Teil 2
Gegen 23:00 Uhr waren wieder alle Söldner in der Wohnung versammelt. TSB
kam als letzter wieder zurück und legte das Küchenmesser in die Schublade.
Dr. Kill war sichtlich missgelaunt.
"Wäre es vielleicht möglich, dass ihr mir mitteilt, wann ihr verschwindet?
Ich muss immerhin die ganze Aktion planen. Das geht nicht, wenn mir meine Männer
ständig weglaufen!"
"Ok." TSB lehnte wieder an dem Einbauschrank.
"In Ordnung, aber ich konnte Ruth ja nicht alleine gehen lassen." Luke
warf einen Blick in Richtung Schlafzimmer um zu sehen, ob Ruth etwas von dem Streit
mitbekam.
"Ich hab doch gleich gesagt, ´fesseln´." TSB grinste in die Runde.
Dr. Kill fuhr fort. "Während ihr die Stadt besichtigt und euch unnötig
in Gefahr begeben habt, haben wir hier wahrscheinlich Trivial ausfindig gemacht."
Er zeigte das ausgedruckte Foto herum. "Ruth hat mir gerade vorhin bestätigt,
dass es sich um Spock, einer der beiden "Zwillinge", handelt, die Trivial
höchstwahrscheinlich bewachen. Jetzt brauchen wir einen Plan. Wir müssen
erstmal herausbekommen, ob Trivial sich wirklich in diesem Haus aufhält und
zweitens wo er die Raketen hat. Lasst uns beten, dass er sie noch nicht an die
Ulster Volunteer Force verkauft hat.
Wir werden die Wohnung jetzt rund um die Uhr observieren. Fossi und TSB fangen
gleich an. Wir müssen außerdem Waffen besorgen. Was heute auf den Straßen
passiert ist, wird sicher in nächster Zeit noch öfter passieren. CAT,
hast du eine Idee?"
"Kennst du Paddy O`Brien aus dem Shamrock? Einer seiner Brüder ist Waffenhändler
hier. Ich kenn ihn noch von früher. Wir können jederzeit zu ihm fahren."
"Ok, das machen wir gleich morgen. Jetzt müssen wir die Leute für
die Observierung zusammenstellen. Immer zwei beobachten. Wie gesagt zuerst TSB
und Fossi, dann morgen früh um fünf lösen euch Luke und Kenai ab.
Ich und CAT kommen dann, wenn wir beim Waffenhändler waren."
Fossi und TSB verließen das Haus und fuhren mit dem Volvo in die Golden
Street um vor dem Haus Wache zu schieben. Die anderen versuchten zu schlafen.
Da Ruth das einzige Schlafzimmer belegte, war dies nicht so einfach, da sie
auf dem Boden und dem Sofa nächtigten.
Am ersten Tag der Aktion war bereits mehr geschehen, als sie erwartetet hatten.
Tim Falling war wütend. Die Freedom Fighters hatten sie überrumpelt
und vier seiner Leute getötet. Zehn seiner wichtigsten Männer waren
die Häuser über den Köpfen angezündet worden. Er würde
Rache nehmen. Morgen Nacht würden die Freedom Fighters für den Angriff
büßen müssen. Der Schlachtplan lag vor ihm. Sie würden
an mehreren Stellen in den Shankhills, Court und im Zentrum die Wohnungen und
Büros von Freedom Fighters in Brand stecken.
Falling sah den Kampf als Chance, den Einfluss der Volunteer Force in Belfast
zu vergrößern. Er wollte das Monopol auf den Drogenhandel und in
weiteren Gebieten Schutzgeld einfordern.
Was ihm Sorgen machte, war der Mangel an Waffen. Die Volunteer Force besaß
wie die Freedom Fighters nur ein begrenztes Waffenarsenal. Einige Kalaschnikows,
Scorpion Maschinenpistolen, jugoslawische Nachbau-Uzis und vor allem Handfeuerwaffen.
Ein paar Kilo Sprengstoff und drei schwere M-60 Maschinengewehre bildete die
Speerspitze. Genug um einen effizienten Kampftrupp auszurüsten, aber nicht
genug um die fast 2000 Loyalisten und radikalen Protestanten mit Feuerwaffen
zu versorgen. Gegen die IRA mit ihren gut gefüllten Depots, die sogar Raketen
und Flammenwerfer enthielten, hatten sie keine Chance.
Außerdem gab es da noch ein Problem: Evelyn Trivial.
Evelyn Trivial hatte zwar immer gut geliefert, z.B. die Maschinengewehre, aber
in letzter Zeit wurde er lästig. Er saß seit zwei Monaten in einem
von Fallings Häusern. Er hatte ihm einen Coup versprochen, der ihn zum
führenden Boss von ganz Belfast machen sollte. Falling hatte ihm Geld gegeben.
Aber bisher hatte Trivial noch nicht mir Ware herausgerückt und machte
ein Geheimnis um seine ominöse Waffenlieferung.
Die beiden UVF Leute, die ihn bewachten, waren nicht so sehr als Schutz, sondern
eher als Aufpasser gedacht.
Ethan Alderleen betrat das Arbeitszimmer seinen Chefs, in einem luxuriösem
Apartment im Stadtzentrum, mit unterwürfigem Gesichtsausdruck. Der persönliche
Leibwächter Fallings musste den Kopf einziehen um durch die Tür zu
kommen. Bei über 2,10 Metern Körpergröße nicht verwunderlich.
"Boss. Wir haben die Schweine wieder aus dem Viertel getrieben. Aber die
Armee ist gekommen. Jetzt bin ich wieder da."
Falling wusste, das Ethan etwas beschränkt war. Aber er war der perfekte
Soldat. Führte Befehle aus ohne zu denken und hatte kein Gewissen. Er war
Fallings persönlicher Leibwächter und "Argumentationsverstärker".
Wenn irgendein kleiner Boss Ärger machte, brach Ethan ihm alle Knochen.
"Für heute hast du frei. Morgen brauch ich dich wieder. Sei um acht
Uhr da."
"Heißt das ich kann jetzt nach Hause?"
"Ja Ethan du kannst jetzt gehen."
In Frankfurt war Hieb schon früh bei der Arbeit. Es war der 5 Oktober.
Er war schon um halb Fünf ins Büro gegangen und hatte die neuesten
Zeitungen mitgebracht. Was er las, beunruhigte ihn sehr. In Nordirland herrschte
Kriegszustand. Bei den Ausschreitungen waren 8 Menschen getötet worden.
Eine irische Zeitung machte genauere Angaben und sprach von vier Toten bei den
Volunteer Forces, drei bei den Freedom Fighters und einen getöteten Zivilisten.
Desweitern über dreihundert Verletzte, die meisten davon jugendliche Randalierer.
Außerdem waren über 40 Häuser von Katholiken und Mitgliedern
der protestantischen Paramilitärs in Brand gesteckt worden.
Das alles mailte Hieb nach Nordirland. Ebenso den Bericht über einen Mord
an zwei Protestanten vor einer Woche, bei dem es sich höchstwahrscheinlich
um einen Streit in der Unterwelt gehandelt hatte, und die Lebensläufe von
einigen wichtigen UFF, UVF und IRA Leuten, um die Dr. Kill gebeten hatte.
Scorpion sollte heute ebenfalls in Nordirland ankommen.
Am nächsten Tag, Mittwoch, den 5 Oktober, machten sich Dr. Kill, CAT Shannon
und Fossi, der zwar gerade erst von der Wache abgelöst worden war, aber
trotzdem mitkommen wollte, auf den Weg. Sie fuhren mit dem VW Bus über
die "Peace Line". Ein zynischer Begriff für den drei Meter hoher
Metallzaun, der die Katholiken von den Protestanten trennte, wie einst die Mauer
Berlin. Jedoch konnte man die "Peace Line" an mehreren ausgewiesenen
Stellen passieren und die IRA hatte auch nie Probleme gehabt Waffen und Leute
in die anderen Viertel zu schaffen.
Die Gefechte mussten hier noch bis in den frühen Morgen weitergegangen
sein. Einige der Autowracks und Häuser glühten und rauchten noch immer.
Zweimal wurden sie kontrolliert. Die britischen Soldaten wunderten sich aber
nur über die Vorräte und die Fensterscheiben und gaben sich mit der
Erklärung zufrieden, man wollte für das Wochenende ein neuerworbenes
Landhaus herrichten. Sie erreichten die katholischen Viertel von Belfast.
"Ich weiß nicht, ob Timothy O´Brien noch immer am gleichen
Ort wohnt. Er hat das Waffengeschäft seines Bruders Mickey übernommen,
als der vor einigen Jahren verschwand."
CAT bog von der Straße ab. Hier war die Stadt Belfast schon fast zu Ende.
Hundert Meter ging es über einen holprigen Feldweg an einem hohen Metallzaun
entlang. Dann fuhren sie durch das Tor in den Hof eines Schrottplatzes.
Timothy wohnte noch am gleichen Ort.
Vor ihnen lag ein einziger riesiger Haufen Gerümpel. Ganz vorne stand ein
Wohnwagen, hinter dessen Vorhängen Licht schien.
Die drei Männer stiegen aus und klopften an der Tür. Die Tür
wurde vorsichtig geöffnet und ein Mann, Ende vierzig, mit struppigen blondem
Bart steckte seinen Kopf heraus.
"CAT Shannon? Was machst du denn hier? Gehören die zu dir?" mit
einem Schulterzucken in Richtung Dr. Kill und Fossi öffnete er die Tür
und ließ sie rein.
"Ich bin sicher, du willst keine alten Betten kaufen. Also, was braucht
ihr?"
"Yep, wir wollen uns mal deine ´Ware´ anschauen." CAT ließ sich
auf einen Stuhl im engen zu Hause von Timothy fallen. Dr. Kill übernahm
das Wort: "Wir bräuchten ein paar Faustfeuerwaffen und möglichst
noch ein oder zwei Maschinenpistolen. Hier hab ich die Liste. Natürlich
mit genug Munition, Holstern und am besten noch mit Schalldämpfern. Was
haben sie da?"
"Hmm," er ging zu einem Schrank und sperrte ihn mit einem Schlüssel
auf. Er nahm einige Schachteln heraus und stellte sie auf den Tisch.
"Hier hätten wir einen Springfield Bureau Modell .45 ACP wie du ihn
gerne benützt, CAT. Hab ihn vor zwei Monaten reinbekommen, und gleich an
dich gedacht. Komischer Zufall, dass du ihn gleich brauchst." Er legte
die Waffe auf den Tisch und gleich daneben eine Glock 17, eine CZ-75 und eine
44er Desert Eagle,. Die Waffen für Luke, Scorpion Chris und TSB. Timothy
suchte weiter und brachte schließlich noch eine Beretta 92F, eine 9mm
Ruger Automatik und eine Heckler&Koch P7M13 zu Tage.
"Wärs das? Schalldämpfer hab ich nur noch vier da. Passen auf
die 9mm Waffen. Mit den MPs siehts schlecht aus." Er stellte die Schachteln
auf den Boden um Platz zu schaffen. Aus dem Schrank holte eine Sten MK III hervor
und zeigte sie Dr. Kill.
"Nein! Das Ding hat ja schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel, haben sie
nichts anderes?"
