es, mich für einen Zeitraum von zwei, drei Wochen zu beschützen. Bis dahin dürfte das Geschäft abgeschlossen sein und ich werde eine Weile Urlaub machen, bis sich die Wogen hier geglättet haben. Was sagen Sie dazu", er kramte in seinem Gedächtnis, "Mister Eisengießersohn"
Karotte schaffte es nicht ganz ein Grinsen zu unterdrücken. "Von meiner Seite gibt es keine Einwände. Aber vielleicht hat der Chef noch Fragen."
Hieb ergriff amüsiert das Stichwort. "Mister Kelso, Sie haben den Anruf wohl nicht aufgenommen?" Kelso schüttelte heftig den Kopf, ihm war die Sache sichtlich peinlich.
"Gut, ist auch nicht so wichtig. Doch wäre es notwendig, dass Sie mir sagen, von welcher Art dieses Geschäft ist, an dem Sie zur Zeit arbeiten."
Kelso schüttelte noch heftiger seinen Kopf. "Nein. Das ist Geheimsache und nicht von Bedeutung. Sie sollen mich nur Beschützen."
Hiebs Gesichtsausdruck konnte man es ansehen, dass Kelso ihn vor den Kopf geschlagen hatte.
"Gut. Mister Kelso. Wir fangen dann an einen Sicherheitsplan für Sie auszuarbeiten. Dazu bräuchten wir ein paar Informationen über Ihren Tagesablauf."
Dreißig Minuten später wussten die drei Söldner genug über Kelso. Sie verabschiedeten sich und gingen in eine kleines Bistro in der Nähe des Bürogebäudes.
Kelso war nach eigenen Angaben unverheiratet und hatte auch keine feste Beziehung. Er lebte allein mit seinen Goldfischen in einem Appartement in West London, war aber hauptsächlich im Büro. Essen nahm er auswärts ein oder ließ es sich liefern. Einmal in der Woche kam die Putzfrau. Er war Mitglied in einem Tennisclub, wo er immer Samstag-Abends spielte.
Das alles war zwar wichtig, aber nur am Rande. Das A und O für den erfolgreichen Schutz einer bedrohten Person war, dass man wusste, woher die Bedrohung kam. Kelso nahm jedoch das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" sehr ernst und hielt Informationen dazu beharrlich zurück.
Hieb war gelinde gesagt "brüskiert" über diese Dummheit Kelsos. Aber auf Schwierigkeiten musste man immer gefasst sein.
"Wir bleiben am besten immer alle drei bei ihm. Alternativ wäre auch möglich, dass zwei bei ihm bleiben und einer die Wohnung bewacht. Meinungen?"
Fossi zerbröselte eine Scheibe Weißbrot aus dem Brotkorb. "Ich bin dafür, dass wir alle drei mitgehen, solange wir nichts Genaues wissen. Wir könnten bei der Wohnung eine Kamera anbringen."
"Gute Idee. Ich bin auch dafür, dass wir zusammenbleiben. Es wäre aber wesentlich einfacher, wenn wir ungefähr wüssten, ob dieser Kelso von seiner Ex-Freundin oder der Irish Republican Army bedroht wird. Könnten wir das irgendwie rauskriegen?" Karotte sah Hieb fragend an.
"Vielleicht gar keine so schlechte Idee. Ich schlag später mal in den gelben Seiten nach, ob es hier irgendeine gute Detektei gibt. Dann brauchen wir noch ne gute Überwachungskamera, einen Laptop, einen Wagen und natürlich," Hieb schaute misstrauisch über seine Schultern, "sollten wir uns um die Waffen kümmern. Sie müssten morgen ankommen. Also machen wir uns an die Arbeit."

