Kapitel 6 – Plan B
„Du
bist nicht der einzige Spieler.“
In
Michigan gibt es eine Stadt namens Flint, die hauptsächlich
dadurch auffiel, dass sie in den 70ern übel vom Exodus der
Autoindustrie getroffen wurde. Das wurde hinreichend und schockierend
dokumentiert. Heute sind 12 Prozent der Bewohner arbeitslos, und die
Stadt trägt spürbar dazu bei, die durchschnittliche
Kriminalitätsrate im Bundesstaat in die Höhe zu treiben.
Andererseits
existiert da ein kleineres Wüstenkaff namens Flint irgendwo im
Mittwesten der Vereinigten Staaten, dem ökonomische Probleme
schon seit Menschengedenken anhaften. Eigentlich ist Flint noch nicht
einmal der richtige Name, aber man scherzt, dass Feuerstein die
einzig verbleibende natürliche Resource ist, die dort noch nicht
zu Tode ausgebeutet wurde. Die Farmen stehen auf unfruchtbarem Boden,
die zwei Ölquellen fördern schon seit Jahren nichts mehr zu
Tage, und der einzig lukrative Wirtschaftszweig in der Stadt wäre
– rein theoretisch – der Vertrieb von Antidepressiva,
wenn es denn noch Leute in der Stadt gäbe, die es sich leisten
könnten.
Als der
Paladin dort einfiel, war in der Stadt wie immer nichts los; man
konnte beim Betreten förmlich spüren, wie einem das Leben
und jeder Rest Engagement aus dem Leib gesaugt wurde, bis man nur
noch als leere Menschenhülle im Diner saß und apathisch am
Filterkaffee nippte. Für den Krieger war es mehr als einfache
Hoffnungslosigkeit; etwas Böses hatte sich in der Stadt
festgesetzt, und er war gekommen, es zu vertreiben. Sein langer
Mantel wehte im Wind, als er durch die Tür des Diners kam; er
hatte es geschafft, einen Kaffee zu bestellen, bevor sich sein Gewand
wieder vollständig beruhigen konnte. Mit wachen Augen und festem
Schritt näherte er sich einem Tisch und setzte sich auf die vom
Zahn der Zeit angenagte Bank. Der Engel auf der anderen Seite des
Tisches nickte ihm zu.
„Hast
du es gefunden?“
„Ja,
aber einfach war es nicht gerade.“
„Egal.
Wir haben das Siegel. Wo ist der Wächter?“
„Gute
Frage. Ich hab keinen...“
In diesem
Augenblick zerschmetterte eine Parkbank die Fensterfassade der
Lokalität; der Engel suchte Deckung, während der Paladin
sein Schwert aus der Scheide zog.
„Was
jetzt?“
„Töte
ihn.“
„Ah,
der einfache Plan.“
Mit einem
Satz war er auf dem Weg, seinem Gegner einen guten Kampf zu liefern.
Der Dämon hatte die Gestalt eines riesigen Bären...wenn man
davon ausging, dass Bären Schuppenpanzer, dreißig
Zentimeter lange Klauen und einen mit Dornen bewehrten Schwanz
besaßen. Der Paladin verlangsamte seine Annäherung nicht;
mit einem weiteren Satz warf er sich auf das Ungetüm, wurde
jedoch von einem Prankenhieb zurückgeschleudert und landete mit
einiger Anstrengung auf seinen Füßen. Nun stürmte der
Dämon auf ihn zu; den ersten Attacken wich der Paladin aus,
wartete auf seine Gelegenheit. Bei einem starken Hieb von oben
übernahm sich das Monster; die Trägheit brachte es in die
ungünstige Lage, nach vorne zu stolpern, was dem Paladin eine
gute Gelegenheit gab, dem Pseudobär eine Zwangsmaniküre zu
verpassen. Verwundet stolperte dieser zurück, während der
Krieger in die Offensive ging; mit schnellen Hieben verpasste er dem
Dämon schmerzhafte Wunden und trieb ihn zurück. Schließlich
versenkte er das Schwert in der Brust des Ungetüms, duckte sich
unter dem letzten verzweifelten Gegenangriff hinweg und trieb die
Klinge weiter nach oben.
Als der
Dämon dann endlich fiel, war er nur geringfügig von einer
vollständigen Zweiteilung entfernt.
Während
der Paladin die Reste von grünlichem Dämonenblut von seiner
silbernen Klinge schüttelte, näherte sich der Engel und
applaudierte vorsichtig.
„Sehr
gut. Man hatte mir gesagt, dass du ein Meister des Schwertkampfes
bist, aber du übertriffst meine Erwartungen noch bei weitem.“
Der
Krieger lächelte.
„Alles
eine Frage der richtigen Vorbereitung.“
„Gut.
Kümmere dich um das Siegel, ich verarzte die Zuschauer.“
Während
der Engel die Menge beruhigte und einige subtile Änderungen an
ihren Erinnerungen vornahm, beobachtete der Paladin, wie der Dämon
langsam in der Erde versank und ein steinernes Siegel zum Vorschein
brachte. Ohne große Überlegung nahm er sein Schwert und
ritzte die ihm überlieferten Schutzrunen in das Material. Als
seine Arbeit vollendet war, blieb nichts weiter zu tun, als das
bläuliche Nachleuchten der Gravuren zu bewundern und das Siegel
wieder in den Boden sinken zu lassen. Einige Sekunden stand er noch
dort, bis der Engel aufschloss und ihm freundschaftlich auf die
Schulter klopfte.
„Gute
Arbeit. Dein nächster Aufenthaltsort wird Rom sein. Deine
alten...Kontakte...werden dich informieren, was zu tun ist. Tu
einfach, was der Don verlangt, während ich herausfinde, wo wir
das nächste Siegel sichern können.“
„Rom.
Don Bessucho?“
„Genau
der.“
„Toll.
Wie in alten Zeiten.“
Der Engel
nickte und wollte sich abwenden, als der Paladin noch einmal seine
Stimme erhob.
„Catariel?“
„Ja?“
„Was
passiert, wenn wir alle sechs Siegel gesichert haben?“
Der Engel
lächelte.
„Hoffentlich
rein überhaupt nichts.“
Der
Paladin nickte gedankenverloren, bevor er sich auf den Weg zum Wagen
machte. Er wusste nicht genau, wie es weitergehen würde, aber er
war sich sicher, dass er heute einen guten ersten Schritt getan
hatte. Und wenn er dann erstmal die Apokalypse verhindern könnte,
wäre das auf jeden Fall ein wichtiger Schritt auf seinem Weg aus
dem Sumpf von Verpflichtungen und Obligationen. Vielleicht würde
er dann endlich frei sein und sein Schwert ablegen können.
Calvin Mayhew lächelte. Ihm stand Großes bevor.
Von Gatac
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