"Nein nichts mehr da. Aber die MP ist in einem guten Zustand und sehr billig."
"Hey, Timothy, geh endlich und hol das gute Zeugs! Ich kenn dich schon
zu lange. Du hast doch was besseres da!"
Timothy brummte und ging hinter eine Sperrholzwand. Irgend etwas wurde weggeschoben.
Timothy kam mit einem Bündel zurück. Er schob die Pistolen auf dem
Tisch beiseite und breitete das Stofftuch aus. Zum Vorschein kam eine Uzi.
"Aber nur weils du es bist CAT. Praktisch fabrikneu. Erst ein paar mal
benützt."
Dr. Kill nahm die MP prüfend in die Hand und testete den Verschlusshebel.
War wirklich wie neu. Jemand hatte einen Griff am Ende des Laufs angebracht
der zielsicheres Schießen ermöglichte. Aber keine Stümperarbeit.
Original aus dem Werk von Israel Military Industries.
"Ok, wir nehmen alles. Zu jeder Waffe fünfzig Schuss Munition in Magazinen.
Für die Uzi drei Magazine á 32 Schuss."
Timothy stapelte die Magazine neben den Waffen. Dann machte er eine Rechnung,
die Fossi sorgfältig nachprüfte. Insgesamt belief sie sich auf 2250
Pfund für die Pistolen und 500 Pfund für die Uzi.
Dr. Kill zahlte das Geld aus der Spesenkasse und verabschiedete sich.
Sie verstauten alles unter einer Decke im Wagen und fuhren zum Forsthaus. Mit
den Waffen wollte Dr. Kill nicht in eine Kontrolle geraten.
Als sie die Waffen abgeliefert hatten, fuhren sie wieder Richtung Belfast.
Ruth hatte es nicht in der Wohnung ausgehalten. Sie wollte etwas unternehmen.
Nach etlichem hin und her, beschloss sie für die Männer einkaufen
zu gehen. Nicht weiter gefährlich, nur runter zum Supermarkt, zum Metzger
und dann gleich wieder zurück. Luke begleitete sie. Kenai blickte ihnen
vom Fenster aus nach, wie sie die Straße überquerten und im Supermarkt
verschwanden. Er grinste. Nerviges Weib und ein närrischer Jungspund.
Der eingeschaltete Laptop blinkte auf. Eine Nachricht war angekommen. Kenai
ging zum Tisch und sah sich die Nachricht an. Neben dem kurzen Basisbericht
waren auch noch die stark gekürzten und eilig aus Archiven zusammengesuchten
Lebensläufe von einigen wichtigen Nordiren dabei. Kenai las sich die kurzen
Berichte schnell durch.
Timothy Falling wurde am 30 Januar 1956 in Nordirland geboren. Als Sohn
eines angesehenen Kleinindustriellen absolvierte er eine Ausbildung beim Militär
und begann ein Jurastudium, das er jedoch abbrach. Zusammen mit seinem Bruder
Oliver versuchte er die marode Fabrik des gestorbenen Vaters über Wasser
zu halten, war aber 1979 gezwungen zu verkaufen. Mit der Konkursmasse stieg
er ins Drogengeschäft ein und verdiente sich eine goldene Nase. Später
trat er in die Ulster Volunteer Force ein und wurde dort einer der wichtigsten
Männer. Während ihm selbst nie etwas nachgewiesen werden konnte, wurde
sein Bruder Oliver 1990 wegen eines Bombenanschlages bei dem zwei irische Passanten
starben festgenommen. Er wurde zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt und
sitzt noch heute seine Haftstrafe in Long Kesh ab. Timothy gilt zur Zeit als
mächtigster Mann in der UVF und sicherer Nachfolger des derzeitigen Chefs
der UVF und der Organisationspartei PUP Rusty Hill.
Philip Black wurde am 5 März 1951 in Nordirland geboren. Er war
bereits sehr früh bei radikalen Protestantengruppen tätig und ging
äußerst brutal vor. In den siebziger Jahren verübte er einen
Doppelmord, als er einem katholischen Abgeordneten umbrachte, obwohl der sich
strikt gegen den militärischen Kampf der IRA aussprach. Phil Black hat
damals seinen Opfern die Kehle durchgeschnitten und auf die Freundin des Abgeordneten
auch noch mehrmals mit dem Messer eingestochen. Seitdem trägt er den Namen
Phil "Cut the Throat" Black. Er verbüßte mehre Gefängnisstrafen
und trat den Ulster Freedom Fightern bei. Nach dieser Zeit verübte er noch
mehrere Anschläge auf Einrichtungen der verfeindeten UVF.
Heute ist er für die Polizei unantastbar, da die gemäßigten
protestantische Ulster-Politiker den Sprecher der Freedom Fighters an den Friedensprozess
binden wollen. Sie akzeptierten ihn sogar als offizielles Mitglied der Kommission
zur Vorbereitung des "Karfreitagsabkommens".
Jim Adsky wurde am 15 Dezember 1967 in Nordirland geboren. Er machte
sich schon früh einen Namen als brutaler Killer und tötete ab 1985
mehrere Katholiken. 1989 wurde er schließlich verhaftet und wegen des
bewiesenen Mordes an einer 25jährigen Studentin zu lebenslanger Haft verurteilt.
Er kam 1998 auf Grund des "Karfreitagsabkommens" wieder auf freien
Fuß. Er gilt als extrem skrupellos und gefährlich. Ein Arzt bescheinigte
ihm eine verminderte Zurechnungsfähigkeit und einen unterschwelligen religiösen
Fanatismus.
Mike Rock wurde am 2 August 1957 in Nordirland geboren. Nachdem er die
Schule mit hervorragenden Leistungen abschloss ging er zum Militär, wo
er zum Scharfschützen ausgebildet wurde. 1980 wurde er jedoch wegen rassistischer
Übergriffe gegen Katholiken und Juden aus der Armee entlassen. Er heiratete
die protestantische Pfarrerstochter Alice Hale aus London und zog wieder nach
Belfast. Dort arbeitete er von Anfang an für die Ulster Freedom Fighter
und verübte 1991 einen Anschlag auf den Sinn-Fein Präsidenten Barry
Abels. Dieser überlebte zwar, aber dem Heckenschützen Mike Rock gelang
es trotzdem drei andere Katholiken zu töten. Er wurde verhaftet und zu
drei Mal lebenslänglich verurteilt. Er kam auf Grund des "Karfreitagsabkommens"
wieder auf freien Fuß und lebt heute mit seiner Familie in Belfast.
Barry Abels wurde am 26 Juni 1943 in Nordirland geboren und beteiligte
sich am bewaffneten Kampf gegen die Briten. Er war wohl auch an Anschlägen
gegen britische Militäreinrichtungen in Deutschland beteiligt. Er verbüßte
mehrere längere Gefängnisstrafen und war 1970 bei der Verkündung
der "Fünf Punkte " dabei, die vorsahen, den Briten so viele Verluste
wie irgendwie möglich zuzufügen, so dass ihr eigenes Volk zu Hause
den Abzug aus Irland fordere.
Dann trat er jedoch in die Sinn Fein, den politischen Arm der IRA, ein und schwor
der Gewalt ab. 1972 verurteilte er die IRA Anschläge auf protestantische
Zivileinrichtungen und wurde er zum Präsidenten der Sinn Fein ernannt.
1991 verübte ein Heckenschütze einen Anschlag auf ihn, bei dem drei
Menschen starben, Abels aber nur leicht verletzt wurde.
Heute ist Barry Abels immer noch Präsident der Sinn Fein und Ehrenmitglied
im Parlament von Westminster.
Gabriel Macee wurde am 6 September 1972 in Nordirland geboren und war
früh an Aktionen der IRA beteiligt. 1990 soll der gerade erst 18jährige
bereits einen protestantischen Priester erschossen haben. Dafür saß
er kurz in Haft, wurde aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Da die IRA
ihm zu zurückhaltend war, involvierte er immer mehr in der Splittergruppe
"Wahre IRA". Dort verübte er mehrere Anschläge auf Protestanten.
1995 konnte eine Splitterbombe, die höchstwahrscheinlich Macee vor einer
Schule deponierte, gerade noch rechtzeitig entdeckt werden.
1998 verübte die "Wahre IRA" einen Anschlag in der belebten Einkaufsstraße
von Omagh, bei dem 29 Menschen starben und 230 verletzt wurden. Dieser Anschlag
gilt als der bisher blutigste in der Geschichte Nordirlands. Es wird befürchtet,
dass sich die "Wahre IRA" mit den zwei anderen katholischen Splittergruppen,
der Irischen Nationalen Befreiungsarmee (INLA) und der "IRA der Kontinuität"
(cIRA), zusammengetan hat.
Kenai bis in sein belegtes Brot, während er noch las. Alles keine sehr
angenehmen Leute. Las sich wie das Drehbuch für einen Politthriller.
Seit seiner Ankunft vor 5 Tagen, ernährte er sich wie die anderen von Sandwiches,
Spiegeleiern und Kaffee. Wurde wirklich Zeit, dass Ruth mal was auf den Tisch
brachte. Dumm, dass man sie nicht allein zum Einkaufen schicken konnte.
Während sich Kenai noch über die Möglichkeit, einen Vier-Sterne-Koches
bei B&HMP einzustellen, Gedanken machte, wurde die Wohnungstür geöffnet
und Luke kehrte mit Ruth zurück.
Ethan Alderleen nahm sein Frühstück nicht wie gewohnt in der "Kings
Bar" ein. Die war ja gestern von den Ulster Freedom Fighters zerstört
worden. Als er zur "Irish Lounge" ging, der zweiten Bar in der er
Kredit besaß, fand er ebenfalls nur verschlossene Türen vor.
"Vorübergehend geschlossen" stand auf einem Schild im Fenster.
Grummelnd schlenderte er weiter. Ein paar Leute blickten dem bulligen Riesen
nach. Die, die ihn kannten, schauten demonstrativ weg. Er war auf Grund seines
Jobs nicht sehr beliebt.
Ethan Alderleen war 1965 geboren worden. Genaues Datum wusste er nicht mehr.
Seine Mutter war mit einem anderen Kerl abgehauen und sein Vater, ein Bahnhofsarbeiter,
hatte die ganze Zeit gesoffen. Ethan hatte viele Prügel einstecken müssen.
Von seinem Vater und von seinen Altersgenossen. Er war immer ein Außenseiter
gewesen, da er ein wahrer Riese war. Er hatte ein Funktionsstörung der
Hyphophse, wie später ein Gefängnisarzt feststellte, deshalb wuchs
und wuchs er. Mit zwölf Jahren war er bereits 1,90 Meter groß.
Um endlich Freunde zu finden trat er in einen Boxclub ein. Dort war er mit Abstand
der Jüngste, verprügelte aber trotzdem weitaus Ältere. Nach einem
Jahr war er Juniorenmeister in Ulster. Dann schlug er zu tief und zu fest zu
und zerquetschte einem Gegner die Hoden. Der Gegner war der Schiedsrichter.
Ethan wurde auf Lebenszeit aus allen Boxvereinen Großbritanniens ausgeschlossen.
Es folgten Rugby, Judo und Ringen. Aber in keinem Sport blieb er länger
als ein Jahr ohne Sperrung.