Freetown, Sierra Leone
Courtland hatte ein Vorsprechen beim Chef. Er saß in einem roten Clubsessel, der irgendwie von England seinen Weg nach Westafrika gefunden hatte, und nahm höflich den Scotch an, den sein Boss ihm anbot. Dann ging es sofort zum Geschäftlichen. Der Boss war ein Mann von schnellen Taten.
"Mister Courtland. Ich habe Sie den weiten Weg von den Minen hierher machen lassen, weil wir ein Sicherheitsproblem haben. Sie wissen ja selbst, dass in letzter Zeit viele Diamanten aus unserer Mine im Gebiet von Koa entwendet wurden. Sie haben den Verantwortlichen gestellt und seiner Strafe zugeführt. Wie ich aus Ihrem Bericht sehen kann," er blätterte in dem zehnseitigen Schriftstück, das Courtland mühsam mit zwei Fingern auf der alten Adler-Schreibmaschine getippt hatte, "verdanken wir es einem gewissen Jim, dass uns sehr viele Dollar in der Kasse fehlen. Wir haben nachgerechnet und gemerkt, dass aus der Mine, Ihrer Mine Mister Courtland, in den letzten fünf Monaten fast 1000 Karat gestohlen wurden. Das sind etwa 70 sehr große Steine oder 15 Millionen Dollar, wenn Sie das besser verstehen! Und Sie wollen mir weiß machen, dass das ein einziger Arbeiter geklaut hat!" Der Boss schlug mit der Faust auf den Tisch. In Courtland kämpften die Gefühle Wut, Hass, Gehorsam und, ja, auch Angst miteinander. Die Augen des Chefs flimmerten vor Rage.
"Courtland. Während Sie im Busch Däumchen gedreht haben, habe ich herausgefunden, wer der Sierra Mining Cooperation das antut. Hier sehen Sie her!" Er warf ein Foto auf den Tisch.
"Das ist Wintrop Kelso, ein Brite wie Sie. Er ist für alles verantwortlich. Wir haben von ihm über einen Antwerpener Diamantenhändler namens Issak Rosenthal erfahren. Für wen er arbeitet ist noch unklar. Möglicherweise hat er diese Aktion alleine durchgezogen. Er war es, der vor einem halben Jahr in Freetown Arbeiter von uns bestochen hat, Diamanten zu stehlen. Einen dieser Diebe, Jim, haben Sie ja schon kennengelernt. Ich hab ihnen ja schon gesagt, welchen Schaden diese Gauner angerichtet haben. Sorgen Sie dafür, dass auch die anderen gefunden werden. Aber das können ihre Männer erledigen. Sie," er deutete mit dem Finger auf Courtland, "fliegen morgen nach England und kümmern sich um diesen Kelso. Er muss noch Diamanten im Wert von 15 Millionen Dollar besitzen, die uns gehören. Wir haben schon versucht ihn weich zu machen. Aber der Kerl ignoriert unsere Drohungen. Sorgen Sie dafür, dass wir die Steine zurückbekommen."
Courtland spürte, dass das Gespräch beendet war und stand auf. Er deutete eine Verbeugung an und machte sich an das Zimmer zu verlassen. An der Tür wurde er zurückgerufen.
"Noch etwas, Mister Courtland. Sie brauchen sich bei der Wahl Ihrer Mittel nicht zurückzuhalten. In dieser Sache musste schon ein alter Mann in Antwerpen sterben. Good bye."