Mit sechzehn Jahren nahm er einen Job bei den Eisenbahnern an, weil sein Vater
sich inzwischen tot gesoffen hatte. Dort gefiel es ihm aber nicht und er fing
bei einer Brauerei an. Ohne ersichtliche Schwierigkeiten schleppte der 18jährige
alleine die Bierfässer, für die sonst zwei Mann nötig waren.
In seiner Freizeit trank er entweder oder verprügelte Katholiken. Je nach
Geschmack. Dafür kassierte er bald die Rechnung. Ein paar IRA Kämpfer
fielen nachts mit Eisenstangen und Messern über ihn her und ließen
erst wieder von ihm ab, als er sich nicht mehr rührte. Nach zwei Monaten
Krankenhausaufenthalt, schwor Ethan Rache. Er betrank sich und stürmte
das nächstbeste katholische Lokal. Dort schlug er zwei Gäste ins Koma
und fünf weitere krankenhausreif. Auf dem Rückweg vergewaltigte er
eine Frau und legte sich zufrieden ins Bett.
Am nächsten Morgen klopften vier Polizeibeamten gegen die Wohnungstür
im Dachgeschoss. Während sich Ethan aus dem Bett wälzte brachen sie
die Tür auf und drangen in die verschmutzte Ein-Zimmer Wohnung ein. Ethan,
plötzlich hellwach, packte die beiden ersten und drängte die Beamten
wieder aus der Wohnung und die Treppe hinunter.
Dann verschanzte er sich in der Wohnung und wartete ab, was kommen würde.
Nach dreißig Minuten kehrten die Polizisten zurück. Ethan wartete
gar nicht ab, bis sie wieder in die Wohnung eindrangen. Er riss die Tür
auf und überrannte das völlig verdutzte Sturmkommando. Die fünf
Polizisten polterten die Treppe hinunter und Ethan hinterher. Er stürmte
ins Freie, wo sich sofort vier weitere Polizisten auf ihn stürzten. Er
schüttelte sie wie lästige Fliegen ab, und wäre wohl kopfvoran
auf den gepanzerten Polizeibus losgegangen, wenn sich nicht gleichzeitig 11
Männer auf ihn gestürzt und mit Schlagstöcken niedergeknüppelt
hätten.
Ethan wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Im berüchtigten Knast
von Long Kesh lernte er Oliver Falling kennen. Der, wegen Mordes an zwei Katholiken
zu zweimal Lebenslänglich verurteilte Schwerverbrecher und Führungsmitglied
der Volunteer Force, nahm den Neuankömmling unter seine Fittiche. Ethan
verteilte seitdem für Falling Drogen und behauptete den Drogenmarkt im
Knast gegen die Freedom Fighters. Im Gegenzug brachte Falling Ethan Lesen und
Schreiben bei, das der Raufbold nie gelernt hatte. Ein anderer verurteilter
Mörder, und Freund Fallings, übernahm es, für Ethan ein Krafttraining
zu entwickeln.
Als Ethan 1994 nach 8 Jahren wegen guter Führung entlassen wurde, obwohl
er mehr Insassen als sonst jemand zusammen geschlagen hatte, war er 2,15 Meter
groß, 210 Kilo schwer, hatte 52 Zentimeter Oberarmumfang und war der beste
Streetfighter in Nordirland und dem ganzen britischen Königreich.
In der Tasche hatte er die Adresse von Oliver Fallings Bruder, Tim Falling.
Bei ihm sollte er fürs erste arbeiten.
Jetzt trat er in eine verrauchte Kaschemme. Sofort wurde es leise. Die gut
dreißig Gäste hielten den Atem an, als der Riese eintrat. Eiligst
wurde ein Ecktisch freigemacht und Ethan setzte sich. Ihm knurrte der Magen
und er bestellte drei Portionen Spiegeleier mit Speck, Würstchen, Pfannkuchen
und eine Kanne Kaffee.
Gerade als er den letzten Bissen geschluckt hatte, piepste sein Handy. Er hasste
das Ding. Tim Falling hatte es ihm aufgedreht. Damit er ihn immer erreichen
konnte, wenn er ihn brauche. Das war ja gut. Er war ja der Bruder von Oliver
Falling. Der im Gefängnis Musik von toten Männern hörte und viele
Bücher laß. Ethan vergötterte ihn. Er war für ihn ein Vaterersatz
gewesen.
Ebenso verehrte er Tim Falling. Der ein sehr kluger Mann war und ihm eine Arbeit
gab, die er sehr gut konnte. Kämpfen.
Trotzdem hatte es Wochen gedauert, bis er mit dem Mobiltelefon klarkam. Ethan
konnte mit Mühe gerade mal eine Zeitung lesen. Deshalb war er furchtbar
stolz auf sich gewesen, als er endlich keine falschen Tasten mehr drückte
oder das Telefon aus Versehen zerquetschte. Er nahm den Anruf entgegen. Er war
von Tim Falling. Sofort machte sich auf den Weg.
Die Leute atmeten auf, als er die Kneipe verließ.
"Ethan. Ich hab eine Aufgabe für dich. Such dir zwei Leute und fahr
heut abend in die Upper Shankhills und mach diesen Phil Black fertig! Und zwar
ganz fertig! Hast du verstanden? Du findest ihn wahrscheinlich in seinem Büro.
Weißt du wo das ist?"
"Mmh."
"Gut. Aber zuerst müssen wir noch was gemeinsam erledigen. Bereit
jetzt alles vor und sei um sieben wieder da!"
Ethan verließ das Büro seines Chefs um die Vorkehrungen zu treffen.
Falling lehnte sich zufrieden zurück und faltete die Hände ineinander.
Heute abend würde er zwei Gegner aus dem Verkehr ziehen. Zum einem Philip
Black, den Chef der Freedom Fighters, und zum anderen Rusty Hill, den Altchef
der Volunteer Force.
Es war 19:30 Uhr und der Wagen des Spezialitäten Restaurants "Abbeyhouse"
hielt in der Goldenstreet vor dem Haus mit der Nummer 28.
Fossi rappelte sich auf. Der Wagen war heute Mittag auch schon da gewesen. Er
brachte anscheinend regelmäßig das Essen.
Er stieß Kenai an, der auf dem Beifahrersitz döste.
"Ich habs schon gesehen."
Fossi fuhr sich über den kurzgeschnittenen roten Bart und überlegte.
"Hey! Der Wagen bringt anscheinend zweimal täglich das Essen. Wäre
doch vielleicht eine Möglichkeit ins Haus zu kommen, oder?"
"Hmm, wie willst du das machen? Den Lieferburschen niederschlagen und ihm
die Uniform klauen? Hast wohl zu viel Kinofilme gesehen." Kenai schloss
wieder die Augen, schlug sie aber gleich wieder auf. "Aber merks dir. Vielleicht
hilfts irgendwie weiter."
Fossi nahm, von seiner Idee angetan, die Digitalkamera und schoss einige Fotos
von dem Posten, dem Lieferboten und diesmal auch vom Lieferwagen. Die Idee war
doch eigentlich gar nicht so dumm.
Scorpion Chris war am Mittag mit dem Flugzeug angekommen. Jetzt saßen
er mit Kenai, Fossi, CAT Shannon und Dr. Kill dichtgedrängt im Volvo zusammen.
Luke und TSB waren mit Ruth und den Waffen im Landhaus.
Sie hatten ihm alles bisher vorgefallene erzählt und zeigten ihm jetzt
auch das Zielobjekt.
"Und wo sind die Raketen? Doch nicht im Haus?"
"Nein, das wissen wir selbst noch nicht. Sie müssen hier irgendwo
in der Umgebung versteckt sein. Die einzige Möglichkeit an sie ranzukommen
ist aber Trivial. Wenn wir ihn haben, werden wir ihn schon dazu bringen, uns
zu erzählen wo die Raketen sind. An die UVF hat er sie aber wahrscheinlich
noch nicht gegeben. Sonst würde er nicht hier hocken, sondern auf den Bahamas
oder in der Schweiz."
Dr. Kill fuhr fort.
"Wir haben eigentlich nur zwei Möglichkeiten in das Haus einzudringen:
Nachts schleichen sich zwei oder drei von uns bewaffnet in den Garten. Ein zweiter
Trupp klettert über das Gartentor und öffnet mit Dietrichen oder gewaltsam
die Vordertür. Gleichzeitig dringt der erste Trupp von hinten durch Fenster
ein und schaltet jeden aus, der sich dort aufhält. Wenn wir Trivial dann
noch nicht haben stürmen wir nach oben und suchen dort nach ihm. Verdammt
riskant und uneffektiv.
Die zweite Methode wäre:
Wir schnappen uns, wie Fossi vorgeschlagen hat, einen dieser Essenswagen, schaffen
auf diesen Weg einen Mann in das Haus der in schneller Folge die beiden Leibwächter
Spoke und Kyle ausschaltet. Die anderen stürmen durch den Garten und unterstützen
ihn, falls nötig. Der Vorteil wäre, dass alles schnell und dank der
Schalldämpfer auch leise abläuft, während der erste Weg in ein
offenes Feuergefecht ausarten könnte.
Ich denke also, wir machen es auf den zweiten Weg. Jetzt fahren wir gleich zu
diesem Lokal "Abbeyhouse", die Lage auskundschaften. Fossi und Kenai.
Ihr bleibt hier. Wir brauchen leider den Wagen."
Ohne weiter viel zu reden, stiegen Fossi und Kenai aus und sahen zu, wie die
anderen weg fuhren. Kenai schien vor überschäumenden Energie fast
zu platzen. Man konnte es ihm richtig ansehen, dass er Lust hatte, zu kämpfen.
Fossi hatte sich auch vorgestellt, dass das Söldnerleben aufregender sei.
Das Ganze hier erinnerte ihn mehr an die Zeit als er noch bei der Polizei war
und tagelang Wohnungen von Drogendealern observiert hatte. Er hielt Kenai eine
Lucky Strike hin.
"Wird hoffentlich nicht zu kalt heute. Dauert noch drei Stunden, bis wir
abgelöst werden."
"Wenn ich das gewusst hätte, hät ich meine langen Unterhosen
angezogen. Hast du Feuer?"
Am anderen Ende der Straße hielt gerade eine schwarze Mercedes Limousine
und zwei Männer stiegen aus. Wenn sie hingeschaut hätten, wären
Kenai und Fossi sogar auf diese Entfernung aufgefallen, dass einer der beiden
äußerst groß und kräftig war.
Tim Falling eilte in die Villa von Rusty Hill. Ethan Alderleen folgte ihm.
Die beiden Leibwächter im Wagen nickten dem Juniorchef der UVF kurz zu,
als er an ihnen vorbei ging.
Rusty Hill wollte keine Leibwächter im Haus haben. Hatte er noch nie gemocht.
Nur die Krankenschwester wohnte bei ihm. Aber die schlief im Erdgeschoss und
wachte nur auf, wenn der alte Hill den Piepser bediente.
Falling hatte einen Schlüssel. Als er in den, mit alten George V Kunstwerken
geschmückten, Flur trat, gab er Ethan ein Zeichen, hier unten zu warten.
Mit federnden Schritten eilte er nach oben.
Er öffnete die schwere Tür zu Hills Schlafzimmer und schloss sie hinter
sich wieder. Der schwere Teppichboden dämpfte seine Schritte und er trat
langsam auf das Bett zu. Das Licht brannte Tag und Nacht.
Hill lag auf dem Rücken. Er hatte eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht
und atmete ruhig und gleichmäßig. Sein Gesicht war grau und eingefallen.
Die weißen Haare schütter geworden.
"72 Jahre alt und todkrank. Gehörte schon längst ins Grab, klammerte
sich aber ans Leben." dachte sich Falling.
Neben dem Bett standen etliche Medizinische Geräte, die den Sauerstoff
regelten und ständig den Puls maßen.
Falling beugte sich über Hill. Noch schlug dessen Herz. Aber damit würde
es auch bald vorbei sein. Falling wickelte den Piepser, mit dem man die Schwester
rufen konnte, ein paar mal um die Haltestange. Dann fuhr er mit der Hand in
die Manteltasche und holte eine Spritze hervor. Sorgsam nahm er den Verschluss
ab und drückte die Luft heraus. Dann nahm er vorsichtig den Schlauch des
Tropfes heraus, der in Hills Hand steckte und in mit irgendeiner angereicherten
Körperflüssigkeit versorgte.
Der alte Mann blickte ihn an.
Er hatte die Augen aufgeschlagen und sah Falling, mit der Spritze in der Hand
und über ihn gebeugt, unverhohlen an.
Hills Lippen formten Worte, die aber zu leise waren, um gehört zu werden.
Falling konnte seine Augen nicht losreißen. Hill versuchte den Piepser
zu finden. Der hing aber für seine schwache Hand unerreichbar hoch, oben
aufgewickelt.
"Dir hilft keiner mehr, alter Sack. Hattest ein erfülltes Leben, aber
jetzt musst du abtreten." flüsterte Falling ihm zu und setzte die
Spritze endlich an den Katheter. Die tödliche Flüssigkeit schoss heraus,
lief durch den Schlauch in die Hand und von dort in den gesamten Körper.
"Schlaf schön."
Rusty Hill war zu schwach sich zu wehren. Er sank zusammen und schloss langsam
die Augen.
Falling schloss den Tropf wieder an und entwirrte das Kabel des Piepser. Er
schloss die Tür und vergewisserte sich, dass er alles im vorgefunden Zustand
zurückließ. Er trat noch schnell ins Arbeitszimmer, des gerade Sterbenden,
und nahm irgendeinen beliebigen Aktenordner mit.
Als er die Treppe hinunter ging, hatte sich alle Anspannung schon wieder von
ihm gelöst. Der Plan war erfolgreich ausgeführt worden. Das Gift lähmte
alle Körpertätigkeiten und würde in weniger als einer Stunde
zum Tod führen. Ohne jegliche Spuren zu hinterlassen.
Zusammen mit Ethan verließ er das Haus.
Die beiden Leibwächter im Wagen sahen nur einen ihrer Leute wegfahren,
der sich einige Akten fürs nächtlich Studium geholt hatte, und spielten
weiter Karten.
Sie fuhren zum Restaurant "Abbeyhouse" die Adresse stand auf dem Lieferwagen,
den sie fotografiert hatten. Der Nobelgasthof lag nur ein Viertel von der Goldenstreet
entfernt. Großer Kasten mit Hotel, eigenem Weinkeller, Delikatessenladen
und Lieferservice. Der Parkplatz war jetzt, um 20:45 Uhr, schlecht gefüllt.
Die meisten Belfaster blieben wegen den Ausschreitungen zu Hause. Während
Dr. Kill die ausgehängte Speisekarte studierte, umrundeten Scorpion und
CAT Shannon das Areal.
Sie spähten durch ein offenes Hoftor. Dort parkten drei weiße Lieferwagen
mit der "Abbeyhouse"-Aufschrift. Als sie näher ran gingen, sahen
sie, dass in zwei der Wagen die Schlüssel steckten.
Zufrieden kehrten sie zurück.
"Da hinten stehen total ungeschützt drei Lieferwagen. In zwei stecken
sogar noch die Schlüssel. Ein Kinderspiel. Wir könnten jederzeit einen
ausborgen."
"Nein, Plan geändert. Seht mal dort."
Dr. Kill zeigte statt dessen auf handgeschriebenes Schild, dass neben der Speisekarte
hing:
Lieferbote/in gesucht. Gute Bezahlung. Vornehmlich
Studenten/innen. Führerschein erforderlich
"Chris, du hast doch hoffentlich deinen Führerschein dabei?"
Dr. Kill öffnete mit einer auffordernden Geste die Eingangstür. Mürrisch
die Augenbrauen zusammenziehend, trat Scorpion ein.
Als er nach fünfzehn Minuten wieder herauskam, hatte der frischgebackene
kanadische Student, der gerade ein Semester in Belfast verbringt um die europäische
Kunstgeschichte zu studieren, den Job.
"Morgen um halb zwölf soll ich anfangen Mittagessen auszuliefern."
Zufrieden fuhren sie zurück. Fossi und Kenai warteten auf die Ablösung.
Außerdem war eine Lagebesprechung fällig.
Gegen zehn Uhr abends schlug die Volunteer Force zu. Die Briten und die Polizei
hatten zwar damit gerechnet, aber nicht mit der Brutalität mit der sie
vorgingen. Von einer Minute auf die andere brannten in ganz Nordbelfast die
Barrikaden. Die Loyalistischen Kämpfer waren wie aus dem Nichts aufgetaucht
und hatten zugeschlagen. Während der Mob den Wasserwerfern der Ordnungskräfte
trotzte und die Militäreinheiten hinderte in die Unruheviertel vorzudringen,
entfachten die Kampfeinheiten der UVF eine Welle von Gewalt. Über vierzig
Häuser von Freedom Fightern wurden in Brand gesteckt und beschossen. Die
Kämpfer der UFF versuchten vergeblich die Angreifer aufzuhalten und wurden
gegen die "Peace Line" gedrängt, auf deren anderen Seite schwerbewaffnete
Soldaten der "Wahren IRA", und anderer Katholikengruppen, keinen Zweifel
aufkommen ließen, dass jeder der die Grenze übertrete ein toter Mann
sei.
Mitten im Gefecht stand Ethan Alderleen und stürmte mit zwei weiteren UVF
Kämpfern auf das Büro von Phil Black zu. Auf dem Schaufenster konnte
man Namen erkennen: Loyalist Prisoners Aid, Hilfe für Kämpfer der
Loyalisten, die aus dem Gefängnis kommen.
Finanziert wird das Büro, auch dies stand auf dem Fensterglas, aus dem
Friedens- und Versöhnungsprogramm der Europäischen Union. Das Büro
sollte eigentlich, wie ähnliche Stellen bei allen anderen Gruppen, der
Wiedereingliederung entlassener Gefangener in die Gesellschaft dienen. Statt
dessen bereitet es ihre Rückführung in den aktiven Kampf vor. Phil
Black leitete die Filiale in diesem Viertel. Bis auf die Staatssekretäre
in Brüssel wusste jeder, dass man damit den Bock zum Gärtner gemacht
hatte.
Wenige Meter vor dem Büro zog Ethan seine Taurus Automatik und zielte auf
die Gestalt, die er undeutlich hinter der Ladentür erkennen konnte. Die
Schüsse schlugen in das Panzerglas der Ladentür ein. Ethan fluchte
und sprang vor. Mit aller Kraft trat er gegen die Tür, die sofort aus den
Angeln fiel.
Die beiden anderen Kämpfer stürmten hinein und eröffneten das
Feuer aus ihren Kalaschnikows. Ethan wartete draußen und sah sich dann
das Blutbad an. In einer sich langsam ausbreitenden Blutlache lagen eine Putzfrau
und ein unbekannter junger Mann mit Pistolenholster. Von Phil Black keine Spur.
Der junge Mann lebte noch. Ethan beugte sich vor und packte ihn am Kragen.
"Wo ist Black?!"
Als Antwort bekam er nur noch ein Röcheln zu hören, bevor der Mann
starb. Voller Wut packte Ethan den Leichnam und schleuderte ihn mit Wucht gegen
das Schaufenster. Dann wischte er sich die Hände am Rock der toten Putzfrau
ab und verließ mit seinen Leuten den Ort des Verbrechens. Um ihn herum
ging die Schlacht weiter.
Donnerstag, 6. Oktober 2001
Ausschreitungen in Nordirland
erreichen neuen Höhepunkt!
(dpa) Gestern Abend erreichte
der bewaffnete Konflikt, der Nordirland seit zwei Tagen erschüttert,
seinen traurigen Höhepunkt. In Kämpfen zwischen den verfeindeten
Protestantengruppen wurden in der vergangenen Nacht, nach Polizeiangaben 23
Menschen getötet. Bei den Opfern handelt es sich vor allem um Zivilisten
die am Rande der Kämpfe getötet wurden und um Mitglieder der sog.
"Ulster Freedom Fighters", einer paramilitärischen Vereinigung,
sowie deren Familien, die in ihren Häusern verbrannten.
Bis in den frühen Morgen wurden Feuerwehr und Rettungskräfte daran
gehindert an die Schauplätze der Tragödie zu eilen.
Der Polizeisprecher von Nordirland nannte die Situation "äußerst
Ernst" und die Folgen "noch unabsehbar", versicherte aber,
dass das Möglichste getan werden, um solche Gewaltorgien in den nächsten
Tagen zu verhindern.
Im britischen Parlament wird gerade darüber beraten ob zusätzliche
Militärkräfte nach Belfast beordert werden sollen. Die Vertreter
der nordirischen Loyalisten und Unionisten sind gegen diesen Vorschlag. Die
IRA hat sich ebenfalls geäußert, dass sie "eine verstärkte
Präsenz britischer Streitkräfte in Nordirland als direkten Affront
gegen das Friedensabkommen ansehen würde" und gedenken darauf "mit
geeigneten friedlichen und militärischen Mitteln" zu reagieren.
Die Unruhen waren ausgebrochen, nachdem die "Ulster Freedom Fighters"
am 4 Oktober mehrere Häuser der verfeindeten "Ulster Volunteer Force"
angezündet und vier Kontrahenten töteten. Obwohl es in den vergangenen
Jahren schon mehrfach zu Ausschreitungen gekommen war, sehen Regierungsvertreter
keinen politischen Hintergrund, sondern sprechen von Revier- und Machtkämpfen
in der kriminellen Unterwelt von Belfast.
Hieb legte die Zeitung weg. Sein ganzer Schreibtisch war mit in- und ausländischen
Zeitungen überhäuft, die aber fast alle die selben Schlagzeilen lieferten.
Darunter Bilder von brennenden Häusern, vermummten Steinewerfern, gepanzerten
Polizeifahrzeugen und Leichensäcken.
Die ganze Sache schien außer Kontrolle zu geraten. Er überlegte ernsthaft
die ganze Aktion abzublasen oder wenigstens zu verschieben. Da oben herrschten
ja Zustände wie im Bürgerkrieg.
Auf der anderen Seite des Tisches saß Barlmoro, wie immer in schwarzem
Anzug und heute mit kaminroter Krawatte. Er hatte noch einen anderen Artikel
gefunden. Ganz auf der letzten Seite stand unter "Vermischtes" ein
kurzer Bericht.