Der Wagen und der Laptop waren kein Problem. Bei der Kamera sah es anders aus. Karotte übernahm es, die Elektrogeschäfte abzuklappern, die es in London wie Sand am Meer gab. Schließlich hatte er Erfolg und erwarb eine Funkkamera, die laut Hersteller und Verkäufer so ungefähr die größte Erfindung seit dem Rad war, und es von bodenloser Ignoranz zeugte, dieses Wunderwerk der Mikrochiptechnik nicht sofort zu kaufen. Karotte drehte schließlich den Spieß um und beschwatze den Händler, ihm 10% Preisnachlass zu gewähren. Am Abend probierten er und Fossi die Kamera aus.
Hieb hatte Kelso abgeholt und war mit ihm in die Wohnung gefahren, wo der Schutzbefohlene jetzt sein chinesisches Essen aß und anschließend Duschen wollte. Hieb begutachtete erst einmal die Wohnung und durchforstete, während Kelso unter der Brause "Yellow Submarine" sang, das ganze Fünfzimmerappartement mit einem leistungsfähigen Wanzendetektor. Schließlich ließ er sich von Karotte und Fossi die Überwachungskamera vorführen. Sie hatten das kleine Gerät nicht wie üblich an der Haustür, sondern im Flur der Wohnung angebracht. Sie war über Funk mit dem Laptop verbunden. Er war das "Gehirn". Die Kamera war das "Auge". Alles was das "Auge" sah, speicherte das "Gehirn" mit einer Verzögerung von zwei Hundertstelsekunden auf der 1 Gigabyte Festplatte. Später ließ sich alles auf CD brennen oder Minidisk überspielen.
Im Normalfall wanderte die Kamera einfach mit gleichbleibender Geschwindigkeit von links nach rechts. Ein besonderer Gag der Kamera (und der Grund, der sie so teuer machte) war jedoch der eingebaute Bewegungsmelder. Er sendete ständig Mikrowellen aus, die in einem Umkreis von 8 Metern jede Bewegung wahrnahmen und sofort dafür sorgten, dass die Kamera sich auf das bewegte Objekt ausrichtete.
So war es unmöglich unbemerkt in die Wohnung zu gelangen. Sollte es ein Eindringling trotzdem versuchen, würde die Kamera 32 gestochen scharfe Schwarzweißbilder pro Sekunde von ihm anfertigen.
Das Ganze hatte über 2000 Pfund gekostet und Hieb hoffte, dass sich die Investition lohnen würde.
Am späten Abend gab es noch einmal einen kleinen Aufstand, als Kelso bemerkte, dass die Söldner vorhatten in seiner Wohnung zu übernachten. Nach einigem Hickhack gelang es Hieb schließlich Kelso davon zu überzeugen, dass nur so seine Sicherheit gewährleistet werden konnte. Aber als sie zu dritt im engen Wohnzimmer schliefen, wurde auch den Söldnern klar, dass sie sich nach etwas anderem umschauen müssten. Ideal wäre eine Wohnung im selben Haus gewesen. Aber das war wohl illusorisch. Nach einer unbequemen Nacht, in der festgestellt wurde, dass Schnarchen anscheinend zu den urtümlichen Eigenschaften eines Söldners gehört, machten sie sich auf die Suche. Das Nächstbeste wäre eine Wohnung im Haus gegenüber. Hieb beschloss mögliche Vermieter ausfindig zu machen. Zuerst mussten sie Kelso zum Büro begleiten. Dies erfolgte in der normalen Art, wie sie bei Personenschützern üblich war. Kelso wurde in seinem eigenen Wagen von Hieb gefahren, während Fossi und Karotte im gemieteten Wagen, einem BMW, direkt folgten. Kurz vor dem Ziel überholten Fossi und Karotte und sicherten die Einfahrt zu Kelsos Arbeitsplatz. Nachdem Kelso ins Büro gebracht worden war, unterhielten sich die drei Söldner im Vorzimmer. Es ging um die Waffen. Hieb erklärte, wie sie vorgehen sollten.
"Barlmoro hat die Schießeisen verpackt und unter falschem Namen in ein Lagerhaus am alten Hafen geschickt. Dort wird das Päckchen herausgegeben, wenn es ein Mister Weintraub abholt." Hieb holte einen Pass auf genau diesen Namen aus seiner Tasche. "Was drinnen ist, weiß von den Lagerhausarbeitern keiner. Am besten, ihr holt das Päckchen heute noch ab. Den Pass könnt ihr nehmen. Auf dem Bild ist sowieso nichts zu erkennen. Ich bleib hier. Im Laufe des Tages sollte eine Sendung von der Detektei kommen, die ich beauftragt habe, was über unseren Kelso rauszufinden."