Legendärer Chef der Nordirischen
Protestanten gestorben.
Nach langjähriger Krankheit
starb gestern Rusty Hill in seinem Haus in Belfast. Hill, der seit 1953 aktiv
für ein britisches Nordirland kämpfte, wurde vor allem als radikaler
Verfechter des sog. "Union Ways" bekannt. Unter diesem Motto versammelte
er 1958 loyalistische Kämpfer und startete gewaltsame Proteste gegen
Katholiken und Reformpolitiker in Irland und Großbritannien. Als er
1998, bereits schwer an Krebs erkrankt, das "Karfreitagsabkommen"
mitunterzeichnete, sah man dies als gewaltigen Schritt zur friedlichen Lösung
des Nordirlandkonfliktes an.
Rusty Hill war vor seiner Krankheit Mitglied im Parlament von Westminster
und Vorsitzender der Unionspartei PUP. Zu seiner Beerdigung werden Vertreter
verschiedener Regierungsparteien und Organisationen erwartet. Hochstehende
Mitglieder des protestantischen Oranierordens und Kriegervereinen haben angekündigt,
Hill ebenfalls die letzte Ehre zu erweisen.
Er reichte Hieb den Artikel. "Schicken wir am besten gleich alles den
Jungs zu. Wir sollten vielleicht auch darüber nachdenken, ihnen Verstärkung
zu schicken. Dactylartha und Seraph könnten wir von ihren jetzigen Aufgaben
loseisen."
Hieb überflog den Artikel. "Mir gefällt das nicht. Vielleicht
sollten wir die Jungs erst mal untertauchen lassen, bis sich die Situation wieder
beruhigt hat."
Er wusste genau, dass das nicht klug war. Die Söldner waren Trivial dicht
auf den Fersen und wie er Dr. Kill kannte, würde er wohl keine Zeit verlieren
und bald zuschlagen. Auf jeden Fall konnte sie jede Unterstützung gebrauchen,
die sie kriegen konnte.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Der abhörsichere Apparat. Barlmoro
hob ab.
"B&HMP, was kann ich für sie tun."
"Wer spricht da?"
"Barlmoro, wer ist dran?"
"Ich bins Schulz. Wir haben eine neue Spur. Die Raketen wurden mit einem
Boot namens "Katja" nach Nordirland gebracht. Wir haben die Sache
überprüft. Ein Schiff mit diesem Namen hat tatsächlich kurz nach
dem Diebstahl in Hamburg abgelegt. Ziel Southhampton. Das Schiff befindet sich
zur Zeit in Rotterdam. Wir wissen nicht, ob die Spur etwas Wert ist. Sie kommt
von einem Hafenarbeiter, der jetzt auf einmal spurlos verschwunden ist. Auf
Wiederhören."
Die Leitung war leer.
Hieb beugte sich über den Tisch und spielte das Tonband ab, dass immer
mitlief und alle Anrufe aufzeichnete.
"Was sagst du dazu? Wir sehen uns die Sache auf jeden Fall an, oder?"
Hieb nickte. "Ich ruf an besten mal in England an. MaritimeRiskManagement.
Die sind auf Schiffe und amphibische Einsätze spezialisiert und können
sicher mehr rausbringen. Außerdem sind sie mir noch einen Gefallen schuldig."
Fünfzehn Minuten später hatte Hieb die Informationen über die
"Katja". Folby vom MRM hatte ihn direkt mit einem Mann von Lloyds
verbunden, bei der die "Katja" versichert war. Außerdem kannte
Folby den Hafenmeister von Southhampton.
Die "Katja" war von Southhampton direkt weiter nach Belfast gefahren.
Dort war die Ladung auf Lastwagen umgeladen worden. Der Kapitän des Schiffes
hatte dies ebenfalls überwacht. Außerdem hatte es schön öfters
Probleme mit der Versicherung gegeben. Pünktliche Zahlung schien für
Sven Anders, dem Eigner und Kapitän der "Katja", ein Fremdwort
zu sein. Anders war mehrfach wegen Schmuggels und Körperverletzung vorbestraft
und hatte seine frühere Speditionsfirma in den Ruin geritten.
Barlmoro spannte sich an: "Also fahren wir nach Rotterdam. Ich weiß
zwar nicht, was dieser Anders uns noch mitteilen kann, was wir nicht schon wissen,
nämlich das die Raketen in Nordirland sind und nun unauffindbar. Aber was
solls. Ich sag Dac und Seraph Bescheid, dass es losgeht."
Hieb stand auf und ging zu einem Wandschrank. Dahinter kam ein Safe zum Vorschein.
Darin lagen einige Bündel Bargeld, Besitzurkunden und wertvollen Akten,
kurz alles, an was man immer ranmusste und daher nicht in den Safe im Keller
konnte. Im obersten Fach lag eine Heckler&Koch Mark 23. Hieb nahm sie heraus
und prüfte das Magazin bevor er sie einsteckte.
Philip Black saß in seinem Landhaus in der Grafschaft Derry. Jimmy Adsky
und Mike Rock waren bei ihm. Sie saßen in den schweren Clubsesseln, die
um den offenen Kamin aufgestellt waren, und nahmen ein zweites Frühstück
ein. Black war nervös. Der Fünfzigjährige hatte von dem Anschlag
auf sein Leben gehört. Er war sicherlich nicht zimperlich. Es war nicht
der erste Anschlag auf ihn gewesen. Bei der Explosion einer Autobombe, hatte
er sein linkes Auge verloren. Aber es erschreckte ihn, wie knapp er entkommen
war. Eigentlich wäre er an diesem Abend im Büro gewesen. Aber es hatte
Probleme mit einem Drogenkurier gegeben und er war nach Derry gefahren um das
Problem eigenhändig zu lösen. Das hatte ihm das Leben gerettet. Dafür
waren jetzt eine Reinigungskraft und ein Leibwächter tot. Aber das war
ja noch das Unwichtigste!
Zehn seiner besten Männer (wenn sie starben, waren es auf einmal immer
seine "besten Männer") hatten daran glauben müssen. Er blickte
in die Runde. Adsky kaute munter und überflog den Comic auf der Rückseite
der Milchtüte. Ihm schien das alles mehr oder weniger Scheiß egal
zu sein.
Mike Rock saß stumm da und rührte seinen Kaffee nicht an. Er hatte
seine Frau Alice und seine kleine Tochter Magarete verloren. Das Volunteer Kommando
hatte seine Haus in der Shankhillroad in Brand gesteckt. Er war ganz wo anders
gewesen und hatte seiner Familie nicht beistehen können, die bei lebendigem
Leib verbrannte.
Das hatte das Herz dieses eiskalten Scharfschützen gebrochen. Black beschloss
ihn in nächster Zeit zu schonen. Er stand auf um eine seiner geliebten
theatralischen Reden zu halten:
"Männer! Das gestern war ein harter Schlag für uns. Wir dachten
die Ärsche von der Volunteer Force hätten noch unserem vorgestrigen
Angriff die Schnauze voll. Aber dem ist nicht so. Die Volunteer Force, die Ulster
an die Katholikenschweine verrät, muss gestoppt werden. Heute Nacht bereiten
wir einen Gegenschlag vor. Der Terror wird erst enden wenn Tim Falling und seine
Hurenbande aufgibt. Dann können wir uns um die Säuberung Britanniens
von all den Feinden und Neidern kümmern! Für Gott und Ulster!"
Jimmy Adsky sprang auf. "Für Gott und Ulster! Ich kanns kaum erwarten
die Schweine zu töten!"
Mike Rock vergrub seinen Kopf in den Händen und stöhnte: "Ist
mir doch alles Scheiß egal! Ich will das Falling dafür büßt."
Phil "Cut the throat" Black blickte missbilligend auf Rock, der in
sich zusammen gesunken war. Dem Kerl fehlte einfach die nötige Begeisterung.
Aber war ja auch egal. Es musste jedenfalls etwas getan werden. Rusty Hill war
tot. Das bedeutete, dass Falling jetzt die uneingeschränkte Macht hatte.
Black wusste, wenn er nicht die Initiative ergriff würde Falling ihn aus
dem Geschäft drängen und dann beseitigen. Dieser Mann musste gestoppt
werden und zwar schnell.
Scorpion Chris steuerte den Lieferwagen von "Abbeyhouse" in die Golden
Street. Es war halb zwei und Zeit für das Mittagessen. Er sah den Volvo
und nickte den B&HMP Söldnern kurz zu. Langsam ließ er den Wagen
ausrollen und stieg aus. Er öffnete die Hintertür und holte viermal
Schweinesteak heraus. Wie er erfahren hatte, war alles schon im voraus bezahlt
worden. Voll beladen torkelte er zur Tür und klingelte. Ein Summen ertönte
und das Gartentor sprang auf. Fast gleichzeitig wurde oben die Haustür
geöffnet. Chris identifizierte den heraustretenden sofort als Kyle, da
ihm die gebrochene Nase von Spock fehlte. Der bullige Glatzkopf, ungefähr
1,75 Meter groß, aber wohl an die 130 Kilo schwer, führte ihn ins
Haus.
"Hey, wo ist der Kerl, der bisher das Essen gebracht hat?"
"Wir haben die Schicht gewechselt. Irgendwas mit seiner Freundin."
Kyle zeigte mit der Hand auf eine Kommode. "Leg das Zeug da hin."
Scorpion tat wie ihm gesagt und wurde im nächsten Moment abgetastet. Kyles
Hände fuhren von oben nach unten über seinen Körper, ließen
aber die Innenseiten der Füße aus, wo man wunderbar eine Waffe in
das Haus hätte schmuggeln können.
"Ok, geh rein." Chris nahm das Essen und folgte Kyle durch eine offene
Tür. Großes Haus. Flur, Treppe in den ersten Stock, fünf abzweigende
Türen, eine davon offen. Dahinter war eine Küche. Modern eingerichtet.
War das Mahagoniholz?
Durch eine große offenstehende Schiebetür konnte Scorpion einen Blick
ins Wohnzimmer werfen. Dort stand Spock gegen einen Nußbaumschrank gelehnt
und aß Erdnüsse. Auf einem weißen Sofa saß ein Mann mit
graumelierten braunen Haaren, der Chris den Rücken zudrehte und fernsah.
Vietnamfilm. War das Trivial? Noch länger zu warten wäre zu auffällig
gewesen. Beobachtete ihn Kyle? Nein der stand vor dem offenen Kühlschrank
und suchte irgend etwas.
Scorpion fasste einen Entschluss. Er nahm die Alugefäße mit den Mahlzeiten
und ging zum großen ovalen Esstisch, der in der Küche stand, und
auf dem bereits Teller standen. Scheinbar wie selbstverständlich verteilte
er die Gefäße auf dem Tisch und ließ dabei das Wohnzimmer keinen
Moment aus den Augen.
"Hey! Verschwinde! Das machen wir selber."
Das war nicht Kyles Stimme! Scorpion Chris drehte sich erschrocken um. An der
Wand neben der Tür lehnte ein großer grauhaariger Mann in grauem
Maßanzug und Wildlederstiefeln. Er musste die ganze Zeit schon dort gestanden
haben.
Chris Herzschlag hatte für einen Moment ausgesetzt. Konnte es sein, dass
er ihn übersehen hatte? Nein eigentlich unmöglich. Der Kerl war wie
ein Phantom auf einmal aufgetaucht.
"Entschuldigung. Das wusste ich nicht." Chris ging zur Tür und
bemühte sich nicht zu schnell oder zu langsam zu gehen. Unauffällig
warf er einen letzten Blick in das Wohnzimmer. Der Mann auf dem Sofa hatte sich
umgedreht und blickte ihn an. Ja es war Trivial. Aber wer war der andere Kerl?
Ein Leibwächter? Er ging Scorpion Chris nach, bis dieser die Gartentür
erreicht hatte und schloss sie hinter ihm.
Vier Leute. Das war unerwartet. Chris stieg in den Lieferwagen und machte sich
zur nächsten Lieferung auf. Als er an dem Volvo vorbeifuhr, der immer noch
unter dem Kastanienbaum parkte, gab er den darin Sitzenden kurz ein Zeichen,
dass alles glatt gegangen war.
Es wurde bereits wieder Dunkel. Der dritte Tag der Aktion gegen Evelyn Trivial
neigte sich seinem Ende. Alle Söldner bis auf CAT und Kenai, die die Golden
Street 28 observierten, und Scorpion Chris, der noch immer Essen auslieferte,
waren anwesend.
Jemand klingelte an der Tür. Dr. Kill verließ die Küche und
führte Scorpion Chris herein. Dieser trug eine schwarze Jeans, weißes
Hemd, Schürze und ein weißes Stoffhütchen, bedruckt mit dem
Emblem "Abbeyhouse" und darunter ein lachender Schweinskopf gekreuzt
von zwei Weinflaschen.
"Welcher von euch Witzbolden hat 1 mal Puten-Rinderkulasch mit irischen
Bratkartoffeln bestellt? Ich find das nicht sehr lustig."
Unsanft beförderte Chris die Alugefäße auf den Tisch.
"Ich glaub, dass war ich." TSB riss grinsend die Hülle auf und
begann die Fleischbrocken zu löffeln.
"Hoffentlich kriegst du BSE davon!" schnauzte Scorpion seinen alten
Kompagnon TSB an und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
"Nur mal mit der Ruhe. War meine Idee. Ich hab da so einen Plan. Aber was
hast du gesehen?" Dr. Kill warf Chris, der keinen Alkohol trank, eine Cola
zu.
"Ich hass den Job. Wenn ich diesen fetten Koch Alberto noch einen einzigen
Tag miterleben muss schneid ich ihm seine Ohren ab und schmeiß sie in
seine Sauce-Alambert. Der Mann ist der reinste Sklaventreiber.
Aber was du wissen willst. Ich war in der Golden Street und ich hab Trivial
gesehen. Einmal beim Mittagessen bringen ganz deutlich und heut beim Abendessen
wieder nur von hinten. Hab ihn aber eindeutig wiedererkannt. Ist der gleiche
wie auf dem Foto." er deutete auf den Laptop, "Die Zwillinge, Kyle
und Spock, waren auch da. Kyle hat mich gefilzt, aber ziemlich stümperhaft.
Aber da war noch so einer. Groß, athletisch, graue Haare. Hat mich keine
Sekunde aus den Augen gelassen. Scheint noch so ein Leibwächter zu sein.
Ist aber ein Profi."
"Mist. Drei Aufpasser, damit hab ich nicht gerechnet. Wir haben immer nur
zwei gesehen. Aber trotzdem egal. Der Plan bleibt der Alte. Wir schnappen ihn
uns morgen. Wir holen früh die Waffen und bereiten alles vor. Wenn du ihm
das Abendessen bringst, schlagen wir zu. Den genauen Plan hab ich schon im Kopf.
TSB bist du schon fertig?"
"Mhmh." TSB, der seit seiner Zeit bei der Legion Meister im Schnellessen
war, schlang den letzten Bissen hinunter.
Ruth kam aus der Küche.
"Schmeckt dir mein Essen nicht?!" Sie hatte für die Söldner
Koteletts und Pommes Frites gemacht und setzte sich jetzt hin um ebenfalls zu
essen.
"Mhm, doch natürlich, ist alles für die Mission." TSB reichte
Dr. Kill das leergegessene Alugefäß. Dr. Kill ging in die Küche
um es auszuspülen. Gespannt folgten ihm die Blicke von Scorpion Chris und
Luke.
"Hebst du den Müll etwa auf? Aber ich muss jetzt wieder gehen. Hab
noch ein Trüffelomelett auszuliefern." Chris setzte sein Käppchen
wieder auf und schlürfte nach draußen.
Luke nahm eine weitere Portion Pommes.
"Hey. Das muss für CAT und Kenai auch noch reichen!" Ruth schlug
ihm auf die Finger. TSB grinste mit vollem Mund und beugte sich wieder über
seinen Teller.
Im hohen Bogen flog der Molotowcocktail über die Straße und zersplitterte
vor den Absperrungsgittern. Die Polizei hatte diesmal sofort eingegriffen und
die Shankhills abgesperrt. Die Kampftruppen der UFF und UVF waren nicht zu sehen.
Nur der Mob lieferte sich eine Straßenschlacht mit den Ordnungskräften.
Aber außerhalb von Belfast brannten wieder Häuser. Im kleinen Ort
Coleraine feuerten Freedom Fighter in das Haus eines Volunteer Force Mannes
und trafen dessen elf-jährige Tochter. Während das Mädchen im
Sterben lag wurden in Londonderry zwei UFF-Leute regelrecht hingerichtet.
In Belfast war es relativ ruhig. In der ganzen Nacht wurde nur ein einziger
Mann getötet. Aus einem fahrenden Wagen wurde ausgerechnet Martin McCain,
Schriftführer der "Wahren IRA", erschossen.
Der fanatische "Wahre IRA"-Führer Gabriel Macee sammelte am nächsten
Morgen seine etwa 70 getreuen Kampfgenossen. Nach seiner mitreißenden
Hassrede im kalten Kellerversteck wurde ihm zugejubelt und die Fäuste geschüttelt.
In Zukunft sollten auch die Katholiken offiziell in den Kampf eingreifen.
7 Oktober 2001
Barlmoro lenkte die Mercedeslimousine in die Parkbucht. Hieb, der mit seinem
BMW hinter ihm war, fuhr ebenfalls von der Straße herunter. Sie waren
mit zwei Wagen nach Holland gefahren, obwohl einer für die vier Männer,
Barlmoro, Hieb, Seraph und Dactylartha auch gereicht hätte.
Barlmoro und Seraph stiegen aus. Aus dem anderen Wagen kamen Hieb und Dac. Auf
der Straße rasten vor allem LKWs vorbei. In hundert Meter Entfernung lag
die Nordsee. Wegen der riesigen Kräne, Container und Gebäuden der
Hafenanlage von Rotterdam konnte man das Meer aber nicht sehen.
Die vier Männer gingen wortlos durch das Labyrinth und bemühten sich,
nicht von einem der computergesteuerten Transportkarren überfahren zu werden,
die wie auf Schienen durch das scheinbare Wirrwarr glitten. Nach halbstündiger
Suche hatten sie die "Katja" schließlich gefunden. Ein kleiner
Trawler, vierzig Meter lang und in einem mitleidseinflössendem Zustand.
Barlmoro ließ seinen Blick über das Schiff schweifen. "Wie gehen
wir vor? Prügeln wir aus ihm raus, was wir wissen wollen?" er spannte
seine Muskeln unter der Jacke.
Hieb setzte einen Fuß auf die Planke, die auf das Schiff führte.
"Nein. Wir versuchens auf die bewährte: ´Wir sind von der lieben Polizei
und müssen mit ihnen Reden-Tour´. Seraph, du bleibst draußen und
passt auf, dass keiner kommt."
Hieb drehte sich um und rief: "Herr Anders! Sind sie da?"
Keine Antwort. Seraph zuckte mit den Schultern und Hieb, Barlmoro und Dac gingen
an Bord. Sie teilten sich auf und durchsuchten das Schiff.
Dac schlüpfte gerade in eine von Dreck strotzende Kombüse, als er
ein Stöhnen aus einer halbgeöffneten Tür vernahm. Er legte die
Hand an den Griff der Walther P88 in seiner Manteltasche und stieß die
Tür langsam mit der linken Hand auf.
Die Kabine starrte vor Schmutz. Auf einem in einer Wandnische eingebauten Bett
lag ein fetter, dreckiger Mann, der allem Anschein nach stockbesoffen war. Dac
rümpfte die Nase und sah sich um. Auf einem kleinen Tisch lagen kreuz und
quer leere und halbvolle Bier- und Schnapsflaschen. Konservendosen teilten sich
zusammen mit Kleidungsstücken, Zeitungspapier und Essensresten den Lebensraum
Fußboden. Die zwei kleinen Fenster waren sicherlich seit Wochen schon
nicht mehr geöffnet worden.
Der Gestank ließ einen beinahe ohnmächtig werden.
"Ich hab hier einen gefunden. Kommt mal her!" Leise zu sein, war überflüssig.
Barlmoro und Hieb eilten von irgendwo auf dem Schiff herbei. Dac machte Platz,
damit Hieb in den kleinen Raum eintreten konnte. Der fette Mann drehte sich
zur Seite und kippte dabei aus dem Bett. Mühsam stöhnend versuchte
er sich wieder aufzurichten. Dac, der Niederländer war, sollte das Gespräch
oder besser gesagt Verhör führen.
"Sind sie Kapitän Sven Anders? Können sie mich verstehen?"
"Wat ... wat macht ... hier? Haut ab! Ver...schwindet ... mein Schiff."
"Sind sie Kapitän Sven Anders?"
"Ja ... verpiss dich!" Anders schaffte es, sich ihm Bett auf zu richten
und rieb sich die verschlafenen Augen.
Dac stieß mit dem Fuß eine Ananasbüchse zu Seite und ging näher
zu Anders.
"Wir haben ein paar Fragen an sie. Kriminalpolizei." Kurz zeigte Dac
seinen alten Ausweis vom BBE her, während sich Hieb und Barlmoro mit Mitgliedskarten
vom Schützenverein und Führerscheinen auswiesen. Dac zog einen Stuhl
heran.
"Haben sie vor etwa drei Monaten Ladung nach Nordirland gebracht?"
"Pol... Polizei? Ich hab nichts verbrochen. Was wollt ihr von mir?"
"Nur eine Routinebefragung. Also, haben sie Ladung nach Nordirland gebracht?"
"Ja, aber ... ich hab nichts verbrochen. Wirklich ... absolut nicht."
"Das glauben wir ihnen ja. Was war das für Ladung?"
"Kisten, zwei Kisten oder eine. Ich weiß nicht mehr."
"Was war in den Kisten? Und wer hat sie beauftragt?"
"Polizei? Was wollt ihr von mir? Ich ... ich weiß nicht."
"Herr Anders, schlafen sie jetzt nicht ein. Wer hat ihnen den Auftrag gegeben
die Kisten nach Nordirland zu bringen?"
Aber Sven Anders war schon wieder eingeschlafen. Barlmoro ging raus und kam
einen Minute später mit einem Eimer Wasser wieder. Dac nahm ihn Barlmoro
ab und schüttete ihn über dem Schlafenden aus.