45 Minuten später quittierte Karotte am Themsehafen den Empfang einer Schiffsfracht aus Rostock. Bei der Entgegennahme der etwa einen Meter langen, sechzig Zentimeter breiten und vierzig Zentimeter hohen Holzkiste gab es keine Probleme. Der Hafenlagerist verlangte nicht einmal einen Pass, sondern begnügte sich mit einer Unterschrift von Mister Weintraub. Zehn Minuten später verließen sie die Lagerhalle wieder und fuhren wieder nach London City hinein.
Hieb studierte derweil den Bericht über Kelso. Die Detektei, die er beauftragt hatte, hatte gute Arbeit geleistet. Schnell und gründlich. Ein Fahrradkurier hatte ihn eben in das Büro Kelsos gebracht. Ziemlich unverfroren von Hieb, wenn man bedenkt, dass Kelso keine zehn Meter oder eher fünf Meter (die Grundstückspreise in London sind sehr hoch) saß. Das, was er da las, klärte einige Dinge.
Kelso war in der Diamantenbranche tätig. Er kaufte und verkaufte Steine aus Westafrika. Zu diesem Zweck reiste er etwa jedes halbe Jahr auf den schwarzen Kontinent um dort billig Diamanten zu erstehen. Diese verscherbelte er über einen längeren Zeitraum verteilt auf der Diamantenbörse von Antwerpen.
Das hörte sich recht profan an, aber Kelso schien in dem Geschäft einer der größten und spitzfindigsten Gauner zu sein. Genaues war nicht heraus zu finden gewesen, aber anscheinend schaffte er es regelmäßig, die Großen im Geschäft, wie De Beers und Diamond Works, vor den Kopf zu stoßen. Natürlich konnte er diesen riesigen Unternehmen nicht wirklich schaden. Kelso machte nie Deals über einer Million Dollar, aber hier und da schaffte er es, die Konzession für ein Diamantenfeld billig zu erwerben und teuer an die Bergbauunternehmen zu verkaufen. Er war eine Art Makler. Ein kleiner Raubfisch, der im Becken mit den ganz großen Haien mitschwamm.
Und früher oder später würde er gefressen werden.
Hieb legte den Bericht weg und befasste sich wieder mit der Lektüre der Times. "Man muss sehen, was die Zukunft bringt." dachte er sich noch, als die Tür von Kelsos Büro aufging.
"Könnten Sie bitte mal kommen?"
Hieb stand auf und folgte Kelso in sein Büro. Wortlos deutete Kelso auf den Bildschirm. Outlook war geöffnet und eine Mail zu sehen.

DAS IST DIE LETZTE WARNUNG. WIR WOLLEN UNSERE STEINE ZURÜCK! WENN SIE NICHT STERBEN WOLLEN SOLLTEN SIE GEFÄLLIGST TUN WAS WIR IHNEN SAGEN. SONST ERGEHT ES IHNEN WIE DEM MANN IN ANTWERPEN!

SCHÖNE GRÜSSE


Hieb las die E-mail schnell durch und setzte sich dann an den PC. Die E-mail war über einen großen finnischen Internetprovider verschickt worden. Hieb wusste, dass es keinen Sinn machte nach dem Absender zu forschen. Ohne polizeiliche Befugnis würde er bei Nachforschungen nicht viel weiter vordringen als zur Hotline der Providerfirmen. Und außerdem würde der Absender bei der Registrierung der E-mail Adresse sicherlich nicht seinen richtigen Namen angegeben haben.
"Ist das die erste Mail dieser Art?"
"Ja...ja, die erste." stotterte Kelso. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.
"Und von welchen Steinen ist hier die Rede? Und welcher Mann in Antwerpen? Wir können Ihnen nicht helfen, wenn Sie uns nicht sagen was vorgeht!"
"Diamanten, die wollen m e i n e Diamanten! Aber ... das tut nichts zur Sache. Ich geb den Arschlöchern nicht nach." Mit seinem Hemdsärmel wischte er den Schweiß von seiner Stirn.
Hieb seufzte. Beinahe hätte er Kelso dazu gebracht, zu sagen wer und warum er verfolgt wurde.
"Mister Kelso, jemand droht ihnen mit dem Tod! Ist es etwas Geschäftliches? Ein wütender Kollege?"
"Nein. Das ist nebensächlich. Sie sind für meinen Schutz zuständig. Ich regle die Sache schon selbst." Kelso hatte sich wieder gefasst und die gelassene Miene des Selfmademans aufgesetzt.
"Heute Abend muss ich zu einem Geschäftsessen nach Arsenal. Bereiten Sie bitte alles vor?"
Hieb nickte müde und ließ sich die Adresse des Restaurants geben. Zwecklos.
Wenigstens hatten sie eine Wohnung. 56 Quadratmeter und zwei Häuser schräg gegenüber von Kelsos Wohnhaus. Schweineteuer und winzig, aber Hieb hatte sowieso vor, die Preise für Kelso zu erhöhen. Der Kerl ging ihm auf die Nerven.


Von Job

 

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