Prustend und spuckend kam Anders wieder zur Besinnung.
"Herr Anders, erinnern sie sich an mich? Wer hat ihnen den Auftrag gegeben
nach Nordirland zu fahren?"
"Trivial, Amerikaner, Evelyn Trivial. Verpiss dich Bulle!" Der schon
etwas wachere Anders versuchte aufzustehen, wurde aber von Barlmoro mit Nachdruck
wieder aufs Bett gedrückt.
"Gut, was haben sie mit der oder den Kisten gemacht, nachdem sie sie im
Hafen abgeladen haben?"
"Auf einen Lastwagen ... schwere Kisten, Trivial großes Arschloch
... ich musste den Lastwagen selbst fahren. Ich bin Kapitän, kein Trucker."
Die Söldner wurden hellhörig.
"Evelyn Trivial war anwesend? Was hat er gesagt und wohin haben sie die
Kisten gebracht?"
"Verschwindet! Ich hab nichts verbrochen! Trivial ... hat mir gesagt ich
muss die Kisten ... die Kisten bis zum Bestimmungsort bringen ... sonst kein
Geld. Matrose hatte keinen Führerschein, musste selbst fahren."
"Wohin?! Wohin haben sie die Kiste gebrach?"
"Weiß nicht. Großes Haus, Schloss. Dun..., Dron..., Dunock,
Durack...."
Anders kippte zur Seite und begann zu schnarchen.
"Der ist weg für heute wenn er das ganze Zeugs gesoffen hat."
Barl hob zwei leer Wodkaflaschen hoch.
Hieb seufzte und stieß Anders mit dem Fuß an. "Lass uns gehen.
Glaubst du der erinnert sich noch an uns, wenn er aufwacht?"
Barlmoro wog die beiden Flaschen gegeneinander ab und ließ seinen Blick
über den Wald aus Flaschenhälsen und Bierdosen in der Kajüte
schweifen. "Mit meiner alten Sauferfahrung aus der Legion würd ich
sagen, 3 bis 3,5 Promille, aber nur wenn er ein guter Trinker ist, sonst mehr.
Der weiß Morgen gar nichts mehr."
Die Söldner gingen wieder über die Planke vom Boot. An deren Ende
stand breitbeinig Seraph und behielt die Umgebung im Auge. Die Anzugjacke von
Bugatti leicht zurückgeschlagen und die Hand am Knauf der P8 unter seiner
linken Achsel. Aber auch jetzt war wie schon bei der Ankunft keine Menschenseele
zu sehen.
In Belfast lief die Operation zur Entführung Trivials an. Ruth wurde eingeschärft
auf jeden Fall in der Wohnung zu bleiben. Dr. Kill hätte sie zwar lieber
auf dem Landhaus gesehen, aber das brauchten sie für den hoffentlich bald
gefangenen Trivial. Dort würde das Verhör geführt werden, dass
die B&HMP Söldner zum Versteck der Raketen führen sollte. Dr.
Kill war klar, dass sie Trivial im dümmsten Falle ohne die Raketen an die
Amerikaner ausliefern mussten.
Es war dann Barlmoros und Hiebs Problem die weiteren Verhandlungen mit den Amerikanern
zu führen. Die waren für Verhöre viel besser ausgestattet als
die Söldner.
Scorpion Chris hatte das Mittagessen wieder ausgeliefert. Alles war noch wie
gestern gewesen, Trivial saß anscheinend die meiste Zeit vor dem Fernseher
und sah sich Kriegsfilme oder Western an, Kyle oder Spock öffneten jedesmal
die Tür und filzten Chris mehr schlecht als recht und der grauhaarige Leibwächter,
Scorpion schätzte ihn auf fünfzig bis fünfundfünfzig, beobachtete
alles.
Jetzt saß Scorpion Chris verbotenerweise, er sollte eigentlich Partyhäppchen
zu einer Bankeröffnung bringen, in der Wohnung und beobachtete CAT Shannon,
wie er mit der Glock 17 hantierte.
Sie hatten die Waffen in den frühen Morgenstunden aus dem Landhaus geholt.
Einmal waren sie kontrolliert, aber nicht durchsucht worden.
Jetzt versuchte CAT Shannon die Glock 17 in dem Alugefäß, das Scorpion
Chris am Vortag gebracht hatte, zu verstauen. Die Glock war die kürzeste
Waffe, die sie hatten, und passte mit Schalldämpfer schräg ganz knapp
in das Gefäß.
"Klebs nicht zu fest zu. Ich hab keine Lust, dass ich das Ding nicht mehr
aufkrieg." Scorpion war skeptisch und reichte CAT den Alleskleber.
Der klebte den Aludeckel wieder auf die Schale und betrachtete das vollendete
Werk von allen Seiten. "Klappt doch."
Dr. Kill kam herein und blickte über den Tisch. Dort waren alle Waffen
ausgebreitet.
"Gut, jetzt zum Plan. Chris geht heute abend wie immer in das Haus. Nur
diesmal bewaffnet. TSB, CAT und Kenai gehen durch den Garten. Luke, Fossi und
ich kommen von vorne. Chris reißt die Alufolie weg, zieht die Glock raus
und schaltet möglichst viele Ziele aus. Dazu müssen die Wachen abgelenkt
werden. Dies geschieht am einfachstem, indem wir vorne an der Tür klingeln.
Du Chris musst aufpassen, dass du nicht mitten im Raum stehst, sondern einen
freien Rücken hast. Aber das weißt du ja.
Sobald es losgeht, stürmt ihr durch den Garten in das Haus. Nach allem
was Chris gesagt hat, sind da große Terrassentüren, die direkt ins
Wohnzimmer führen. Wenn alles wie immer ist, müssten sich Trivial
sowie Kyle oder Spock dort aufhalten. Bitte vermeidet es Trivial zu töten.
Währenddessen haben wir hoffentlich den Kerl ausgeschaltet, der die Tür
öffnet. Das ganze muss innerhalb von wenigen Sekunden geschehen. Wenn die
drei Leibwächter tot sind, schnappt ihr euch Trivial und stürmt raus.
Ab mit ihm in den VW Bus und dann mit Vollgas aus der Stadt. Sonst noch fragen?"
"Was ist, wenn jemand die Polizei ruft? Wird das ne Verfolgungsjagd?"
Scorpion war unsicher und mit seinem Part in der Aktion nicht sehr glücklich.
"Kann schon sein, dass das passiert. Auch wenn wir keinen lauten Schuss
abfeuern, werden die Nachbarn wohl was mitbekommen. Aber bis die Polizei da
ist, vergehen einige Minuten. Zur Zeit sind fast alle Polizisten in den gefährdeten
Kampfgebieten von Belfast. Wenn wir dann im Landhaus sitzen, wird jeder annehmen,
es habe sich um einen Anschlag der UFF auf ein UVF Haus gehandelt. Kyle und
Spock sind ja stadtbekannt. Nur die Leiche des dritten Leibwächters wird
den Polizisten wohl einiges Kopfzerbrechen bereiten."
Sieben, nein acht Köpfe, Ruth stand ihm Türrahmen, nickten.
Im folgenden wurde die Verteilung der Waffen ausgehandelt.
Scorpion Chris: Glock 17 mit Schalldämpfer
1. Trupp
CAT Shannon: Springfield Bureau Modell .45 ACP
Kenai: Beretta 92F mit Schalldämpfer
TSB: CZ-75 mit Schalldämpfer
2. Trupp
Dr. Kill: IMI Uzi
Fossi: H&K P7 mit Schalldämpfer
Luke: 9mm Ruger
Es blieb noch die 44er Desert Eagle übrig, die sicherheitshalber im Wagen
bleiben sollte. Die letzte Wache sollten Dr. Kill und CAT Shannon übernehmen.
Für die anderen stand Schlafen auf dem Programm. Scorpion Chris machte
weiter seine Auslieferungen.
Tim Falling war glücklich wie ein kleines Kind, das einen Lutscher bekommen
hatte. Nicht nur, dass er jetzt nach Rusty Hills Tod, uneingeschränkter
Boss der Ulster Volunteer Force war, nein, er hatte auch schon den vereitelten
Anschlag auf Phil Black überwunden.
Im Moment gab es wichtigere Dinge. Er hatte telefoniert. Endlich schien sich
etwas zu bewegen. Evelyn Trivial, der Waffenhändler, der seit zwei Monaten
in einem seiner Häuser in der Golden Street saß, hatte ihm mitgeteilt,
dass er ihm Ware anbieten konnte. Und zwar Raketen.
Falling hatte ihn das am Telefon dreimal wiederholen lassen, bevor er glaubte
was er gerade gesagt hatte.
Raketen - das bedeutete Macht. Bisher waren alle Straßenkämpfe immer
zu Ende gewesen, wenn britische Panzer auftauchten. In Zukunft würden sie
dann erst anfangen.
Mit Raketen konnte man drohen Flugzeuge abzuschießen, Panzer stoppen und
unter den Iren und den Freedom Fighters mehr Zerstörung anrichten, als
mit allen Gewehren dieser Welt zusammen.
Morgen würde sich Falling mit Trivial treffen und die Bedingungen des Deals
aushandeln. Falling hatte nicht vor, allzu viel zu bezahlen. Er hatte Trivial
immerhin Schutz gewährt und mit Geld versorgt.
"Ethan. Hol den Wagen. Es wird Zeit das wir zum Umzug kommen. Hast du alles
vorbereitet?"
"Ja Boss. Alles ist bereit:"
Phillip Black breitete den Schlachtplan auf dem Glastisch in seinem Landhaus
in Derry aus. Bei ihm waren Jimmy Adsky, Mike Rock und fünf weitere UFF-Größen.
Black hatte es sich nicht nehmen lassen, kleine grüne und blaue Fähnchen
auf dem Stadtplan von Belfast zu verteilen. Daneben lagen, schön aufgestapelt
acht weiße Päckchen Kokain. Jedes genau ein Pfund schwer. Daneben
in Tüten Amphetamine und Extacypillen.
"Seht euch das an! In Belfast gibt es Viertel mit bis zu 40 Prozent Arbeitslosigkeit.
Bei den Jugendlich 50 Prozent. Davon nimmt fast die Hälfte Drogen. Vor
euch auf dem Tisch liegen einige hunderttausend Pfund Sterling. Aber unsere
Dealer kommen nicht an die Kunden ran. Die Volunteer Force kontrolliert die
besten Gebiete." Wild fuchtelte er auf dem Stadtplan herum.
"Heute Nacht greifen wir deshalb vor allem östlich des Logan Rivers
an. Dort stehen fast keine Polizeieinheiten und keiner erwartet einen Angriff.
Außerdem werden wir an der "Peace Line" und in den Ruinenvierteln
Kampftruppen stationieren. Heute Nacht werden mehr Feinde brennen als in allen
vorangegangenen Nächten. Und morgen verteilen unsere Leute Gratisproben
Koks an den Schulen. Wer den Drogenmarkt beherrscht, beherrscht auch Belfast."
Jimmy Adsky grinste fröhlich, während sich in dem ein oder anderen
Kopf der Anwesenden Unbehagen breitmachte. In den letzten Tagen hatte sie an
die zwanzig Männer verloren. Fünfzig Häuser waren angezündet
worden. Dutzende von Verletzten lagen in den Krankenhäusern und wurden
von der Polizei verhört.
Aber wenn Phil "Cut the Throat" Black, der Meinung war, man müsste
weiterkämpfen, würden sie das tun. Nur waren einige der Männer
der Meinung der eigentliche Feind heiße IRA und nicht UVF. Drogenhandel
und Schutzgelderpressung, die die Hälfte der Kriegskasse füllte, waren
für sie nur Mittel zum Zweck. Aber keiner wagte Phil Black zu kritisieren.
"Hmm, was ist das für Zeug?"
Mike Rock kam in den Raum. Er hatte eine Flasche Jack Daniels in der Hand und
war entschlossen diese heute auch noch zu leeren. Unschlüssig drehte er
eine der Pillen in den Fingern.
"Lass das!"
Philip Black schlug ihm die Aufputschtablette aus der Hand.
Einige Augenblicke lang schien es so, wie wenn sich der trauernde Scharfschütze
auf den grauhaarigen Chef der UFF stürzen würde. Aber er begnügte
sich damit, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen und in einer Ecke Platz zu
nehmen.
Die ganze Sache kotzte ihn an. Black redete weiter von Kampftaktiken und Sturmbrigaden.
Rock verwünschte alle Anwesenden und sich selbst in Gedanken. Wenn er wieder
nüchtern war, würde er Rache für seine Frau Alice und seine Tochter
Magarete nehmen.
Es war Nachmittag und in den Shankhills begann die Beerdigung von Rusty Hill.
Der Leichenzug startete von der Gemeinde Kirche und hatte den Friedhof als Ziel.
Voran gingen die Männer und Frauen der Partei mit den braunen Uniformen
und den rot-schwarzen Hosen. Zuerst kamen die Fahnenträger dann die Blaskapelle.
Danach folgte der Sarg, der von vier stämmigen UVF Leuten getragen wurde.
Hinter dem Sarg schlenderten die Verwandten und Freunde von Rusty Hill. Unter
ihnen auch sein Mörder Tim Falling. Den Abschluss bildeten fast zweitausend
UVF-Anhänger, Sympathisanten und einfache Leute, die Hill die letzte Ehre
erwiesen.
Aus Angst vor Anschlägen riegelten 500 Polizisten die Strecke des Leichenzuges
ab und beschützten so die größte Ansammlung von Mördern
und Verbrechern Nordirlands vor anderen Mördern und Verbrechern.
Falling stand vor dem offenen Grab und trauerte auf seine Art um Rusty Hill.
Neben ihm stand Ethan, den man zu diesem Anlass in einen schwarzen Anzug gezwängt
hatte, der beinahe unter den Muskelpaketen des Riesen zu platzen drohte.
Der Vorsitzende des Oranier-Ordens, mit seinem schwarzen Boylerhut und der orangen
Schärpe, der gerade eine sterbenslangweilige Rede über loyalistischen
Pflichtgehorsam und königlicher Vaterlandsliebe gehalten hatte, trat vom
Podium zurück um dem stellvertretenden Parteichef der PUP das Wort zu übergeben.
In wenigen Wochen sollte Tim Falling ganz offiziell zum neuen Parteiführer
ernannt werden.
Als die Beerdigung zu Ende war, kam auch die Herbstsonne wieder heraus und tauchte
das Geschehen in ein goldenes Licht.
Falling teilte den Angehörigen sein Beileid mit und versuchte möglichst
schnell wieder wegzukommen. Die Leute hatten ihn gesehen, die Presse hatte ihre
Fotos gemacht und damit war seine Pflicht getan.
Als er begleitet von einem halben Dutzend Leibwächtern in den cremefarbenen
Rolls-Royce stieg, hätte man auch den Eindruck haben können, man befinde
sich in Sizilien und nicht in Belfast.
Die Aktion lief an. Es war 20:47 Uhr und in wenigen Minuten sollte Scorpion
Chris mit dem Wagen vorfahren und das Abendessen für Trivial ausliefern.
Es war bereits vollkommen dunkel.
Dr. Kill und Fossi saßen in dem VW Bus und warteten voller Anspannung
auf den Beginn des riskanten Plans.
Luke parkte direkt hinter ihnen im Volvo. Fünfzig Meter weiter kletterten
TSB, Kenai und CAT Shannon über die Gartenmauer des Hauses und schlichen
über den mit Laub bedeckten Rasen.
Deutlich sahen sie die hellerleuchteten Wohnzimmerfenster.
"Kenai, du gehst links und du gehst rechts, TSB." CAT gab geflüsterte
Anweisungen.
TSB und Kenai scherten aus und waren kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.
CAT robbte direkt auf das Fenster zu. Er war nur noch fünfzehn Meter von
der Terrasse entfernt. Er durfte nicht in den Lichtkegel geraten, der aus dem
hell erleuchteten Wohnzimmer auf den Rasen des Gartens fiel. Er behielt im Auge,
was drinnen vorging. Er konnte eine Gestalt sehen, Spock oder Kyle, die in einem
Sessel hockte und ihm den Rücken zudrehte.
Von links schob sich Kenai an der Mauer entlang Richtung Fenster. Er entsicherte
die Beretta und widerstand der Versuchung um die Ecke in das Wohnzimmer zu spähen.
Im gegenüber stand TSB mit dem Rücken eng an die Hauswand gedrückt
und tastete sich vorsichtig vorwärts, bemüht, keinen der am Boden
stehenden Blumentöpfe anzustoßen.
Nur wenige Meter und eine Glasscheibe trennten sie von Trivial.
Fossi steckte sich einen Kaugummi in den Mund und kaute lustlos darauf herum.
Er hatte noch nicht sehr viele Einsätze absolviert und konnte seine innere
Anspannung noch nicht so gut lösen wie Dr. Kill, der scheinbar vollkommen
unbeeindruckt ein Nickerchen hielt.
Luke zermarterte sich die ganze Zeit das Gehirn ob Ruth wirklich in der Wohnung
blieb oder selbständig irgend etwas unternahm. In letzter Zeit hatte sie
immer mehr über Rachegedanken geredet.
Da! Der Lieferwagen bog in die Golden Street ein. Er kam aus westlicher Richtung
und war nur ganz klein am anderen Ende der Straße zu sehen. Die beiden
Scheinwerfer tasteten sich vorwärts. Fossi stieß Dr. Kill an, der
sofort hellwach war und die Wagentür einen Spalt öffnete.
"Starte nicht den Motor, wir lassen den Wagen rollen. Aber jetzt noch nicht.
Erst wenn Chris im Haus ist."
Plötzlich bog der "Abbeyhouse"-Lieferwagen aus Osten in die Straße
ein.
Einige Sekunden lang verstanden die drei Söldner nicht, was da vorging.
Aber plötzlich wurde es ihnen schlagartig klar. Scorpion trat voll auf
die Bremse und hielt mit einem Ruckeln an. Durch die breite Windschutzscheibe
sah er zu, wie in zwanzig Metern Entfernung bewaffnete Männer von einem
kleinen Laster sprangen und auf ein Haus zu stürmten. Das konnte nicht
wahr sein. Das dürfte nicht das Haus Nummer 28 sein!
Die Kampfbrigade der Ulster Freedom Fighters trat ohne Umschweife das Gartentor
ein und sprintete die Treppe zum Haus hoch. Das Tür wurde einfach mit einer
Kalaschnikowsalve geöffnet und fünf vermummte Männer stürmten
das Haus.
Wenn sie jetzt nicht handelten, war alles verloren. Dr. Kill riss die Decke
von seinen Knien weg, und packte die Uzi, die darunter lag. Im selben Augenblick
stürmte er gefolgt von Fossi und Luke auf das Haus zu.
Der Mann hinter dem Steuer des Kleinlasters konnte seinen Kumpanen gerade noch
"Achtung, Volunteer For..." zurufen, als die Kugeln aus der Uzi durch
die Windschutzscheibe schlugen und seinen Kehlkopf und Hals trafen. Blutverschmiert
knallte sein Kopf auf das Lenkrad.
Begleitet von dem ohrenbetäubenden Hupkonzert stürmten die Söldner
die Treppe nach oben. Im Vorraum stießen sie auf einen Toten.
CAT hörte die Schüsse und sah, wie im Haus die Hölle losbrach.
Irgendwas war schiefgegangen. Eigentlich sollte kein einziger ungedämpfter
Schuss abgegeben werden. Er rappelte sich auf und stürmte auf die Terrasse
zu. Gleichzeitig sprangen Kenai und TSB aus der Deckung und eröffneten
das Feuer auf Spock, der sich verdutzt aus dem Fernsehsessel erhob. Die Kugeln
gingen nacheinander durch das Fenster, Spocks Kopf, den Fernsehschirm und blieben
schließlich in der Wand stecken.
TSB ließ sich gegen die Gartentür fallen und brach durch die Scheibe.
CAT und Kenai sprangen sofort in das Zimmer und sicherten. Wo war Trivial?
Plötzlich stürmten zwei Vermummte den Raum. Ohne lang zu überlegen
schoss CAT zweimal auf den ersten, der von der Wucht der 45er Kugeln in die
Arme des zweiten geworfen wurde, der im nächsten Moment drei Kugeln aus
Kenais Waffe zum Opfer fiel. Zu dritt stürmten sie durch das Haus und trafen
unvermutet auf einen weiteren, mit Skimaske bewehrten, Gegner, der mit einer
AK-47 im Treppenhaus stand und nach oben schoss. Er wurde vom fast gleichzeitig
eröffneten Feuer aus fünf Waffen hin und her geschleudert, ehe er
zuckend liegen blieb.
Dr. Kill, Fossi und Luke vereinten sich mit CAT, Kenai und TSB und stürmten
die Treppe hinauf.
Oben blickte Evelyn Trivial zitternd aus dem Fenster. Das war viel zu hoch für
ihn! Schließlich gab ihm sein langjähriger Leibwächter einfach
einen Stoß, der ihn aus dem Fenster beförderte. Der Leibwächter
folgte ihm, rollte elegant über die Schulter ab und zog seinen Schutzbefohlenen
mit sich fort. Ein dumpfer Aufprall hinter ihnen zeigte, dass auch Kyle den
Fluchtweg aus dem Fenster gewählt hatte. Überstürzt ging es über
den Gartenzaun und etliche Vorgärten in Sicherheit.
Dr. Kill erreichte keuchend das offene Fenster und konnte nur noch zu sehen,
wie sich drei dunkle Gestalten davon machten.
"Verdammt! Machen wir das wir wegkommen!"
Die Söldner verließen die Golden Street in östliche Richtung,
als von Westen die ersten Polizeiwagen eintrafen.
Jimmy Adsky richtete sich stöhnend auf. Wo war er? Was war passiert? War
das Blut?
Er tastete über sein Gesicht, dass sich furchtbar komisch anfühlte.
Aber ja! Er hatte ja noch die Skismaske auf. Er zog sie ab und blinzelte. Alle
tot? Polizeisirenen ganz in der Nähe! Er torkelte ziellos umher. Ein Lufthauch
wehte über sein Gesicht. Mühsam schleppte er sich durch die zersplitterte
Gartentür in Sicherheit.
Von Job
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